Verbot einer Pro-Palästina-Versammlung

OVG NRW v. 02.12.2023 – 15 B 1323/23

Sachverhalt
Der Antragssteller wollte eine Versammlung mit dem Motto „Stoppt den Genozid/Völkermord“ veranstalten.1 Dies wurde ihm vom Antragsgegner untersagt und dazu der Hinweis erteilt, dass die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ und Abwandlungen hiervon strafbar wären.2 Dagegen wendete sich der Antragsteller im Eilverfahren.3 Das VG Düsseldorf lehnte den Antrag ab, so dass der Antragsteller Beschwerde beim OVG einlegte.4

Gründe
Die Beschwerde hatte teilweise Erfolg.5 Der Bescheid erweise sich hinsichtlich der Untersagung des Mottos aller Voraussicht nach als rechtswidrig.6 Da das Verbot auf das Versammlungsmotto gestützt worden sei, sei bei einer Einschränkung die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen, so dass der Inhalt der Meinungsäußerung einen Straftatbestand erfüllen müsse, um versammlungsrechtlich relevant zu sein.7

Die Verwendung der Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord” verwirkliche keinen Straftatbestand.8 Der § 130 Abs. 1 StGB sei nicht erfüllt, da die Aussage weder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Bevölkerungsteile auffordere noch in die Menschenwürde anderer eingreife.9 Vielmehr beziehe sich die Parole erkennbar darauf, dass das Kriegsgeschehen im Gazastreifen beendet werden solle, auch wenn die Aussage der Völkerrechtslage nicht gerecht werde.10 Nichts anderes gelte für die Parole „Israel bombardiert - Deutschland finanziert”.11 Eine vermeintliche Gesinnung oder politische Haltung des Antragsstellers und der Versammlungsteilnehmer sei unerheblich, da diese den Erklärungsgehalt der Parolen nicht in strafrechtlich relevanter Weise veränderten.12

Die Parole verwirkliche zudem nicht den § 140 Nr. 2 StGB.13 Die Parole könne nicht als Billigung der Gewalttaten der Hamas verstanden werden, sondern sei nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet, dass Israel seine Kampfhandlungen im Gazastreifen beendet.14

Hinsichtlich der Parole „From the river to the sea – Palestine will be free” könne nicht festgestellt werden, ob die Verfügung rechtswidrig sei. Es sei nicht abschließend aufzuklären, ob die Parole den §§ 130, 140 StGB unterfalle oder gegen § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG verstoße.15 Die erforderliche Interessenabwägung falle zugunsten des öffentlichen Interesses aus, da das Anliegen der Veranstaltung auch ohne die Parole inhaltlich ausreichend vorgebracht werden könne, eine einmal getätigte Äußerung jedoch irreversibel sei.16

Einordnung in die Rechtsprechung
Das Urteil ist Teil einer Serie von gerichtlichen Entscheidungen, die Verbotsverfügungen von pro-palästinensischen Versammlungen zum Gegenstand haben. Dabei haben die Gerichte die Verbote nicht einheitlich beurteilt.

Zum Teil lassen es die Gerichte für die Rechtmäßigkeit einer Verbotsverfügung schon ausreichen, dass generell eine aufgeheizte Stimmung herrscht, so dass wie bei vorherigen pro-palästinensischen Versammlungen gewaltbereite Teilnehmer zu erwarten seien.17

Dem stehen Entscheidungen gegenüber, wonach Art. 8 GG gerade bei emotionalisierenden und kontroversen Themen besondere Bedeutung zukomme, da gerade dieser Umstand belege, dass die Versammlung ein Thema von großer öffentlicher Bedeutung betreffe.18 Danach sei auch zu berücksichtigen, dass auch friedliche pro-palästinensische Versammlungen stattgefunden hätten und Versammlungsverbote nicht durch bloße Verdachtsmomente, hier bezüglich der Gewaltbereitschaft der Teilnehmer, gerechtfertigt werden könnten.19 Im Ergebnis seien nach dieser Rechtsprechung konkrete Anhaltspunkte für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erforderlich, wie etwa eine vorherige Versammlung, die der konkrete Antragsteller angemeldet hatte und die einen unfriedlichen Verlauf nahm.20 Soweit dafür keine Anhaltspunkte vorliegen würden, seien danach Verbote pro-palästinensischer Versammlungen grundsätzlich rechtswidrig.21


1 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 3.

2 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 3-5.

3 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 3-5.

4 VG Düsseldorf v. 01.12.2023 – 18 L 3167/23.

5 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 7, 9.

6 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 10.

7 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 13, 15.

8 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 17.

9 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 34.

10 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 34.

11 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 35.

12 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 36.

13 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 37.

14 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 43.

15 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 50 ff.

16 OVG NRW v 02.12.2023 – 15 B 1323/23, Rn. 56.

17 VG Berlin v. 11.10.2023 – 1 L 428/23, Rn 9 f.; OVG Hamburg v. 21.10.2023 – 4 Bs 134/23, Rn. 23 f., 27.

18 VGH Bayern v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862, Rn. 31; VG Frankfurt v. 20.10.2023 – 5 L 3313/23.F, Rn. 34, vgl. VG Hamburg v. 08.12.2023 – 5 E 5290/23, Rn. 12; VGH Hessen v. 22.12.2023, 2 B 1843/23.

19 VG Köln v. 14.10.2023 – 20 L 2064/23, Rn. 12 f.; VGH Bayern v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862, Rn. 24 f., 29; VGH Hessen v. 21.10.2023 – 2 B 1467/23, Rn. 8; VGH Baden-Württemberg v. 21.10.2023 – 3 S 1669/23, Rn. 7; VGH Hessen v. 25.11.2023, 2 B 1662/23, Rn. 15

20 VGH Hessen v. 14.10.2023 – 2 B 1423/23, Rn. 23 ff.; VGH Hessen v. 09. 11.2023 – 2 B 1578/23, Rn. 8 ff.

21 VG Köln v. 14.10.2023 – 20 L 2064/23; VGH Bayern v. 19.10.2023 – 10 CS 23.1862; VGH Hessen v. 21.10.2023 – 2 B 1467/23; VGH Baden-Württemberg v. 21.10.2023 – 3 S 1669/23; VG Münster v. 17.11.2023 – 1 L 1011/23; VGH Hessen v. 25.11.2023, 2 B 1662/23; VGH Hessen v. 22.12.2023, 2 B 1843/23.

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