© Amir Bajrich/Shutterstock.com

Gebet in der Schulpause

BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10

Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Sachverhalt untersagte eine öffentliche Schule einem muslimischen Schüler in der Schule das Gebet zu verrichten. Nach erfolgreicher Klage vor dem VG unterlag der Schüler vor dem OVG, worauf er Revision beim BVerwG einlegte.1 Er begehrte die Feststellung, dass er berechtigt sei, zu den für ihn religiös verbindlichen Zeiten2 das islamische Gebet in der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden auf dem Flur des Schulgebäudes mit anderen muslimischen Schülern zu verrichten.3

Gründe
Das BVerwG wies die Revision zurück.4 Es stellte aber fest, dass das Gebet des muslimischen Schülers in den Schutzbereich der verfassungsrechtlich garantierten Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG falle.5 Der Schutzbereich erstrecke sich auch auf die freie Wahl des Ortes des Gebetes,6 ohne dem Kläger einen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Räumen zu verschaffen.7 Ihm sei aber die Ausübung seiner Religion immer dort gestattet, wo er tatsächlich Zugang finde.8 Dies gelte auch grundsätzlich für die Schule, in die der Schüler seine Persönlichkeitsrechte einbringe.9 Dabei würden im konkreten Fall weder die negative Glaubensfreiheit der Mitschüler oder Lehrer, noch das elterliche Erziehungsrecht noch die staatliche Neutralität das Recht des Klägers einschränken.10 Das Zusammentreffen mit dem betenden Kläger beschränke sich für Mitschüler und Lehrer auf eine flüchtige Begegnung, dem sie ausweichen könnten.11 Das elterliche Erziehungsrecht gehe indes nicht weiter als die negative Religionsfreiheit der Mitschüler.12 Auch die staatliche Neutralität verlange keine von jeglichen religiösen Bezügen freie Schule.13 Vielmehr sei es die Aufgabe der Schule unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Realitäten religiöse und weltanschauliche Zusammenhänge zu vermitteln, ohne sie in die eine oder andere Richtung zu bewerten.14 Lediglich der Schulfrieden als Gemeinschaftswert von Verfassungsrang könne im vorliegenden Fall die vorbehaltlos gewährleistete Glaubensfreiheit einschränken.15 Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag gemäß Art. 7 Abs. 1 GG setze die Wahrung des Schulfriedens voraus, der auch durch religiös motiviertes Verhalten beeinträchtigt sein könne.16 Da es in der Schule des Klägers bereits zu Konflikten zwischen Religionen gekommen sei, würde die Zulassung des Gebetes die bereits konkrete Gefährdung des Schulfriedens weiter verstärken.17 Grundsätzlich sei es aber der Schulverwaltung verwehrt, ohne Rücksicht auf die konkrete Gefährdung des Schulfriedens im Einzelfall bereits vorbeugend die Verrichtung von Gebeten oder andere kultische Handlungen zu verbieten.18 Ferner sei die Schule gehalten, solchen Konflikten zuvörderst durch erzieherische Mittel entgegenzusteuern, um ein tolerantes Miteinander herbeizuführen,19 denn nicht der Schüler, der ohne bewusste Provokationsabsicht bete, störe den Schulfrieden, sondern derjenige der an dieser Handlung Anstoß finde.20 Da aber in der Schule des Klägers erzieherische Maßnahmen bereits in der Vergangenheit ohne Erfolg blieben, seien andere Maßnahmen außer dem Verbot nicht erfolgsversprechend und deshalb geboten.21

Einordnung in die Rechtsprechung
Die vorliegende Entscheidung stellt klar, dass ein Gebetsverbot in der Schule die Ausnahme bleiben muss und zuvörderst alle erzieherischen Mittel ausgeschöpft werden müssen, um ein gemeinsames und tolerantes Miteinander zu vermitteln und eine eventuell bestehende Konfliktlage zu entschärfen. Solange im Einzelfall der Schulfrieden der Schule nicht konkret gefährdet ist und die Begegnung mit den betenden Schülern eine flüchtige und ausweichliche Situation bleibt, ist das Gebet der muslimischer Schüler in der Schule erlaubt.


1 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 5 f.

2 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 19.

3 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 1 f.

4 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 9.

5 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 17 ff.

6 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 20.

7 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 23.

8 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 23.

9 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 24 ff.

10 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 27.

11 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 30.

12 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 33.

13 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 36.

14 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 36.

15 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 41 ff.

16 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 42.

17 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 43 f.

18 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 40.

19 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 53.

20 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 54.

21 BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 55 f.

Um Ihnen ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies. Durch Nutzung dieser Seite stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.