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Rechtsurteile

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Allgemeinverfügung hinsichtlich pro-palästinensischer Versammlungen

Bei einer Verbotsallgemeinverfügung, die all jene Versammlungen erfasst, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (sog. pro-palästinensische Versammlungen)“, dürfte die für ein Verbot erforderliche Gefahrenschwelle zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für alle hiervon potenziell umfasste Versammlungen überschritten sein.


 

Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 7. Dezember 2023 gegen die Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2023 zur Verlängerung der versammlungsrechtlichen Verfügung in Form der Allgemeinverfügung vom 15. Oktober 2023, verlängert durch Allgemeinverfügungen vom 18. Oktober 2023, 22. Oktober 2023, 25. Oktober 2023, 28. Oktober 2023, 1. November 2023, 4. November 2023, 8. November 2023, 11. November 2023, 15. November 2023, 18. November 2023, 22. November 2023, 25. November 2023, 29. November 2023 und 2. Dezember 2023, zu Versammlungen, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (sog. pro-palästinensische Versammlungen)“, für das Stadtgebiet der Antragsgegnerin, wird wiederhergestellt.  

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.  

Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.  

 

Gründe

I.  

1

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die für sofort vollziehbar erklärte Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 6. Dezember 2023 zur Verlängerung der versammlungsrechtlichen Verfügung in Form der Allgemeinverfügung vom 15. Oktober 2023, verlängert durch Allgemeinverfügungen vom 18. Oktober 2023, 22. Oktober 2023, 25. Oktober 2023, 28. Oktober 2023, 1. November 2023, 4. November 2023, 8. November 2023, 11. November 2023, 15. November 2023, 18. November 2023, 22. November 2023, 25. November 2023, 29. November 2023 und 2. Dezember 2023, zu Versammlungen, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (sog. pro-palästinensische Versammlungen)“, für das Stadtgebiet der Antragsgegnerin.

2

Gemäß Ziffer 1 der für den Zeitraum vom 7. Dezember 2023 bis einschließlich 10. Dezember 2023 verlängerten Allgemeinverfügung vom 15. Oktober 2023 werden alle nicht angemeldeten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen im Zusammenhang mit dem Einmarsch der israelischen Armee in den Gazastreifen untersagt, die nicht innerhalb der Frist des § 14 VersG angemeldet worden sind bzw. werden und inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (sog. pro-palästinensische Versammlungen).

3

Die Antragstellerin bringt vor, dass sie in der Vergangenheit Versammlungen, die unter anderem gegen das Verbot von palästinensisch-solidarischen Versammlungen gerichtet gewesen seien, veranstaltet habe, weitere Versammlungen organisieren und an solchen teilnehmen wolle. Die maßgebliche Gefahrenprognose der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung trage das streitgegenständliche Verbot nicht.

4

Die Antragsgegnerin tritt dem entgegen.

II.  

5

1. Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat die Antragstellerin einen Rechtsbehelf eingelegt, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden kann. Indem die Antragstellerin mit der Antragsschrift, welche der Antragsgegnerin formgerecht zugegangen ist, beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 7. Dezember 2023 wiederherzustellen, bringt sie zugleich ihren Willen zum Ausdruck, einen entsprechenden Widerspruch einzulegen.  

6

2. Der Antrag ist auch begründet.

7

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen, wenn das Interesse der Antragstellerin, von der Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Das Verwaltungsgericht hat eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage zu treffen. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind die nach summarischer Prüfung erkennbaren Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs von maßgeblicher Bedeutung.  

8

Daran gemessen überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse. Denn die streitgegenständliche Allgemeinverfügung erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).  

9

Rechtsgrundlage des Versammlungsverbots der Allgemeinverfügung vom 6. Dezember 2023 ist § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.  

10

Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht; unter „öffentlicher Ordnung“ wird die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 77, BVerfGE 69, 315).  

11

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus.Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 17; Beschl. v. 12.5.2010,1 BvR 2636/04, juris Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.).  

12

Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung finden ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken auch dann, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt (hierzu und zum Folgenden: BVerfG, Beschl. v. 23.6.2004, 1 BvQ 19/04, juris Ls. und vgl. Rn. 19 ff., BVerfGE 111, 147). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Dies sind Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen. Der Gesetzgeber hat in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere den Strafgesetzen (so etwa in den §§ 86, 86a, 130 StGB), Beschränkungen des Inhalts von Meinungsäußerungen an nähere tatbestandliche Voraussetzungen gebunden; eine Berufung auf das Tatbestandsmerkmal der öffentlichen Ordnung ist insofern nicht vorgesehen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Meinungsäußerungen in der pluralistischen Demokratie des Grundgesetzes grundsätzlich frei sind, es sei denn, der Gesetzgeber hat im Interesse des Rechtsgüterschutzes Schranken im Einklang mit Art. 5 Abs. 2 GG festgelegt. Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten; seine Ausübung darf nicht allgemein und ohne eine tatbestandliche Eingrenzung, die mit dem Schutzzweck des Grundrechts übereinstimmt, unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber in seiner Rechtsordnung, insbesondere in den Strafgesetzen, Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie zugleich sonstige Rechtsgüter – etwa die Menschenwürde oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht – verletzen. Unter diesen Voraussetzungen dient die Strafrechtsordnung auch der Bekämpfung solcher Rechtsgutverletzungen, die durch antisemitische oder rassistische Äußerungen erfolgen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit; eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Durchführung von Versammlungen, ermöglicht jedoch nicht Rechtsgutverletzungen, die außerhalb von Versammlungen unterbunden werden dürfen. Die in § 15 Abs. 1 VersG enthaltene, auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG bezogene Ermächtigung darf andererseits aber nicht zu einer Ausweitung der in der Rechtsordnung enthaltenen Schranken des Inhalts von Meinungsäußerungen führen.  

13

Das für beschränkende Verfügungen vorauszusetzende Erfordernis einer unmittelbaren Gefährdung setzt eine Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen führt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, juris Rn. 20, BVerfGK 13, 82). Für die Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (BVerfG, Beschl. v. 12.5.2010, 1 BvR 2636/04, juris Rn. 17, BVerfGK 17, 303). Haben sich bei Veranstaltungen an anderen Orten mit anderen Beteiligten Gefahren verwirklicht, so müssen besondere, von der Behörde bezeichnete Umstände die Annahme rechtfertigen, dass ihre Verwirklichung ebenfalls bei der nunmehr geplanten Versammlung zu befürchten sei (BVerfG, Beschl. v. 14.7.2000, 1 BvR 1245/00, juris Rn. 21). Nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, die auf die Konzeption der Grundrechte als Abwehrrechte abgestimmt sind, liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Verbotsgründen bei der Behörde (BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, juris Rn. 13). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind nach dem aus dem Grundgesetz ableitbaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (hierzu und zum Ganzen: OVG Hamburg, Beschl. v. 21.10.2023, 4 Bs 134/23, n. v.).  

14

Sofern ein Versammlungsverbot – wie hier – in Form einer Allgemeinverfügung ergeht, müssen die in der Eingriffsgrundlage verlangten Tatbestandsvoraussetzungen im Hinblick auf jeden Sachverhalt, der von der Allgemeinverfügung erfasst wird, in vollem Umfang erfüllt sein. Dies gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 GG und dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt in Art. 8 Abs. 2 GG für Verbote und Beschränkungen von Versammlungen. Das schließt nicht aus, dass eine konkrete Gefahrenprognose zu dem Ergebnis gelangt, dass tatsächlich von allen von der Allgemeinverfügung erfassten Versammlungen eine konkrete Gefahr ausgeht. Auf eine konkrete, den Anforderungen der Versammlungsfreiheit genügende Gefahrenprognose zu jeder erfassten Versammlung kann die Versammlungsbehörde allerdings nicht verzichten. Entsprechendes gilt für die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch dieser ist im Hinblick auf alle von der Allgemeinverfügung erfassten Versammlungen zu prüfen (VGH München, Beschl. v. 13.9.2023, 10 CS 23.1650, juris Rn. 35).  

15

Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Allgemeinverfügung vom 6. Dezember 2023 nicht. Die ihr zugrundeliegende Gefahrenprognose der Antragsgegnerin vermag das streitgegenständliche Verbot nicht zu tragen. Im Einzelnen:  

16

Die Allgemeinverfügung vom 6. Dezember 2023 erfasst Versammlungen, die zum einen nicht innerhalb der Frist des § 14 VersG angemeldet worden sind bzw. werden und die zum anderen „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (pro-palästinensische Versammlungen)“.  

17

Soweit die Allgemeinverfügung auf die mangelnde Anmeldung innerhalb der Frist des § 14 VersG abstellt, vermag allein dies ein Verbot von vorneherein nicht zu rechtfertigen. Das Grundrecht und nicht das Versammlungsgesetz verbürgt die Zulässigkeit von Versammlungen und Aufzügen; das Versammlungsgesetz sieht lediglich Beschränkungen vor, soweit solche erforderlich sind. Damit stimmt überein, dass eine Verletzung der Anmeldepflicht nicht schon automatisch zum Verbot oder zur Auflösung einer Veranstaltung führt. Zwar macht sich strafbar, wer als Veranstalter oder Leiter eine nicht angemeldete Versammlung „durchführt“ (§ 26 VersG). Im Übrigen bestimmt aber das Versammlungsgesetz in § 15 Abs. 2 VersG lediglich, dass die zuständige Behörde Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge auflösen „kann“, wenn sie nicht angemeldet werden. Auflösung und Verbot sind jedenfalls keine Rechtspflicht der zuständigen Behörde, sondern eine Ermächtigung, von welcher die Behörde angesichts der hohen Bedeutung der Versammlungsfreiheit im allgemeinen nur dann pflichtgemäß Gebrauch machen darf, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen hinzukommen; die fehlende Anmeldung und der damit verbundene Informationsrückstand erleichtern lediglich dieses Eingreifen (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 74, BVerfGE 69, 315).  

18

Soweit die Allgemeinverfügung all jene Versammlungen erfasst, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen (sog. pro-palästinensische Versammlungen)“ dürfte die für ein Verbot erforderliche Gefahrenschwelle zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für alle hiervon potenziell umfasste Versammlungen überschritten sein. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es bei Versammlungen, die anlässlich des aktuellen gewaltsamen Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas stattfinden auch zu den von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Straftaten insbesondere gemäß § 86a i.V.m. §§ 86, 104, 111, 130, 140 StGB aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer heraus sowie zu einer Gefährdung für hochwertige Rechtsgüter wie Leib und Leben, etwa zu tätlichen Angriffen auf Polizeibeamte, kommen kann und in den vergangenen Wochen in Hamburg wie bundesweit bereits gekommen ist. Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass die Allgemeinverfügung nachvollziehbar darlege, dass nichtangemeldete „pro-palästinensische Versammlungen“ derzeit generell ein hohes Eskalationsrisiko innehätten, wird dies von der Kammer nicht in Abrede gestellt. Allerdings vermag das insoweit bestehende Risiko die dem streitgegenständlichen Verbot zugrundeliegende Gefahrenprognose im Hinblick auf alle der Allgemeinverfügung unterliegenden Sachverhalte gegenwärtig nicht umfassend zu rechtfertigen. Die Kammer stellt ausdrücklich klar, dass im Einzelfall eine Versammlung in diesem thematischen Kontext durchaus die Gefahrenschwelle überschreiten kann (OVG Hamburg, Beschl. v. 21.10.2023, 4 Bs 134/23, n. v.). Dies dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht pauschal für jeden denkbaren von der Allgemeinverfügung erfassten Fall angenommen werden können. Die Allgemeinverfügung erfasst nach ihrem – zumindest nicht ausgeschlossenen und mit Blick auf den verwendeten Klammerzusatz „sog. pro-palästinensische Versammlungen“ vielmehr naheliegenden – weiten Verständnis nicht lediglich solche Versammlungen, deren dahinterstehende Meinung oder Ziele auf eine Unterstützung der – seit dem 2. November 2023 einem Betätigungsverbot in Deutschland unterliegenden – Terrororganisation Hamas oder die Befürwortung der Taten der Hamas gerichtet sind, sondern jegliche Versammlungen, die im Zusammenhang mit der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung (ausschließlich) die palästinensische Sichtweise einnehmen. Tragfähige Anhaltspunkte und nicht lediglich Vermutungen dafür, dass eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung dieser Versammlungen durch Straftaten insbesondere im vorgenannten Sinne zum gegenwärtigen Zeitpunkt für jede danach in den Kreis der Allgemeinverfügung fallende Versammlung konkret zu befürchten ist, dürfte die Antragsgegnerin nicht dargelegt haben. Allein der Verweis auf vergleichbare Versammlungen in der Vergangenheit dürfte insoweit nicht ausreichen können, da es an konkreten Angaben fehlen dürfte, weshalb die auf die dortigen Versammlungen bezogenen Erkenntnisse auf alle vom Geltungsbereich der Allgemeinverfügung umfassten Versammlungen übertragbar sein sollen. Anders als bei Verbotsverfügungen, die eine bestimmte angemeldete Versammlung betreffen, können Einzelfallerwägungen im Hinblick etwa auf die Person des Veranstalters oder den erwarteten Teilnehmerkreis einer Versammlung hier nicht zum Tragen kommen. Dass die im Rahmen „sog. pro-palästinensischer Versammlungen“ auch unter Berücksichtigung des weiterhin hohen Mobilisierungs- und Emotionalisierungsgrades zu erwartenden Aussagen und Parolen die Grenze zu einer strafbaren Meinungsäußerung mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit überschreiten werden, dürfte nicht dargelegt sein. Dies gilt unabhängig von der differenziert zu beantwortenden Frage, ob eine hinreichend verlässliche strafrechtliche Beurteilung von Äußerungsdelikten nicht überhaupt erst unter Würdigung aller Umstände des Falles, insbesondere der äußeren Gegebenheiten und der Art und Weise der Äußerungen im jeweiligen Kontext möglich ist (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 19.11.2021, 14 K 6634/18, juris Rn. 107; Fischer, Ist Jubel über Terror strafbar?, LTO 16.10.2023, https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-fische-jubel-terror-hamas/). Jedenfalls haben zwischenzeitlich auch friedliche, einseitig die palästinensische Sichtweise einnehmende Versammlungen stattgefunden (so auch VGH Mannheim, Beschl. v. 21.10.2023, 3 S 1669/23, juris Rn. 9).  

III.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG. Die Kammer bringt für den Streitwert einer Hauptsache gegen ein Versammlungsverbot den Auffangwert in Ansatz (ebenso BVerwG, Beschl. v. 5.3.2020, 6 B 1.20, juris Rn. 23; OVG Hamburg, Beschl. v. 21.10.2023, 4 Bs 134/23, n. v.; VGH München, Beschl. v. 5.10.2022, 1 C 22.1713, juris Rn. 7) und halbiert ihn wegen Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht.

 

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