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Muslime im Sexualkundeunterricht?

MÜSSEN MUSLIMISCHE SCHÜLER AM SEXUALKUNDEUNTERRICHT TEILNEHMEN?

Kurzantwort: Die Teilnahme am Unterricht, inklusive dem Sexualunterricht, gehört zu den Schülerpflichten, weshalb die Schüler grundsätzlich teilnehmen müssen. Jedoch muss die Schule durch Zurückhaltung und Toleranz darauf achten, dass keine Glaubenskonflikte für Schüler und Eltern entstehen. Die Schule darf den Schülern gegenüber nicht ein bestimmtes Sexualverhalten befürworten oder ablehnen.

Mit der Aufnahme in einer öffentlichen Schule wird ein öffentlich-rechtliches Schulverhältnis begründet, aus dem sich Rechte und Pflichten für die Schüler ergeben.Die Teilnahme am Unterricht, inklusive dem Sexualkundeunterricht, gehört zu den Schülerpflichten.2  Eine Befreiung hiervon zu erhalten, hat in der Regel wenig Aussicht auf Erfolg.
Beim Sexualkundeunterricht können zweifelsfrei religiöse oder weltanschauliche Vorstellungen einzelner Schüler tangiert werden.3   Ebenso betroffen kann das elterliche Erziehungsrecht sein, soweit das Kind noch nicht das 14. Lebensjahr erreicht hat und religionsunmündig ist.4  Schließlich haben die Eltern grundsätzlich das Recht über die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu entscheiden.5   Durch die Pflicht, am Sexualkundeunterricht teilzunehmen, kann folglich die Religionsfreiheit des muslimischen Schülers gemäß Artikel 4 des Grundgesetzes oder das elterliche Erziehungsrecht aus Artikel 6 des Grundgesetzes verletzt sein.6
Allerdings obliegt dem Staat ein Erziehungsauftrag.7   Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, garantiert durch Artikel 7 des Grundgesetzes, verleiht dem Staat Befugnisse zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischer Ausgestaltung des Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie des dort erteilten Unterrichts. Darunter fällt ebenfalls die Befugnis, den Unterrichtsinhalt festzulegen.8   Mit dem staatlichen Erziehungsauftrag zielt der Staat nicht nur auf die bloße Wissensvermittlung an junge Menschen ab, sondern möchte diese hiermit zu selbstverantwortlichen und verantwortungsbewussten Staatsbürgern heranziehen, die an den „demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft“ teilhaben.9   Dem Staat ist es dabei verwehrt, seine Bürger in eine bestimmte ideologisch, politische oder religiöse Richtung zu beeinflussen, indem er sich mit einer bestimmten Weltanschauung identifiziert.10   Schließlich kann hierdurch der religiöse Frieden der Gesellschaft gefährdet werden. 11   Dies wäre beim Sexualkundeunterricht bei einer Indoktrination der Fall, indem beispielsweise ein bestimmtes Sexualverhalten befürwortet oder abgelehnt wird.12
So können die Eltern zwar bei der schulischen Sexualerziehung nicht mitbestimmen, vor allem nicht über das „ob“ und „wie“ entscheiden, aber sie können Zurückhaltung, Toleranz, Achtung des natürlichen Schamgefühls der Kinder sowie Rücksicht auf religiöse und weltanschauliche Überzeugungen erwarten.13   Der Schule ist es nicht erlaubt zu indoktrinieren, beispielsweise indem sie ein bestimmtes Sexualverhalten befürwortet oder ablehnt.14
Das Bundesverwaltungsgericht führte dazu aus, dass etwa die Anleitung zur Toleranzübung gegenüber unterschiedlicher sexueller Orientierungen ein anerkanntes staatliches Ziel sei.15   Darüber hinaus werde durch die frühzeitige Information der Eltern über das Ziel und den Inhalt der Sexualerziehung gewährleistet, dass diese dann entsprechend ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugung ebenfalls auf ihre Kinder einwirken könnten.16   Die Eltern bekommen auf diese Weise die Möglichkeit, ihren Kindern gezielt ihre Sicht über Enthaltsamkeit und ihre Vorstellung zum Thema Lebensentwurf vermitteln zu können.17   Im Ergebnis ist die Rechtsprechung der Auffassung, dass ein diesen Grundsätzen entsprechend erteilter Sexualkundeunterricht den Ansprüchen der Eltern genüge und daher in der Regel keine Ausnahmegenehmigung zur Befreiung vom Sexualkundeunterricht aus religiösen Gründen zuzusprechen sei.18
Unberührt hiervon bleiben andere Gründe, die die Teilnahme am Unterricht begründet verhindern können, z.B. wegen Krankheit. So entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, dass eine muslimische Schülerin krankheitsbedingt nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen müsse, weil sie sich in ihrer Angst, ihren religiösen Verpflichtungen während der Klassenfahrt nicht nachkommen zu können, in einer vergleichbaren Situation wie einer partiell psychisch Behinderten befunden hätte.19

Siehe beispielsweise § 69 Abs. 1 HessSchulG.

Siehe beispielsweise § 69 Abs. 4 S. 1 HessSchulG.

OVG NRW, Urteil v. 05.09.2007, Az. 19 A 2705/06, Rn. 45.

OVG NRW, Urteil v. 05.09.2007, Az. 19 A 2705/06, Rn. 45, 47.

5 OVG NRW, Urteil v. 05.09.2007, Az. 19 A 2705/06, Rn. 45, 47.

6 OVG NRW, Urteil v. 05.09.2007, Az. 19 A 2705/06, Rn. 45 ff.

7 OVG NRW, Urteil v. 05.09.2007, Az. 19 A 2705/06, Rn. 49, 51.

8 BVerwG, Urteil v. 11.09.2013, Az. 6 C 25.12, Rn.  11.

9 BVerfG, Beschluss v. 21.12.1977, Az. 1 BVL 1/75, 1 BVR 147/75, Rn. 99; Kloepfer, Verfassungsrecht II, Grundrechte, 1. Aufl. 2010, § 60 Rn. 61.

10 BVerfG, Beschluss v. 21.07.2009, Az. 1 BvR 1358/09, Rn.  15.

11 BVerfG, Beschluss v. 21.07.2009, Az. 1 BvR 1358/09, Rn.  15.

12 BVerfG, Beschluss v. 21.07.2009, Az. 1 BvR 1358/09, Rn.  15.

13 BVerfG, Beschluss v. 21.12.1977, Az. 1 BVL 1/75, 1 BVR 147/75, Rn. 112.

14 BVerfG, Beschluss v. 21.12.1977, Az. 1 BVL 1/75, 1 BVR 147/75, Rn. 111 f.; BVerwG, Urteil v. 22.03.1979, Az. 7 C 8.73, Rn. 23; BVerwG, Beschluss v. 07.10.2003, Az. 6 B 41.03, Rn. 6; BVerwG, Urteil v. 08.05.2008, Az. 6 B 64.07, Rn.  8.

15 BVerwG, Urteil v. 08.05.2008, Az. 6 B 64.07, Rn. 11.

16 BVerwG, Urteil v. 08.05.2008, Az. 6 B 64.07, Rn. 15.

17 BVerwG, Urteil v. 08.05.2008, Az. 6 B 64.07, Rn. 15.

18 BVerwG, Urteil v. 08.05.2008, Az. 6 B 64.07, Rn.  9.

19 OVG NRW, Beschluss v. 17.01.2002, Az. 19 B 99/02, Rn.  7.

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