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Rechtsurteile

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Morgen- und Abendgabe ("Mahr") auch ohne "Talaq" des Ehemannes

Ein Ehevertrag, welches nach islamischem Recht des Libanon geschlossen wurde und der Frau das dort geltende Recht nur dann einen nachehelichen Unterhaltsanspruch in Form der einmaligen Zahlung einer Abendgabe ("Mahr") gewährt, wenn der Mann den Scheidungsantrag stellt ("Talaq"), verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und damit gegen den deutschen "Ordre Public", weshalb nicht das gewählte und damit grundsätzlich vorrangige ausländische Recht gem. Art. 5 I c) Rom-III-Verordnung Anwendung findet sondern gem. Art. 10 und Art.12 Rom-III-Verordnung das Recht des angerufenen Gerichts. (Leitsatz der Redaktion)


 Leitsätze:

[...] 2. Eine gegenüber Art. 8 a) Rom-III-Verordnung vorrangige Rechtswahl des ausländischen Eherechts durch die Ehegatten nach Art. 5 Rom-III-Verordnung liegt nicht in dem Abschluss eines Ehevertrages über Morgen- und Abendgabe vor einem libanesischen Scharia-Gericht aus Anlass der Eheschließung. [...]

5. Stellt die Ehefrau den Scheidungsantrag und beruft sich der Ehemann zur Verteidigung gegen die im Verbund mit der Ehescheidung geltend gemachte Zahlung der Abendgabe auf deren nach den Art. 80-90, 343 des Libanesischen Familiengesetzes vom 16.07.1962 nur bei Scheidungsverstoßung („talaq“) durch ihn eintretende Fälligkeit, verstößt dies gem. Art. 6 EGBGB sowie entsprechend den Art. 10, 12 Rom-III-Verordnung gegen den deutschen Ordre public und das Verbot der Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG).

 

Beschluss:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Famili-engericht – Bochum vom 17.11.2015 (Az.: 60 F 270/14) wird zurückgewiesen. [...]

 

Gründe:

I.

 

Der Antragsgegner (31 Jahre alt, deutscher Staatsbürger libanesischer Abstammung) wendet sich mit der Beschwerde gegen den familiengerichtlichen Beschluss, der sei-ne Ehe mit der Antragstellerin (27 Jahre alt, Libanesin) geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antragsgegner zur Zahlung einer Abfindung von 15.000,00 US-Dollar (nach dem Wechselkurs, Stand 19.04.2016: rund 13.260,00 EUR) an die Antragstellerin verpflichtet hat.

4

Die Beteiligten sind verwandt; der Vater des Antragsgegners ist der jüngere Bruder des Vaters der Antragstellerin. Der Antragsgegner zog mit seiner Familie im Alter von wenigen Monaten im Jahre 1985 aus dem Libanon nach Deutschland, wo er seitdem lebt. Er ist zweisprachig aufgewachsen, seit vielen Jahren deutscher Staats-angehöriger und spricht und versteht Arabisch, kann es jedoch nicht lesen und schreiben. Die Eltern der Beteiligten arrangierten im Jahr 2005 die Ehe des Antrags-gegners mit der seinerzeit im Libanon lebenden, damals noch minderjährigen 16-jährigen Antragstellerin. Zum Zwecke der Eheschließung flog der Antragsgegner ohne seine Eltern in den Libanon. Die Beteiligten heirateten am 20.12.2005 nach islamisch-sunnitischem Recht vor dem Scharia-Gericht in Beirut/Libanon. Die Heiratsurkunde [...] enthält keine Regelungen zu den Scheidungsvoraussetzungen. Am selben Tage schlossen die Beteiligten vor dem sunnitischen Scharia-Gericht in Ge-genwart von Vertretern und Zeugen einen Ehevertrag, über dessen vereinbarten In-halt die Beteiligten streiten [...]. Der schriftliche Ehevertrag enthält u. a. folgende Regelung:

5

„Die Parteien genehmigten diesen Ehevertrag und vereinbarten das Brautgeld auf eine Abschrift des heiligen Korans, eine englische Goldlira und fünfzehntausend US-Dollar.

6

Morgengabe: Eine Abschrift des heiligen Korans zum segnen und eine englische Goldlira.

7

Abendgabe: Nur fünfzehntausend US-Dollar.“

Aus der Ehe sind die Kinder N [...], O [...] und T [...] hervorgegangen. Seit der Trennung der Beteiligten Anfang Dezember 2013 durch Auszug des Antragsgegners aus der Ehewohnung in C leben die Kinder O und T bei der Antragstellerin und N bei dem Antragsgegner. Beide Elternteile mit den bei ihnen lebenden Töchtern bzw. dem Sohn beziehen Leistungen nach dem SGB II. [...]

8

9

Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin an einem Sonntag im März 2014 an einer Brücke an der V-Straße in C in Gegenwart der Zeugen E und L1 E die Scheidung nach islamischem Recht ausgesprochen hat, indem er ihr gegenüber dreimal gesagt hat: „Ich verlasse dich.“

10

Mit ihrem Antrag auf Verfahrenskostenhilfe und dem Scheidungsantragsentwurf vom 20.11.2014 hat die Antragstellerin am 21.11.2014 das vorliegende Scheidungsverfahren vor dem Familiengericht eingeleitet. Nach der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Bewirkung der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags am 09.01.2015 hat die Antragstellerin in erster Instanz mit Schriftsatz vom 22.01.2015 [...] die Scheidung der Ehe der Beteiligten und unter Ziffer 2. beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, an sie – die Antragstellerin - eine Abfindung in Höhe von 15.000,00 US-Dollar zu zahlen. [...] [Die] Beteiligten [...] [haben] übereinstimmend erklärt [...], sich Anfang Dezember 2013 getrennt zu haben. Ein eheliches Zusammenleben habe danach nicht stattgefunden und sei auch nicht beabsichtigt. Anschließend hat das Familiengericht mit den Beteiligten den Versorgungsausgleich [...] erörtert, gegen deren Richtigkeit die Beteiligten keine Einwände erhoben haben. Ab-schließend hat das Familiengericht zu Protokoll vom 17.11.2015 den Verfahrenswert für die Scheidung, den Versorgungsausgleich und den Anspruch auf Zahlung der Abfindung festgesetzt.

11

Mit Beschluss vom 17.11.2015 hat sodann das Familiengericht die am 20.12.2005 in Beirut/Libanon unter der Heiratsregister-Nr. #####/#### geschlossene Ehe der Beteiligten geschieden, die Durchführung des Versorgungsausgleichs angeordnet und den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin (eine Abfindung aufgrund des Ehevertrages vom 20.12.2005 von) 15.000,00 US-Dollar zu zahlen. Zur Begründung hat das Familiengericht im Wesentlichen ausgeführt, für die Ehescheidung sei gem. Art. 8 der Rom-III-Verordnung deutsches Recht anzuwenden und die Ehe der Beteiligten sei angesichts der Trennung seit Dezember 2013 gem. den §§ 1564, 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 1 BGB gescheitert. Hinsichtlich des Versorgungsausgleichs seien die in der Ehezeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2014 erworbenen gesetzlichen Rentenanwartschaften jeweils gem. § 10 Abs. 1 VersAusglG hälftig intern zu teilen. Aus dem Ehevertrag habe die Antragstellerin zudem aufgrund der Ehescheidung einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Abfindung von 15.000,00 US-Dollar. Der Fall beurteile sich nach deutschem Sachrecht, da die ehevertragliche Zusage als allgemeine Ehewirkung anzusehen sei, die gem. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB dem Recht des Staates unterliege, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hätten, vorliegend Deutschland. Gemäß der Vereinbarung in dem Ehevertrag sei die Abfindung ausschließlich durch den Ehemann im Falle der – schuldunabhängigen – Scheidung oder seines – des Antragsgegners - Ablebens zu zahlen. Die Ab-findung solle unabhängig davon gezahlt werden, wer die Ehescheidung beantrage. Dies ergebe die Auslegung des Wortlauts. Hinter der Vereinbarung stehe der im Islam verankerte Gedanke der Fürsorge für die Ehefrau im Falle der Scheidung. Zudem bestehe anders als bei der Regelung über eine Brautgabe, in der eine Bezugnahme auf das islamische Recht bestehe, vorliegend bei der vereinbarten Abfindung keine derartige Inbezugnahme. Schließlich genüge der vorliegende Ehevertrag auch den Formerfordernissen des deutschen Rechts.

12

Mit seiner am 26.11.2015 beim Familiengericht eingelegten und innerhalb der bis zum 15.02.2016 verlängerten Frist begründeten Beschwerde gegen den seinem Vertreter am 23.11.2015 zugestellten Beschluss strebt der Antragsgegner die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses unter Zurückweisung der Anträge an. Hierzu macht er im Wesentlichen Folgendes geltend:

13

 Das Familiengericht habe die Ehe der Beteiligten zu Unrecht geschieden, da die Voraussetzungen hierfür nicht festgestellt worden seien. Gem. § 1565 Abs. 1 BGB könne eine Ehe nur geschieden werden, wenn sie gescheitert sei. Die Feststellung, dass die Ehegatten seit Dezember 2013 getrennt lebten, sei hierfür jedoch nicht ausreichend. Die unwiderlegliche Vermutung des § 1566 Abs. 1 BGB liege nicht vor, da er - der Antragsgegner – der Ehescheidung nicht zugestimmt habe und noch keine dreijährige Trennung vorliege.

14

 Da die Voraussetzungen der Ehescheidung nicht vorlägen, finde auch kein Versorgungsausgleich statt.

15

 Die Antragstellerin habe auch keinen Anspruch auf Zahlung von 15.000,00 $ gegen ihn – den Antragsgegner. Die Antragstellerin habe in der mündlichen Verhandlung nur den Ehescheidungsantrag gestellt und es sei nur hierüber und über den Versorgungsausgleich verhandelt worden. Den ursprünglich schriftsätzlich angekündigten Antrag auf Zahlung von 15.000,00 $ habe die Antragstellerin demgegenüber in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Aus diesem Grunde sei der Beschluss aufzuheben.

16

 Hilfsweise bestreite er – der Antragsgegner – den Abschluss eines Ehevertrages, von dem die Antragstellerin bisher weder das Original noch eine Kopie vorgelegt habe. Das Ausgangsdokument der lediglich vorgelegten angeblichen beglaubigten Abschrift einer Übersetzung aus dem Arabischen ins Deutsche sei ihm – dem Antragsgegner – nicht bekannt. Daher werde die Echtheit des übersetzten Ehevertrages und die Richtigkeit der Übersetzung in die deutsche Sprache bestritten.

17

 Er – der Antragsgegner – könne die arabische Sprache nicht lesen und sei sich nicht bewusst, eine derartige Erklärung bei der Hochzeit im Libanon abgegeben zu haben. Der wirksame Abschluss des Ehevertrages werde bestritten. Ihm – dem Antragsgegner – sei der angebliche Vertrag niemals übersetzt worden, was Voraussetzung für einen wirksamen Vertragsschluss sei. Auch befänden sich keine Unterschriften unter dem vermeintlichen Vertrag bzw. der Übersetzung.

18

Der Antragsgegner beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.

19

20

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gegen die Beschwerdeangriffe des Antragsgegners und macht im Wesentlichen Folgendes geltend:

21

22

23

 Gem. § 1565 BGB sei eine Ehe gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr bestehe und nicht erwartet werden könne, dass die Eheleute sie wiederherstellten. Lebten die Ehegatten länger als ein Jahr, aber noch keine drei Jahre getrennt, und sei der andere Ehegatte nicht mit der Ehescheidung einverstanden, müsse das Scheitern der Ehe bewiesen werden. Vorliegend habe seit der Trennung Anfang Dezember 2013 ein eheliches Zusammenleben nicht mehr stattgefunden und sei auch nicht beabsichtigt. Ihren – der Antragstellerin – Vortrag hierzu habe der Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt bestritten. Zudem sei die Zerrüttung der Ehe dem Familiengericht auch aus diversen weiteren familienrechtlichen Verfahren bekannt.

24

 Der Antrag auf Zahlung von 15.000,00 US-Dollar sei ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2015 sehr wohl gestellt worden. Der Antrag sei im Schriftsatz vom 20.11.2014, auf welchen das Protokoll Bezug nehme, benannt, sodass es unwesentlich sei, ob es im Protokoll laute „den Antrag“ oder „die Anträge“. Über den Antrag auf Zahlung der 15.000,00 US-Dollar sei auch verhandelt worden.

25

 Der Ehevertrag sei mit Schriftsatz vom 22.01.2015 auch vorgelegt worden. Der Antragsgegner habe im bisherigen Verfahren zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, den Vertrag nicht vorliegen zu haben und habe bisher die Echtheit des Vertrages und dessen Abschluss nicht bestritten. Sein jetziges Bestreiten sei zudem unsubstantiiert. [...]


II.

[...]

C.

26

In der Sache hat die Beschwerde des Antragsgegners im Ergebnis keinen Erfolg, obwohl sowohl das Protokoll der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 17.11.2015 als auch der angefochtene Beschluss vom selben Tage erhebliche Ver-fahrens- und inhaltliche Mängel aufweisen. [...]

34

II. Aufhebung und Zurückverweisung wegen Entscheidung über einen nicht gestellten Antrag:

 

Der Beschwerdesachantrag des Antragsgegners vom 23.11.2015 ist in seiner wörtlichen Formulierung nur auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückweisung der Anträge der Antragstellerin gerichtet, also auf die inhaltliche Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Aus dem Inhalt der Beschwerdebegründung vom 15.02.2016 und aus dem Vortrag des Antragsgegners im Senatstermin vom 22.04.2016 zur Verletzung des Mündlichkeitsprinzips ergibt sich zwar, dass der Antragsgegner die Aufhebung des Beschlusses u. a. deshalb begehrt, weil das Familiengericht mit dem Zuspruch über 15.000,00 US-Dollar über einen in der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2015 nicht gestellten Sachantrag entschieden habe. [...] Es ist [...] im Ergebnis nicht entscheidungserheblich, ob die Antragstellerin im erstinstanzlichen Verhandlungstermin vom 17.11.2015 den Sachantrag auf Zahlung von 15.000,- US-Dollar nicht wirksam gestellt hat. Denn in jedem Fall wäre ein et-waiger Verstoß gegen die §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 308 Abs. 1 S. 1 ZPO aufgrund einer nachträglichen Genehmigung der Antragstellerin geheilt. Weil nämlich die An-tragstellerin beantragt hat, die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen, würde durch die darin liegende Genehmigung der etwaige Mangel geheilt werden, denn im Sichzueigenmachen der gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO verstoßenden Ent-scheidung läge eine- noch in der Beschwerdeinstanz mögliche - entsprechende Antragserweiterung [...].

III. Antrag auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrages:

41

1. Anwendbares Scheidungsrecht:

Der Antrag des Antragsgegners auf abändernde Zurückweisung des Scheidungsantrags der Antragstellerin ist unbegründet, denn das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend das materielle deutsche Scheidungsrecht zugrunde gelegt und das Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen zu Recht bejaht.

43

44

a) Das Amtsgericht hat zu Recht auf die am 21.06.2012 in Deutschland in Kraft getretene Rom-III-Verordnung [...] und ihre Auswirkungen auf das vorliegend anzuwendende Scheidungssachrecht abgestellt. Neben vertraglichen Schuldverhältnissen, ungerechtfertigter Bereicherung und Deliktsrecht besteht damit nun auch eine EU-Verordnung bei der Trennung von Ehen bzw. bei der Ehescheidung. Die Verordnung dient der Bestimmung, welches nationale Recht bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt anzuwenden ist. [...]

45

b) Im vorliegenden Fall begründen folgende Gesichtspunkte die vorrangige und ausschließliche Anwendung der Rom-III-Verordnung als Kollisionsregelung für die Ehescheidung der Beteiligten:

46

- Die Rom-III-Verordnung ist nach Art. 21 seit dem 21.06.2012 in Kraft getretenes, in Deutschland verbindliches und unmittelbar geltendes Recht.

47

- Sie gilt nach der Übergangsvorschrift des Art. 18 Abs. 1 für gerichtliche Verfahren, die ab dem 21.06.2012 eingeleitet worden sind. Das vorliegende Scheidungsverfahren ist am 21.11.2014 durch Anhängigkeit des Verfahrenskostenhilfeantrages nebst Entwurf der Antragsschrift vom 20.11.2014 eingeleitet worden, sodass die Rom-III-Verordnung vorliegend uneingeschränkt geltendes Recht ist.

48

- Da beide Beteiligten unstreitig während des ehelichen Zusammenlebens ihren ge-wöhnlichen Aufenthalt bis zur Trennung sowie auch noch zum Zeitpunkt der Anru-fung des Familiengerichts am 21.11.2014 in der Bundesrepublik Deutschland in C gehabt haben, greift im Grundsatz Art. 8 a) Rom-III-Verordnung mit der Möglichkeit einer verdrängenden Rechtswahl nach Art. 5.

49

c) Im Ergebnis führt die demnach uneingeschränkte Geltung der Rom-III-Verordnung vorliegend [...] zur Anwendung des deutschen materiellen Scheidungsrechts. Insoweit ist nach dem Grundsatz in Art. 8 a) der Rom-III-Verordnung regelmäßig nicht mehr die Staatsangehörigkeit entscheidend, sondern der gewöhnliche Aufenthalt der Beteiligten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts, und die Verordnung gilt auch unabhängig davon, ob sie auf die Rechtsordnung eines Mitgliedsstaates der EU oder auf einen anderen Staat verweist. Es handelt sich um autonomes Kollisionsrecht der EU. Vorliegend hatten und haben die Beteiligten während ihres ehelichen Zusammenlebens, ihrer Trennung und der Anrufung des Amtsgerichts ebenso wie im Beschwerdeverfahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

50

d) [Die] Beteiligten [haben] in der Heiratsurkunde nicht von der Möglichkeit einer Rechtswahl zugunsten des islamischen Scheidungsrechts Gebrauch gemacht. Neben den zwingenden gesetzlichen Regelungen ist es zwar auch möglich, das anzuwendende Recht frei zu wählen, Art. 5 Rom-III-Verordnung. Eine solche Rechtswahl ist grundsätzlich vorrangig vor der Regelung des Art. 8. Jedoch liegt in dem Inhalt der Heiratsurkunde vom 20.12.2005 keine für das vorliegende Scheidungsverfahren bindende Rechtswahl. [...]

51

e) Schließlich kann auch aus der Tatsache, dass die Beteiligten am Tage der Eheschließung einen Ehevertrag vor dem Scharia-Gericht in Beirut abgeschlossen haben, nicht auf eine Rechtswahl des islamisch-sunnitischen Rechts für den Fall der Scheidung geschlossen werden. [...] Da der Antragsgegner zweisprachig aufgewachsen ist, also Arabisch sprechen und verstehen kann, ist aus der Tatsache, dass er die arabische Sprache nicht lesen kann, nicht das Erfordernis einer damaligen Übersetzung für die Wirksamkeit des Ehevertrages zu folgern. Aus dem Inhalt des Ehevertrages selbst kann nicht auf die Wahl des islamisch-sunnitischen Scheidungsrechts geschlossen werden. Die Beteiligten haben zwar zur Überzeugung des Senats ein „Mahr“ - d. h. eine aus Morgengabe bei Eheschließung und Abendgabe bei etwaiger Ehescheidung bestehende Brautgabe – vereinbart (näher dazu unten V.). [...]

55

2. Materielle Scheidungsvoraussetzungen:

Nach deutschem Ehescheidungsrecht liegen die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Beteiligten vor, da die Ehe im Sinne des § 1565 Abs. 1 und 2 BGB ge-scheitert ist.

 

57

a) Im Ansatz zutreffend geht die Beschwerde des Antragsgegners allerdings davon aus, dass die Gründe des angefochtenen Beschlusses zum Ausspruch der Ehescheidung diese Rechtsfolge nicht tragen. Da die Beteiligten noch nicht drei Jahre getrennt leben, reicht der bloße Hinweis in den Beschlussgründen auf die Trennung im Dezember 2013 nicht zur Ausfüllung der Scheidungsvoraussetzungen wegen unwider-leglicher Zerrüttung der Ehe nach den §§ 1564, 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 1 BGB aus. Der Antragsgegner hat der Ehescheidung nämlich nicht zugestimmt, sondern erstinstanzlich lediglich zu Protokoll beantragt, zu erkennen, was rechtens ist. Der Senat hat die Beteiligten daher ergänzend gem. § 128 Abs. 1 FamFG zu den Scheidungsvoraussetzungen, auch vor dem Hintergrund einer möglichen einseitigen Zerrüttung der Ehe [...].

58

b) Im Ergebnis ist danach von dem Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen auszugehen.

59

aa) Die Antragstellerin hat die gerichtliche Scheidung der Ehe gem. § 1564 S. 1 BGB beantragt.

60

bb) Unstreitig leben die Beteiligten seit Anfang Dezember 2013, also seit mehr als einem Jahr im Sinne der §§ 1565 Abs. 2, 1566 Abs. 1, 1567 BGB, räumlich getrennt voneinander. Das Trennungsjahr war auch bei Verkündung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung am 17.11.2015 bereits abgelaufen.

61

cc) Zwar stimmt der Antragsgegner der Scheidung nicht zu, sondern beantragt im Beschwerdeverfahren die Zurückweisung des Scheidungsantrags der Antragstellerin. Es lässt sich jedoch zur Überzeugung des Senats auf Grund des Inhalts des vorlie-genden Verfahrens – jedenfalls aber aufgrund der ergänzenden Anhörung der Beteiligten im Senatstermin vom 22.04.2016 – zur Überzeugung des Senats im Sinne der §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 286 ZPO inzwischen nicht nur eine einseitige Zerrüttung der Ehe auf Seiten der Antragstellerin, sondern auch ein beiderseitig akzeptiertes Scheitern der Ehe feststellen, das nach dem Ablauf des Trennungsjahres für eine streitige Scheidung der Beteiligten ausreicht, soweit eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten ist [...]. Aus der Anhörung der Beteiligten vor dem Familiengericht und vor dem Senat sowie aus den von den Beteiligten vorgetragenen wesentlichen Inhalten der hochstreitigen familiengerichtlichen Sorgerechts- und Umgangsregelungsverfahren [...] sowie aus dem zwischen den Beteiligten schon vor dem Senat anhängig gewesenen früheren Beschwerdever-fahren [...] sowie schließlich aus den von der Antragstellerin gegen den Antragsgegner eingeleiteten, letztlich erfolglos gebliebenen staatsanwaltschaftlichen Ermitt-lungsverfahren wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung und mehrfacher Körperverletzungen ergibt sich eine so tiefgreifende, zum endgültigen Scheitern führende Zerrüttung der Ehe der Beteiligten - unter Ausschluss der Möglichkeit einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft -, dass die Ehe durch das Familiengericht im Ergebnis zu Recht geschieden worden ist. Insbesondere hat der Antragsgegner schon in der Anhörung vor dem Familiengericht vom 17.11.2015 in Übereinstimmung mit der Antragstellerin bekundet, ein eheliches Zusammenleben habe nach der Trennung nicht mehr stattgefunden und sei auch nicht beabsichtigt. Jedenfalls aber hat der Antragsgegner ausweislich des Inhalts des Berichterstattervermerks vom 22.04.2016 spätestens in der Verhandlung vor dem Senat vom selben Tage ausdrücklich erklärt, dass mittlerweile auch für ihn die Ehe aufgrund des psychischen Drucks der Antragstellerin und des ständigen Streits sowie mangels Vertrauensbasis endgültig gescheitert sei und er sich auch bereits einer anderen Frau zugewandt habe.

IV. Versorgungsausgleich:

62

Das Familiengericht hat im Ergebnis zu Recht den Versorgungsausgleich durchgeführt.

64

1.) Das Familiengericht hat allerdings nicht begründet, warum insoweit deutsches Sachrecht Anwendung findet. Da die Rom-III-Verordnung keine Regelungen zum Versorgungsausgleich enthält – vielmehr regelt Art. 1 Abs. 2 Rom-III-Verordnung ausdrücklich, dass diese nicht für die Scheidungsfolgen gilt -, greift die Kollisionsnorm des Art. 17 Abs. 3 S. 1 EGBGB, wonach der Versorgungsausgleich grund-sätzlich dem nach der Rom-III-Verordnung auf die Scheidung anzuwendenden Recht unterliegt. Vorliegend ist nach dem oben Festgestellten deutsches Scheidungsrecht anwendbar. Zudem ist der Antragsgegner deutscher Staatsangehöriger (vgl. Art. 17 Abs. 3 S. 1, 2. Hs. EGBGB), und beide Beteiligten haben in der Ehezeit Anrechte in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung erworben (Art. 17 Abs. 3 S. 2 EGBGB).

65

2.) Aufgrund der Anwendbarkeit des deutschen Ehescheidungsrechts ist gem. § 1587 BGB zugleich mit der Scheidung der Ehe der Beteiligten der Versorgungsausgleich nach Maßgabe des VersAusglG durchzuführen, sodass gem. den §§ 1-3 VersAusglG die ehe-zeitlichen Versorgungsanrechte der Beteiligten jeweils hälftig zu teilen sind. Angesichts der Eheschließung am 20.12.2005 und der Zustellung des Scheidungsantrags an den Antragsgegner am 09.01.2015 läuft die Ehezeit im Sinne des § 3 Abs. 1 VersAusglG vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2014. Die Berechnungen und der Tenor des Familien-gerichts zum diesbezüglichen Ausgleich sind nicht zu beanstanden. [...]

V. Antrag auf abändernde Zurückweisung des Abfindungsantrags:

66

Im Ergebnis hat die Beschwerde schließlich auch bzgl. des der Antragstellerin durch das Familiengericht aufgrund des Ehevertrages vom 20.12.2005 zugesprochenen Abfin-dungsbetrages von 15.000,00 US-Dollar keinen Erfolg.

71

1. Anzuwendendes Sachrecht:

Das Familiengericht hat die Anwendung des deutschen Sachrechts auf die im Ehevertrag vom 20.12.2005 vereinbarte „Abfindung“ auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB gestützt. Dem folgt der Senat zwar nicht in der Begründung, wohl aber im Ergebnis, auch wenn die eigentliche Eheschließung und die Vereinbarung der „Abfindung“ ursprünglich dem islamisch-sunnitischen Scharia-Recht folgen.

72

73

a) In dem Ehevertrag vom 20.12.2005 haben die Beteiligten zur Überzeugung des Senats entgegen dem Beschwerdevorbringen des Antragsgegners in Gegenwart beider Beteiligten wirksam einen sogenannten „Mahr“ - eine durch den Ehemann zu erbringende, teils bei Eheschließung fällige „Morgengabe“ und teils bei Scheidung als „Abendgabe“ fällige „Brautgabe“ - vereinbart.

74

aa) Zwar ist im Ausgangspunkt der Beschwerdeeinwand des Antragsgegners zutreffend, dass die erstinstanzlich allein vorgelegte beglaubigte Abschrift einer deutschen Übersetzung des am 20.12.2005 in Beirut/Libanon geschlossenen Ehevertrages zur familiengerichtlichen Überzeugungsbildung an sich nicht ausreichend war. Auf die Auflage des Senats in der Ladungsverfügung hin hat die Antragstellerin jedoch mit Schriftsatz vom 29.03.2016 die ihr zur Verfügung stehende, in Arabisch verfasste beglaubigte Abschrift des Ehevertrages im Original vorgelegt [...]. Aus der vom Senat eingeholten Übersetzung ergibt sich, dass in der Ausfertigung/Abschrift des Originals des Ehevertrags - vom sunnitischen Scharia-Richter und dem Leiter der Geschäftsstelle des Gerichts durch Unterschrift beglaubigt – in Gegenwart beider Beteiligten („Er vertritt sich selbst“, „Sie vertritt sich selbst“) sowie von Vertretern und Zeugen Folgendes vereinbart worden ist:

75

„Die Parteien genehmigten diesen Ehevertrag und vereinbarten das Brautgeld auf eine Abschrift des heiligen Korans, eine englische Goldlira und fünfzehntausend US-Dollar.

76

Morgengabe: Eine Abschrift des heiligen Korans zum segnen und eine englische Goldlira.

77

Abendgabe: Nur fünfzehntausend US-Dollar.“

bb) Soweit der Antragsgegner schriftsätzlich hat vortragen lassen, sich nicht mehr an eine solche Vereinbarung erinnern zu können, läuft dies faktisch auf ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen im Sinne der §§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 138 Abs. 4 ZPO hinaus. Auch die Darstellung des Antragsgegners in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, beim Abschluss des Ehevertrages sei nicht eine Abendgabe in Form von 15.000,00 US-Dollar, sondern - neben der Übergabe einer Abschrift des Korans - eine Morgengabe in Gold (zwei Halsketten und drei Armreifen) im Wert von 11.000,00 US-Dollar vereinbart worden, von der er – der Antragsgegner - die Hälfte im Falle der Scheidung habe zurückerhalten und die Antragstellerin die andere Hälfte als Abendgabe habe behalten sollen, vermag den Senat nicht zu überzeugen. Zum einen ist dieser Vortrag schon in sich widersprüchlich, denn eine erst bei Scheidung der Ehe fällig werdende Abendgabe kann ersichtlich nicht durch eine bei Eheschließung geleistete Morgengabe – schon gar nicht bei etwa vereinbarter hälftiger Rückforderung im Falle der Scheidung – bewirkt werden. Zudem ist der diesbezügliche Vortrag des Antragsgegners von der Antragstellerin im Senatstermin qualifiziert durch die eigene Darstellung des Ablaufs der Ehevertragsverhandlung bestritten worden, wonach der Antragsgegner die zuvor vom Vater der Antragstellerin gar nicht vorgesehene, aber von dem Onkel der Antragstellerin angesprochene Abendgabe selbst mit 15.000,00 US-Dollar vorgeschlagen habe. Einen Beweis für die Richtigkeit seines – nicht plausiblen – Sachvortrags hat der Antragsgegner nicht angetreten. Vielmehr wird durch die Urkunde des Scharia-Gerichts, die angesichts der förmlichen Beglaubigung ebenso wie deutsche Notarverträge eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO darstellt, der volle Beweis des durch den sie ausstellenden Scharia-Richter und den Leiter seiner Geschäftsstelle beurkundeten Vorgangs geführt, also des am selben Tage wie die vor demselben Scharia-Gericht eingegangene Eheschließung erfolgten Abschlusses des Ehevertrages mit dem die Darstellung der Antragstellerin bestätigenden oben dargelegten Inhalt. Dass die vorgelegte Ausfertigung des arabischen Originals ausweislich eines Abgleichs mit den Unterschriften der Beteiligten unter ihren Anwaltsvollmachten/ Verfahrenskostenhilfeerklärungen – unstreitig - nicht die Unterschriften der Beteiligten (und auch nicht der Vertreter und Zeugen) trägt, ist unschädlich, denn wie in Deutschland der Notar beglaubigt auch vorliegend der Aussteller der Urkunde, hier der Scharia-Richter und sein Geschäftsstellenleiter, dass das Original die notwendigen Unterschriften trägt. Dabei ist durch die Form des Abschlusses vor dem Scharia-Gericht und die diesbezügliche Beglaubigung entsprechend der zutreffenden Ansicht des Familiengerichts mit der Einhaltung der Vorschriften des Art. 349 a) – e) des libanesisch-sunnitischen Familiengesetzes von 1962 (näher siehe unten cc) auch die notarielle Form des § 1410 BGB in einer vergleichbaren Weise erfüllt worden.

78

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cc) In rechtlicher Hinsicht gilt insoweit für den Abschluss des Ehevertrages das Recht der sunnitischen Gemeinschaft im Libanon [...], da ausweislich des Inhalts der Heiratsurkunde beide Beteiligten muslimisch-sunnitischer Religion sind. [...] Die durch die beglaubigte Abschrift der ins Deutsche übersetzten – und insoweit von dem Antragsgegner nicht angegriffenen – Heiratsurkunde dokumentierten Umstände der Eheschließung erfüllen die Vorschriften der Art. 33 – 37 des FamilienG von 1917, Art. 349 a) – c), e) des ergänzenden Gesetzes von 1962, insbesondere die Gegenwart und Unterschriften der sich die Ehe versprechenden Eheleute sowie die Unterschriften jeweils zweier handlungsfähiger Zeugen und Vertreter der Eheleute sowie des die Eheschließung vornehmenden und registrierenden Scharia-Richters unter der Heiratsurkunde und dem Ehevertrag [...]. Soweit der Antragsgegner das Unterschreiben des Ehevertrages bestreitet, wird sein Vortrag durch die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde gem. §415 ZPO widerlegt.

80

dd) Die vorliegende Vereinbarung der „Mahr“ in dem Ehevertrag beruht unmittelbar auf Art. 349 d) des Gesetzes von 1962 zur Eheschließung [...]:

81

„Art.349: Die personenstandsrechtliche Schließung der Ehe beinhaltet: [...]

d) die Höhe der sofortigen bzw. der später zu zahlenden Teile des Mahr und die Höhe des Mahr in Geld oder in Mitgift, das tatsächlich bezahlt wird;.....“.

82

84

Genau einen solchen Mahr – unterfallend in eine sofort zu leistende Morgengabe (eine Abschrift des heiligen Korans und eine englische Goldlira) und eine im Falle der Scheidung zu leistende Abendgabe (15.000,00 US-Dollar) - haben die Beteiligten in ihrem Ehevertrag vereinbart. Materiell wird der Inhalt des Mahr grundsätzlich in den Art. 80 bis 90 und 343 des Gesetzes vom 16.07.1962 geregelt; am ehesten kann er unter die Ehewirkungen klassifiziert werden, denn das Fehlen des Mahr im Ehevertrag führt nicht zur Ungültigkeit der Ehe [...]. Sinn der Morgengabe ist eine gewisse Absicherung der Ehefrau nach der Scheidung, da der Mann für seine Frau nur drei Monate nachehelichen Unterhalt zu zahlen hat [...]

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b) Trotz der ursprünglich muslimisch-sunnitischem Recht folgenden Eheschließung und Vereinbarung der Brautgabe findet hierauf vor dem gem. Art. 3 a) der Brüssel-IIa-Verordnung zuständigen deutschen Familiengericht bzw. Senat (siehe oben) gleichwohl das deutsche Sachrecht Anwendung.

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aa) Dies ergibt sich allerdings nicht aus Art. 1 ff. der Rom-III-Verordnung, da diese gem. deren § 1 Abs. 2 gerade nicht auf die Ehewirkungen anwendbar ist. Wegen der inhaltlichen Nähe zum Unterhaltsrecht wird vielmehr überwiegend davon ausgegangen, dass für den Anspruch auf eine Brautgabe im Zusammenhang mit der Ehescheidung (Abendgabe) das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 23.11.2007 (ABl. EU 09 L 331/19, im Folgenden: HUntProt) gelte; während für den Anspruch auf die Morgengabe vor Eingehung der Ehe das Verlöbnisstatut und während des Bestehens der Ehe Art. 14 EGBGB einschlägig sein soll [...], gilt nach h. M. für den Anspruch auf Brautgabe bei der Ehescheidung aus den o. g. Gründen wegen der sachlichen Nähe zum nachehelichen Unterhalt das HUntProt. [...]

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bb) Demnach kann entgegen der Auffassung des Familiengerichts für die Geltung des deutschen Sachrechts nicht auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB abgestellt werden. [...]

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cc) Nach dem vielmehr geltenden Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 HUntProt ist, sofern in diesem Protokoll nichts anderes bestimmt ist, für Unterhaltspflichten das Recht des Staates maßgebend, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe, nach der Trennung und bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens in Bochum in der Bundesrepublik Deutschland hatte und hat, ist demnach für den einer Unterhaltsabfindung ähnlichen Anspruch auf Zahlung des Mahr/der Brautgabe grundsätzlich das deutsche Sachrecht anwendbar.

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dd) Eine Ausnahme von dem Grundsatz des Art. 3 Abs. 1 HUntProt ergibt sich nicht aus den Art. 5, 6, 7, und 8 HUntProt.

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(1) Eine übereinstimmende Rechtswahl der Beteiligten im Sinne der Art. 7, 8 HUntProt lässt sich schon dem streitigen Vorbringen der Beteiligten nicht entnehmen, zumal zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht beide Beteiligten libanesische Staatsangehörige waren; vielmehr war der Antragsgegner bereits seinerzeit deutscher Staatsangehöriger.

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(2) Ansatzpunkt für eine Anwendung des libanesisch-sunnitischen Sachrechts kann im Ergebnis auch nicht das einseitige Verhalten des Antragsgegners im Verfahren sein, also dessen schriftsätzliches und mündliches Wenden gegen die Beurteilung der Mahr nach dem deutschen Sachrecht. Ein solches einseitiges Wenden dürfte zwar darin liegen, dass der Antragsgegner geltend macht, die Abendgabe sei nach dem islamisch-sunnitischen Recht nur dann zu bezahlen, wenn der Ehemann sich von der Ehe löse und die Ehefrau verstoße.

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(a) Dieses Verhalten des Antragsgegners begründet aber zum einen keine Ausnahme im Sinne des Art. 5 HUntProt, auch wenn der Anspruch auf Zahlung des Mahr am ehesten dem nachehelichen Unterhaltsrecht zuzuordnen ist. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, dass das islamisch-sunnitische Recht des Staates Libanon zu der Ehe der Beteiligten eine engere Verbindung als das deutsche Sachrecht aufweist. Zwar haben die Beteiligten ihre Ehe in Beirut/Libanon vor dem dortigen Scharia-Gericht geschlossen und in dem Ehevertrag vom selben Tage einen Mahr nach dem dortigen Recht vereinbart. Schon damals hatte allerdings lediglich die Antragstellerin die libanesische Staatsangehörigkeit, während der Antragsgegner bereits seinerzeit im Jahre 2005 – also vor mehr als zehn Jahren - deutscher Staatsangehöriger war. Diese deutsche Staatsangehörigkeit trotz der Geburt im Libanon beruht ersichtlich darauf, dass der Antragsgegner aufgrund der Einwanderung seiner Familie wenige Monate nach seiner Geburt im Jahre 1985 schon rund 20 Jahre vor der Eheschließung in der Bundesrepublik Deutschland gelebt hat. Insbesondere haben die Beteiligten schließlich auch nicht – woran Art. 5 HUntProt maßgeblich anknüpft – ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Libanon gehabt.

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(b) Auch kann der Antragsgegner der Antragstellerin in Bezug auf die letztlich eine nacheheliche Unterhaltsabfindung darstellende Abendgabe nicht mit Erfolg die Verteidigung gem. Art. 6 HUntProt entgegenhalten, dass eine Pflicht zu deren Zahlung für ihn nach dem libanesischen Recht nicht bestehe. Beim Libanon handelt es sich nämlich weder um den Staat, in dem der Antragsgegner als Verpflichteter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, noch haben die Beteiligten gemeinsam die libanesische Staatsangehörigkeit. Es muss daher im Ergebnis bei dem Grundsatz verbleiben, dass die streitige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung des Mahr trotz der ursprünglichen Vereinbarung in dem Ehevertrag nach islamisch-sunnitischem Recht gem. Art. 3 Abs. 1 HUntProt letztlich nach den Regeln des deutschen Sachrechts zu beurteilen ist.

2. Materielle Voraussetzungen des Anspruchs auf Zahlung des Mahr:

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Das Familiengericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Anspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner aus dem Ehevertrag der Beteiligten auf Zahlung des Mahr besteht.

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a) Nach dem oben bereits Festgestellten ist zur Überzeugung des Senats davon auszugehen, dass die Beteiligten sich am 20.12.2005 tatsächlich materiell und formwirksam darüber geeinigt haben, dass die Antragstellerin von dem Antragsgegner die Leistung einer Morgengabe im Umfang einer Koranabschrift und einer englischen Goldlira sowie die Zahlung einer Abendgabe von 15.000,00 US-Dollar verlangen kann.

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b) Entscheidende Frage ist daher, ob die islamisch-sunnitischen Regeln für das Auslösen der Brautgabe sinngemäß auf das deutsche Recht übertragen werden müssen. Nach dem islamischen Recht (Art. 80 – 90, 343 des Gesetzes von 1962) hat der Ehemann die Abendgabe anlässlich der Ehescheidung nämlich nur dann zu zahlen, wenn eine von ihm ausgehende Scheidungsverstoßung vorliegt, nicht aber, wenn – wie vorliegend – die Auflösung der Ehe von der Ehefrau oder ihrem Vormund verlangt wird [...].

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aa) Diese Einschränkung wäre indes mit wesentlichen Grundgedanken des deutschen Ehescheidungs- und Nachscheidungsunterhaltsrechts nicht zu vereinbaren und muss nach Auffassung des Senats entsprechend dem in den Art. 10, 12 Rom-III-Verordnung für das internationale Scheidungsrecht kodifizierten – und darüber hinaus aufgrund der allgemeinen Grundregel des Art. 6 EGBGB auch für die Ehewirkungen und vermögensrechtlichen Scheidungsfolgen [...] geltenden - Prinzip des „Ordre Public“ dazu führen, dass es für die Fälligkeit der Abendgabe auch genügt, wenn nach dem Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht des angerufenen Gerichts – hier nach deutschem Recht - die Ehefrau die Scheidung der Ehe beantragen und – vertraglich vereinbarte – Scheidungsfolgenansprüche einfordern darf. [...] [Das] islamische Recht der Abendgabe [fußt] neben dem Versorgungsgedanken zugunsten der Ehefrau auch auf einem mit unserer Rechtsordnung nicht zu vereinbarenden, die Ehefrau einseitig benachteiligenden Verschuldensprinzip. So ist nach dem islamisch-sunnitischen Recht die Abendgabe trotz der Scheidungsverstoßung durch den Ehemann schon dann nicht zu zahlen, wenn das Verhalten der Frau die Auflösung der Ehe verursacht hat [...]. Kann der Ehemann plausibel darlegen, dass irgendein nicht gänzlich zu vernachlässigendes Verhalten der Ehefrau ihn zu der Scheidungsverstoßung veranlasst hat, steht die Ehefrau nach dem islamisch-sunnitischen Recht nach der von ihr nicht zu verhindernden, vom Ehemann ohne wesentliche Formvorschriften einfach und schnell zu realisierenden Scheidungsverstoßung ohne jede Versorgung da.

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bb) Nach dem deutschen Recht ist hingegen nachehelicher Unterhalt aus den §§ 1569 ff. BGB grundsätzlich unabhängig von dem Trennungsgrund und verschuldensunabhängig zu leisten, wenn einer der Tatbestände der §§ 1570 ff. BGB erfüllt ist. Lediglich in den eng begrenzten Ausnahmetatbeständen der Verwirkung nach § 1579 BGB – deren Vorliegen hier nicht ansatzweise ersichtlich ist – kann der Gläubigerin des nachehelichen Unterhalts aufgrund eigenen Verschuldens der Unterhalt versagt werden. Für die Ehescheidung selbst regelt Art. 10 Rom-III-Verordnung ausdrücklich, dass das Scheidungsrecht des angerufenen Staates anzuwenden ist, wenn – wie vorliegend – das ausländische (religiöse) Recht einen Ehegatten (nämlich die Ehefrau) gleichheitswidrig unter Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Möglichkeit der Durchsetzung einer Ehescheidung diskriminiert [...].

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cc) Vorliegend ist insoweit zudem in tatsächlicher Hinsicht zu berücksichtigen, dass es der Antragsgegner gewesen ist, der Anfang Dezember 2013 die Trennung der Beteiligten durch seinen Auszug aus der Ehewohnung herbeigeführt hat und er selbst ausweislich seiner Anhörung vor dem Familiengericht vom 17.11.2015 und vor dem Senat vom 22.04.2016 ein eheliches Zusammenleben mit der Antragstellerin ebenfalls nicht mehr beabsichtigt. Von einem einseitigen Fehlverhalten der Antragstellerin oder einer Veranlassung der Ehescheidung allein durch sie kann demnach keine Rede sein, sodass die Fälligkeit der im Ehevertrag vereinbarten Brautgabe bei deren Auslegung nach dem deutschen Recht nicht davon abhängig zu machen ist, dass der Antragsgegner – letztlich zumindest auch aus taktischen Gründen, um nicht die Voraussetzungen für die Fälligkeit der Brautgabe nach islamisch-sunnitischem Recht zu schaffen – trotz des eigenen Mit-Herbeiführens der deutschen Scheidungsvoraussetzungen durch die durch seinen Auszug verursachte räumliche Trennung bewusst die Antragstellerin den Ehescheidungsantrag hat stellen lassen.

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c) Der Höhe nach ist die Abendgabe in dem Ehevertrag auf 15.000,00 US-Dollar (= nach aktuellem Wechselkurs, Stand 19.04.2016, rund 13.260,00 EUR) festgelegt worden. Angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin ansonsten nach einer rund neunjährigen Ehe von der Eheschließung am 20.12.2005 bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages am 09.01.2015 und trotz der Betreuung von zwei der drei minderjährigen Kinder nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen der Beteiligten keinen nachehelichen Unterhalt erhalten würde – weil nach deutschem Unterhaltsrecht wegen des Vorrangs des Unterhaltsanspruchs der drei minderjährigen Kinder bei der Leistungsfähigkeit nach § 1609 Nr. 1 BGB nachehelicher Unterhalt faktisch ausgeschlossen sein dürfte -, erscheint eine Gesamtsumme von rund 13.260,00 EUR als Abfindung zur mit der Abendgabe intendierten zeitweisen – einkommensunabhängigen - Absicherung der Antragstellerin als auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht zu beanstanden.

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d) Nach alldem kommt es nicht entscheidungserheblich auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage an, ob sich der Antragsgegner von der Antragstellerin an einem Sonntag im März 2014 an der Brücke an der V in C nach islamisch-sunnitischem Recht durch Verstoßung mit dem dreimaligen Ausruf des „Talaq“ („Ich verstoße dich“ bzw. „Ich verlasse dich“) wirksam geschieden hat, sodass es der Vernehmung der Zeugen E und L E durch den Senat nicht bedarf. Allerdings weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass diese etwaige Scheidungsverstoßung durch den Antragsgegner entgegen dessen Vorbringen formwirksam gewesen wäre. Die Auflösung der Ehe durch Verstoßung („talaq“) seitens des Mannes bedarf nach dem libanesischen islamisch-sunnitischen Recht nämlich keiner weiteren besonderen Formerfordernisse. [...] Die von der Antragstellerin substantiiert dargelegte dreimalige Ausrufung des Antragsgegners ihr gegenüber „Ich verlasse Dich“ in Gegenwart der beiden genannten Zeugen wäre demnach als formwirksamer „talaq“ zu qualifizieren, der auch nach islamischem Recht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung des zweiten Teils des Mahr = Abendgabe von 15.000,00 US-Dollar mit Rechtskraft der Ehescheidung auslöst. Im Übrigen dürfte schon die Bekundung des Antragsgegners vor dem Senat, die Ehe nicht mehr fortführen zu wollen, den genannten Anforderungen genügen. [...]

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