
Anforderungen an Versammlungsverbote: Konkrete und unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erforderlich
Ein Versammlungsverbot gemäß § 14 Abs. 2 Hessisches Versammlungsfreiheitsgesetz (HVersFG) ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete und unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestehen. Bloße Verdachtsmomente oder generalisierte Annahmen reichen nicht aus. Die Versammlungsfreiheit, verankert in Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und Art. 14 Hessische Verfassung (HV), hat hohen verfassungsrechtlichen Rang und darf nur bei klaren, nachvollziehbaren Belegen einer unmittelbaren Gefährdung eingeschränkt werden. Maßnahmen gegen potenziell gefährliche Teilnehmer müssen vorrangig sein, bevor ein allgemeines Verbot der Versammlung ausgesprochen wird. (Leitsatz der Redaktion)
| Verfahrensgang vorgehend VG Frankfurt am Main, 20. Oktober 2023, 5 L 3313/23.F, Beschluss
Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2023 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt. |
| Gründe I. |
1 | Der Antragsteller begehrt im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen das von der Antragsgegnerin ausgesprochene Verbot, eine von ihm angemeldete Versammlung durchzuführen. |
2 | Der Antragsteller meldete am 16. Oktober 2023 einen Aufzug für Samstag, den 21. Oktober 2023 mit dem Tenor „Stoppt den Krieg auf Gasa und Menschenrechte unterstützen!“ an. Angemeldet war der Beginn des Aufzugs am 14:00 Uhr auf dem Steindamm. Er sollte mit einer Zwischenkundgebung auf der Mönckebergstraße um 16:00 Uhr am Gänsemarkt ankommen, wo eine bis 17:00 Uhr dauernde Schlusskundgebung geplant war. Erwartet wurden laut Anmeldung 1500-2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. |
3 | Nachdem Kooperationsgespräche erfolglos geführt worden waren, verfügte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19. Oktober 2023 das Verbot des Aufzugs und etwaiger Ersatzveranstaltungen. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung an. Hiergegen legte der Antragsteller noch am 19. Oktober 2023 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde. |
4 | Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vom 19. Oktober 2023 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. Oktober 2023 abgelehnt. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden, am 21. Oktober 2023 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Beschwerde. II. |
5 | Die Entscheidung ergeht wegen der Eilbedürftigkeit der Sache durch den Vorsitzenden nach § 80 Abs. 5, Abs. 8 VwGO. |
6 | Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Es kann offen bleiben, ob sich die Antragstellerin hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt und deren tragende Erwägungen erschüttert hat. Der Senat geht zu ihren Gunsten hiervon aus, da die Effektivität des Rechtsschutzes gefährdet wäre, wollte man in extrem eilbedürftigen und zugleich komplexen Verfahren der vorliegenden Art die formalen gesetzlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO konsequent anwenden (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2015, 4 Bs 192/15, juris Rn. 7). Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch den Senat führt allerdings im Ergebnis zur Ablehnung des Antrags der Antragstellerin. |
7 | Bei der im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Entscheidung der Antragsgegnerin, den von der Antragstellerin angemeldeten Aufzug mit dem Tenor „Stoppt den Krieg auf Gasa und Menschenrechte unterstützen!“ zu verbieten, mit dem Interesse der Antragstellerin, den Vollzug dieser Entscheidung auszusetzen und den Aufzug wie angemeldet durchführen zu können, ist als Grundlage dieser Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht, soweit möglich, nicht nur summarisch zu prüfen. Sofern dies nicht möglich sein sollte, haben die Fachgerichte jedenfalls eine sorgfältige Folgenabwägung vorzunehmen und diese hinreichend substantiiert zu begründen (BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, NVwZ 2013, 570, juris Rn. 18, m.w.N.). |
8 | Nach § 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Dabei sind die Tatbestandsvoraussetzungen unter Beachtung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit auszulegen (BVerfG, Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 27). Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.10.2001, 1 BvR 1190/90, juris Rn. 41). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe, die auch und vor allem andersdenkenden Minderheiten zugutekommt, ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend (vgl. BVerfG, Urt. v. 22.2.2011, 1 BvR 699/06, juris Rn. 101; Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 63) und wird im Vertrauen auf die Kraft der freien öffentlichen Auseinandersetzung grundsätzlich auch den Gegnern der Freiheit gewährt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.11.2009, 1 BvR 2150/08, juris Rn. 67). Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 16 m.w.N.). |
9 | Das Verwaltungsgericht ist zunächst zutreffend von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgegangen. Die öffentliche Sicherheit i.S.v. § 15 Abs. 1 VersG umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen (vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81 u.a., BVerfGE 69, 315, juris Rn. 77; BVerwG, Urt. v. 25.6.2008, 6 C 21.07, BVerwGE 131, 216, juris Rn. 13). Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (BVerfG, Beschl. v. 19.12.2007, 1 BvR 2793/04, juris Rn. 20; Beschl. v. 21.4.1998, 1 BvR 2311/94, juris Rn. 27). Erforderlich ist eine Gefahrenprognose, die gestützt auf tatsächliche Anhaltspunkte („erkennbare Umstände“) bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts begründet; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, 1 BvR 2147/09, juris Rn. 9; Beschl. v. 14.5.1985, a.a.O., juris Rn. 80). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.9.2009, a.a.O.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind nach dem aus dem Grundgesetz ableitbaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 22.9.2016, 7 A 11077/15, juris Rn. 17 m.w.N.). |
10 | Nach diesem Maßstab liegt eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der streitgegenständlichen Versammlung vor. Es bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass, wenn der Aufzug wie gewünscht stattfindet, eine hohe Gefahr für die Verletzung der genannten zentralen Rechtsgüter, und zwar insbesondere für die durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Versammlungsteilnehmer, der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie sonstiger Dritter, gegeben ist. |
11 | Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Beschluss u.a. wie folgt begründet: |
12 | „1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung auf Seite 31 der Verbotsverfügung vom 19. Oktober 2023 genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Vorschrift, nach der das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen ist, normiert formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts. Ob die Erwägungen der Behörde auch inhaltlich zutreffen, ist im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unbeachtlich. Die Begründung darf nicht bloß formelhaft, sondern muss einzelfallbezogen sein. Allerdings belegen bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr die den Erlass des Bescheides rechtfertigenden Gründe in der Regel zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.6.2009, OVG 1 S 97.09, juris Rn. 3). Gemessen daran wird die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Begründung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerecht. Die Antragsgegnerin hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung damit begründet, dass erhebliche Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu befürchten seien. Ziel dieses Bescheides sei es, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Verhinderung von Straftaten gemäß §§ 104, 111, 130 und 140 StGB und Verhinderung von körperlichen Auseinandersetzungen aufrechtzuerhalten. Nur durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung dieser Verfügung sei gewährleistet, dass die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Gefahren und Störungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abgewehrt werden könnten. Die konkrete Abwägung der Interessen habe ergeben, dass das Interesse an der Durchführung der Veranstaltung wie angemeldet hinter dem Interesse anderer bzw. der Allgemeinheit, von Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verschont zu bleiben, zurückzustehen habe. Die Begehung von Straftaten sei zu verhindern. Die Verletzung ethischer und sozialer Grundanschauungen, insbesondere der Würde und Ehre anderer Personen, und die Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker sei nicht hinnehmbar. Dadurch nimmt die Antragsgegnerin in zulässiger Weise auf die vorausgehende ausführliche Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles in der Begründung der Verbotsverfügung Bezug. Sie hat damit in ausreichendem Maße deutlich gemacht, dass sie sich des Ausnahmecharakters der Anordnung der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist. |
13 | 2. Das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 19. Oktober 2023 überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorerst von der Vollziehung verschont zu bleiben. Denn der Verbotsbescheid erweist sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen und allein gebotenen summarischen Prüfung als materiell rechtmäßig (hierzu unter a)). Zudem besteht ein besonderes Vollziehungsinteresse (hierzu unter b)). |
14 | a) Rechtsgrundlage des Versammlungsverbots nach Ziffer 1. der Verfügung und des Verbotes von Ersatzveranstaltungen nach Ziffer 2. der Verfügung vom 19. Oktober 2023 ist § 15 Abs. 1 VersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. |
15 | Die Antragsgegnerin hat die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG hier sowohl für den angemeldeten Aufzug am 21. Oktober 2023 (Ziffer 1. der Verfügung) als auch für eventuelle Ersatzveranstaltungen am selben Tag (Ziffer 2. der Verfügung) zu Recht bejaht (hierzu unter aa)). Sie durfte den Antragsteller und die gesamte Versammlung als Störer heranziehen (hierzu unter bb)). Ermessensfehler sind nicht ersichtlich (hierzu unter cc)). Die folgenden Ausführungen gelten für das Verbot des angemeldeten Aufzugs und der Ersatzveranstaltungen in gleicher Weise. |
16 | aa) (…) |
17 | Der Begriff der öffentlichen Sicherheit in § 15 Abs. 1 VersG umfasst dabei nicht nur den Schutz zentraler Rechtsgüter wie das Grundrecht Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Daneben umfasst der Begriff der öffentlichen Sicherheit den Schutz der Unversehrtheit der Rechtsordnung jedenfalls dann, wenn deren strafbare Verletzung droht. Soweit sich der Verbotsbescheid dabei – wie hier – auf den Inhalt von befürchteten Aussagen bezieht, ist er auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 und 2 GG zu beurteilen. Die Äußerung verliert den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht allein wegen ihres Inhalts, es sei denn, der Inhalt ist strafbar. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Inhalte einer auf einer Versammlung geäußerten Meinung richten sich nicht nach Art. 8 Abs. 2 GG, sondern nach Art. 5 Abs. 2 GG. Die Grenze verläuft nach letztgenannter Vorschrift dort, wo Meinungsäußerungen auf verfassungsgemäße Weise rechtlich verboten, insbesondere unter Strafe gestellt sind (vgl. VG Berlin, Beschl. v. 11.10.2023, 1 L 428/23, juris Rn. 8 unter Verweis auf VG Karlsruhe, Beschl. v. 22.3.2006, 11 K 632/06, juris Rn. 4). In die Gefahrenprognose ist auch das Verhalten des Veranstalters bzw. des Leiters der Versammlung einzubeziehen. Sind Straftaten, insbesondere Gewaltdelikte, aus der Versammlung heraus zu befürchten, darf von dem Veranstalter erwartet werden, dass er oder der vorgesehene Leiter der Versammlung auch in ihrem Vorfeld öffentlich deutliche Signale setzen, die auf die Gewaltfreiheit der Durchführung der Versammlung ausgerichtet sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.7.2000, 1 BvR 1245/00, juris Rn. 27). |
18 | Das Gericht betont ausdrücklich, dass es selbstverständlich zulässig ist, pro-palästinensische Positionen im Rahmen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 bzw. 8 Abs. 1 GG zu vertreten, soweit in der Meinungsäußerung keine Billigung oder Begehung von Straftaten bzw. kein Aufruf hierzu erfolgt und die öffentliche Sicherheit auch im Übrigen nicht unmittelbar gefährdet ist. Die Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots richtet sich nicht nach der geäußerten Auffassung, sondern nach dem Gefahrenpotential der angemeldeten Versammlung. |
19 | (1) Ausgehend von diesem Maßstab begegnet die Prognose der Antragsgegnerin keinen durchgreifenden Bedenken, bei Durchführung des angemeldeten Aufzugs und eventueller Ersatzversammlungen bestehe eine unmittelbare Gefahr für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. |
20 | Zwar hat der Antragsteller als Veranstalter des Aufzugs in den Kooperationsgesprächen nach der Anmeldung und in seinem Eilantrag betont, eine generelle Ablehnung von Kriegen zum Ausdruck bringen zu wollen. Er unterstütze die Hamas ausdrücklich nicht und wolle antisemitische Teilnehmende ausschließen. Zu keinem Zeitpunkt habe er erklärt, den Tod von Zivilisten gutzuheißen und habe auch nicht zu Straftaten oder zu versammlungsrechtlichen Verstößen aufgerufen. Auch habe die Antragsgegnerin nicht nachweisen können, dass es speziell auf den von ihm oder dem Versammlungsleiter in der Vergangenheit angemeldeten Versammlungen zu eskalierender Gewalt gekommen sei. Sicherheitsrelevante Informationen zu seiner Person gebe es nicht; auf einer von ihm organisierten Versammlung seien Dutzende Redner und Rednerinnen vertreten gewesen, ohne dass es zu sicherheitsrelevanten Vorfällen gekommen sei. Soweit anlässlich einer vom Versammlungsleiter organisierten Versammlung am 15. Mai 2021 eine israelische Flagge verbrannt worden sei, sei dies unabhängig von der Versammlung erfolgt. Insgesamt 60 Ordner sollten für einen reibungslosen, ruhigen und strukturierten Ablauf der für den 21. Oktober 2023 angemeldeten Demonstration sorgen, bei der zwischen 1.500 und 2.000 Teilnehmende erwartet würden. Sie sollten im Falle von Streitigkeiten eingreifen und die Lage unter Kontrolle halten. Bei einer Eskalation sollte eine schnelle und gewaltfreie Lösung gefunden werden. Nur ausgewählte Parolen und Sprüche, die von der Meinungsfreiheit geschützt seien, dürften wiedergegeben werden. Mit Unruhen in Berlin habe seine Versammlung nichts zu tun; in Köln habe z.B. eine Versammlung der Palästinensischen Gemeinde Deutschland e.V. am 14. Oktober 2023 friedvoll stattgefunden. Der Versammlungsleiter habe zum Ausdruck gebracht, dass wie im Fall der Ukraine auch nicht-friedliche Mittel gegen eine illegale Besatzung erlaubt seien. Das Sterben von unschuldigen israelischen Zivilisten und Zivilistinnen werde ebenso abgelehnt wie auf Seiten der Palästinenser. Die Versammlung richte sich jedoch ausschließlich gegen die Bombardements durch die israelische Armee seit dem 7. Oktober 2023 und die Aufforderung der israelischen Regierung, die Region zu verlassen, obwohl es für die palästinensische Zivilbevölkerung keinen Ausweg gebe. |
21 | Diese Vorgaben lassen zwar auf den ersten Blick keinen Rückschluss darauf zu, dass der angemeldete Aufzug in eine Situation eskalieren könnte, bei der die oben beschriebenen Straftaten insbesondere gegen Leib und Leben zu befürchten sind. Allerdings hat die Antragsgegnerin nach Auffassung der Kammer nachvollziehbare und konkrete Anhaltspunkte für die zu befürchtende Eskalation des Aufzugs benannt, die sich nicht auf bloße Vermutungen beschränken. |
22 | Der Aufzug findet anlässlich des aktuellen gewaltsamen Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas statt (vgl. zur Einschätzung der Hamas als Terrororganisation: BVerfG, Beschl. v. 13.7.2018, 1 BvR 1474/12 u.a., juris Rn. 125), die am 7. Oktober 2023 mit einem geplanten und gezielten Übergriff von Terroristen der Hamas auf hunderte zumeist israelische Zivilisten begann, bei dem es zur Entführung von etwa 200 Personen in den Gaza-Streifen gekommen ist, und bei dem es auf israelischer Seite inzwischen über 1.200 Tote und eine Vielzahl von Verletzten gegeben haben soll. Daraufhin erklärte Israel erneut offiziell den Kriegszustand und startet bisher massive Gegenangriffe aus der Luft auf die aus dem Gaza-Streifen operierende Hamas, die zu einer noch größeren, ebenfalls vierstelligen Opferzahl auch unter der palästinensischen Zivilbevölkerung geführt hat. Die gegenwärtige humanitäre Lage in Gaza wird von Nichtregierungsorganisationen als katastrophal bezeichnet (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/gaza-klinik-aerzte-ohne-grenzen-katzer-100.html; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/gaza-hilfslieferungen-100.html). Am 18. Oktober 2023, kurz vor dem Erlass der Verbotsverfügung, kam es zu einer Explosion in einer Klinik in Gaza, für die die Hamas und zahlreiche Vertreter arabischer Staaten und Organisationen Israel trotz vorgelegter Gegenbeweise verantwortlich machen (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/israel-gaza-krankenhaus-rakteneinschlag-100.html). Nach diesem Vorfall hat die Hamas zu weltweiten Protesten am Wochenende gegen „Massaker, Kriegsverbrechen und Völkermorde in Gaza“ aufgerufen (https://www.n-tv.de/politik/Hamas-ruft-zu-weltweiten-Protesten-auf-article24473739.html). Eine Bodenoffensive der israelischen Armee in den Gaza-Streifen steht nach einer Ankündigung des israelischen Verteidigungsministers vom 19. Oktober 2023 unmittelbar bevor (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/israel-bodenoffensive-verteidigungsminister-kriegskabinett-100.html). Wegen der möglichen Bodenoffensive hat Israel die Bevölkerung in Gaza erneut aufgefordert, in den Süden zu fliehen. Unterdessen kündigte Ägypten Hilfslieferungen in das Gebiet an (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/gaza-bodenoffensive-hilfslieferung-video-100.html). Der Grenzübergang zwischen Gaza und Ägypten ist jedoch noch nicht geöffnet (https://www.tagesschau.de/ausland/asien/gaza-hilfslieferungen-100.html). |
23 | Die Beurteilung dieses Konflikts erfolgt in Deutschland sowie in anderen Staaten äußerst kontrovers und in aufgeladener Stimmung. Zum Teil gab es öffentliche, jubelnde Sympathiekundgebungen für die Angriffe der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung durch arabische Bevölkerungsteile in Deutschland, gepaart mit zunehmenden antisemitischen Straftaten (https://www.sueddeutsche.de/politik/israel-antisemitismus-neukoelln-hamas-1.6278884). So feierte das Palästinenser-Netzwerk Samidoun die Übergriffe der Hamas auf israelische Zivilisten in Berlin mit einer Süßigkeiten-Aktion (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hamas-angriff-israel-samidoun-berlin-sonnenallee-100.html). Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, dass in der Vergangenheit bei ähnlichen pro-palästinensischen Versammlungen – insbesondere seit dem 7. Oktober 2023 – aus der Versammlung heraus Pyrotechnik gezündet worden sei und Flaschen und Steine, insbesondere auf Polizeibeamte, geworfen worden seien. Es sei zu Straßenkämpfen mit brennenden Straßenbarrikaden unter Einsatz von geworfenen Molotowcocktails gekommen (S. 11, 12, 21 des Bescheides insbesondere zu Versammlungen und Aufzügen in Berlin). Dies wird durch Presseberichte bestätigt. Danach haben sich trotz eines Demonstrationsverbots in Berlin Neukölln Hunderte, teils vermummte Menschen zu pro-palästinensischen Protesten versammelt, wobei Steine und Böller auf Einsatzkräfte flogen und Autos in Brand gesetzt wurden. Auch in Frankfurt am Main habe die Polizei bei entsprechenden Protesten Wasserwerfer einsetzen müssen (https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Vermummte-Protestler-zuenden-Autos-in-Berlin-Neukoelln-an-article24474708.html). Anstelle der angemeldeten Zahl von 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einer Versammlung vor dem Auswärtigen Amt sind mehrere 100 Personen gekommen; eine Nacht zuvor hat es einen versuchten Brandanschlag auf die Synagoge in der Berliner Brunnenstraße gegeben (https://www.stern.de/politik/berlin-neukoelln--pro-palaestina-demonstration-eskaliert-33925488.html ). Nach den mehrere Stunden währenden Ausschreitungen sind 194 Personen festgenommen worden. 65 Beamte wurden verletzt (https://www.tagesspiegel.de/berlin/174-festnahmen-und-stundenlange-ausschreitungen-bei-berliner-palastina-demo-10649041.html). Dass die in Deutschland ausgeübte Gewalt auf pro-palästinensischen Demonstrationen seit dem Raketeneinschlag auf dem Gelände des Krankenhauses eskaliert, beschreibt die Antragsgegnerin zutreffend auf Seite 17 der Verbotsverfügung. Dies zeigt auch der Umstand, dass es in Tunesien nach dieser Explosion auf dem Krankenhausgelände in Gaza zu einem Sturm auf eine Synagoge gekommen ist, die in Brand gesteckt und weitgehend zerstört wurde (https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_100262584/nach-hamas-terror-in-israel-wuetender-mob-zerstoert-synagoge-in-tunesien.html). Diese Situation wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die angekündigte Bodenoffensive der israelischen Armee in Gaza massiv verstärken. Diese Gefahrenprognose der Antragsgegnerin für pro-palästinensische Versammlungen vergleichbarer Größe nach dem 7. Oktober 2023 wird im Übrigen vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Beschl. v. 14.10.2023, 2 B 1423/23), dem Verwaltungsgericht Berlin (Beschl. v. 11.10.2023, VG 1 L 428/23) und dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (Beschl. v. 14.10.2023, 9 K 4123/23) geteilt. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sie dagegen für eine Versammlung von 50 erwarteten Teilnehmenden verneint (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-10/bayern-demo-palaestina-israel-verfassungsgericht). |
24 | Doch nicht nur Vorfälle aus anderweitigen pro-palästinensischen Versammlungen begründen die beschriebene Gefahr. Sie basieren auch auf den konkreten Umständen des hier angemeldeten Aufzugs. Das Motto „Stoppt den Krieg auf Gaza“ deutet nicht auf eine generell pazifistische, sondern auf eine einseitig pro-palästinensische Ausrichtung des geplanten Aufzugs hin. Auch die Umstände der Werbung für den Aufzug motivieren mögliche gewaltbereite Teilnehmer. Der Antragsteller hat seinen Aufruf auf der Facebookseite „Free Palästina Hamburg“ platziert (https://www.facebook.com/photo/?fbid=653163713609731&set=ecnf.100067483233053) und nicht etwa auf einer Seite der Friedensbewegung. Neben dem Aufruf zur Demonstration findet sich ebenfalls der hervorgehobene Slogan: „Freiheit für Palästina“. Diese Parole wird typischerweise in Kreisen verwandt, die das Existenzrecht Israels im Ganzen in Frage stellen und von denen erhebliche Teile bereit sind, die aus ihrer Sicht „unrechtmäßigen Besatzer“ auch mit Gewalt zu vertreiben. Die Berechtigung dieser Einstellung deutet auch der Antragstellervertreter auf Seite 8 des Eilantrags an, wo er eben dieses ausführt; also dürfte sie den Veranstaltern und ihren Sympathisanten nicht fern liegen. Zugleich hat der Antragsteller trotz der bekannten Vorfälle auf pro-palästinensischen Demonstrationen und der Billigung der Angriffe der Hamas darauf verzichtet, im Vorfeld darauf hinzuweisen, dass es sich um eine friedliche Demonstration handeln soll, d.h. entsprechende Signale zu setzen. Es ist somit auch angesichts des Aufrufs der Hamas damit zu rechnen, dass nicht nur friedliche Demonstrierende, die generell gegen Kriege und gegen die Tötung und Verletzung von Zivilisten eingestellt sind, dem Demonstrationsaufruf des Antragstellers folgen werden. Auch die von dem Antragsteller vorgesehenen Parolen deuten klar auf eine antiisraelische Ausrichtung der Veranstaltung hin und nicht auf eine generell pazifistische Orientierung. (…) Zudem wurde der Aufruf zur Teilnahme an der Demonstration bereits am 16. Oktober 2023 in den sozialen Medien, und nicht etwa nur regional begrenzt veröffentlicht. Damit zieht er mindestens bundesweit Personen an, darunter auch solche, die eine nicht nur friedliche Agitationsgelegenheit unter Gleichgesinnten suchen. Eine nicht unerhebliche Anzahl von – vor allem jüngeren –Teilnehmenden, die nicht nur aus Hamburg oder dem Hamburger Umland kommen müssen, kann dabei als gewaltgeneigt bzw. gewaltbereit eingestuft werden. Selbst der Antragsteller geht davon aus, dass sich gewaltbereite Personen unter den Teilnehmenden befinden werden, wie sich aus der Kommunikation mit der Antragsgegnerin ergibt. So will er Vorsorge treffen, um gewaltbereite Teilnehmende an Ausschreitungen mit Dritten oder der Polizei zu hindern. Auch hat er bewusst auf eine ursprünglich geplante Menschenkette verzichtet, da diese angesichts der Personenzahl schwerer kontrollierbar sei. Das Gericht bezweifelt nicht den Wunsch des Antragstellers und des Leiters nach einer friedlichen Demonstration und sieht sein Bemühen, dies durchzusetzen. Allerdings wirbt der Antragsteller zugleich für eine so große Zahl von Teilnehmenden, dass ihm die Kontrolle über seinen Aufzug von 1.500 bis 2.000 Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit entgleiten wird. Sämtliche der von der Antragsgegnerin beschriebenen Versammlungen und Aufzüge betrafen eine deutlich geringere Zahl von Teilnehmenden als bei dem hier angemeldeten Aufzug; höchstens bis zu 1.000 Personen. Bereits bei kleineren Demonstrationen in Hamburg stellte die Antragsgegnerin zumeist eine angespannte, gereizte und emotional aufgeheizte Stimmung fest. Vor dem Hintergrund der jüngsten Ausschreitungen bei pro-palästinensischen Demonstrationen seit dem 7. Oktober 2023 und der geschilderten Aufheizung der Stimmungslage durch die kontroverse Beurteilung des Raketeneinschlags auf dem Krankenhausgelände ist daher nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, die Ordner könnten einen Aufzug in dieser Größenordnung nicht beherrschen (S. 16 der Verbotsverfügung), auch wenn die vorgesehene Zahl der Ordner in einer weniger aufgeheizten Stimmungslage ausreichen könnte. |
25 | (2) Ebenso ist die Gefahrenprognose nicht zu beanstanden, soweit die Antragsgegnerin davon ausgeht, aus dem Aufzug und einer Ersatzversammlung heraus würden Straftaten in Form von Äußerungsdelikten jedenfalls nach § 140 StGB durch die Billigung von Straftaten verübt werden (u.a. S. 10, 15, 23, 27 des Bescheides). Die Gefahrenprognose nimmt dabei im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf vergleichbare Versammlungen Bezug, sowohl hinsichtlich des Mottos, des Anlasses sowie des Teilnehmerkreises – nicht nur seit dem 7. Oktober 2023. Wie der Antragsteller oder der Leiter des Aufzugs bei einer Teilnehmerzahl von bis zu 2.000 Personen mit 60 Ordnern die angesichts der gegenwärtig aufgeheizten politischen Situation zu erwartenden öffentlichen Sympathiebekundungen für terroristische Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung, unterbinden will, erschließt sich dem Gericht nicht. Insbesondere bleibt unklar, wie der Antragsteller eine so große Zahl von Teilnehmenden vorab und konsequent auf eine bestimmte Art und Zahl von Parolen beschränken will. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Aufzug durch den Stadtteil St. Georg verlaufen soll, in dem zahlreiche Muslime leben und arbeiten, die sich spontan dem Aufzug anschließen könnten. |
26 | (3) Die Verbotsverfügung durfte auch gegen den Antragsteller als Anmelder und gegen die erwarteten Teilnehmenden der Versammlung gerichtet werden. Der Antragsteller weist zwar zutreffend darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einschränkende behördliche Maßnahmen primär gegen den/die Störer zu richten sind und gegen eine friedliche Versammlung selbst nur unter den besonderen eng auszulegenden Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes eingeschritten werden kann (vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 11.9.2015, 1 BvR 2211/15, juris Rn. 3 m.w. Rspr.-Nachweisen). Diese Rechtsprechung zum „Zweckveranlasser“ betrifft jedoch regelmäßig Fallkonstellationen, in denen Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des (gewalttätigen) Verhaltens Dritter, insbesondere Gegendemonstranten, und nicht von einer sich friedlich verhaltenden Versammlung zu befürchten sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 6.7.2022, 15 A 3274/20, juris Rn. 6 ff. m.w.N.). Die Versammlung wird allerdings als Ganze zur Störerin, wenn die Störung der öffentlichen Sicherheit durch Einzelne der gesamten Versammlung zugerechnet werden kann (OVG Münster, Beschl. v. 6.7.2022, a.a.O., juris Rn. 8 m.w.N.). |
27 | So liegt der Fall hier. Wie oben beschrieben, durfte die Antragsgegnerin zu Recht im Rahmen der Gefahrenprognose davon ausgehen, dass die Versammlung trotz der Bemühungen des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit einen gewalttätigen und strafbaren, die Versammlung prägenden Verlauf durch eine nicht nur unbedeutende Minderheit von Versammlungsteilnehmern nehmen wird. Mit dieser Entwicklung musste der Antragsteller angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklung im Nahostkonflikt und den Reaktionen in deutschen Großstädten, über die in zahlreichen deutschen Presseorganen berichtet wird, rechnen. Dass er es auch tut, ist anhand der oben beschriebenen Vorkehrungen zu erkennen. Damit ist er nach polizeirechtlichen Grundsätzen auch dann als Störer anzusehen, wenn er einen gewalttätigen Verlauf oder strafbare Handlungen selbst nicht billigt. |
28 | bb) Die Verbotsverfügung ist auch ermessensfehlerfrei. Die Versammlungsbehörde hat nach § 40 VwVfG ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. § 15 Abs. 1 VersG genügt verfassungsrechtlichen Anforderungen nur, wenn die Vorschrift unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Bedeutung der Versammlungsfreiheit ausgelegt wird. Art. 8 Abs. 1 GG verlangt eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. An ein Versammlungsverbot sind daher gesteigerte Anforderungen zu stellen. Das Verbot einer Versammlung scheidet aus, solange ein milderes, die Versammlungsfreiheit weniger einschränkendes Mittel existiert, welches gleichermaßen geeignet ist, der konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu begegnen. Als mildere Mittel kommt u.a. die Beschränkung eines Aufzugs auf eine ortsfeste Versammlung im Wege einer Auflage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.9.2003, 1 BvQ 32/03, juris Rn. 30; Beschl. v. 20.12.2012, 1 BvR 2794/10, juris Rn. 17; VGH Mannheim, Urt. v. 22.3.2022, 1 S 2284/20, juris Rn. 30; OVG Münster, Beschl. v. 21.10.2015, 15 B 1201/15, juris Rn. 12) oder die nachträgliche Auflösung der Versammlung in Betracht. Letzteres ist insbesondere dann zu prüfen, wenn Gefahren nur von einem Teil der Versammlung ausgehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985, 1 BvR 233/81, juris Rn. 80 und 93). Ein Verbot der Versammlung im Vorfeld kommt schließlich nur als ultima ratio zur Abwehr von Gefahren für solche Rechtsgüter in Betracht, die der Versammlungsfreiheit gleichwertig sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.8.2020, 1 BvQ 94/20, juris Rn. 14 und 16; VGH Mannheim, Urt. v. 22.3.2022, a.a.O. m.w.N.; VGH München, Beschl. v. 17.1.2022, 10 CS 22.126, juris Rn. 14). |
29 | Die von der Antragsgegnerin in Erwägung gezogene Verlegung des Ortes durfte sie als nicht gleich geeignet ansehen, um den Gefahren zu begegnen. Dasselbe gilt für die Zulassung allein einer örtlich begrenzten Versammlung anstelle eines Aufzugs. In beiden Fällen wären durch die zu erwartenden emotional aufgeheizten Teilnehmenden und deren kaum zu überschauende Zahl Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, speziell für die körperliche Unversehrtheit, nicht zu kontrollieren. Zudem hätte dies den Charakter des Aufzugs verändert. Das mildere Mittel, den Verlauf des Aufzugs zunächst abzuwarten und erforderlichenfalls vor Ort einzuschreiten, kommt angesichts der auch mit hoher Polizeipräsenz nur schwer zu beherrschenden Gefahren nicht in Betracht, wie die Straßenkämpfe aus Berlin-Neukölln zeigen (ebenso i.Erg. VGH Kassel, Beschl. v. 15.10.2022, 2 B 1423/23, https://www.n-tv.de/regionales/hessen/VGH-bestaetigt-Verbot-pro-palaestinensischer-Demo-in-rankfurt-article24464029.html). Denn bei einer größeren Zahl gewaltbereiter Störer ist die Trennung derselben von den friedlich demonstrierenden Personen kaum möglich. Dies gilt insbesondere an einem Samstagnachmittag in der Hamburger Innenstadt, wo erheblicher Publikumsverkehr zu erwarten ist. Insbesondere kann angesichts der Teilnehmerzahl des angemeldeten Aufzugs nicht abgewartet werden, ob es zu strafbaren Ausrufen oder zu eskalierender Gewalt zulasten der Polizeikräfte oder anwesender Unbeteiligter bzw. offen andersdenkender Dritter kommt. Insofern unterscheidet sich die Situation deutlich von einer angekündigten pro-palästinensischen Versammlung mit etwa 50 erwarteten Teilnehmenden, bezüglich derer der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am 19. Oktober 2023 ein Versammlungsverbot für rechtswidrig gehalten hat (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-10/bayern-demo-palaestina-israel-verfassungsgericht). |
30 | In Anbetracht der von der Versammlung ausgehenden, oben geschilderten Gefahren insbesondere für die körperliche Unversehrtheit von Dritten, Polizeibeamten und -beamtinnen oder auch den Demonstrationsteilnehmenden selbst erweist sich deren Verbot trotz des erheblichen Ranges der Versammlungs- und Meinungsfreiheit auch als angemessen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller es versäumt hat, durch entsprechende Hinweise vorab öffentlich bzw. gegenüber den (potentiellen) Teilnehmern anzukündigen, dass es sich um eine friedliche Versammlung handeln soll und mit welchen Mitteln er für einen friedlichen Demonstrationsverlauf sorgen wird. |
31 | b) Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Versammlung besteht schließlich auch ein besonderes Vollziehungsinteresse. Ohne das sofort vollziehbare Versammlungsverbot käme es zu einer ungehinderten Gefahr für die öffentliche Sicherheit.“ |
32 | Dieser rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts folgt der Senat uneingeschränkt. Vor dem Hintergrund der Beschwerdebegründung sieht er allerdings Anlass noch zu folgenden ergänzenden Ausführungen: |
33 | Auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. Oktober 2023 (20 L 2064/32) kann sich der Antragsteller nicht erfolgreich stützen. Das Verwaltungsgerichts Köln hat zwar in diesem Verfahren die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen eine Verbotsverfügung wiederhergestellt, die eine mit der streitgegenständlichen Versammlung jedenfalls im Hinblick auf die politische Ausrichtung mutmaßlich vergleichbare Versammlung betraf, die näheren tatsächlichen Umstände der vom Verwaltungsgericht Köln zu bewertenden Versammlung sind jedoch nicht bekannt. Im Übrigen ist allein entscheidend, ob angesichts der Sachverhaltslage im Einzelfall in Bezug auf die streitgegenständliche Versammlung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit festzustellen ist oder nicht. Letzteres ist der Fall. |
34 | Der Bewertung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Gefahrenlage kann der Senat nur zustimmen. Die Stimmung in Deutschland und auch in Hamburg ist in besonderer Weise aufgeladen. Unbestritten hat die Antragsgegnerin auf konkrete Gewaltanwendungen und Ausschreitungen auf Versammlungen, die jüngst in Berlin und andernorts stattgefunden haben, und auch auf Anschläge hingewiesen. Sie hat ebenfalls unbestritten und ohne weiteres plausibel darauf hingewiesen, dass die in Deutschland ausgeübte Gewalt auf pro-palästinensischen Demonstration seit dem Raketenanschlag auf dem Gelände des Krankenhauses in Gaza eskaliert und dass weitere Eskalation durch die angekündigte Bodenoffensive der israelischen Armee in Gaza zu befürchten sind. Diesen vom Verwaltungsgericht sehr detailliert begründeten Befürchtungen insbesondere für Leib und Leben der Versammlungsteilnehmer, der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sowie von Dritten ist der Antragsteller nicht entgegengetreten. |
35 | Dass, wie der Antragsteller in der Beschwerdebegründung schreibt, der Aufruf auf Facebook erklärt, dass Menschenrechte gewahrt werden sollen, mag sein. Insoweit wird allerdings nur der Tenor der Versammlung („und Menschenrechte unterstützen“) wiedergegeben, dass es dabei auch um die Menschenrechte von Israelis gehen soll, wie der Antragsteller in der Beschwerdebegründung vorträgt, ergibt sich aus dem in den Beschwerdeschriftsatz eingefügten Foto nicht. Der Antragsteller legt auch - selbst in der Beschwerdebegründung nicht - nachvollziehbar und substantiiert dar, dass er auch im Vorfeld der Versammlung öffentlich deutliche Signale gesetzt hat, die auf die Gewaltfreiheit der Durchführung der Versammlung ausgerichtet sind. Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, um die Annahme des Verwaltungsgerichts zu erschüttern, er habe solche Anstrengungen unterlassen, die auf einen gewaltfreien Verlauf der geplanten Sammlung zielen (vgl. Zu dieser Anforderung BVerfG, Beschl. v. 14.7.2000, 1 BvR 1245/00, NJW 2000, 3051, juris Rn. 27). |
36 | Dass es dem Antragsteller persönlich um eine friedliche Versammlung geht, hat das Verwaltungsgericht nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Auch dies teilt der Senat. Unabhängig von der Frage, wer, außer dem Antragsteller selbst, zur Teilnahme an dem Aufzug aufgerufen hat, ist der Senat ebenfalls der Auffassung, dass damit zu rechnen ist, dass nicht nur friedliche Demonstranten den Demonstrationsaufruf des Antragstellers folgen werden. Durch den bundesweiten Aufruf insbesondere auf Facebook ist ein Zulauf von Personen, die als gewaltbereit einzustufen sind, in hohem Maße wahrscheinlich, was der Antragsteller nur pauschal und nicht substantiiert bestreitet. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch mit Einlassungen des Antragstellers im Verwaltungsverfahren dargelegt, dass er, der Antragsteller, selbst von der Teilnahme gewaltbereiter Personen ausgeht, wie etwa seine Begründung für den Verzicht auf eine Menschenkette nahelegt. Angesichts der großen Zahl von Teilnehmern ist, auch insoweit teilt der Senat die Einschätzung des Verwaltungsgerichts ein Entgleiten der Kontrolle über die Versammlung in erheblichem Maße wahrscheinlich. |
37 | Das Motto der Versammlung „Stoppt den Krieg auf Gaza, Menschenrechte unterstützen!“ begründet für sich genommen (noch) nicht die Annahme einer Gefährdung für die öffentliche Sicherheit. Auch ist es selbstverständlich zulässig, individuell (Art. 5 Abs. 1 GG) oder im Rahmen einer Versammlung (Art. 8 Abs. 1 GG) Kritik an Israel zu äußern. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, die bei Durchführung der Versammlung von deren Teilnehmerinnen und Teilnehmern ausgeht. Letzteres ist hier, wie dargelegt, zu befürchten. Die Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots richtet sich nicht nach der geplanten Äußerung, sondern nach dem Gefahrenpotenzial der angemeldeten Versammlung. |
38 | In der Beschwerdebegründung greift der Antragsteller die Verhältnismäßigkeit der Verfügung vom 19. Oktober 2023 und insoweit den die Verhältnismäßigkeit der Verfügung bejahende Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Oktober 2023 im Wesentlichen nur im Hinblick auf die Zahl der Ordner an und bietet nunmehr an, 120 Ordner zu stellen. Ob diese Zahl von Ordnern ausreichend sein kann, vermag der Senat in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu beurteilen. Soweit der Antragsteller die Bereitstellung weiterer 60 Ordner anbietet, trägt er allerdings nicht ansatzweise vor, wie es ihm gelingen soll, innerhalb der Kürze der bis zum Beginn des Aufzugs zur Verfügung stehenden Zeit 60 für die Übernahme der Funktion als Ordner geeignete Personen zu finden und diese dann auch noch hinreichend einzuweisen, was angesichts der komplexen Gefahrenlage eine wichtige Voraussetzung wäre. Für die ursprünglich 60 angemeldeten Ordner waren immerhin zwei Einweisungsveranstaltungen vorgesehen. III. |
39 | Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG. |