
Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht in der Grundschule
Eine Begründung allein in der Form, die Familie praktiziere eine strengere Form des islamischen Glaubens, in der es ihnen geboten sei schon ab dem 7. Lebensjahr vorsorgend die Kinder von Versuchungen in sexueller Hinsicht zu bewahren, reicht nicht aus, um einen besonderen Grund gem. § 43 Abs. 3 SchulG NRW für die Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht zu bejahen. (Leitsatz der Redaktion)
Urteil nimmt Bezug auf:
Beschluss: Die Beschwerden werden zurückgewiesen. Die Antragsteller tragen die Kosten der Beschwerdeverfahren. […] |
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Gründe: Die Prozesskostenhilfebeschwerde 19 E 1161/08 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Der Eilantrag bietet aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO). | 1 2 |
Die Eilbeschwerde 19 B 1362/08 ist gemäß § 146 Abs. 1 und 4 VwGO zulässig, aber unbegründet. Insoweit ist die Prüfung des Senats auf diejenigen Gründe beschränkt, die die Antragsteller innerhalb der einmonatigen Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegt haben (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Diese Gründe rechtfertigen es nicht, den angefochtenen Beschluss zu ändern und der Antragsgegnerin aufzugeben, die 9-jährige Tochter S. der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig von der Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht in der 4. Klasse der Grundschule zu befreien. | 3 |
Ohne Erfolg erneuern die Antragsteller in der Beschwerdebegründung zunächst ihre Rechtsauffassung, der wichtige Grund für die Befreiung liege unter anderem in der von ihnen befürworteten strengen Auslegung der islamischen Glaubensquellen, wonach ihnen geboten sei, ihre Tochter schon ab dem 7. Lebensjahr, also vor der Pubertät vorsorgend vor Versuchungen in sexueller Hinsicht zu bewahren. […] Ein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift liegt […] erst dann vor, wenn sowohl die Schule als auch die Eltern und ihr Kind den Konflikt zwischen dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG einerseits und dem Elternrecht auf religiöse Kindererziehung aus Art. 6 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG andererseits im konkreten Einzelfall auch durch zumutbare Maßnahmen nicht zu einem schonenden Ausgleich führen können (Grundsatz der praktischen Konkordanz). Das hat im Ansatz bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt und hierfür auf die höchstrichterliche Rechtsprechung und diejenige des Senats Bezug genommen. […] | 4 |
Jedenfalls für muslimische Mädchen im Grundschulalter gehört zu den zumutbaren Maßnahmen in diesem Sinn entgegen der Auffassung der Antragsteller grundsätzlich auch das Tragen einer den islamischen Bekleidungsvorschriften entsprechenden Schwimmkleidung. Auch dies hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt. Die Rügen, die die Antragsteller in ihrer Beschwerdebegründung hiergegen erheben, greifen nicht durch. | 6 |
[…] Sowohl in islamisch geprägten Ländern als auch in Deutschland ist es inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr, dass muslimische Frauen und Mädchen beim Schwimmen eine den islamischen Bekleidungsvorschriften als konform angesehene Schwimmbekleidung tragen. Jedenfalls seit einigen Jahren gibt es als taugliche Bade- und Schwimmbekleidung für muslimische Mädchen und Frauen etwa einen zweiteiligen Badeanzug mit hoch geschlossenem Kragen und fest sitzender Kopfbedeckung (u. a. sog. Burkini); er bedeckt den ganzen Körper bis auf Hände, Füße und das Gesicht, ohne das Schwimmen zu behindern. Das Textilmaterial ist aus Kunstfaser (z. B. Lycra); es verhindert auch im nassen Zustand ein enges Anhaften an der Haut und ein Abzeichnen der Körperkonturen. […] | 7 |
Auch für den Schwimmunterricht der Grundschule sieht der Senat das Tragen derartiger Schwimmbekleidung grundsätzlich als eine zumutbare und diskriminierungsfreie Ausweichmöglichkeit an, die geeignet ist, einen hier im Einzelfall auftretenden Glaubenskonflikt ohne Verzicht auf dessen koedukativen Charakter und ohne Befreiung von der Teilnahme daran zu bewältigen. Der Senat findet auch keinen Anhaltspunkt dafür, hiervon für die Tochter der Antragsteller eine einzelfallbezogene Ausnahme zu machen. Insbesondere muss sie nach den Umständen des Falles nicht etwa befürchten, wegen des Tragens solcher Schwimmbekleidung von Mitschülern in eine Außenseiterrolle gedrängt oder verständnislosen, beleidigenden oder sonst diskriminierenden Reaktionen ausgesetzt zu werden. Denn nach ihren eigenen Angaben trägt sie auch im Sportunterricht und im sonstigen Unterricht eine weite, ihre Körperkonturen verhüllende Bekleidung und befolgt damit die von ihrer Familie praktizierte strenge Auslegung der Glaubensinhalte des Korans. Dies lässt den Schluss zu, dass ihre Mitschüler sie schon jetzt als ein Mädchen kennen, das die islamischen Bekleidungsvorschriften innerhalb und außerhalb der Schule konsequent befolgt. Sie hat nicht geltend gemacht, deswegen bisher unangemessen behandelt worden zu sein. | 9 |
Sollte es gleichwohl aus Anlass der Teilnahme der Antragstellerin am Schwimmunterricht erstmals zu Reaktionen der genannten Art bei Mitschülern kommen, ist es selbstverständlich auch dort die Pflicht der Lehrkräfte, auf diese Mitschüler mit dem Ziel pädagogisch einzuwirken, der Tochter verständnisvoll, tolerant und respektvoll zu begegnen. […] | 10 |
Die Beschwerderügen geben dem Senat keine Veranlassung zu einer näheren Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1993 zur Teilnahme am Sportunterricht. Der Senat weist insoweit lediglich darauf hin, dass auch das Bundesverwaltungsgericht einen Befreiungsanspruch im rechtlichen Ausgangspunkt für den Fall verneint hat, dass der Glaubenskonflikt mit weniger weit reichenden Maßnahmen oder Vorkehrungen vermieden oder gelöst werden könne. Als Vorkehrungen dieser Art hat es ausdrücklich auch eine besondere Sportbekleidung angesprochen. […] | 14 |