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Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen

BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09 

Sachverhalt
Ein muslimischer Kläger wandte sich im Rahmen seiner Revision gegen eine ordentliche Kündigung, die vom  LArbG als eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG für sozial gerechtfertigt erachtet wurde.1 Der Arbeitnehmer war seit November 1995 beim Rechtsvorgänger der Beklagten in der Waschstraße beschäftigt und wurde nach dessen Stilllegung 2003 als Ladenhilfe im Warenhaus weiterbeschäftigt.2 Nach einer Reduzierung des Personalbestandes 2006 gehörte zu seinen Aufgaben auch die Verräumung von alkoholischen Getränken. Der Kläger teilte dem Arbeitgeber daraufhin mit, ihm sei es aufgrund seiner religiösen Überzeugung nicht gestattet, die gewerbliche Verbreitung von Alkohol zu unterstützen.3 Er bat um eine anderweitige Beschäftigung und weigerte sich, in der Getränkeabteilung alkoholische Getränke zu verräumen.4 Auf diese Arbeitsverweigerung hin kündigte der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag.5

Gründe
Das BAG gab der Revision statt und wies die Rechtssache zur weiteren Tatsachenfeststellung an das LArbG zurück,6 da es nicht abschließend feststellen könne, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt sei.7 Die Kündigung sei aber, entgegen der Ansicht des LArbG, keine verhaltensbedingt gerechtfertigte.8 Zwar sei eine beharrliche Weigerung eine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, welche dem Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber gemäß § 106 GewO im Rahmen seines Weisungsrechts zugewiesen wurde, in der Regel geeignet die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial zu rechtfertigen.9 Jedoch müsse die Weisung nach billigem Ermessen erfolgen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen.10 Der Arbeitgeber habe hierbei den ihm offenbarten Glaubenskonflikt des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt.11 § 106 Satz 1 GewO sei verfassungskonform so auszulegen, dass das billige Ermessen mit Rücksicht auf die Grundrechte des Arbeitnehmers, hier dessen Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG, ausgeübt werden müsse.12 Gleichwohl müsse aber berücksichtigt werden, dass den Rechten des Arbeitnehmers das Grundrecht des Arbeitgebers auf unternehmerische Betätigungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gegenüberstünde.13 Diese kollidierenden Rechte müssten in einen schonenden Ausgleich gebracht werden und begrenzten sich gegenseitig.14 Dem Arbeitnehmer wäre es gemäß § 242 BGB regelmäßig erst dann verwehrt, sich gegenüber einer Arbeitsanweisung auf seinen Glauben zu berufen, wenn ihm beim Vertragsabschluss bzw. Vertragsänderung positiv bekannt gewesen wäre, dass ein solcher Glaubenskonflikt unweigerlich entstehen würde.15 Die bloße Vorhersehbarkeit eines möglichen Glaubenskonfliktes nehme der späteren Erklärung, der Arbeitnehmer berufe sich nunmehr auf seine (geänderte) Glaubensüberzeugung nichts von ihrer rechtlichen Beachtlichkeit.16 Der Arbeitnehmer müsse den Glaubenskonflikt, auf den er sich berufe,17 konkret und ernsthaft darlegen können, was er bzgl. der Verräumung von alkoholischen Getränken getan habe.18 Ob dieses Verständnis der islamischen Schriften der herrschenden Glaubenslehre entspreche, sei nach dem verfassungsrechtlich gebotenen, subjektiven Gewissensbegriff nicht entscheidend. Aus diesem Grunde sei die Weisung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nach billigem Ermessen erfolgt, weshalb sie unverbindlich gewesen sei.19 Folglich könne eine verhaltensbedingte Kündigung nicht auf die Weigerung der Weisung Folge zu leisten gestützt werden.20 Das berechtigte Berufen auf einen Glaubenskonflikt beschränke die Arbeitsleistung jedoch nicht.21 Vielmehr sei der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen gehindert, eine nach wie vor geschuldete Leistung zu erbringen.22 Dieser Umstand könne eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht im Betrieb oder im Unternehmen entweder innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder zu geänderten Vertragsbedingungen unter Vermeidung des Glaubenskonflikts sinnvoll weiterbeschäftigen könnte.23 Das Fehlen einer solchen anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit müsse im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses der Arbeitgeber darlegen und beweisen.24

Einordnung in die Rechtsprechung
Die Entscheidung befindet sich im Einklang mit der Entscheidung des LArbG Hamm zu den Gebetspausen während der Arbeitszeit,25 bei dem das Gericht ebenfalls im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers gemäß § 106 GewO die beiderseitigen verfassungsrechtlichen Positionen gegeneinander abwog. Letztlich gilt als Leitlinie, dass der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse geltend machen kann, seine religiösen Ge- und Verbote auch während der Arbeitszeit einzuhalten. Seine Grenze findet dieses Interesse jedoch dort, wo eine Störung der betrieblichen Belange unvermeidbar ist oder der Arbeitnehmer aufgrund seiner religiösen Vorgaben nicht mehr sinnvoll weitbeschäftigt werden kann.


1 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 9, 12.

2 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 2 f..

3 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 4-6.

4 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 4.

5 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 5.

6 Vor dem LArbG kam es zu keiner weiteren Entscheidung, da sich die Parteien verglichen.

7 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 10-12.

8 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 13.

9 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 14.

10 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 17.

11 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 21 f.

12 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 23.

13 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 23, 26.

14 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 23.

15 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 29.

16 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 32.

17 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 36.

18 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 37.

19 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 39.

20 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 39.

21 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 41.

22 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 42.

23 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 47.

24 BAG v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09, Rn. 47.

25 LArbG Hamm v. 18.02.2002 – 5 Sa 1782/01.

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