
Erfolgreicher Eilantrag gegen Versammlungsverbot
1. Ein Versammlungsverbot erfordert konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung; bloße Verdachtsmomente reichen nicht aus. 2. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG sind nur unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig; Gefahren müssen vorrangig durch mildere Mittel wie Beschränkungen der Versammlung abgewehrt werden. 3. Die Zugehörigkeit der Versammlungsleiterin zu einer politisch umstrittenen Gruppe rechtfertigt kein Versammlungsverbot ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Sicherheitsgefährdung.
| Tenor I. In Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. Oktober 2023 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen das Versammlungsverbot im Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Oktober 2023 angeordnet. II. In Abänderung von Nr. II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. Oktober 2023 trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Eilrechtsschutzverfahrens in beiden Instanzen. III. In Abänderung von Nr. III. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 19. Oktober 2023 wird Streitwert für beide Instanzen auf jeweils 5.000,-- Euro festgesetzt. |
| Gründe I. |
1 | Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen ein ihm gegenüber ausgesprochenes Versammlungsverbot weiter. |
2 | Der Antragsteller zeigte am 17. Oktober 2023 eine Versammlung am 19. Oktober 2023 um 18:30 Uhr auf dem M2.platz in M. an. Die Versammlung habe das Thema „Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina“, es würden 50 Teilnehmer erwartet. |
3 | Mit Bescheid vom 18. Oktober 2023 untersagt die Antragsgegnerin die Versammlung. Von der Versammlung gehe eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen. |
4 | Der Antragsteller erhob hiergegen am 19. Oktober 2023 Klage und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. |
5 | Mit Beschluss vom 19. Oktober 2023 lehnte das Verwaltungsgericht den Eilrechtschutzantrag ab. Zur Begründung führte das Erstgericht aus, die Gefahrenprognose sei angesichts der angespannten Lage und aufgrund von Erfahrungen mit Versammlungen mit Bezug zu den Ereignissen in Israel und Palästina im gesamten Bundesgebiet nicht zu beanstanden. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen. |
6 | Zur Begründung seiner Beschwerde rügt der Antragsteller im Wesentlichen, das Verwaltungsgericht verkenne, dass er sich von antisemitischen Äußerungen ausdrücklich distanziert habe. Selbst wenn sich einzelne Teilnehmer strafbar machen würden, rechtfertige das nicht das Verbot der gesamten Versammlung. Mit den Aufrufen der Hamas oder der Hisbollah habe seine Versammlung nichts zu tun. Das Verwaltungsgericht verkenne zudem, dass es auch friedliche Versammlungen, z.B. in Köln, Düsseldorf und Aachen gegeben habe. |
7 | Der Antragsteller beantragt (sinngemäß), |
8 | unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen das Versammlungsverbot vom 18. Oktober 2023 anzuordnen. |
9 | Die Antragsgegnerin beantragt, |
10 | die Beschwerde zurückzuweisen. |
11 | Die Durchführung der Versammlung würde die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährden. Die angestellte Gefahrenprognose sei tragfähig, Beschränkungen seien zur Verhinderung der befürchteten Straftaten nicht ausreichend. |
12 | Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich am Verfahren beteiligt, aber keinen eigenen Antrag gestellt. Er hält die Zurückweisung der Beschwerde für gerechtfertigt. Antragsgegnerin sowie das Verwaltungsgericht hätten zu Recht aus aktuellen und vergleichbaren Versammlungen gefolgert, dass die streitgegenständliche Versammlung zu einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Versammlungsteilnehmern, Dritten und eingesetzten Polizeibeamten sowie zu einer Gefährdung der Rechtsordnung (durch Äußerungsdelikte) und zudem zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung führen werde. |
13 | Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten. II. |
14 | Die zulässige Beschwerde ist begründet. |
15 | 1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn die Klage – wie hier (vgl. Art. 25 BayVersG) – keine aufschiebende Wirkung hat. |
16 | Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. |
17 | 2. Gemessen daran führen die in der Beschwerdeschrift dargelegten Gründe zu einer Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Bei der erforderlichen Interessenabwägung überwiegt das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse, weil die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich begründet ist. Das streitgegenständliche Versammlungsverbot der Antragsgegnerin erweist sich aller Voraussicht nach als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). |
18 | a) Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (hierzu und zum Folgenden zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zuletzt BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.). Rechtsgüterkollisionen ist im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Beschränkungen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001- 1 BvR 1190/90 – BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63). |
19 | Gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. |
20 | Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). |
21 | Soweit sich das Verbot einer Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht – dies ist bei der Anknüpfung an das Motto der Versammlung und die zu erwartenden Äußerungen der Versammlungsteilnehmer der Fall –, ist es auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1, 2 GG zu beurteilen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (BVerfG, B.v. 1.12.2007 – 1 BvR 3041/07 – BVerfGK 13, 1 – juris Rn. 13 m.w.N.). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht (hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 26.4.2023 – 6 C 8/21 – juris Rn. 28 ff. m.w.N. zur entsprechenden ständigen Rechtsprechung des BVerfG). |
22 | b) Diesen Anforderungen genügt das Versammlungsverbot der Antragsgegnerin nicht. |
23 | Die maßgebliche Gefahrenprognose der Antragsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung trägt das streitgegenständliche Verbot nicht. Die vom Verwaltungsgericht insoweit angestellten weiteren Erwägungen finden im angefochtenen Bescheid der Antragsgegnerin keine hinreichende Stütze. |
24 | Dabei verkennt der Senat nicht, dass es – wie von der Antragsgegnerin beschrieben – bei bundesweiten Versammlungen mit Bezug zur derzeitigen Lage nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel und Israels Reaktion hierauf auch zu Straftaten in Form der Billigung von Straftaten (§ 140 StGB), Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) sowie zu Verstößen gegen das Versammlungsrecht gekommen ist. Die Antragsgegnerin hat aber keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür genannt, dass die vorliegend in Frage stehende Versammlung hinsichtlich Anmelder, Teilnehmerkreis, Teilnehmerzahl und Thema mit jenen Versammlungen hinreichend vergleichbar wäre und deswegen sicherheitsgefährdende Ereignisse in anderen Städten, wie insbesondere Berlin, für die Gefahrenprognose zu der hier streitgegenständlichen Versammlung herangezogen werden könnten (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Heranziehung von Erkenntnissen von früheren Versammlungen BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH; B.v. 1.11.2020 – 10 CS 20.2449 – juris Rn. 20). |
25 | Die Annahme der Antragsgegnerin, die streitgegenständliche Versammlung lasse aufgrund von Kontext und Thema einen weitgehend vergleichbaren Teilnehmerkreis erwarten wie die Versammlungen am 9. und 13. Oktober 2023 in München (S. 12 des Bescheids), stellt bereits eine nicht mit tatsächlichen Anhaltspunkten unterfütterte Vermutung dar und genügt den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Gefahrenprognose demgemäß nicht. Selbst wenn man diesen Schluss noch als vertretbar erachtete, würde dies für eine ordnungsgemäße Gefahrenprognose im Hinblick auf ein die öffentliche Sicherheit gefährdendes Verhalten der Versammlungsteilnehmer bei der streitgegenständlichen Versammlung nicht genügen. So führt die Antragsgegnerin im Bescheid selbst aus, dass es bei zwei Spontanversammlungen in München, die sich am 17. Oktober 2023 im Anschluss an das Bekanntwerden der Explosion am Al Ahli-Krankenhaus in Gaza gebildet hatten, nach polizeilichen Erkenntnissen zu keinen Zwischenfällen oder gar Straftaten gekommen sei. Die dabei geäußerten Meinungen hätten sich auf Trauerbekundungen aufgrund der zivilen Opfer beschränkt (vgl. S. 7 des Bescheids). Auch zu einer äußerst kurzfristig verbotenen Versammlung am 13. Oktober 2023 in München führt die Antragsgegnerin lediglich aus, die Teilnehmen hätten „Allahu akbar“ und die Parole „From the river to the sea, palestine will be free“ gerufen, woraufhin Passant*innen zum Teil mit abwertenden Gesten und „Buh“-Rufen reagiert hätten (S. 6 des angegriffenen Bescheids). |
26 | Vor diesem Hintergrund zeigt die Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde nicht auf, dass es bei Durchführung der angezeigten Versammlung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen wird, der allein mit einem Verbot wirksam begegnet werden kann. Dabei kann im Eilverfahren dahinstehen, ob etwa die von der Antragsgegnerin angeführte Parole „From the river to the sea, palestine will be free“ ohne Hinzutreten weiterer Umstände als Volksverhetzung oder Billigung von Straftaten verstanden werden muss (ausführlich zur Auslegung dieser Parole VG Berlin, U.v. 23.8.2023 – 24 K 7/23 – juris Rn. 35 f.; sowie Fischer, Ist Jubel über Terror straf…, LTO – abrufbar unter https://www.lto.de/recht/meinung/m/frage-fische-jubel-terror-hamas/). Denn die Antragsgegnerin legt mit ihrer Gefahrenprognose schon nicht anhand konkreter nachvollziehbarer Umstände dar, dass bei der streitgegenständlichen Versammlung mit dieser Parole zu rechnen ist. Zudem kann – worauf die Beschwerdebegründung zu Recht hinweist – von vereinzelten Verhaltensweisen einzelner Versammlungsteilnehmer nicht ohne Weiteres auf die übrigen Teilnehmer geschlossen werden. |
27 | Auch der Umstand, dass die Versammlungsleiterin der Gruppe „Frauen in Schwarz“ und der BDS-Kampagne zugerechnet werden kann, rechtfertigt für sich genommen kein Versammlungsverbot. Dasselbe gilt für die im Bescheid referierten politischen Forderungen des BDS oder einzelne Meinungsäußerungen. Die Antragsgegnerin zeigt nicht auf, dass mit diesen Meinungsäußerungen die Schwelle zur Strafbarkeit wegen Volksverhetzung oder Billigung von Straftaten überschritten wäre. Dass eine – von der Antragsgegnerin angenommene – antisemitische Grundtendenz der BDS-Kampagne es nicht rechtfertigt, entsprechende Meinungsäußerungen auch im Rahmen politischer Informations- oder Diskussionsveranstaltungen behördlicherseits von vornherein zu untersagen, solange die Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung nicht gefährdet wird, ist höchstrichterlich geklärt (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.2022 – 8 C 35/20 – BVerwGE 174, 367 – juris Rn. 17 ff. zu BayVGH, U.v. 17.11.2020 – 4 B 19.1358 – juris Rn. 56 ff.). Für entsprechende Meinungsäußerungen auf Versammlungen kann nichts Anderes gelten. |
28 | Die Gefahrenprognose enthält auch keine substantiierten Erwägungen dazu, ob der unterstellten Gefahrenlage nicht durch mildere Mittel in Form von Beschränkungen der Versammlung begegnet werden kann (vgl. dazu etwa die Allgemeinverfügung zur Anordnung von versammlungsrechtlichen Beschränkungen anlässlich terroristischer Angriffe im Nahen Osten der Stadt Augsburg vom 13. Oktober 2023, abrufbar unter https://www.augsburg.de/fileadmin/user_upload/footer/amtliche_bekanntmachungen/ 20231013_AV_Versammlungen_i._Z._m._Israel-Palaestina-Konflikt-Naher_Osten_Stadt_Augsburg.pdf) Die Antragsgegnerin behauptet zwar, dass das Verbot erforderlich sei, weil durch Beschränkungen „in der derzeitig aufgeheizten Lage“ wechselseitige Beleidigungen und die Billigung von Verbrechen der Hamas durch sich anschließende Teilnehmer nicht verhindert werden könnten (S. 13 des Bescheids). Dabei handelt es sich jedoch eine bloße Vermutung, für die keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte angeführt werden. Allein der Umstand, dass bei den Versammlungen am 9. und 13. Oktober 2023, zu denen eine andere Gruppierung aufgerufen hatte, trotz entsprechender mündlicher Belehrungen „From the river tot he sea, Palestine will be free“ und „Allahu Akbar“ gerufen worden sei, kann nicht ohne Weiteres zu der Annahme führen, dass entsprechendes bei einer förmlich beschränkten und von einer Versammlungsleitung und Ordnern begleiteten Versammlung des Antragstellers mit den angegebenen 50 Teilnehmern ebenfalls geschehen wird |
29 | Ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankäme, zeigt im Übrigen auch der Polizeibericht zu einer Versammlung mit 500 Teilnehmen in Nürnberg am 18. Oktober 2023 (abrufbar unter https://www.polizei.bayern.de/aktuelles/pressemitteilungen/ 057085/index.html), dass von den Versammlungen z.B. in Berlin, die die Antragsgegnerin in ihrer Gefahrenprognose anführt, nicht ohne Weiteres generalisierend auf alle Versammlungen mit Bezug zum Nahostkonflikt geschlossen werden kann. Vielmehr bedarf es – wie auch sonst – einer tragfähigen konkreten Gefahrenprognose unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. |
30 | Soweit die Antragsgegnerin auf die Gefahr von Übergriffen Dritter auf die Versammlungsteilnehmer verweist (S. 13 des Bescheids), rechtfertigt auch dies keine Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Rechtswidrige Übergriffe sind von Seiten des Staates soweit wie möglich zu unterbinden und gegebenenfalls strafrechtlich zu würdigen und zu verfolgen. Sie können abgesehen von dem hier offensichtlich nicht vorliegenden Fall des polizeilichen Notstandes unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Anlass dafür sein, nach Maßgabe der Grundrechte zulässiges Verhalten zu verbieten (BayVGH, B.v. 13.9.2023 – 10 CS 23.1650 – juris Rn. 42). |
31 | Schließlich vermögen auch die Ausführungen der Antragsgegnerin zur Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die Versammlung ein Verbot nicht zu rechtfertigen. Dass das Versammlungsthema zu einer starken Emotionalisierung auf allen Seiten führen kann, rechtfertigt für sich genommen – anders als die Antragsgegnerin meint – kein Versammlungsverbot, denn gerade dieser Umstand belegt, dass die Versammlung ein Thema von großer öffentlicher Bedeutung betrifft, bei dem der Versammlungsfreiheit besondere Bedeutung zukommt. Die Annahme, das vom Antragsteller angekündigte Thema „Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina“ das Anstands- oder Sittlichkeitsgefühl der Bevölkerung verletzten, ist jedenfalls nicht naheliegend. Für das von der Antragsgegnerin befürchtete Versammlungsgepräge, das einer Billigung terroristischer Taten nahe- oder gleichkäme, gibt es – wie dargestellt – keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte. Auch die von der Antragsgegnerin angeführte Befürchtung, die Bevölkerung werde eine solche Versammlung unabhängig vom konkreten Inhalt der Meinungsäußerungen allein aufgrund von für sich genommen unverfänglichen Merkmalen (palästinensische Fahnen, Palästinensertücher, Allahu-akbar-Rufe etc.) und sogar unabhängig von solchen Kundgabemitteln als Billigung des Terrorismus wahrnehmen (S. 14 und 15 des Bescheids), rechtfertigt offensichtlich kein Versammlungsverbot. |
32 | Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die ohnehin nur angedeuteten Ermessenerwägungen der Antragsgegnerin fehlerfrei sind. |
33 | […] |