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Gebet auf der Arbeit

LArbG Hamm v. 18.01.2002 – 5 Sa 1782/01

Sachverhalt
Ein muslimischer Arbeitnehmer legte Berufung gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts ein, das ihm einen Anspruch gegenüber seinem Arbeitgeber versagte, während der Arbeitszeit zum Zwecke des Morgengebetes eine dreiminütige Gebetspause zwischen 06:00 und 08:00 Uhr einzulegen.1 Der Kläger arbeitete bei einem Arbeitgeber, der auf dem Gebiet der Oberflächenveredlung tätig war.2 Er musste am Fließband beschichtete Teile aus einer Aushängung ausklinken.3 Der Arbeitnehmer trug vor, es sei für ihn verbindlich, auch zu den Arbeitszeiten seinen Gebeten nachzugehen und eine dreiminütige Pause störe den betrieblichen Ablauf nicht erheblich.4 Diesem Vortrag trat der Arbeitgeber entgegen und behauptete seinerseits, eine dreiminütige Pause würde sehr wohl den betrieblichen Ablauf störe, da die Einzelteile immer nur zu zweit abgenommen werden könnten und deshalb stets zwei Mitarbeiter am Fließband zugegen sein müssten.5

Gründe
Das Landesarbeitsgericht Hamm wies die Klage als unbegründet ab.6 Ein Anspruch auf eine Gebetspause könne sich aus § 616 BGB bzw. § 242 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag ergeben.7 Die Erfüllung einer vorrangigen religiösen Verpflichtung, die nur drei Minuten in Anspruch nehme, führe i.S.d. § 616 Satz 1 BGB zu einer Arbeitsverhinderung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Ferner verpflichte § 242 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag die Vertragsparteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme, was eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte miteinschließe.8 Der muslimische Kläger könne sich bzgl. seines Gebetes also auch gegenüber seinem Arbeitgeber auf Art. 4 Abs. 2 GG berufen, da er ausreichend glaubhaft gemacht habe, dass er sich verpflichtet sehe, seiner Religion wegen das Morgengebet in der vorgegebenen Zeitspanne abzuhalten.9 Zwar könne auf diesen Schutz beim Abschluss des Arbeitsvertrages verzichtet werden, jedoch könne dies, allein schon aufgrund der geringen Verhandlungsstärke des Arbeitnehmers, nicht konkludent geschehen und der Arbeitnehmer habe auch keine Offenbarungspflicht diesbezüglich.10 Eine Pflicht zur Offenbarung könne nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seines religiösen Bekenntnisses die vertraglich geschuldete Leistung überhaupt nicht oder nur erheblich eingeschränkt erbringen könnte, was vorliegend nicht der Fall sei.11 Der muslimische Kläger habe aber im vorliegenden Fall nicht glaubhaft machen können, dass sein Anspruch auf Religionsausübung gegenüber den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Positionen des Arbeitgebers aus Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG überwiegt.12 Grundsätzlich sei der Arbeitgeber zwar verpflichtet, durch zumutbare betriebliche Organisationsmaßnahmen die Religionsausübung zu gewährleisten.13 Außerdem müsse in der Regel ein Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen Positionen der Vertragsparteien hergestellt werden.14 Der muslimische Kläger hätte jedoch durch seinen Tatsachenvortrag nicht glaubhaft machen können, dass er seine dreiminütige Gebetspause ohne betriebliche Störungen ausüben könnte. Aus diesem Grunde habe vorliegend die Vertragstreue Vorrang und der Arbeitnehmer sei dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen.15

Einordnung in die Rechtsprechung
Das Urteil befindet sich im Einklang mit einer späteren Entscheidung des BAG aus dem Jahre 2011, bei der es um die Frage ging, ob ein Arbeitnehmer Arbeiten ablehnen darf, die in Konflikt mit seiner Religion stehen.16 Letztlich gilt als Leitlinie, dass der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse geltend machen kann, seine religiösen Ge- und Verbote auch während der Arbeitszeit einzuhalten. So ist eine kurze Gebetspause von drei Minuten eine unerhebliche Leistungsverhinderung i.S.d. § 616 Satz 1 BGB, die der Arbeitgeber, aufgrund der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte über § 242 BGB auch innerhalb des Arbeitsvertrages, zu dulden hat. Die Verwirklichung dieses Rechts muss jedoch innerhalb der Grenzen des Arbeitsvertrages geschehen und darf nicht zu einer betrieblichen Störung führen. Zudem sind Grenzen durch die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte durch andere Kollegen17 gesetzt, was im vorliegenden Verfahren allerdings keine Rolle spielte. Das Gebet darf hiernach für andere Kollegen, denen gegenüber der Arbeitgeber ebenfalls zur Rücksichtnahme verpflichtet ist, keine unausweichliche Situation darstellen, da sie ansonsten mittelbar in ihrer negativen Religionsfreiheit betroffen wären. Vor dem Hintergrund, dass kurze Pausen auf der Arbeit auch für nichtreligiöse Zwecke in der Regel üblich sind, etwa Raucherpausen, sollten Gebetspausen im Rahmen dieser Leitlinien bei den meisten Arbeitgebern möglich sein.


1 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 8 ff.

2 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 4.

3 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 7.

4 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 8 ff.

5 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 14, 23.

6 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 26.

7 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 34.

8 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 34.

9 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 35.

10 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 36.

11 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 36.

12 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 37.

13 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 37.

14 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 37.

15 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01, Rn. 37.

16 BAG v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09.

[17] Vgl. BVerwG v. 30.11.2011 – 6 C 20.10, Rn. 28 ff. – zur negativen Religionsfreiheit von Mitschülern.

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