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Urlaubsverlängerung wegen der Hadsch

ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12

Sachverhalt
Die Klägerin war bei der Beklagten angestellt und wollte die Hadsch, d.h. eine große Pilgerfahrt nach Mekka, durchführen.1 Dies hat sie ihrem Vorarbeiter Monate im Voraus angekündigt und dessen Einverständnis eingeholt, eventuell für einige Tage unbezahlten Urlaub zu nehmen.2 Als die Klägerin jedoch ihren Urlaub beantragte, genehmigte die Beklagte ihr lediglich einen bezahlten Urlaub von vier Wochen, aber keine weitere Woche unbezahlten Urlaub.3 Die Klägerin trat ihre Hadsch trotzdem wie geplant an, so dass sie in der letzten Woche der Pilgerreise nicht zur Arbeit erschien.4 Daraufhin mahnte der Arbeitgeber sie ab und kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.5 Dagegen wendete sich die Klägerin und beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden ist sowie die erteilten Abmahnungen zurückzunehmen sind und der rückständige Lohn auszuzahlen ist.6

Gründe
Die Klage hatte Erfolg. Die Kündigung sei gem. § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, denn die Klägerin habe keine Vertragspflicht schuldhaft verletzt.7 Grundsätzlich stelle eine eigenmächtige Urlaubsverlängerung nach abgelehntem Urlaubsantrag zwar einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.8 Doch für die Klägerin habe in der letzten Woche ihrer Hadsch nach § 275 Abs. 3 BGB keine Arbeitspflicht bestanden.9 Sie habe sich in einer Pflichtenkollision befunden, denn sie sei verpflichtet gewesen einerseits nach ihrem Arbeitsvertrag zu arbeiten und andererseits nach ihrer Religion die Hadsch anzutreten.10 Diese hätte zwar auch in kürzerer Zeit absolviert werden können, doch die Klägerin habe die längere Hadsch erst gebucht, nachdem sie sich bei ihrem Vorarbeiter vergewissert habe, einige Tage unbezahlten Urlaub nehmen zu können.11 Als dieser kurz vor Reiseantritt abgelehnt worden sei, habe die Klägerin nur die Wahl gehabt, entweder die Pilgerfahrt komplett zu stornieren oder ihren Urlaub zu überziehen, da ein vorzeitiger Rückflug aus organisatorischen Gründen nicht in Betracht gekommen sei.12 Deshalb sei die Arbeitsleistung der Klägerin in der letzte Woche der Hadsch nicht zumutbar gewesen.13

Selbst wenn der § 275 Abs. 3 BGB nicht einschlägig wäre, sei bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung aufgrund der gebotenen Interessenabwägung von einem überwiegenden Interesse der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnis auszugehen.14 Während die Klägerin auf ihre Pflichtenkollision im Urlaubsantrag hingewiesen habe, habe die Beklagte nicht begründet, warum der Klägerin ein unbezahlter Urlaub nicht gewährt werden konnte.15 Darüber hinaus habe die Beklagte zu der Pflichtenkollision der Klägerin beigetragen, da der Vorarbeiter die Gewährung eines unbezahlten Urlaubs in Aussicht gestellt hatte.16 Zudem habe sich die Klägerin mental auf die Pilgerfahrt vorbereitet.17 Schließlich bestehe keine Widerholungsgefahr, da die Hadsch im Leben eines Muslim ein singuläres Ereignis darstelle.18

Da es schon an der sozialen Rechtfertigung für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung fehle, liege erst recht kein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor.19 Des Weiteren seien die Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen, da dieser keine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei sowie ihre Vergütung nachzuzahlen.20

Einordnung in die Rechtsprechung
Das Urteil steht im Einklang mit einem Urteil des LAG Hamm, in dem der Kläger seinen Urlaub um drei Wochen überzog, um eine Hadsch durchzuführen. In diesem Urteil wurde zwar eine schwerwiegende Vertragsverletzung des Klägers angenommen.21 Doch seine Kündigung wurde nach einer umfassenden Interessenabwägung als nicht sozial gerechtfertigt angesehen, weil der Kläger aus der Motivation heraus gehandelt hatte, eine tragende sowie unaufschiebbare Glaubenspflicht zu erfüllen.22 Auch in einem Urteil des ArbG Köln wurde festgestellt, dass der Klägerin wegen einer Selbstbeurlaubung für die Hadsch aufgrund ihres Glaubens- und Gewissenskonflikts nicht außerordentlich gekündigt werden konnte.23


1 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 3 f.

2 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 7.

3 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 10.

4 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 11.

5 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 12 f.

6 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 17-27.

7 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 38, 40.

8 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 41.

9 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 43.

10 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 48.

11 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 48.

12 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 48.

13 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 48.

14 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 53.

15 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 57.

16 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 57.

17 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 58.

18 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 58.

19 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 38.

20 ArbG Herford v. 18.06.2013 – 1 Ca 1457/12, Rn. 62 f., 66 ff.

21 LAG Hamm v. 30.05.1990 – 15(20) Sa 1800/89.

22 LAG Hamm v. 30.05.1990 – 15(20) Sa 1800/89.

23 ArbG Köln v. 12.08.2008 – 17 Ca 51/08.


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