© plutmaverick/Shutterstock.com

Homeschooling aus religiösen Gründen?

DÜRFEN ELTERN IHR SCHULPFLICHTIGES KIND AUS RELIGIÖSEN GRÜNDEN ZU HAUSE BEHALTEN UND IHM STATTDESSEN HEIMUNTERRICHT ERTEILEN?

Kurzantwort: Aufgrund der Schulpflicht und Schulanwesenheitspflicht ist Heimunterricht in Deutschland generell nicht zulässig. In Betracht kommt jedoch, sein Kind auf eine (islamische) Privatschule zu schicken. Diese sind jedoch selten anzutreffen.

Das in Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 Grundgesetz verbürgte Grundrecht auf Glaubensfreiheit gewährt den Eltern in Verbindung mit dem elterlichen Erziehungsrecht aus Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Grundgesetz grundsätzlich das Recht ihren Kindern ihre eigenen Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten.Sie können daher staatliche Maßnahmen abwehren, die beeinträchtigend in ihren persönlichen, grundrechtlich geschützten Bereich hineinwirken.2
Dieses vorbehaltlos gewährte Grundrecht kann aber zulässigerweise mit dem verfassungsrechtlich geschützten staatlichen Erziehungsauftrag gemäß Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz eingeschränkt werden. Die allgemeine Schulpflicht dient der Durchsetzung eben dieses staatlichen Erziehungsauftrags.3  Der Beginn und die Dauer dieser allgemeinen Schulpflicht werden in den jeweiligen Landesgesetzen geregelt.4
Es stellt sich nun die Frage, wie man beiden Positionen gerecht werden kann. Einerseits ließe sich vertreten, dass Homeschooling nicht per se eine schlechte oder unzureichende Wissensvermittlung bewirkt. Es ist durchaus denkbar, dass Eltern oder andere Hilfspersonen einen qualitativ hochwertigen Unterricht bei sich zu Hause, ohne staatliche Mitwirkung, durchführen können. Ginge es bei dem staatlichen Bildungsauftrag nur um die bloße Wissensvermittlung, könnte man beim Heimunterricht beispielsweise über staatliche Wissenstest Lernkontrollen durchführen und auf diese Weise den jeweiligen Wissensstand abfragen.
Doch bei der Schulpflicht verfolgt der deutsche Staat auch andere Ziele, die nicht mit einem Heimunterricht erreicht werden könnten. Die Kinder sollen sich im Rahmen eines regelmäßigen Schulbesuchs und der damit verbundenen Alltagserfahrung durch die Konfrontation mit andersdenkenden Kindern u.a. soziale Eigenschaften aneignen und auf diese Weise zu eigenverantwortlichen und dialogfähigen Bürgern und Persönlichkeiten herangezogen werden. Die Isolation innerhalb einer durch die Eltern geschaffenen „Fluchtburg“ könne die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes erheblich  stören.5  Der Entstehung von Parallelgesellschaften würden sonst Tor und Tür geöffnet werden.Junge Staatsbürger sollen in die Gesellschaft und in die Rechtsordnung Deutschlands integriert werden.7  Ein Schutz vor der Konfrontation mit Andersdenkenden gewähre das Grundgesetz nicht.8  Ferner bleibe den Eltern die Möglichkeit, ihr Kind auf eine Privatschule ihrer Wahl zu schicken. Deshalb werden trotz bestehender diverser Befreiungstatbestände (Vorliegen von besonderen Fällen oder wichtigen Gründen) in der Regel keine Befreiungen von der allgemeinen Schulpflicht aus religiösen Gründen unter Berufung auf Artikel 4 Absatz 1 i.V.m. Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Grundgesetz gewährt.Sowohl in der Rechtsprechung,10  als auch in der Literatur11 hält man überwiegend die Schulpflicht für verfassungsgemäß.12

BVerfG, Beschluss v. 31.05.2006, Az. 2 BvR 1693/04, Rn.  8.

2 BVerfG, Beschluss v. 17.12.1975, Az. 1 BvR 63/68, Rn.  98; BeckOK, Grundgesetz/Uhle, 36.Ed.15.2.2018, GG Art. 6 Rn. 54.

3 BVerfG, Beschluss v. 31.05.2006, Az. 2 BvR 1693/04, Rn.  9, 16.

4 Thiel, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 8. Aufl. 2018, Art. 7 Rn. 12.

5 Thurn/ Reimer, Homeschooling als Option, in: NVwZ 2008, S. 718 (719).

6 Thurn/ Reimer, Homeschooling als Option, in: NVwZ 2008, S. 718 (719).

7 Thiel, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 8. Aufl. 2018, Art. 7 Rn. 14.

8 BVerfG, Beschluss v. 31.05.2006, Az. 2 BvR 1693/04, Rn. 23.

9 Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 8. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 77; Hebeler/Schmidt, Schulpflicht und elterliches Erziehungsrecht- Neue Aspekte eines alten Themas?, in: NVwZ 2005, S. 1368.

10 BVerfG, Beschluss v. 05.09.1986, Az. 1 BvR 794/86; BVerwG, Urteil v. 15.11.1991, Az. 6 B 16/91.

11 Theuersbach, Die Entwicklung des Schulrechts i.d. Jahren 1991 u. 1992, in: NVwZ 1993, S. 631 (633); Fetzer, Die Zulässigkeit der Schulpflicht nach Art. 7 I GG, in: RdJB 1993, S. 91 (91 ff.); Hufen, Privatschulgarantie als verfassungsrechtliche Konkretisierung v. Elternrechten, in: JuS 1993, S. 156; Thurn/Reimer, Homeschooling als Option, in: NVwZ 2008, S. 718 (719);  kritischer: Bärmeier, Das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit und die Unverhältnismäßigkeit staatlichen Schulehaltens, in: RdJB 1993, 80 ff.; Heinz, Elternrecht und deutsche Schulgesetze, in: NWVBl. 2007, S. 129 ff.; Beaucamp, Dürfte ein Bundesland die Schulpflicht abschaffen?, in: DVBl 2009, S. 220 ff.

12 Thiel, in: Sachs (Hrsg.), GG-Komm., 8. Aufl. 2018, Art. 7 Rn. 13.

Um Ihnen ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies. Durch Nutzung dieser Seite stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.