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Rechtsurteile

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Voraussetzungen der Bekenntnis- und Loyalitätserklärung

Das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung einer Einbürgerungsbewerberin muss über ein bloßes Lippenbekenntnis hinausgehen, um den Anforderungen des § 10 Abs. 1 S.1 Nr. 1 StAG gerecht zu werden. Vor allem darf eine hierzu in der mündlichen Verhandlung befragte Einbürgerungsbewerberin den Fragen nicht ausweichen. Hierdurch wird nämlich deutlich, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis zu verbergen versucht, indem sie auf genannte Verse nicht näher eingeht und die Fragen hierzu pauschal beantwortet. (Leitsatz der Redaktion)


Leitsätze:

1. Die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG vorgeschriebene Bekenntniserklärung muss der Wahrheit entsprechen und stellt nicht nur eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.

2. Ein bloßes Lippenbekenntnis, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird, liegt beispielsweise vor, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. […]

 

Urteil:

Die Klagen werden abgewiesen. […]

 

Zum Sachverhalt:

 

Die Klägerinnen begehren die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Die […] 1983 im Libanon geborene Klägerin zu 1 und die […] 2009 im Bundesgebiet geborene Klägerin zu 2 sind libanesische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 reiste am 13.10.2004 in das Bundesgebiet ein. Sie war zunächst im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG zum Besuch eines Sprachkurses. Danach erhielt sie Aufenthaltserlaubnisse zum Zwecke des Studiums gemäß § 16 Abs. 1 AufenthG. Seit Juni 2009 ist sie im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen auf der Grundlage des § 30 AufenthG. Am 01.11.2007 bestand sie an der Freien Universität Berlin die Diplomprüfung in Biochemie. Am 02.10.2008 hat sie im Libanon einen libanesischen Staatsangehörigen geheiratet. Vom 01.06.2011 bis zum 31.05.2014 war die Klägerin zu 1 bei der Universität Ulm - Medizinische Fakultät - als Zeitarbeitnehmerin mit einem befristeten Arbeitsvertrag beschäftigt.

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Am 20.03.2012 beantragten die Klägerinnen die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Die Klägerin zu 1 gab am 02.10.2013 gegenüber dem Landratsamt Esslingen eine Bekenntnis- und Loyalitätserklärung ab. In einem Aktenvermerk des Landratsamts Esslingen vom 02.10.2013 über ein mit der Klägerin zu 1 am 02.10.2013 geführtes Einbürgerungsgespräch ist ausgeführt, die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe sie nicht erklären können. Im Hinblick auf die Grundrechte habe sie lediglich die Meinungsfreiheit benannt. Mitglied der Hizb Allah sei sie nicht, diese Vereinigung habe sie auch nicht unterstützt. Sie anerkenne jedoch deren Verdienst. Ihr Ehemann stamme aus dem Süden des Libanon und habe unter den Israelis gelitten. Sie befürworte das Ziel der Hizb Allah, den Libanon von den Israelis zu befreien. Sie sei gläubige Muslimin. Im Islam hätten Mann und Frau die gleichen Rechte. Eine Frau dürfe nicht geschlagen oder unterdrückt werden. Die Frau dürfe arbeiten und könne den Ehepartner frei wählen. Salafisten seien Extremisten, ebenso die Islamisten. Nichtmuslime seien keine Ungläubigen. Sie selbst aber würde einen Andersgläubigen nicht heiraten und auch nicht konvertieren. Ihre Tochter werde aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen dürfen. Wem das Recht zustehe, Gesetze zu erlassen, habe sie nicht beantworten können. In Deutschland werde sie natürlich die Gesetze akzeptieren. Dass die Scharia in Deutschland nicht zur Anwendung komme, sei für sie kein Problem. Die Steinigung von Frauen bei Ehebruch in islamischen Ländern sei zur Abschreckung ganz gut. Im Konfliktfall zwischen religiösen Vorschriften und den weltlichen Gesetzen würde sie sich für die weltlichen Gesetze entscheiden. Die Vorherrschaft des islamischen Rechtsverständnisses in Deutschland mit Gewalt zu erreichen, lehne sie ab; ein friedlicher Wechsel würde sie aber als positiv empfinden. Bei religiösen Fragen folge sie ausschließlich dem Islam. Bezüglich ihres Glaubens missioniere sie nicht; sie wolle andere durch ihr Tun überzeugen. Das Existenzrecht Israels lehne sie ab. Das Land gehöre den Palästinensern.

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Mit Schreiben vom 20.05.2014 teilte das Ministerium für Integration Baden-Württemberg mit, dass es einer Einbürgerung der Klägerin zu 1 nicht zustimme.

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Mit Bescheid vom 28.07.2014 lehnte das Landratsamt Esslingen die Anträge der Klägerinnen auf Einbürgerung ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin zu 1 erfülle die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht. Es lägen tatsächliche Umstände vor, die Zweifel am Bekenntnis der Klägerin zu 1 zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung rechtfertigten. Bei der Klägerin zu 1 fehle es an einer überzeugenden Bejahung der Werteordnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Nach islamischem Rechtsverständnis sei die Scharia von Gott gesetztes islamisches Recht. Nach Ansicht mancher Strömungen im Islam regele die Scharia alle Lebensbereiche von Muslimen und stehe als göttliche Regelung über allen anderen Gesetzen. Dies stehe nicht im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Klägerin zu 1 habe erklärt, in religiösen Fragen ausschließlich dem Islam zu folgen. Die Klägerin zu 1 befürworte die Ziele der Hizb Allah, den Libanon von Israel zu befreien. Das Existenzrecht Israels verneine sie vehement. Die Ziele der Hizb Allah seien jedoch mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Wenn die Klägerin zu 1 die Ziele der Hizb Allah gut heiße, befürworte sie die Ziele dieser Organisation. Die Klägerin zu 1 verfüge auch nicht über einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Begriffe parlamentarische Volksvertretung und Gewaltenteilung habe die Klägerin zu 1 nicht erklären können. Auch die Frage, wem das Recht der Gesetzgebung zustehe, habe sie nicht beantworten können. Auf die Frage nach den Grundrechten habe sie nur das Recht der Meinungsfreiheit benennen können. Hieraus folge, dass es der Klägerin zu 1 an Grundkenntnissen über und einem Verständnis für die freiheitliche demokratische Grundordnung fehle. Da eine Einbürgerung der Klägerin zu 1 nach § 10 StAG ausscheide, komme auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 gemäß § 10 Abs. 2 StAG nicht in Betracht.

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Hiergegen legten die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 30.09.2014 Widerspruch ein und brachten zur Begründung vor, die Klägerin zu 1 habe mit der Organisation Hizb Allah nichts zu tun. Dorthin gebe es keine Kontakte. Sie habe sich auch nicht mit den Zielen und Strukturen dieser Partei auseinandergesetzt. Außerdem sei sie missverstanden worden.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 wies das Regierungspräsidium Stuttgart die Widersprüche unter Verweis auf den Ausgangsbescheid zurück. Ergänzend wurde ausgeführt, das Vorbringen der Klägerin zu 1, sie sei missverstanden worden, könne nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Die Klägerin zu 1 habe das angefertigte Protokoll intensiv durchgelesen und eine Änderung angebracht, bevor sie ihre Unterschrift geleistet habe.

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Am 30.12.2014 haben die Klägerinnen Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Lebensunterhaltssicherung sei gegeben. Die Einnahmen des Ehemanns der Klägerin zu 1 hätten sich im Jahr 2014 deutlich verbessert. Die Klägerin zu 1 sei derzeit mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt. Außerdem sei sie schwanger; der voraussichtliche Geburtstermin sei am 21.09.2015. Bis einschließlich Februar 2015 habe sie Elterngeld in Höhe von 870 € monatlich bezogen. Sie habe die Bewilligung von Betreuungsgeld beantragt, ein Bewilligungsbescheid liege aber noch nicht vor.

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Die Klägerinnen beantragen,

den Bescheid des Landratsamts Esslingen vom 01.09.2014 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.11.2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerinnen in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zu 1 auf Fragen des Gerichts vorgetragen, nach ihrem Studium im Libanon sei sie in das Bundesgebiet eingereist, um hier ein Masterstudium zu absolvieren. Ihren Ehemann habe sie in Deutschland kennengelernt. Um zu heiraten, seien sie zusammen in den Libanon gereist und hätten dort vor einem Scheich die muslimische Ehe geschlossen; diese werde vom libanesischen Staat anerkannt. Sie habe zwei Kinder und sei jetzt in der 18. Woche schwanger. Ihr Ehemann arbeite als Autohändler.

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Auf Frage des Gerichts, wieso sie in den deutschen Staatsverband eingebürgert werden wolle, gab die Klägerin zu 1 an, nach einer Einbürgerung habe sie mehr Chancen für den Erhalt einer Arbeitsstelle, außerdem sei die jeweilige Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis kostenpflichtig.

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Auf Frage nach den Werten, die die Klägerin zu 1 mit Deutschland verbinde, brachte sie vor, hier könne man frei leben und arbeiten, das Leben in Deutschland sei sehr gut.

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Die Frage, ob sie Kontakt mit Deutschen in einem Verein oder im Wohnumfeld habe, verneinte die Klägerin zu 1.

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Auf Frage des Gerichts, wie sie die Rolle der Frau sieht, gab die Klägerin zu 1 an, die Frau dürfe alles tun, was sie wolle. Keiner dürfe sie zwingen, etwas zu tun, was sie nicht wolle. Frauen dürften in allen Bereichen arbeiten.

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Auf Frage des Gerichts, ob sie eine Moschee in Deutschland besucht, gab die Klägerin zu 1 an, sie gehe nur ab und zu in Gebetsräume, nicht aber in eine Moschee. Einen Gebetsraum suche sie vor allem während des Ramadan auf.

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Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter dem Begriff Scharia verstehe, gab sie an, hierzu gehörten Gebete und Fasten. Dies habe sie dem Koran entnommen. Hieran wolle sie sich auch halten.

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Auf Vorhalt des Gerichts, dass im Mittelpunkt der Scharia das Ehe- und Familienrecht stehe und nach Vorhalt des Inhalts der Suren 4,34 („Die Männer stehen über den Frauen. Und die rechtschaffenen Frauen sind demütig ergeben und gehorsam“) und 2,228 („Die Männer stehen eine Stufe über den Frauen“) gab die Klägerin zu 1 an, Frauen hätten die gleichen Rechte wie Männer.

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Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu Koranversen zum Zeugenrecht (Sure 2,282: „Die Zeugenaussage eines Mannes kann nur von zwei Frauen aufgewogen werden“) stehe, ließ sie sich dahin ein, die Scharia könne nicht überall ausgeübt werden, sie halte sich an deutsche Gesetze.

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Auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zum islamischen Kindschaftssorgerecht stehe, das dem Ehemann nach einer Scheidung die gemeinsamen Kinder zuweise, entgegnete sie, dies sei ihr nicht bekannt.

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Auf Vorhalt, wonach das muslimische Erbrecht der Frau nur die Hälfte dessen zubillige, was ein männliches Familienmitglied erhalte, entgegnete die Klägerin zu 1 zunächst, hierzu habe sie nichts zu sagen. Anschließend ließ sie sich aber dahin ein, dass insoweit nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte.

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Auf Frage, wie die Klägerin zu 1 zu den Vorgaben der Scharia zum Strafrecht bei Ehebruch und außerehelichem Geschlechtsverkehr (Sure 24,2) stehe, gab sie an, dies finde sie nicht gut.

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Nach Vorhalt der Vorgaben der Scharia bei schwerem Diebstahl (Sure 5,38) entgegnete die Klägerin zu 1, ob das wirklich im Koran stehe.

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Auf Vorhalt des Gerichts, dass das islamische Rechtsverständnis (z.B. im Iran) die Todesstrafe vorsehe, wenn ein Muslim vom Islam abfalle, entgegnete die Klägerin zu 1, dies habe sie noch nie gehört.

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Auf Frage des Gerichts, was sie unter dem Begriff „Dschihad“ verstehe, antwortete die Klägerin zu 1, hierzu habe sie nichts zu sagen. Gleiches erwiderte sie, als das Gericht die Sure 9,5 („Tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie, lauert ihnen überall auf“) vorlas und die Klägerin zu 1 um Stellungnahme bat.

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Auch auf Frage des Gerichts, wie die Klägerin zu 1 zu der Aussage von Ayatollah Khomeini in seinem Buch „Principes politiques, philosophiques, sociaux et religieux“, wonach „Urin, Kot, Sperma, Blut, Hunde, Schweine, ein Nichtmuslim und eine Nichtmuslimin unrein sind“, steht, gab die Klägerin zu 1 an, hierzu wolle sie nichts sagen.

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Auf weitere Fragen des Gerichts, ob ihre Kinder am Sexualkundeunterricht in der Schule, am Schwimmunterricht und an Schullandheimaufenthalten teilnehmen dürften, erwiderte die Klägerin zu 1, wenn es Pflicht sei, dürften sie teilnehmen.

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Auf Frage des Gerichts zu in der Verfassung verankerten Grundrechten nannte die Klägerin zu 1 das Recht auf Leben, auf Arbeit, auf Studium, die Meinungsfreiheit, Menschenrechte sowie die Volkssouveränität.

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Auf Frage zur „Unabhängigkeit der Gerichte“ ließ sich die Klägerin zu 1 dahin ein, Gerichte dürften keinen Parteien angehören, die Staatsgewalt sei getrennt vom Rechtssystem. Was die Gerichte zu entscheiden hätten, basiere auf dem Grundgesetz.

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Auf Frage, was die Klägerin zu 1 unter Demokratie versteht, gab sie an, die Abgeordneten seien vom Volk gewählt, weiter falle hierunter das Mehrheitsprinzip und die Meinungsfreiheit.

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Auf Frage des Gerichts, ob die Klägerin zu 1 Wahlgrundsätze benennen könne, nannte sie frei, geheim und sicher.

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Auf Frage, ob in Deutschland Mohammed-Karikaturen gezeigt werden dürften, antwortete die Klägerin zu 1, dies falle unter die Meinungsfreiheit. […]

 

Gründe:

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten. Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

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Der geltend gemachte Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung […].

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Die Klägerin zu 1 erfüllt nicht sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 10 StAG; es fehlt an der Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 StAG.

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Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt ein Einbürgerungsanspruch voraus, dass der Einbürgerungsbewerber sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.

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Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist gekennzeichnet durch die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze, die auch einbürgerungsrechtlich maßgeblich sind […]. Sie lässt sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition […].

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Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung liegt darin, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss vielmehr auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar […].

42

Ein vom Einbürgerungsbewerber abgegebenes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung genügt den Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn es sich hierbei um ein bloßes Lippenbekenntnis handelt, das nicht von einer entsprechenden inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers getragen wird. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einbürgerungsbewerber sich durch sein Antwortverhalten einer Überprüfung seiner inneren Überzeugungen bewusst entzogen hat oder wenn das Antwortverhalten nur den Schluss erlaubt, dass der Einbürgerungsbewerber einbürgerungsschädliche Äußerungen, die seine Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte […]. Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon verschaffen, dass das vom Einbürgerungsbewerber abgegebene Bekenntnis inhaltlich zutrifft.

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Nach diesen Grundsätzen hat sich das Gericht nicht die Überzeugung verschaffen können, dass das von der Klägerin zu 1 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.

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Die Klägerin zu 1 war in der mündlichen Verhandlung sorgsam darauf bedacht, ihre innere Einstellung zu verbergen. Sie reagierte häufig ausweichend auf Fragen des Gerichts und verweigerte auf heikle Fragen eine Antwort. Dadurch vermied sie eindeutige Antworten, die einen Rückschluss auf ihr Islamverständnis und auf ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung erlaubt hätten.

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So ließ sich die Klägerin zu 1 auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wie sie zur Sure 2,282 stehe, wonach die Zeugenaussage eines Mannes nur von zwei Frauen aufgewogen werden könne, dahin ein, dass die Scharia nicht überall ausgeübt werden könne. Mit dieser Aussage vermied die Klägerin zu 1 eine Festlegung, ob das islamische Zeugenrecht für sie ein anstrebenswertes Ziel darstellt. Zum muslimischen Erbrecht wollte sich die Klägerin zu 1 zunächst nicht äußern. Sie gab dann aber an, dass gegen dieses muslimische Erbrecht, wonach die Frau immer nur die Hälfte von dem erhalte, was einem männlichen Familienmitglied zustehe, nichts einzuwenden sei, da die Frau in anderen Zusammenhängen Unterstützung erhalte. Eine Regelung, dass die Frau allein aufgrund ihres Geschlechts weniger erbt als ein Mann, verstößt aber gegen das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG). Außerdem widerspricht die Erbrechtsverkürzung Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wonach niemand wegen seines Geschlechts oder seines Glaubens und seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf […]. Das Recht auf Gleichbehandlung zählt zu den in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Menschenrechten […]. Die Klägerin zu 1 ließ in der mündlichen Verhandlung zudem sämtliche Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ unbeantwortet. Mit diesem Antwortverhalten hat sich die Klägerin zu 1 aber einer Überprüfung ihrer inneren Überzeugung entzogen. Die Verweigerung der Beantwortung von Fragen des Gerichts erlaubt nur den Schluss, dass die Klägerin zu 1 einbürgerungsschädliche Äußerungen, die ihre Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung offenbaren, bewusst vermeiden wollte. Die Klägerin zu 1 hat sich jeweils nach kurzer Überlegung dazu entschieden, auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ nicht zu antworten. Insoweit scheiterte die Prüfung der Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses nicht an zu schwierigen Fragestellungen oder an Sprachschwierigkeiten. Die Klägerin zu 1 lebt seit dem Jahr 2004 im Bundesgebiet. Sie absolvierte im Bundesgebiet erfolgreich ein Masterstudium und sie kann sich, wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, differenziert auf Deutsch ausdrücken. Aus dem Antwortverhalten der Klägerin zu 1 in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichts zum „Dschihad“ kann somit nur der Schluss gezogen werden, dass sie ihr eigentliches Islamverständnis verbergen wollte. Nach allem hat sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass das von der Klägerin zu 1 gegenüber dem Landratsamt Esslingen abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich inhaltlich zutreffend ist.

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Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt die Klägerin zu 1 auch nicht die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG. Diese Bestimmung setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II oder dem SGB XII bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat. […]

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[Es] kann unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographien der Klägerin zu 1 sowie ihres Ehemannes eine hinreichend dauerhafte Sicherung des Lebensunterhalts derzeit (noch) nicht prognostiziert werden. […]

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Liegen die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 StAG bei der Klägerin zu 1 nicht vor, so scheidet auch eine Miteinbürgerung der Klägerin zu 2 nach § 10 Abs. 2 StAG aus. […]

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