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Rechtsurteile

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OVG NRW zur Bewertung von 'Stoppt den Genozid/Völkermord' und 'From the river to the sea'

1. Die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ verstößt nicht gegen § 140 Nr. 2 StGB, da sie nicht als Billigung von Straftaten verstanden werden kann. Die Äußerung muss unmissverständlich und eindeutig als Zustimmung zu Straftaten erkennbar sein, was hier nicht der Fall ist. 2. Bezüglich der Parole „From the river to the sea“ bleibt offen, ob diese als Kennzeichen der Hamas eingeordnet wird und somit gegen das Kennzeichenverbot gem. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG verstößt. Vielmehr bedarf es einer Interessensabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse der Behörde und dem Interesse des Antragsstellers. 3. Im Rahmen der Versammlungsfreiheit darf eine Äußerung nicht als strafbar gewertet werden, wenn alternative, nicht strafbare Interpretationen möglich sind.


 

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 1. Dezember 2023 wird teilweise geändert. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. November 2023 wird hinsichtlich der in Nr. 2 verfügten Auflage - Untersagung der Formulierung „Stoppt den Genozid/Völkermord“ in mündlicher oder abgedruckter Form - wiederhergestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers mit dem Antrag,

2

„den Beschluss des VG Düsseldorf vom 1.12.2023 abzuändern und

3

1. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. November 2023 hinsichtlich der in Ziffer II. verfügten Beschränkung - Untersagung der Formulierung „Stoppt den Genozid/Völkermord“ in mündlicher oder abgedruckter Form - wiederherzustellen;

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2. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.11.2023 wiederherzustellen, soweit am Schluss des Bescheides (Seite 17/18) - bezeichnet als Hinweis auf gesetzliche Regelungen, deren Beachtung und Einhaltung zu gewährleisten sei -, unter der dortigen Ziffer 2. ausgeführt wird:

5

‚Die Parolen „From the river to the sea - Palestine will be free“, Abwandlungen ebendieser, sowie „Kindermörder Israel“ erfüllen aufgrund ihrer klaren islamistischen, antiisraelischen, antisemitischen und anderweitig verhetzenden Färbung die Tatbestandsvoraussetzungen der § 130 StGB bzw. § 140 StGB. Dies ist durch Staatsanwaltschaften und das Verwaltungsgericht Köln (Beschluss vom 17.11.2023 - 20 L 2308/23) bestätigt worden. Durch die Erfüllung der Straftatbestände durch die Parolen selbst sind weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht erforderlich. Die Einsatzkräfte sind gehalten, entsprechend einzugreifen und Strafanzeigen zu schreiben‘,

6

hilfsweise zum Antrag zu Ziffer 2. im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 VwGO es dem Antragsgegner zu untersagen, betreffend die am 2.12.2023 in Düsseldorf beabsichtigte Versammlung des Antragstellers mit dem Thema „Stoppt die Aggression“ gefahrenabwehrend-versammlungsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, die ihren Grund allein in der Rechtsauffassung haben, dass die Äußerungen „Palestine will be free - from the river to the sea“, „From the river to the sea“, „Vom Jordan bis ans Mittelmeer“ sowie „Vom Fluss bis ans Meer“ unabhängig von ihrem jeweiligen Kontext objektiv Straftatbestände erfüllen.“

7

hat teilweise Erfolg.

8

Das Verwaltungsgericht hat unter Verweis auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids angenommen, zu Nr. 1 des Antrags falle die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten des Antragsgegners aus. Die auf § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW gestützte beschränkende Verfügung erweise sich voraussichtlich als rechtmäßig. Die Gefahrenprognose des Antragsgegners sei tragfähig. Der Antragsgegner habe anhand konkreter Anhaltspunkte und unter Einbeziehung der Vorerfahrungen mit dem Antragsteller als Versammlungsleiter in früheren pro-palästinensischen Versammlungen in Düsseldorf eingehend dargelegt, dass durch die Äußerung „Stoppt den Genozid/Völkermord“ nach jeder erdenklichen Deutungsmöglichkeit im Lichte der Meinungsäußerungsfreiheit, insbesondere unter Berücksichtigung eines dynamischen Versammlungsgeschehens sowie der zwischenzeitlich sowohl bundes- und landesweit als auch in Düsseldorf entstandenen hohen Emotionalisierung bei pro-palästinensischen Versammlungen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erwarten sei, weil der Anfangsverdacht einer Straftat bestehe. Diese Prognose werde zusätzlich gestützt durch entsprechend gerichtsbekannte öffentliche Beiträge und Kommentierungen in den sozialen Medien, aus denen hervorgehe, dass mit der streitgegenständlichen Parole nicht auf die humanitäre Lage der Palästinenser im Gazastreifen aufmerksam gemacht werden solle. Nach außen hervortretende Begleitumstände, die für eine nach Art. 5 Abs. 1 GG noch zulässige Auslegung sprechen würden, seien bei der streitgegenständlichen Versammlung nicht gegeben. Bei den vorausgegangenen Versammlungen des Antragstellers seien kollektiv Wechselsprechchöre mit den Parolen „Israel bombardiert - Deutschland finanziert“ sowie der hier in Rede stehenden Parole „Stoppt den Genozid“ angestimmt worden. In den hier relevanten Profilen auf sozialen Medien fänden sich zudem zahlreiche Einträge, die eine Nähe zu bzw. Sympathie für die seit dem 2. November 2023 in Deutschland vollziehbar verbotene Vereinigung „Samidoun Deutschland“ aufzeigten. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass zahlreiche Versammlungsteilnehmer, die regelmäßig an pro-palästinensischen Versammlungen in Düsseldorf und Umgebung teilnähmen, einem dieser Profile folgten und sich dort wechselseitig zur Teilnahme an den jeweiligen Veranstaltungen motivierten. Dass die Verwendung der Begriffe Genozid/Völkermord für sich genommen nicht strafbewehrt sei, stehe der strafrechtlichen Relevanz im konkreten Kontext nicht entgegen. Eine Äußerung wie hier in Form von Wechselsprechchören im Rahmen eines dynamischen Versammlungsgeschehens mit dem in Bezug genommenen Teilnehmerkreis sei anders zu bewerten als etwa die Verwendung der Begriffe in einem anderen Zusammenhang durch UN-Sachverständige. Der Antrag zu 2. sei bereits unzulässig, weil es sich bei der angegriffenen Passage nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG NRW handele. Der Antragsgegner habe insofern ausdrücklich keine Beschränkung nach § 13 Abs. 1 VersG NRW erlassen wollen. Auch der Hilfsantrag sei unzulässig. Der Antragsteller habe schon nicht glaubhaft gemacht, dass das befürchtete Einschreiten des Antragsgegners in Form von gefahrenabwehrenden versammlungsrechtlichen Maßnahmen tatsächlich drohe. Der Antragsgegner habe allein angekündigt, entsprechend repressiv durch die Fertigung von Strafanzeigen vorzugehen, falls aus seiner Sicht der Anfangsverdacht für die Verwirklichung eines Straftatbestands vorliege.

9

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung (hierzu unter I.). Im Übrigen war die Beschwerde zurückzuweisen (hierzu unter II.)

10

I. Hinsichtlich der Auflage nach Nr. 2 der gegenständlichen Verfügung überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage, weil sich die Auflage aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweist.

11

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 VersG NRW kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

12

Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 - 1 BvR 2636/04 -, juris Rn. 17, vom 4. September 2009 - 1 BvR 2147/09 -, juris Rn. 9 und 13, und vom 26. Januar 2001 - 1 BvQ 8/01 -, juris Rn. 11 f.

13

Soweit eine Verbotsverfügung - wie hier - auf das Versammlungsmotto gestützt wird, ist die besondere Gewährleistung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG zu berücksichtigen. Der Inhalt von Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG nicht unterbunden werden darf, kann nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG beschränken.

14

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 21 und vom 23. Juni 2004 - 1 BvQ 19/04 -, juris Rn. 19 und 22.

15

Der Inhalt von Meinungsäußerungen als solcher ist versammlungsrechtlich nur relevant, wenn es sich um Äußerungen handelt, die einen Straftatbestand erfüllen. Werden die entsprechenden Strafgesetze missachtet, liegt darin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. 

16

Vgl. insoweit BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 1 BvR 2793/04 -, juris Rn. 27 ff.

17

Dies zugrunde gelegt, scheidet die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hier aus, weil die Verwendung der Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ vorliegend keinen Straftatbestand verwirklicht. Es ist nicht ersichtlich, dass die Parole gegen den vom Antragsgegner benannten Straftatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 StGB verstößt (hierzu unter 1.). Auch der Straftatbestand des § 140 StGB ist nach summarischer Prüfung nicht erfüllt (hierzu unter 2.).

18

1. § 130 Abs. 1 StGB setzt einen in besonderer Weise qualifizierten Angriff gegen unter anderem Teile der Bevölkerung mit einem im Vergleich zu den Beleidigungsdelikten gesteigerten Unrechtsgehalt voraus. Erfasst sind Taten, die von Feindseligkeit geprägt sind. Daneben erfasst die Norm schwerwiegende Formen der Missachtung, die durch ein besonderes Maß an Gehässigkeit und Rohheit geprägt sind und die Angegriffenen als insgesamt minderwertig und ohne Existenzrecht in der Gemeinschaft abqualifizieren.

19

Vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17 -, juris Rn. 29, m. w. N.

20

Im Einzelnen ist im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Aufstacheln zum Hass ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betroffenen Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken. Das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen setzt ein über bloßes Befürworten hinausgehendes, ausdrückliches oder konkludentes Einwirken auf andere voraus mit dem Ziel, in ihnen den Entschluss zu diskriminierenden Handlungen hervorzurufen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen.

21

Vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17 -, juris Rn. 30, m. w. N.

22

Für die Tathandlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt: Beschimpfen ist eine nach Inhalt oder Form besonders verletzende Äußerung der Missachtung. Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen, durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird. Verleumden erfordert das wider besseres Wissen aufgestellte oder verbreitete Behaupten einer Tatsache, die geeignet ist, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen. Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch eine dieser Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird.

23

Vgl. BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17 -, juris Rn. 31, m. w. N.

24

Behörden und Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des § 130 StGB die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Über den Inhalt einer Äußerung hinaus erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch auf ihre Form, so dass auch polemische oder verletzend formulierte Äußerungen in den Schutzbereich des Grundrechts fallen. Insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung vermittelt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern. Dass eine Aussage scharf und übersteigert formuliert ist, entzieht sie deshalb nicht dem Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

25

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris Rn. 27, m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG.

26

Als Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung einer in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallenden Äußerung muss ihr Sinn zutreffend erfasst worden sein. Da schon auf der Deutungsebene Vorentscheidungen über die rechtliche Zulässigkeit einer Äußerung fallen, ergeben sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur spezifische Anforderungen an die Auslegung und Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze, sondern bereits an die ihr vorgelagerte Interpretation umstrittener Äußerungen. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist daher weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest, denn der objektive Sinn wird auch vom Kontext und den Begleitumständen einer Äußerung bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen in nur schlagwortartiger Form zusammenfasst.

27

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris Rn. 29, m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG.

28

Maßgeblich für die Beurteilung einer Äußerung bleibt allerdings diese selbst und ihr unmittelbarer Kontext, nicht die innere Haltung oder die Ideologie, die möglicherweise den Hintergrund einer Äußerung bilden.

29

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 1 BvR 479/20 - juris Rn. 15, m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris Rn. 36.

30

Bei mehrdeutigen Äußerungen haben Behörden und Gerichte sanktionsrechtlich irrelevante Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen, bevor sie ihrer Entscheidung eine zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung zugrunde legen. Dabei brauchen sie nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden. Bleibt die Äußerung mehrdeutig, weil sich nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten nicht als fernliegend ausschließen lassen, ist diejenige Variante zugrunde zu legen, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt ist. Insoweit ist bei der Auslegung von Äußerungen, die einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten, mit Blick auf das Gewicht des Grundrechts der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und die grundsätzliche Vermutung für die Freiheit der Rede in der liberalen Demokratie nicht engherzig zu verfahren.

31

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 - 6 C 8.21 -, juris Rn. 30, m. w. N. aus der Rspr. des BVerfG.

32

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kennt das Grundgesetz zudem kein allgemeines Grundprinzip, das ein Verbot der Verbreitung bestimmten ideologischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts erlaubte. Vielmehr gelten hier die allgemeinen Anforderungen für Eingriffe in die Meinungsfreiheit. Dabei gewährleistet Art. 5 Abs. 1 und 2 GG die Freiheit der Meinung als Geistesfreiheit unabhängig von der inhaltlichen Bewertung ihrer Richtigkeit oder Gefährlichkeit. Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen. Dies ist der Fall, wenn sie den öffentlichen Frieden als Friedlichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung gefährden und so den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren.

33

Vgl. zu nationalsozialistischem Gedankengut BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 1 BvR 479/20 - juris Rn. 14; anders noch unter dem Aspekt der Gefährdung der öffentlichen Ordnung OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2001 - 5 B 585/01 -, juris; aufgehoben durch BVerfG, Beschluss vom 1. Mai 2001 - 1 BvQ 22/01 -, juris Rn. 16 ff.

34

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, erfüllt die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ für sich genommen nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung. Sie überschreitet mit Blick auf die beschriebene Wirkung und Reichweite des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG nicht die Schwelle zur Strafbarkeit. Die Aussage bezieht sich erkennbar auf das Kriegsgeschehen im Gazastreifen. Sie bringt in erster Linie - wenn auch unter Verwendung des drastischen und juristisch unzutreffenden Begriffs „Genozid/Völkermord“ - zum Ausdruck, dass den Kampfhandlungen schon zahlreiche Menschen im Gazastreifen zum Opfer gefallen sind und für die Zivilbevölkerung des Gazastreifens weiterhin eine tödliche Bedrohung besteht, die beendet werden soll. Dass das Vorgehen des israelischen Staats bzw. der israelischen Armee in diesem Zusammenhang als Verstoß gegen das (Völker-)Strafrecht bezeichnet wird, wird den Tatsachen und der (Völker-)Rechtslage zwar nicht ansatzweise gerecht. Es ist aber nicht ersichtlich, dass mit der Aussage zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Bevölkerungsteile aufgefordert werden soll; sie greift auch nicht in die Menschenwürde anderer ein. Der Senat verkennt dabei nicht, dass sich die Sicherheitslage für Jüdinnen und Juden auch in Deutschland seit dem Terroranschlag der Hamas verschärft hat. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die hier in Rede stehende Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“, die den Staat Israel und sein Verteidigungshandeln adressiert, einen greifbaren und strafwürdigen Beitrag zur Gefährdungslage in Deutschland leistet.

35

Aus der während der vorangegangenen Versammlungen nach dem Vorbringen des Antragsgegners bewusst herbeigeführten Kombination der von Versammlungsteilnehmern skandierten Parole „Israel bombardiert - Deutschland finanziert“ im Wechsel mit „Stoppt den Genozid“ und „Stoppt den Völkermord“ folgt nichts anderes. Inwiefern der hier streitgegenständlichen Parole, in den Kontext „Israel bombardiert - Deutschland finanziert“ gesetzt, eine nach den vorstehenden Maßstäben strafrechtlich relevante Auslegung zukommt, hat der Antragsgegner nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere ist auch die letztgenannte Parole - „Israel bombardiert - Deutschland finanziert“ - auf die militärische Operation im Gazastreifen gerichtet, sodass ihr keine aggressive Zielrichtung gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe unterstellt werden kann.

36

Bei der Beurteilung der gegenständlichen Parole ist die vom Antragsgegner behauptete Gesinnung des Antragstellers und von Versammlungsteilnehmern unerheblich, weil nichts dafür spricht, dass diese im unmittelbaren Kontext der Versammlung den Erklärungsgehalt der Parole in strafrechtlich relevanter Weise verändert. Insofern kann dahinstehen, welche politische Grundhaltung der Antragsteller einnimmt und ob - wie von dem Verwaltungsgericht unter Verweis auf verschiedene social media-Beiträge angenommen - er die Nähe zu der verbotenen Vereinigung Samidou pflegt, was von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren bestritten wird. Ungeachtet dessen, dass eine zulässige Parole nicht automatisch unzulässig wird, wenn im Rahmen einer Versammlung auch verbotene Parolen skandiert werden, liegen zudem keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ während der geplanten Versammlung in unmittelbarem Kontext mit volksverhetzenden Äußerungen gerufen werden und damit gegebenenfalls einen anders zu bewertenden Bedeutungsinhalt erhalten könnte. Es ist nach Aktenlage schon nicht ersichtlich, dass in den von dem Antragsteller angemeldeten vorangegangenen Versammlungen solche Parolen gerufen worden sind.

37

2. Nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung stellt die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ auch keinen Verstoß gegen § 140 Nr. 2 StGB dar. Danach ist es u. a. strafbar, einen Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder einen Völkermord (§ 6 VStGB) oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder ein Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) oder ein Verbrechen der Aggression (§ 13 VStGB) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, in einer Versammlung zu billigen. „Billigen“ einer Tat bedeutet deren nachträgliches Gutheißen. Es erfordert dabei die Kundgabe der Zustimmung des Äußernden, dass die Tat begangen worden ist, und zwar dergestalt, dass er sich damit moralisch hinter den Täter stellt. Das Tatbestandsmerkmal des Billigens ist dabei nicht zuletzt im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot und den Ultima-ratio-Charakter des Strafrechts restriktiv auszulegen. Tatbestandsmäßig sind dementsprechend nur solche Äußerungen, die „aus sich heraus verständlich“ - unmissverständlich - sind und die „als solche unmittelbar und ohne deuteln“ - eindeutig - erkannt werden. Ob dabei eine Äußerung diesen Inhalt hat, hängt - wie bei allen Äußerungstatbeständen - weder von der wirklichen inneren Einstellung des sich Äußernden ab noch davon, wie er seine Äußerung tatsächlich gemeint hat oder wie sie tatsächlich verstanden worden ist, sondern allein davon, wie die die Äußerung wahrnehmenden Personen diese voraussichtlich verstehen werden. Dabei soll dem Äußernden im Interesse seiner Meinungsäußerungs- und Berichterstattungsfreiheit nur abverlangt werden, dass er sich auf einen durchschnittlichen Verständnishorizont einstellt.

38

Vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 17. Dezember 1968 - 1 StR 161/68 -, juris Rn. 11 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Mai 2017 - 2 Rv 9 Ss 177/17 -, juris Rn. 15, m. zahlr. w. N.

39

Die persönliche Billigung muss allerdings nicht notwendig ausdrücklich erklärt werden, sondern kann auch konkludent erfolgen. An eine schlüssige Billigung sind strenge Anforderungen zu stellen.

40

Vgl. Hohmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 140 Rn. 21, m. w. N.

41

Zur Beurteilung der Frage, ob eine Erklärung als Billigen von Straftaten entsprechend dem restriktiven Bedeutungsgehalt des Tatbestandsmerkmals, welches dieses wie dargestellt durch die Rechtsprechung erfahren hat, zu verstehen ist, ist zuvor ihr objektiver Sinngehalt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln. Dabei darf ihr im Lichte der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Meinungsfreiheit keine Bedeutung beigelegt werden, die sie objektiv nicht hat, und im Fall der Mehrdeutigkeit darf nur dann von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgegangen werden, wenn andere, straflose Deutungsmöglichkeiten mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden können.

42

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2017 - 1 BvR 1384/16 -, juris Rn. 17 (zu § 130 StGB).

43

Ausgehend davon ist nicht ersichtlich, inwiefern die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ als „Billigung“ der Straftaten der Hamas, insbesondere des Terroranschlags vom 7. Oktober 2023, zu verstehen sein soll. Es ist fernliegend, eine Parole, die nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, dass Israel seine Kampfhandlungen im Gazastreifen beendet, tatsächlich als Billigung der Gewalttaten der Hamas zu verstehen. Dies wird auch von dem Antragsgegner nicht überzeugend dargetan. Dass in der Parole der Anlass für das israelische Vorgehen im Gazastreifen keinen Niederschlag findet, lässt nicht darauf schließen, dass mit ihr der Terrorangriff der Hamas unausgesprochen gebilligt wird.

44

II. Die Beschwerde hat im Übrigen keinen Erfolg.

45

1. Der Eilantrag gegen Nr. 2 der abschließenden Hinweise in der Verfügung des Antragsgegners ist zulässig. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller allein gegen das dort niedergelegte Verbot der Parole „From the river to the sea“ sowie Abwandlungen hierzu wendet, nicht hingegen gegen das dort ebenfalls erwähnte Verbot der Parole „Kindermörder Israel“. Denn er hat zur Rechtswidrigkeit des Verbots der letzteren Parole weder in seiner Antrags- noch der Beschwerdebegründung ausgeführt. Zudem ist auch der Hilfsantrag, der gegenüber dem Hauptantrag ersichtlich nicht inhaltlich beschränkt sein, sondern vorsorglich neben dem vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO lediglich den alternativen Rechtsschutz nach § 123 VwGO abdecken soll, allein auf die Parole „From the river to the sea“ bzw. Abwandlungen hiervon bezogen.

46

Der Senat kann offenlassen, ob einstweiliger Rechtsschutz hier - wegen einer konkludent verfügten Auflage - über die Vorschrift des § 80 Abs. 5 VwGO oder als vorbeugender vorläufiger Rechtschutz über eine einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren ist. Jedenfalls ist es den Versammlungsteilnehmern unzumutbar, die Frage, ob die Parole „From the river to the sea“ - wie der Antragsgegner meint - Straftatbeständen unterfällt und deren Verwendung danach Strafanzeigen nach sich ziehen würde, erst nachträglich prüfen zu lassen und sich hierdurch der Gefahr einer strafrechtlichen Sanktionierung auszusetzen. Die Zulässigkeit - jedenfalls - des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO in der Form eines vorbeugenden Rechtsschutzes ist in solchen Fällen anerkannt.

47

Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 7. April 2003 - 1 BvR 2129/02 -, juris Rn. 14; Bostedt, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 123 VwGO Rn. 34, jeweils m. w. N.

48

2. Der auf die Parole „From the river to the sea“ bzw. Abwandlungen hierzu bezogene Teil des Eilantrags ist jedoch unbegründet. Bleibt die Frage der Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme im Verfahren des Eilrechtsschutzes offen, ist sowohl im Verfahren nach § 80 Abs. 5 wie auch § 123 Abs. 1 VwGO eine darüberhinausgehende Interessenabwägung zulässig, wonach das öffentliche Interesse der Behörde mit dem Interesse des Antragstellers abzuwägen ist.

49

Vgl. etwa Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 93; Happ, a. a. O., § 123 Rn. 49.

50

Eine solche Abwägung ist vorliegend erforderlich. Ob die Parole „From the river to the sea“, wie der Antragsgegner meint, (gerade) den Straftatbeständen der §§ 130, 140 StGB unterfällt, ist zwar zweifelhaft; in Betracht kommt jedoch ein Verstoß gegen das Kennzeichenverbot nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG, weil die vorgenannte Parole Kennzeichen der sowohl nach EU-Recht als auch nach der Verfügung des Ministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 verbotenen Organisation der „Hamas“ sein könnte. Dies lässt sich in der zur Verfügung stehenden Zeit des gerichtlichen Eilverfahrens nicht abschließend aufklären. Im Einzelnen gilt Folgendes:

51

Ausreichend für die Kennzeichenfunktion ist, dass sich ein Verein ein bestimmtes Symbol - etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung - derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als sein Kennzeichen erscheint, ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt. Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. Auch kommt es grundsätzlich nicht darauf an, unter welchen Umständen das Kennzeichen gezeigt wird; ebenso ist die Absicht des Handelnden nicht von Bedeutung. Denn andernfalls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen: Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf den verbotenen Verein hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein.

52

Vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, juris Rn. 13, m. w. N.; BayOLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 - 206 StRR 27/22 -, juris Rn. 23.

53

Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 2 VereinsG ist die Verwendung ausnahmsweise erlaubt im Rahmen staatsbürgerlicher Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke. Darüber hinaus scheidet ein strafbares „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn sich der mit seinem Gebrauch verbundene Aussagegehalt nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft. Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck Kennzeichenverbots eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isoliertem Gebrauch meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfüllt.

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Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. November 1987 - 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85 -, juris Rn. 39; vom 9. Juli 2020 - 1 BvR 2067/17 -, juris Rn. 42; und vom 1. Juni 2006 - 1 BvR 150/03 -, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 - 3 StR 33/15 -, juris Rn. 22 f.; BayOLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 - 206 StRR 27/22 -, juris Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, juris Rn. 62; Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86 Rn. 39.

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Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, erweist sich ohne weitere Sachverhaltsaufklärung seitens des Gerichts, die in diesem Verfahren in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu leisten ist, als offen, ob es sich bei der Parole „From the river to the sea“ oder Abwandlungen hierzu um ein verbotenes Kennzeichen der Hamas handelt. Die Verbotsverfügung des Ministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 geht in Ziffer 3 davon aus, dass u. a. diese Parole „insbesondere“ zu den Kennzeichen der Hamas gehört. Mit Blick darauf, dass eine Variante hiervon, worauf der Antragsteller selbst hinweist, in der aktuellen bzw. der Gründungscharta von Hamas zu finden ist, erscheint es möglich, dass sich die Hamas die Parole zu eigen gemacht hat und sie demzufolge (auch) ihr zuzuordnen ist. Dass diese Parole bereits vor Gründung der Hamas und auch heute noch von anderen Organisationen verwendet wird, ist nach den vorgenannten Maßstäben unerheblich. Unterstellt, es handelt sich bei der Parole um ein Kennzeichen der Hamas, liegt die Annahme einer ausnahmsweise zulässigen Verwendung im Rahmen der Versammlung hier fern; dies wird man vor dem Hintergrund, dass die Hamas ein Akteur im Krieg in Gaza ist, auf den sich das Thema der gegenständlichen Versammlung - „Stoppt die Aggression“ - bezieht, nicht annehmen können.

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Ausgehend hiervon ist eine Interessenabwägung notwendig, die das Interesse des Antragstellers an der Nutzung der Parole bzw. von Abwandlungen mit dem öffentlichen Interesse daran, dies zu verhindern, gegenüberstellt und bewertet. Diese Abwägung fällt zu Gunsten des öffentlichen Interesses aus. Insofern ist zu berücksichtigen, dass ähnliche Demonstrationen in der Vergangenheit, in denen das Verbot der Parole nach Mitteilung des Antragstellers bereit als Auflage geregelt war, durchgeführt werden konnten, ohne dass ersichtlich wäre, dass in diesen Veranstaltungen das jeweilige Anliegen inhaltlich nicht ausreichend vorgebracht werden konnte. Demgegenüber ist auf Seiten des öffentlichen Interesses einzustellen, dass eine einmal getätigte Äußerung irreversibel ist und durch ein nachträgliches Einschreiten der Polizei oder nachträgliche Strafanzeigen in der Sache nicht wieder rückgängig gemacht werden kann.

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Vgl. hierzu auch VGH BW, Beschluss vom 21. Oktober 2023 - 3 S 1669/23 -, juris Rn. 10.

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