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Rechtsurteile

Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis wegen geschlossener Doppelehe

Einem pakistanischen Moslem, dem eine Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs gem. § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG zu seiner deutschen Ehegattin gewährt wurde, kann diese entzogen werden, wenn dieser nach der ersten Ehe eine weitere Ehe im Heimatland nach islamischem Recht eingeht, sodass die Umstände geschaffen werden, die von diesen Normen nicht erfasst sind. Denn die genannten Normen schützen nicht den Nachzug von Ehegatten polygamer Ehen. (Leitsatz der Redaktion)


Urteil:

I. Die Klage wird abgewiesen. […]

 

Zum Sachverhalt:

 

Der […] in Lahore/Pakistan geborene Kläger begehrt die Aufhebung der Rücknahme seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.

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Am 20. Oktober 1990 reiste der Kläger in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter, welcher vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) durch Bescheid vom 3. November 1993 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2. Februar 1994 als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Unter dem 15. Mai 1994 wurde ein Asylfolgeantrag gestellt, welchen das Bundesamt mit Bescheid vom 12. September 1995 ebenfalls als offensichtlich unbegründet ablehnte; die dagegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 24. Januar 1996 als offensichtlich unbegründet abgewiesen.

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Die deutsche Staatsangehörige J. K., geboren am ..., kündigte der Ausländerbehörde am 2. Oktober 1995 postalisch die beabsichtigte Eheschließung mit dem Kläger an. Unter dem 9. Februar 1996 informierte sie die Beklagte, dass nun die Heirat doch nicht mehr geplant sei. Dies wurde durch einen von ihr handschriftlich verfassten vom 10. Februar 1996 datierenden Brief nochmals bestätigt. Ausweislich eines weiteren Aktenvermerks der Beklagten vom 10. April 1996 erklärten der Kläger und die deutsche Staatsangehörige R. P., geboren am ..., im Rahmen einer Vorsprache, in ca. drei Monaten heiraten zu wollen […]. Der Kläger wurde unter dem 20. September 1996 darauf hingewiesen, dass er vor einer erneuten Einreise zuerst ein Visum zur Eheschließung bei einer deutschen Auslandsvertretung beantragen müsse.

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Im Folgenden reiste der Kläger am 22. September 1996 freiwillig aus und ehelichte am 29. September 1996 in Mughalpura/Pakistan die deutsche Staatsangehörige S. W., geboren am .... Zugleich beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wobei er als Zweck des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland die Heirat mit einer deutschen Frau angab.

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Am 7. März 1997 heiratete der Kläger in Pakistan eine pakistanische Staatsangehörige.

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Unter dem 11. April 1997 reiste der Kläger abermals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 14. April 1997 bei der Ausländerbehörde der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, wobei er als Familienstand "verheiratet", als Ehegatte "S.W., geboren am ... in Kaufbeuren" und als Zweck des Aufenthalts die "Heirat mit einer deutschen Frau" angab. Am 5. Mai 1997 wurde ihm eine bis 17. April 1998 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt, wobei auf dem Durchschlag für die Behörde handschriftlich vermerkt wurde, dass die Aufenthaltserlaubnis nur für ein Jahr erteilt wurde, "da der Verdacht einer Scheinehe nicht ausgeschlossen ist".

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Am 31. März 1998 beantragte der Kläger die Verlängerung der erteilten Aufenthaltserlaubnis. Er gab wiederum als Ehegatten "S. W." und als Familienstand "verheiratet seit 29. September 1996" an. Zweck des Weiteren Aufenthalts sei "mit Familie". In der Folge erhielt der Kläger eine bis 31. März 2000 befristete Aufenthaltserlaubnis.

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Mit Antrag vom 27. März 2000 erstrebte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Bezüglich des Familienstands, des Ehegatten und des Zwecks des Weiteren Aufenthalts wurden dieselben Angaben wie bei den vorhergehenden Anträgen gemacht. Weiter erklärten der Kläger und seine Ehefrau zur Niederschrift, dass eine Scheidung weder beabsichtigt noch eingereicht sei. Sie wurden darauf hingewiesen, dass die Aufenthaltsgenehmigung nur aufgrund der Tatsache der Verheiratung mit einer deutschen Staatsangehörigen erteilt worden sei und von dem Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft abhänge. Unter dem 15. Mai 2000 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

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Am 8. Januar 2001 verstarb die Ehegattin des Klägers.

Unter dem 30. April 2002 erklärten die Mutter der Verstorbenen gegenüber der Ausländerbehörde, Eigentümer des Anwesens der Tochter in Kaufbeuren, ..., zu sein und dass ihr ehemaliger Schwiegersohn dort aber noch nie gewohnt habe. Sie wüssten nur, dass er nach dem Tod ihrer Tochter noch eine Weile in der "Unteren Bleiche" (Kaufbeuren) gewohnt hätte.

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Unter dem 22. April 2003 unterrichtete die Kriminalpolizei die Beklagte über die Ermittlungen gegen den Kläger wegen mittelbarer Falschbeurkundung. Danach habe der Kläger am 7. März 1997 in Pakistan die pakistanische Staatsangehörige F.N. geehelicht. Weiter sei bekannt, dass der Kläger nach dem Ableben seiner Ehefrau, S. W., noch eine weitere Frau in Pakistan geheiratet haben soll. Die zuletzt geheiratete Frau wolle er nun zur Familienzusammenführung nach Deutschland holen. In einem handschriftlichen Vermerk in der Ausländerakte wurde angeführt, dass bei Kenntnis der zweiten Ehe in Pakistan zum Zeitpunkt des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die beantragte Aufenthaltserlaubnis versagt und der Kläger wegen Doppelehe zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert worden wäre. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auf weitere zwei Jahre sowie die unbefristete Aufenthaltserlaubnis wären somit ausgeschlossen gewesen […].

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Mit seit 13. November 2003 rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Kaufbeuren wurde der Erlass des beantragten Strafbefehls wegen mittelbarer Falschbeurkundung abgelehnt. Dabei führte das Gericht zur Begründung an, dass der Kläger lediglich angegeben habe, seit dem 29. September 1996 mit S. W. verheiratet zu sein, was auch zutreffend sei. Der Umstand, dass die weitere am 7. März 1997 geschlossene Ehe nicht angegeben wurde, spiele für den Tatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung keine Rolle, da auch bei Angabe dieser weiteren Ehe die öffentlichen Bücher der Stadt Kaufbeuren in keiner Weise anders geführt worden wären als sie ohne diese Angabe geführt wurden.

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Mit Bescheid vom 17. März 2004 wurde nach erfolgter Anhörung die unbefristete Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen (Nr. 1 des Bescheids), der Kläger zur Ausreise binnen einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft des Bescheides aufgefordert (Nr. 2 des Bescheids) und ihm für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Pakistan oder in einen anderen Staat, der die Einreise erlaubt oder zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 3 des Bescheids). Die Beklagte stützt ihr Entscheidung dabei darauf, dass dem Kläger die Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilt bzw. verlängert worden sei, jedoch die in den Anträgen auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung gemachten Angaben unvollständig gewesen seien, weil eine weitere Ehe im Heimatland Pakistan bestanden habe, was der Kläger auch gewusst hätte. Es sei seitens des Klägers nie auf eine weitere seit 7. März 1997 bestehende Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen hingewiesen worden. Dem Kläger sei aber jeweils bewusst gewesen, dass der Aufenthaltstitel ausschließlich zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner Ehefrau Sabine Wahl erteilt werden würde und er habe am 27. März 2000 auch eine entsprechende Erklärung unterschrieben. Die Ehe mit Sabine Wahl müsse von daher als Scheinehe gewertet werden, weil die am 7. März 1997 in Pakistan geschlossene Ehe eine rechtmäßige Eheschließung in Deutschland ausgeschlossen hätte. Durch das bewusste Verschweigen seiner zweiten Ehe genieße der Kläger auch keinen Vertrauensschutz im Sinne des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG. Wäre dem Ausländeramt der Beklagten die Doppelehe bekannt gewesen, wäre die Aufenthaltserlaubnis weder erteilt noch verlängert worden. Im Rahmen der Interessensabwägung sei das öffentliche Interesse an der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte deutlich höher zu gewichten, als das private Interesse am Fortbestand der Aufenthaltserlaubnis. Zum einen habe der Kläger falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht, zum anderen sei eine besondere oder außergewöhnliche Härte, die den weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet erfordern würde weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Kläger hätte erkennen müssen, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung nach deutschem Rechtsverständnis bei Bestehen einer Doppel- oder Mehrehe nicht möglich sei, unabhängig davon, ob nach islamischem Recht Doppelehen zugelassen seien. Auch wenn die zweite Ehe auf Druck oder Erpressung Dritter hin zustande gekommen sei, wäre es dem Kläger möglich und zumutbar gewesen, die Ehe dann von der Bundesrepublik Deutschland aus aufzuheben. Härtegründe im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG analog seien nicht ersichtlich, da der Kläger seine Jugend in seiner Heimat verbracht habe und die Asyl(folge)anträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden seien. Ein milderes Mittel als die Rücknahme der Aufenthaltserlaubnis sei nicht gegeben, auf den besonderen Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG könne er sich nach dem Tod seiner Frau nicht berufen.

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Mit Schriftsatz vom 15. April 2004 erhob der Kläger beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage und beantragt,

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den Bescheid der Beklagten aufzuheben.

Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, eine arglistige Täuschung im Sinne des Art. 48 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG läge nicht vor, denn er habe am 29. September 1996 rechtmäßig die deutsche Staatsangehörige S. W. geheiratet, da er zu jenem Zeitpunkt ledig gewesen sei. Die in der Folge eingegangene (weitere) Ehe mit einer pakistanischen Staatsangehörigen stünde der Erteilung eines Visums sowie eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Familienzusammenführung nicht entgegen. Es könne dabei dahinstehen, ob diese auch nach pakistanischem Recht überhaupt rechtmäßig gewesen sei, denn selbst dann wäre die erste mit der deutschen Staatsangehörigen geschlossenen Ehe rechtmäßig zustanden gekommen. Im Übrigen werde eine im Ausland rechtmäßig geschlossene Mehrehe als Ehe im Sinne des Bürgerlichen Rechts auch im Inland anerkannt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die zweite Ehe nach Art. 6 Abs. 1 der Verordnung für das Familienrecht der Moslems aus dem Jahre 1961 wohl unwirksam gewesen sei und folglich dem Kläger daraus keine Nachteile entstehen könnten. Weiter sei der Beklagten entgegen zu halten, dass die Wertung der ersten Ehe als "Scheinehe" nicht nachvollzogen werden könne, da in keiner Weise das Fehlen der notwendigen ehelichen Lebensgemeinschaft behauptet, geschweige denn erwiesen sei. Die Heirat mit einer pakistanischen Staatsangehörigen sei für die Erteilung des Visums bzw. der Aufenthaltsgenehmigungen ohne Belang, da allein und entscheidend auf die rechtmäßige mit einer deutschen Staatsangehörigen eingegangene Ehe abzustellen sei. Insofern habe der Kläger in rechtlich zulässiger Weise die weitere Ehe nicht angegeben, was aber weder einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung noch eine rechtsungültige Scheinehe darstelle. Ebenso sei rechtskräftig mit Beschluss des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 29. Oktober 2003 festgestellt worden, dass keine strafbare Handlung der mittelbaren Falschbeurkundung vorliege.

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Unter dem 22. April 2004 trat die Beklagte der Klage entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Klarstellend wurde darauf hingewiesen, dass der Kläger in seinen Anträgen auf Erteilung bzw. Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen stets die zweite Ehe verschwiegen und somit durch unvollständige Angaben ein Aufenthaltsrecht erwirkt habe. Wäre die Zweitehe dem Ausländeramt bekannt gewesen, so wäre die beantragte Familienzusammenführung und in der Folge auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden.

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Mit Schriftsatz vom 9. November 2004 trug der Kläger weiter vor, dass die Erstehe wirksam zustande gekommen sei und durch die Zweitehe, unabhängig davon, ob diese nach pakistanischem Recht wirksam geschlossen worden sei oder nicht, nicht berührt werde. Im Übrigen würde selbst dann, wenn die Zweitehe die Erstehe berührt hätte, dies an dem Bestand und der Wirksamkeit der Erstehe nichts ändern, da im Falle der fehlerhaften Ehe lediglich die Möglichkeit der Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft hätte erfolgen können, ein solches Aufhebungsverfahren sei aber nicht eingeleitet worden. Gemäß dem Muslim Family Law könne der Kläger in Pakistan mit bis zu vier Frauen verheiratet sein. Die nach den pakistanischen Vorschriften zustande gekommene(n) Ehe(n) seien gemäß Art. 13 EGBGB auch in Deutschland anzuerkennen. Dessen ungeachtet sei die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigungen rechtmäßig erfolgt, da der Kläger einen Anspruch auf Aufenthalt und Zusammenleben mit seiner deutschen Ehefrau gehabt habe. Er habe in diesem Zusammenhang keine unvollständigen oder falschen Angaben gemacht.

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Mit Schreiben vom 22. November 2004 entgegnete die Beklagte, dass eine schützenswerte Ehe im Sinne des Art. 6 GG aufgrund der Polygamie des Klägers nicht bestanden habe und die im islamischen Kulturkreis anzutreffende Mehrehe keinen verfassungsrechtlichen Schutz genieße.

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Mit Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2005, der Klägerbevollmächtigten zugestellt am 14. Januar 2005, hat das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragte am 14. Februar 2005 die mündliche Verhandlung. Er trägt ergänzend vor, dass die Ehe mit Frau Farah Naz nicht mehr bestehe. Auch habe der Kläger mit seiner deutschen Ehefrau zusammen gewohnt. […]

 

Gründe:

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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da der streitgegenständliche Bescheid vom 9. März 2004 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Über die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist nach dem im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung geltenden Recht, hier mithin auf der Grundlage des Ausländergesetzes in der Fassung vom 9. Juli 1990 (AuslG) zu entscheiden. Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung ist Art. 48 BayVwVfG, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann.

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1. Die Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG liegen vor, da die mit Bescheid vom 15. Mai 2000 erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig war. Die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes beruht darauf, dass die Behörde bei ihrer Entscheidung von einem Sachverhalt ausgegangen ist, der in Wahrheit gar nicht vorlag und durch die Erteilung der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gegen geltendes Recht verstoßen hat.

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Zweck der Erteilung der Aufenthaltserlaubnisse war die Ermöglichung des Zusammenlebens des Klägers mit seiner deutschen Ehefrau nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG. Danach ist nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

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Zwar ist die am 29. September 1996 mit der deutschen Staatsangehörigen S. W. geschlossene Ehe rechtsgültig. Die materielle Gültigkeitsvoraussetzung der Eheschließung richtet sich gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB nach dem jeweiligen Heimatrecht der Verlobten im Zeitpunkt der Heirat. Zu den materiellen Ehevoraussetzungen nach deutschem Recht gehören unter anderem das Nichtvorliegen von Ehehindernissen, unter anderem einer Doppelehe […]. Dabei ist das gültige Bestehen einer anderen Ehe als Vorfrage nach dem jeweiligen Heimatrecht beider Ehegatten zu beurteilen […]. Unstreitig waren die Voraussetzungen für eine Eheschließung zwischen dem Kläger und der deutschen Staatsangehörigen S.W. gegeben, insbesondere ist aus den in der Behördenakte befindlichen Ablichtungen der Heiratsurkunde […] nicht ersichtlich, dass zur Zeit der Eheschließung Ehehindernisse bestanden hätten, da der Kläger noch keine Frau hatte. Heiratet ein moslemischer Pakistaner eine Ausländerin, findet die Eheschließung vor dem islamischen Standesbeamten (nikah-registrar) statt. Verlangt werden in der Regel die Vorlage des Reisepasses mit pakistanischem Visum und eine Erklärung, dass die Ausländerin ledig ist […].

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An der Rechtsgültigkeit der Ehe des Klägers mit S.W. ändert auch die spätere Eheschließung mit einer pakistanischen Staatsangehörigen nichts. Nach Aktenlage, insbesondere jedoch unter Zugrundelegung der Auskunft der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland - Islamabad – vom 22. Dezember 2004 geht das Gericht davon aus, dass die Zweitehe wirksam zustande gekommen ist. Grundsätzlich findet für den Kläger als pakistanischen Staatsangehörigen moslemischen Glaubensbekenntnisses das moslemische Heimatrecht Anwendung […]. Nach sunnitischem und schiitischem Recht darf der moslemische Ehemann mit bis zu vier Frauen gleichzeitig verheiratet sein, solange diese nicht untereinander verwandt oder verschwägert sind. Allerdings bedarf es für die weitere Ehe der vorherigen schriftlichen Erlaubnis des Schiedsrates […]. Nachdem aber die Mehrehe auch ohne entsprechende vorhergehende Genehmigung weder die Gültigkeit der Erstehe berührt, noch zur zwingenden Nichtigkeit der Zweitehe, sondern lediglich zu deren eventueller Vernichtbarkeit führt […], kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die weitere(n) Ehe(n) des Klägers gemäß den pakistanischen familienrechtlichen Bestimmungen zustande gekommen sind. Obschon solche polygamen Ehen in Deutschland nicht geschlossen werden dürften, da deren Eingehung hier einen Verstoß gegen den ordre public (Art. 6 EGBGB) darstellt, greift diese Ordnungsklausel hier nicht ein, wenn die polygame Eheschließung im Ausland erfolgte und die Heimatrechte der Verlobten diese wie oben dargelegt zulassen […]. Dessen ungeachtet würde die nach deutschem Recht (vgl. § 1306 BGB) unzulässige Doppelehe allenfalls zur Aufhebbarkeit, allerdings nur der zweiten Ehe, führen (§ 1314 Abs. 1 BGB). Die erste Ehe bleibt daher grundsätzlich in ihrem Bestand von der rechts(un)wirksamen zweiten Eheschließung unberührt. Von daher kommt es auch nicht weiter darauf an, ob die Zweitehe aus anderen Gründen unwirksam sein könnte. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass das Verwandtschaftliche Verhältnis des Klägers zu seiner Zweitehefrau (Cousine) keinen Nichtigkeitsgrund darstellt. Ehen zwischen Geschwisterkindern sind nicht nur erlaubt, sondern in einigen Landesteilen sogar sehr häufig, da hierdurch der Familienzusammenhalt dokumentiert wird […]. Auch hat die Überprüfung der Ehe durch die Botschaft in Islamabad ergeben, dass die Eheschließung an sich wirksam ist.

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Dennoch entsprach die erteilte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Ehegattennachzugs nicht den Voraussetzungen der § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 AuslG. Der Kläger gehört nicht zu dem nach diesen Vorschriften privilegiertem Personenkreis, weil er den Tatbestand des § 17 Abs. 1 AuslG nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung kann "einem ausländischen Familienangehörigen eines Ausländers zum Zwecke des nach Art. 6 GG gebotenen Schutzes von Ehe und Familie eine Aufenthaltserlaubnis für die Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Ausländer im Bundesgebiet erteilt und verlängert werden". Diese Regelung bezieht sich jedoch nicht auf Ehegatten und Familienangehörige aus polygamen Beziehungen. Dies ergibt sich eindeutig aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 17 AuslG […], wo es heißt: 

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"Der ausdrückliche Hinweis auf Art. 6 GG hat ... eine begrenzende Funktion. Familienangehörige aus einer Mehrehe von Deutschen oder Ausländern sollen nicht nachzugsberechtigt sein ... Maßgebend ist die Institution von Ehe und Familie, wie sie sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis herausgebildet hat. Das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit zu den der ausländergesetzlichen Regelung vorgegebenen Wertsetzungen..."

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Wenn auch das Bundesverwaltungsgericht in noch zum früheren Ausländergesetz getroffenen Entscheidungen (vgl. BVerwG vom 30.4.1985, [1 C 33/81] […]) die Frage ausdrücklich offengelassen, ob die polygame Ehe als solche den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG genießt, wohingegen es das zwischen den Ehegatten einer polygamen Ehe und deren Kindern bestehende Familienverhältnis als durch dieses Grundrecht geschützt erachtet hat, so kann der Kläger jedoch hieraus nichts für seine Klage herleiten. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in den genannten Entscheidungen zwar entschieden, dass der Grundrechtsschutz der Familiengemeinschaft bei der Abwägung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG a.F. zu beachten sei; gleichzeitig hat es jedoch abgelehnt, daraus einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis abzuleiten (vgl. BVerwG vom 30.4.1985 […]). Damit steht eine Auslegung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG im Einklang, die den nach dieser Vorschrift begründeten Anspruch nur Ehegatten im Rahmen einer monogamen Ehe zubilligt und damit einer Zweitfrau versagt […]. Der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 17 AuslG zufolge hat der Hinweis auf Art. 6 GG eine begrenzende Funktion, so dass Familienangehörige aus einer Mehrehe nicht nachzugsberechtigt sein sollen. Obgleich es nach internationalem Privatrecht möglich ist, auch eine Mehrehe eines Ausländers als gültig anzuerkennen, soll ausländischen Ehegatten ein privilegiertes Zugangsrecht in das Bundesgebiet hiernach nur im Hinblick auf die grundrechtliche Gewährleistung des Schutzes der Ehe nach Art. 6 GG gewährt werden. Maßgebend dafür ist aber die Institution der Ehe, wie sie sich im abendländischen Rechts- und Kulturkreis herausgebildet hat. Danach gehört das Prinzip der Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik und damit zu den auch den ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen Wertsetzungen […].

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Dementsprechend ist ein Nachzugsrecht eines Ausländers ausgeschlossen, wenn eine Deutsche mit einem bereits verheirateten Ausländer, der in seinem Heimatland eine dort als rechtsgültig angesehene Mehrehe führt, eine weitere Ehe eingegangen ist. Dies gilt ungeachtet der auch in Deutschland anzuerkennenden Ehe, da die Mehrehe nicht dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Bild der Ehe entspricht und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folglich nicht im Sinne von § 17 Abs. 1 AuslG zum Zwecke des nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Schutzes von Ehe geboten ist […]. Selbiges hat im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutzbereich auch für ausländische Staatsangehörige zu gelten, die nach Eheschließung mit einer Deutschen eine weitere Ehe eingehen, auch wenn dies nach dem Heimatrecht des Ausländers rechtlich zulässig sein sollte.

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Dem steht auch nicht entgegen, der klägerische Vortrag insoweit als wahr unterstellt, dass die zweite Ehe auf Druck des Schwiegervaters zustande gekommen sei. Denn insofern wäre es dem Kläger nach seiner Einreise in Bundesrepublik Deutschland ohne weiteres möglich gewesen, die Aufhebung der zweiten Ehe in Pakistan zu erwirken und somit den Widerspruch zum Grundgesetz zu beseitigen.

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Der Kläger hat nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland aber keinerlei Bestreben gezeigt, die Aufhebung seiner Zweitehe mit Frau F. N. zu erreichen. Insofern kommt es auch nicht weiter darauf an, wenn die Zweitehe jetzt beendet sein sollte, da sie jedenfalls zum Zeitpunkt der Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unstreitig bestanden hatte; überdies ist der Kläger in seiner Heimat noch eine weitere (dritte) Ehe eingegangen.

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2. Nachdem es sich bei der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung um einen begünstigenden Verwaltungsakt im Sinne des Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG handelt, war die Rücknahme nur unter den Einschränkungen der Absätze zwei bis vier möglich. Für die Zulässigkeit der Rücknahme von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten, die wie hier keine Geld- oder Sachleistungen im Sinne des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG betreffen, gilt zunächst Art. 48 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 BayVwVfG. Danach kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der nicht unter Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG fällt, grundsätzlich ohne Einschränkung zurückgenommen werden […].

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Wie der Vergleich zwischen Art. 48 Abs. 2 und Abs. 3 BayVwVfG zeigt, verlangt das Bayerische Verwaltungsverfahrensgesetz - ebenso wie das insoweit inhaltsgleiche Gesetz des Bundes – bei der Rücknahme rechtswidriger, nicht eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährender Verwaltungsakte nicht die der Ausübung des Rücknahmeermessens vorausgehende Abwägung eines (so vorhandenen) Vertrauens der Betroffenen mit den für die Rücknahme sprechenden Gründen. Das Gesetz räumt statt des Vertrauensschutzes im Rahmen des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG (nur) einen Vermögensschutz ein […]. Gleichwohl gehen die herrschende Meinung und die obergerichtliche Rechtsprechung auch bei Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG davon aus, dass etwaige Vertrauensschutzgesichtspunkte zugunsten des Begünstigten jedenfalls im Rahmen der Ermessensentscheidung nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG zu berücksichtigen seien […]. Demnach hat die Behörde bei der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 BayVwVfG im Rahmen ihrer gebotenen Ermessensausübung den Schutz des Vertrauens auf den Bestand des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Interesse an seiner Rücknahme einzelfallbezogen abzuwägen.

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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorliegend festzustellen, dass die Entscheidung der Beklagten (noch) pflichtgemäßer Ermessensausübung entspricht. Es wurden weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).

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Die Ausländerbehörde konnte zu Recht darauf abstellen, dass der Kläger durch falsche bzw. Unterdrückung relevanter Angaben die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erwirkt hat. Auch wenn die Formblattanträge keine Frage bezüglich weiterer Ehegatten vorsehen, so musste der Kläger bereits aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland und entsprechender Kenntnis der Rechtslage und grundrechtlichen Wertordnung davon ausgehen bzw. es hätte ihm bei objektiver Betrachtung bekannt sein müssen, dass bei einer nachträglich geschlossenen Zweitehe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis versagt worden wäre. Immerhin hat der Kläger innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahr nach der rechtskräftigen Ablehnung seines Asylfolgeantrages die Eheschließung mit drei verschiedenen deutschen Staatsangehörigen gegenüber der Beklagten angekündigt, so dass angenommen werden kann, dass dem Kläger die (ausländer)rechtliche Relevanz der Eheschließung sehr wohl bewusst war. Dem steht nicht entgegen, dass das Verhalten keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen hatte. Die Angaben waren für die Entscheidung der Behörde aber wesentlich, denn hätte die Behörde von der zweiten Ehe gewusst, hätte sie keine Aufenthaltserlaubnis erteilt […] und davon ausgehen können, dass bei dieser Sachverhaltskonstellation die Eheschließung mit der Deutschen lediglich dazu dient, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, um im Rahmen des Familiennachzugs - wie nun auch tatsächlich angekündigt – die weitere Ehepartnerin nach Deutschland nachziehen zu lassen. Dabei ist irrelevant, ob die Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen in der Tat nur zum Schein erfolgte. Darauf hat die Beklagte zumindest in den insoweit klarstellenden ergänzenden Ermessenserwägungen auch nicht (mehr) abgestellt. Aber auch dessen ungeachtet tragen die Ermessenserwägungen den Bescheid. Es wäre dem Kläger unproblematisch möglich und zumutbar gewesen, die zweite Ehe aufheben zu lassen, wenn diese - sein Vortrag insoweit als wahr unterstellt - nur unter äußerem Druck oder aufgrund von Erpressung zustande gekommen sein sollte. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern der in Deutschland befindliche Kläger den Drohungen der pakistanischen Schwiegereltern weiter ausgeliefert gewesen wäre. Angesichts der rechtskräftigen Ablehnung der Asyl(folge)anträge als offensichtlich unbegründet sowie des langjährigen Voraufenthalts in Pakistan ist der Beklagten insoweit zuzustimmen, als eine unzumutbare Härte im Zusammenhang mit der Rückkehrverpflichtung nicht angenommen werden kann. […]

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