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Medikamentenausgabe in der JVA während des Ramadans

BVerfG v. 29. Juli 2014 - 2 BvR 1491/14

Sachverhalt
Der muslimische Beschwerdeführer war in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht und erhielt täglich um 10:30 Uhr aufgrund ärztlicher Anordnung das Drogensubstitut Polamidon.1 Vor Beginn des Ramadans forderte er eine Zusage der Justizvollzugsanstalt, ihm während des Ramadans das Medikament so früh wie möglich, also um 6 oder 7 Uhr morgens auszugeben. Nachdem die Justizanstalt dem nicht nachkam, stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung, die Justizvollzugsanstalt entsprechend zu verpflichten.2 Zudem stellte er einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 2 StVollzG mit demselben Inhalt, da er keine rechtzeitige Entscheidung in der Hauptsache erwartete.3 Das LG Krefeld wies den Eilantrag mit der Begründung zurück, dass der Antrag auf vollständige Befriedigung des Rechtsbegehrens des Beschwerdeführers abziele, was nicht möglich sei, da ansonsten die endgültige Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen werden würde.4 Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim BVerfG.

Gründe
In seiner Entscheidung stellte das BVerfG fest, dass der Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt wurde.5 Aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebe sich, dass sich der Eilrechtsschutz nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen müsse.6 Dementsprechend könne im Einzelfall auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache zugunsten des Antragstellers vorwegnehme, zulässig und geboten sein.7 Diese Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes verkenne das LG bei der Auslegung und Anwendung des § 114 Abs. 2 StVollzG.8 Das LG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass hier § 114 Abs. 2 S. 2 StVollzG i.V.m. § 123 VwGO einschlägig sei, verkenne aber, dass das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache in diesem Anwendungsfall nicht ausnahmslos gelte.9 Vielmehr habe das LG die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache prüfen müssen und dabei feststellen müssen, ob Gründe für einen unzumutbaren Nachteil vorgetragen wurden.10 Solche Gründe habe der Beschwerdeführer dargelegt, so dass der Erlass der einstweiligen Anordnung i.S.v. § 114 Abs. 2 S. 2 StVollzG, § 123 Abs. 1 VwGO geboten gewesen sei.11

Einordnung in die Rechtsprechung
Im Konfliktbereich Strafvollzug und Religionsausübung legen die Instanzgerichte in der Regel einen strengen Maßstab an die Beeinträchtigung der Religionsfreiheit an, so dass die Entscheidung des BVerfG durchaus Signalwirkung hat. So entschied das KG, dass eine Haftanstalt nicht verpflichtet ist, auf religiöse Speisevorschriften Rücksicht zu nehmen, mithin “halal” Kost anzubieten,12 und in einem anderen Verfahren, dass einem buddhistischen Strafgefangenen der Gebrauch von Räucherstäbchen für die Abhaltung buddhistischer Gebete untersagt werden darf.13 Das OLG Stuttgart entschied, dass die Strafvollzugsanstalt dem Strafgefangenen keinen Ausgang für externe Gottesdienste gewähren muss, sondern eine solche Gewährung im Ermessen der Anstalt liegt.14 Eine weitere Entscheidung traf das OLG Koblenz, wonach sich ein muslimischer Strafgefangener unter Berufung auf ein religiöses Gebot zwar nicht vollständig entblößen muss, aber wegen dieser Weigerung vom Arbeitsplatz abgelöst werden darf.15


1 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 2.

2 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 2.

3 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 4.

4 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 5; LG Krefeld v. 23.06.2014 - 22 StVK 352/14.

5 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 13.

6 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 14.

7 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 14.

8 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 15.

9 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 17, 19.

10 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 19.

11 BVerfG v. 29.07.2014 - BvR 1491/14, Rn. 19.

12 KG v. 25.09.2019 - 5 Ws 121/19 Vollz.

13 KG v. 10.11.2006 - 5 Ws 597/06.

14 OLG Stuttgart v. 18.09.1989 - 4 Ws 243/89.

15 OLG Koblenz v. 02.10.1985 - 2 Vollz (WS) 15/85.

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