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Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten

BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99 „Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten (Schächten)“

Sachverhalt
Ein muslimischer Metzger, der aus religiösen Gründen für seine Kunden warmblütige Tiere ohne vorherige Betäubung schlachten wollte, legte Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung einer Ausnahmegenehmigung nach § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG ein, die ihm ein Schlachten nach religiösem Ritus ermöglicht hätte. Seine gegen die Ablehnung erhobenen Klagen blieben erfolglos.1 Der Metzger argumentierte, dass das Schächtgebot für ihn und seine Kunden eine zwingende Vorschrift i.S.d. § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG darstelle, weshalb die Versagung der Ausnahmegenehmigung nicht nur seine Berufsfreiheit, sondern auch seine Glaubensfreiheit betreffe.2

Gründe
Das BVerfG entschied, dass der Metzger in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt ist.3 Vorrangig sei die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers betroffen, dessen Schutzbereich sich nach Art. 2 Abs. 1 GG bestimme, da der Beschwerdeführer Nichtdeutscher sei.4 Da das Schächten für den Beschwerdeführer nicht nur Mittel zur Gewinnerzielung, sondern auch Ausdruck seiner religiösen Verpflichtung sei, werde die Berufsfreiheit des Beschwerdeführers durch den Freiheitsgehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verstärkt.5 Obgleich der Gesetzgeber das Schächten zum Zwecke des Tierwohles6 unter den Vorbehalt einer Ausnahmegenehmigung gestellt habe, um eine verstärkte Kontrolle zu ermöglichen,7 sei den Tieren nicht jede Beeinträchtigung von Gesetzes wegen zu ersparen.8 Den verfassungsrechtlichen Positionen des Beschwerdeführers trugen die angegriffenen Entscheidungen in dieser Hinsicht nicht ausreichend Rechnung.9 Die Tatbestandsvoraussetzung „Religionsgemeinschaft“ des § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG sei nicht etwa im Sinne einer den Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen Körperschaft entsprechenden Weise auszulegen. Ausreichend sei vielmehr, dass der Antragssteller einer Gruppe von Menschen angehöre, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbinde.10 Er müsse also substantiiert und nachvollziehbar darlegen, dass nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung der Mitglieder einer Gemeinschaft der Verzehr von Fleisch zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetze.11Allein die Tatsache, dass der Islam auch Regeln kenne, die eine Abweichung von der betäubungslosen Schlachtung zuließen, genüge nicht um den zwingenden Charakter der Glaubensvorschrift zu verneinen.12 Durch die Überprüfung der Sachkunde und der persönlichen Eignung des Antragsstellers und durch Nebenbestimmungen und ihrer Überwachung könne und müsse dem Tierwohl in diesem Fall ausreichend Rechnung getragen werden.13

Einordnung in die Rechtsprechung
Die Entscheidung des BVerfG ist Basis für einen sehr restriktiven Umgang mit Ausnahmegenehmigungen zur betäubungslosen Schlachtung aus religiösen Gründen. Mit zwei Entscheidungen des EuGHs aus den Jahren 2019 und 2020 wurde die Rechtsprechung zum Schächten nochmal verschärft.14

In der Entscheidung aus 2019 ging es um die Frage, ob Fleisch, das von Tieren gewonnen wurde, die ohne vorherige Betäubung geschlachtet wurden, den Vorgaben für eine Zertifizierung mit einem EU-Bio-Siegel entspricht. Der EuGH hat dies verneint, so dass es für muslimische Metzger nicht mehr möglich ist, durch eine betäubungslose Schlachtung gewonnenes Fleisch mit einem Bio-Siegel zu versehen, selbst wenn alle anderen Voraussetzungen hierfür vorliegen.15

Dagegen dürfte die Entscheidung aus dem Jahr 2020 in Deutschland keine Auswirkungen haben.16 Hier hatte der EuGH zu Gunsten des belgischen Gesetzgebers entschieden, dass er entgegen Art. 4 Abs. 4 der EU-Schlachtverordnung17 ein betäubungsloses Schlachten vollständig verbieten kann und die Möglichkeit der Schlachtung mittels einer Elektrokurzzeitbetäubung die Interessen der muslimischen und jüdischen Bevölkerung ausreichend berücksichtige. Das BVerfG gewichtet die Religionsfreiheit bisher stärker als der EuGH, so dass sich für Muslime und Juden in Deutschland durch die Entscheidung keine Änderungen ergeben.


1 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 14.

2 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 19 ff.

3 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 30.

4 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 31 f.

5 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 32.

6 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 45.

7 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 40.

8 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 46.

9 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 51 ff.

10 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 55.

11 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 57.

12 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 57.

13 BVerfG v. 15.01.2002 – 1 BvR 1783/99, Rn. 57.

14 EuGH v. 17.12.2020 – C-336/19; EuGH v. 26.02.2019 – C-497/17.

15 Vgl. die Stellungnahme hierzu: https://www.recht-islam.de/stellungnahmen/stellungnahme-zum-eugh-urteil-vom-26022019-in-der-rechtssache-oaba-ministre-de-lagriculture-et-de-lalimentation-ua/.

16 Vgl. die Stellungnahme hierzu: https://www.recht-islam.de/stellungnahmen/stellungnahme-zum-eugh-urteil-c-336-19-vom-17122020-in-der-rechtssache-centraal-israeli-tisch-consistorie-van-belgie-u-a/

17 Verordnung EG Nr. 1099/2009 - Abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1099&from=ES – zuletzt abgerufen am 02.07.2022.

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