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Beten in der Schule?

DARF EIN MUSLIMISCHES SCHULKIND IN DER SCHULE DAS GEBET VERRICHTEN?

Kurzantwort: Ein Muslimisches Schulkind darf in der Schule an freizugänglichen Plätzen das Gebet verrichten. Das Gebet darf jedoch nicht während des Unterrichts verrichtet werden. Dazu darf es nicht an Orten verrichtet werden, wo andere zwangsweise dem Gebet ausgesetzt sind, wie zum Beispiel im vollen Klassenzimmer. Das Beten in wenig genutzten Fluren ist in der Regel hingegen zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind grundsätzlich kultische Handlungen, die ein Glauben vorschreibt, vom Schutzbereich der Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 des Grundgesetzes umfasst.1 Das islamische Pflichtgebet, welches fünfmal täglich zu festgelegten Zeiten zu verrichten ist, kann als islamisch-religiös begründete Glaubensregel hinreichend plausibel der Glaubensfreiheit zugeordnet werden. Die Tatsache, dass es andere Meinungen gibt, die das Gebet nicht als verpflichtend einstufen, ist hier unerheblich. Ausschlaggeben ist vielmehr das Selbstverständnis der betroffenen Person.2 Auch Schulkinder können sich grundsätzlich ab dem 14. Lebensjahr auf die Religionsfreiheit berufen,3 während bis zum 14. Lebensjahr die Eltern dieses Recht im Rahmen ihres elterlichen Erziehungsrechts gemäß Art. 6 des Grundgesetzes wahrnehmen. Die Religionsfreiheit des in der Schule betenden Schulkindes wird grundsätzlich auch nicht durch die negative Religionsfreiheit der anderen Schulkinder und Lehrkräfte beschränkt.4 Denn der Einzelne hat allgemein kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen und kultischen Handlungen und religiösen Symbolen gänzlich verschont zu werden.5

Auch steht dem Gebet das religiöse Erziehungsrecht der Eltern der anderen Schulkinder grundsätzlich nicht entgegen.6  Das elterliche Erziehungsrecht gibt zwar den Eltern das Recht, ihre Kinder von fremden Glaubensüberzeugungen, die sie als schädlich oder falsch erachten, fernzuhalten.7 Dieses Recht wird aber nicht durch das Gebet des Schülers verletzt, soweit die anderen Kinder ausreichende Ausweichmöglichkeiten haben und sich dadurch dem Anblick dessen entziehen können.8 Wird das Gebet etwa auf einem wenig genutzten Flur vollzogen, beschränkt sich die Konfrontation auf eine flüchtige Begegnung und es liegt keine unzumutbare Einflussnahme seitens des betenden Kindes vor.9 Daraus folgt, dass das Gebet in der Schule nicht an einem Ort verrichtet werden darf, an dem die Mitschüler und Lehrer zwingend dem Gebet ausgesetzt sind, wie etwa im besetzten Klassenzimmer in der kleinen Pause.

Schließlich steht dem Gebet auch nicht die Neutralitätspflicht des Staates entgegen.10

Die Neutralitätspflicht des Staates verpflichtet diesen zwar zur weltanschaulich-religiöser Neutralität.11 Der Staat darf sich daher nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren, sie privilegieren oder ausgrenzen.12 Das Neutralitätsgebot ist aber nicht als eine distanzierende Haltung im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende Haltung, die Glaubensfreiheit für alle gleichermaßen fördert.13 Die Zulassung des Gebets in der Schule durch den Staat stellt weder eine Bevorteilung, noch eine Identifikation des Staates mit dem muslimischen Glauben dar, so dass grundsätzlich kein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Staates vorliegt.14

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann allerdings In Ausnahmefällen der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Artikel 7 Absatz 1 Grundgesetz dem Gebet entgegenstehen. Dieser Auftrag beinhaltet insbesondere die Wissensvermittlung.15 Daraus folgt zunächst, dass das Gebet nicht während des Unterrichts sondern während der Pause verrichtet werden sollte.16

Zudem setzt die Erfüllung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags voraus, dass der Schulfrieden gewahrt wird.17 Der Schulfrieden sei ein wichtiges Gemeinschaftsgut und könne durch religiös motivierte Handlungen gefährdet werden, so das Bundesverwaltungsgericht.18 So entschied das Gericht in einem Fall in Berlin, dass die Schule einem Schüler das Beten in der Schule verbieten durfte, weil die Schule eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens plausibel darstellen konnte und ein Gebetsverbot in solchen Fällen selbst ohne ausdrücklichem gesetzlichen Gebetsverbot zulässig sei.19 In der besagten Schule sei es bereits im Vorfeld zu erheblichen religiös begründeten Konflikten unter den Schulkindern gekommen, die mit anderen erzieherischen Maßnahmen nicht mehr gelöst werden konnten.20 Wegen der Vielzahl vorhandener Religionen an der besagten Schule und den begrenzten sachlichen und personellen Ressourcen, sowie organisatorischen Probleme sei es nicht möglich gewesen, einen Gebetsraum einzurichten.21 Schließlich wäre die Einrichtung eines Gebetsraumes als milderes Mittel vor den Ausspruch eines Verbots anzudenken gewesen.22

In der Presse wurde letztes Jahr ein anderer Fall bekannt. Dort verschickte der Schulleiter eines Wuppertaler Gymnasiums an das ganze Kollegium eine E-Mail mit dem Hinweis, dass das Beten an der Schule nicht zulässig sei. Ferner ordnete er das Kollegium an, die betenden Schüler freundlich auf das Verbot hinzuweisen, ihre Namen zu notieren und der Schulleitung zu melden. Ein Mitglied des Kollegiums äußerte sich in der Presse dahingehend, dass muslimische Schüler an der Schule im Keller oder in leeren Klassenräumen schon immer gebetet hätten, es kaum Probleme damit gab und niemand provozierend gebetet oder versucht hätte, andere zu missionieren.23 Von einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden konnte nach dieser Darstellung daher nicht ausgegangen werden, so dass das Gebetsverbot durch die Schulleitung an dieser Schule wohl nicht gerechtfertigt und damit wohl rechtswidrig war.

 


1 BVerfG, Beschluss v. 16. 05.1995, Az. 1 BvR 1087/91, Rn. 34.

2 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn. 19.

3 BeckOK, Grundgesetz/Germann, 37. Ed. 15.5.2018, GG, Art. 4 Rn. 28.

4 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  27.

5 BVerfG, Urteil v. 24.09.2003, Az. 2 BVR 1436/02, Rn. 46; BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  30.

6 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  27.

7 BVerfG, Urteil v. 24.09.2003, Az. 2 BVR 1436/02, Rn. 45; BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  32.

8 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  33.

9 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  30.

10 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  27.

11 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  35.

12 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  35.

13 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  35.

14 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  35 ff.

15 BeckOK, Grundgesetz/Uhle, 37. Ed. 15.5.2018, GG, Art. 7 Rn. 21 f.

16 So auch BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn. 24.

17 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  42.

18 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  42.

19 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn. 62.

20 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn. 53 ff.

21 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  57f.

22 BVerwG, Urteil v. 30.11.2011, Az. 6 C 20.10, Rn.  57.

23 Siehe hierzu https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-03/wuppertal-gymnasium-gebet-muslime-verbot, zuletzt abgerufen am 05.08.2023.

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