DÜRFEN MUSLIME UNTER HINWEIS AUF RELIGIÖSE VERBOTE BESTIMMTE HANDLUNGEN VERWEIGERN, ETWA DAS EINRÄUMEN ALKOHOLISCHER GETRÄNKE IN EINEM SUPERMARKT?
Kurzantwort: Der Arbeitgeber muss bei der Arbeitsanweisung auch berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer gewisse Tätigkeiten aus religiösen Gründen nicht nachgehen kann. Daher könnte eine Arbeitsverweigerung im Einzelfall zulässig sein. Jedoch könnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer kündigen, wenn er ihn wegen der Arbeitsverweigerung nicht mehr sinnvoll anders beschäftigen kann. Weiß der Arbeitnehmer schon vor Vertragsschluss, dass er gewisse Verpflichtungen aus religiösen Gründen nicht erfüllen kann, muss er dies bei den Vertragsverhandlungen mitteilen. Ansonsten dürfte er sich später der Weisung seines Arbeitgebers nicht widersetzen.
Gemäß § 106 Gewerbeordnung kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dieses Weisungsrecht des Arbeitgebers berechtigt ihn daher grundsätzlich, eine im Arbeitsvertrag nur abstrakt umschriebene Leistungspflicht des Arbeitsnehmers nach Zeit, Ort und Art der Leistung einseitig näher zu bestimmen.1 So kann ein Supermarktbetreiber einen als Ladenhilfe eingestellten Arbeitnehmer grundsätzlich anweisen, alkoholischen Getränke in die Regale einzuräumen.2 Allerdings muss der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausüben, so dass dieser die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen muss.3 Der Arbeitgeber muss deshalb im Lichte der Religionsfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz auch konkrete Glaubens- und Gewissenskonflikte eines muslimischen Arbeitnehmers berücksichtigen, der es als religiös verboten ansieht, bestimmte Handlungen vorzunehmen, etwa das Einräumen alkoholischer Getränke.4 Die Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers wäre daher ggf. nicht pflichtwidrig.5
Weiß der Arbeitnehmer allerdings schon bei Vertragsschluss, dass er die vertraglich eingegangene Verpflichtung um seiner Glaubensüberzeugung willen von Beginn an nicht würde erfüllen können, muss er diese Tatsachen angeben, ansonsten kann er sich später der Weisung des Arbeitgebers nicht rechtmäßig wiedersetzen.6 Tritt der Gewissenskonflikt hingegen erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses auf, weil der Arbeitnehmer sich erst nach Vertragsschluss dazu entschließt, strikt nach den Vorgaben seines Glaubens zu leben, darf er sich der Weisung des Arbeitgebers ggf. widersetzen.7 Schlägt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Kompromiss vor, der seine Gewissensnot ausreichend berücksichtigt, kann es dem Arbeitnehmer wiederum verwehrt sein, rechtmäßig die Arbeit zu verweigern.8
Eine rechtmäßige Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers schützt diesen allerdings nicht generell vor einer personenbedingten Kündigung.9 Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht mehr innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder zu geänderten Vertragsbedingungen sinnvoll weiterbeschäftigen kann, z.B. indem er diesen einer anderen Abteilung zuweist, kann er ihn zwar nicht verhaltensbedingt, aber personenbedingt kündigen.10 Schließlich kann der Arbeitnehmer aus persönlichen Gründen einen Teil der vertraglich versprochenen Leistung nicht mehr erbringen.11
1 BeckOK, GewO/Hoffmann/Schulte, 42. Ed. 1.7.2018, GewO, § 106, Rn. 19.
2 Vgl. Hierzu BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 17.
3 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 17; Kamanabrou, Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 478.
4 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 22.
5 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 39.
6 ArbG Kassel, Urteil v. 17.03.2011, Az. 9 Ca 379/10, Rn. 35.
7 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 38.
8 ArbG Hamburg, Urteil v.22.10.2001, Az. 21 Ca 187/01, Rn. 5; Hunold, Weigerung aus Glaubensgründen, in: AuA 2011, S. 344 (345f.).
9 Vgl. Hierzu BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 41.
10 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 41 ff.
11 BAG, Urteil v. 24.02.2011, Az. 2 AZR 636/09, Rn. 44f.; Gragert, in: Moll, Münchner Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017, § 12 Rn. 33.