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Niqab in der Schule

VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593

Sachverhalt
Eine muslimische Schülerin legte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ein, das ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Widerruf ihrer Aufnahme in eine staatliche Berufsoberschule ablehnte.1 Die Antragstellerin trägt als Ausdruck ihres Glaubens eine Gesichtsverschleierung (Niqab),2 was aber bei ihrer Anmeldung nicht offensichtlich war, da sie dort mit einem Kopftuch ohne Gesichtsschleier abgebildet war.3 Nachdem sie sich weigerte nach mehrmaliger Aufforderung und Anhörung ihren Gesichtsschleier während des Unterrichts abzunehmen,4 wurde ihre Aufnahme in die Vorklasse der Berufsoberschule durch den Schulleiter mit der Begründung widerrufen, dass das Tragen eines Niqabs ein objektives Unterrichtshindernis darstelle,5 insbesondere weil eine für den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag notwendige offene Kommunikation ohne Erkennbarkeit und Mimik der Schülerin mit Gesichtsverschleierung nicht möglich sei.6

Gründe
Der VGH lehnte die Beschwerde der Antragstellerin ab, da nach summarischer Prüfung eine Klage aussichtslos erscheine.7 Dabei macht sich der VGH die Begründung des VG zu eigen. Der VG argumentierte ähnlich der Schulleitung und stellte fest, dass der Schulleiter bei Kenntnis während der Anmeldung berechtigt gewesen wäre, die Aufnahme zur Schule zu verweigern, weshalb auch der Widerruf keinen rechtlichen Bedenken begegne.8 Zwar könne zugunsten der Antragstellerin angenommen werden, dass der Gesichtsschleier unter den Schutzbereich des Art. 4 GG falle,9 dem stünde aber der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag des Art. 7 Abs. 1 GG gegenüber.10 Das Tragen eines Gesichtsschleiers verstoße gegen Art. 56 Abs. 4 BayEUG, nach dem sich alle Schülerinnen und Schüler so verhalten müssten, dass die Schule ihre Aufgabe erfüllen könne und das Bildungsziel zu erreichen sei, was Ausdruck eben jenem Bildungsauftrag sei.11 Das Schulwesen in Deutschland sei auf offene Kommunikation ausgelegt, wozu auch nonverbale Kommunikation gehöre. Diese nonverbale Kommunikation sei mit der Antragstellerin nicht möglich. Sie sei auch nicht identifizierbar und da sich das Problem mehrmals täglich stelle, sei die von der Antragstellerin angebotene Identitätskontrolle unpraktikabel.12 Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag gebiete, dass die Modalitäten der Schule unabhängig von den Wünschen der beteiligten Schüler und Eltern zu regeln seien13 und nur bei einer gravierenden Intensität der Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit der Antragstellerin Vorrang zukommen könne.14 Eine solche gravierende Beeinträchtigung habe die Antragstellerin zu keiner Zeit substantiiert darlegen können.15 Sie habe darzulegen gehabt, dass dem Gesichtsschleier ein imperativer Charakter zukomme und nicht lediglich ein religiöses Gebot zur Optimierung der religiösen Lebensführung darstelle. Der einfache Verweis auf einen Vers im Koran reiche hierfür nicht aus, da sich der imperative Charakter der Gesichtsverschleierung hieraus nicht ergebe. Vielmehr hätte sie diesbezüglich ernst zu nehmende Lehrmeinungen anbringen müssen, die belegen, dass dieser Vers auch die Gesichtsverschleierung umfasse. Hinzukomme, dass die Antragstellerin nicht schulpflichtig sei und alternative Wege, wie die Externen-Prüfung oder die virtuelle Berufsoberschule Bayern, vorhanden seien, um den angestrebten Schulabschluss zu erhalten.16

Einordnung in die Rechtsprechung
Sowohl der VG als auch der VGH nehmen Bezug zur Entscheidung des BVerwG zum koedukativen Schwimmunterricht17 und wenden die hier entwickelten Grundsätze an, um eine Vorrangentscheidung zu Gunsten des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages gem. Art. 7 Abs. 1 GG zu begründen. Dabei wird entscheidend auf die beeinträchtigte Kommunikation und Identifizierbarkeit der muslimischen Schülerin mit Gesichtsschleier abgestellt, weshalb das Kopftuch ohne Gesichtsschleier von dieser Entscheidung nicht betroffen ist.  

Im Ergebnis folgt das VG Osnabrück in einem Beschluss, in dem sich die Antragstellerin gegen den Widerruf der Aufnahme an einem Abendgymnasium aufgrund des Tragens eines Niqabs wendet, dem vorliegenden Beschuss.18 Allerdings ist dieser Beschluss von dem vorliegenden zu unterscheiden. Das VG Osnabrück sieht das Niqabverbot an der Schule nämlich nur aufgrund einer inneren Tatsache als rechtmäßig an und stellt die Vermutung auf, dass der Bescheid der Schule rechtswidrig wäre, hätte die Antragstellerin das Gericht von der Ernsthaftigkeit der für sie verbindlichen Glaubensregel überzeugen können.19 Diese Vermutung wird durch einen Beschluss des OVG Hamburg bestätigt. In diesem wurde ein Bescheid der Schule, dass eine Schülerin fortan ohne Niqab die Schule besuchen müsse, mangels hinreichend konkreter rechtlicher Grundlage als rechtwidrig erachtet.20

   


1 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 1.

2 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 2.

3 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 3.

4 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 8.

5 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 20 ff.

6 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 4; VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 24.

7 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 15.

8 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 37.

9 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 17.

10 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 16 ff.

11 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 39.

12 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 41 f., 49 f.; VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 21.

13 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 57.

14 VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 60 f.

15 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 23 f.; VG Regensburg v. 25.11.2013 – RO 1 S 13.1842, Rn. 61.

16 VGH Bayern v. 22.04.2014 – 7 CS 13.2592, 7 C 13.2593, Rn. 23 f.

17 BVerwG v. 11.09.2013 – 6 C 25.12.

18 VG Osnabrück v. 26.08.2016 – 1 B 81/16

19 VG Osnabrück v. 26.08.2016 – 1 B 81/16.

20 OVG Hamburg v. 29.01.2020 – 1 Bs 6/20.


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