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Schöffin mit Kopftuch

KG Berlin v.  09.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12) 

Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft Berlin legte Revision gegen ein Urteil des AG Tiergarten ein. An der Fällung des erstinstanzlichen Urteils war eine muslimische Schöffin beteiligt, die ein Kopftuch trug.1 Mit ihrer Revision vor dem KG Berlin rügte die Staatsanwaltschaft u.a. die Verletzung formellen Rechts nach § 338 Nr. 1 StPO, da das Gericht ihrer Ansicht nach wegen der kopftuchtragenden Schöffin nicht vorschriftsgemäß besetzt war.2

Gründe
Das Gericht verwarf die Revision.3 Das Tragen eines religiös begründeten Kleidungsstücks, hier des Kopftuchs, könne keine Unfähigkeit zum Schöffenamt nach § 32 GVG begründen.4 Es ergebe sich aus § 34 Nr. 6 GVG, dass der Gesetzgeber nicht grundsätzlich Personen, die religiös motivierte Kleidungsstücke tragen, vom Schöffenamt ausschließen wolle.5 Schließlich werde nach dieser Vorschrift Ordensleuten und Priestern, die ebenfalls aufgrund religiöser Vorschriften eine bestimmte Art von Bekleidung tragen und in dieser unter Umständen an einer gerichtlichen Hauptverhandlung teilnehmen, gerade nicht die Fähigkeit abgesprochen, das Schöffenamt zu bekleiden.6 Es könne aus § 32 GVG auch nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung eine Unfähigkeit zum Schöffenamt für kopftuchtragende Musliminnen abgeleitet werden, da jeder Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einer hinreichend konkreten Gesetzesgrundlage bedürfe.7 Zudem habe der BGH bezüglich der Streichung von Schöffen bereits entschieden, dass diese nur unter den engen Voraussetzungen des § 52 GVG erfolgen könne, die ohne gesetzliche Regelung nicht erweitert werden könnten.8

Des Weiteren könnten die für Berufsrichter geltenden Grundsätze nicht auf Schöffen übertragen werden, weil diese nicht in einem Beamten- oder sonstigen Dienstverhältnis zum Staat stünden, sondern ein Ehrenamt ausübten.9 Außerdem sehe § 36 Abs. 2 S. 1 GVG vor, dass in den Vorschlagslisten zur Schöffenwahl alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Stellung angemessen zu berücksichtigen seien, so dass Personen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit nicht von vornherein ausgeschlossen werden dürften.10 Dies erfordere auch der Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber Religionen nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 WRV sowie Art. 33 Abs. 3 GG, wonach der Genuss staatsbürgerlicher Rechte, zu denen das Recht, das Schöffenamt auszuüben gehöre, unabhängig vom religiösen Bekenntnis sei und niemandem aus seiner Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis ein Nachteil erwachsen dürfe.11

Einordnung in die Rechtsprechung
Die Entscheidung entspricht im Ergebnis einem Beschluss des LG Bielefeld , wonach eine kopftuchtragende Muslimin nicht vom Schöffenamt ausgeschlossen werden dürfe.12 Auch in der Literatur fand der Beschluss Zustimmung.13

Anderer Ansicht war das LG Dortmund in einem Beschluss aus 2006, wonach eine kopftuchtragende Schöffin von der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden müsse, da das religiös motivierte Kopftuch die Neutralität und Objektivität des Gerichts verletze sowie der „Würde des Gerichts als Organ dieses Staates und seiner Gesellschaft” entgegenstünde.14 In der Literatur wurde die Entscheidung stark kritisiert.15

In einem anderen Fall aus 2007 sprach das LG Dortmund erneut einer kopftuchtragenden Muslimin die Fähigkeit zum Schöffenamt ab, da sie erklärte, nach ihrer Überzeugung würden Frauen im Vergleich zu Männern eine verminderte Glaubwürdigkeit zukommen.16 Das LG Dortmund folgte daraus, dass sie somit nicht das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG einhalten und damit nicht ihre Pflichten als ehrenamtliche Richterin getreu dem Grundgesetz erfüllen könne.17 Die Streichung von der Schöffenliste erfolgte in diesem Fall also nicht aufgrund des Tragens eines religiös motivierten Kopftuchs und bestätigt deshalb nicht die Entscheidung des LG Dortmund aus 2006.


1 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 3.

2 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 1.

3 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 2, 10.

4 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 5.

5 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 5.

6 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 5.

7 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 6.

8 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 7.

9 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 8.

10 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 8.

11 KG Berlin v. 9.10.2012 – (3) 121 Ss 166/12 (120/12), Rn. 8.

12 LG Bielefeld v. 16.03.2006 – 3221 b E H 68, Rn. 11 ff.

13 Groh, NVwZ 2006, 1023 ff.; Bader, NJW 2007, 2964 ff.

14 LG Dortmund v. 07.11.2006 – 14 (VIII) Gen Str K.

15 Bader, NJW 2007, 2964, 2965.

16 LG Dortmund v. 12.02.2007 – 14 Gen Str K 12/06, Rn. 4 ff.

17 LG Dortmund v. 12.02.2007 – 14 Gen Str K 12/06, Rn. 3, 7.

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