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Rechtsurteile

"Islamkritische" Äußerung im Rundfunk

Aussagen, die im Rahmen eines Interviews über eine islamische Moscheegemeinde getätigt werden, sind zu unterlassen, sofern sie nicht lediglich eine Meinungsäußerung darstellen, sondern einen Tatsachenkern beinhalten, der nicht der Wahrheit entspricht. (Leitsatz der Redaktion)


Urteil:

Auf die Berufung der Klägerin und auf die Berufung der Beklagten wird das am 14. Februar 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt - 2-03 O 178/18 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,-€ und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder zu Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zur Höchstdauer von insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

c. „Die B-Gemeinde nutzt ihren Status, um ihre politische Agenda durchzusetzen.“

e. „Die Moscheen der B sind Orte der Männer.“,

wenn dies geschieht wie im Kontext der Äußerungen gemäß Anlage K1.

Die Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin 1.358,86 € nebst 5% Zinsen seit dem 9. Juli 2018 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die darüberhinausgehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. […]

 

Gründe:

I.

 

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die künftige Unterlassung von Äußerungen, die diese am XX.XX. 2017 in einem Interview gegenüber dem Sender „A“ getätigt hat, von dem sie als „Islamkritikerin“ befragt wurde.

1

Die Klägerin ist eine islamische Religionsgemeinschaft, die als islamische Gemeinde seit 2012 in Hessen und Hamburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist.

2

Die Beklagte ist Soziologin, freie Publizistin und Autorin und beschäftigt sich insbesondere mit Themen wie Zuwanderung und Integration von Migranten.

3

Dem traditionellen Islam steht sie kritisch gegenüber. […]

4

Hinsichtlich bestimmter Äußerungen aus dem Interview forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben.

6

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass ihr gegen die Beklagte die geltend gemachten Unterlassungsansprüche aufgrund der Verletzung ihres (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechts zuständen, weil es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen handele.

7

Die Klägerin hat beantragt,

8

die Beklagte zu verurteilen,

9

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder zu Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zur Höchstdauer von insgesamt zwei Jahren, zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß folgende Behauptungen aufzustellen und /oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen:

10

a. Die B-Gemeinde gehört zu einer bestimmten islamischen Sekte, die aus dem späteren Pakistan hervorgegangen ist und sich als eine religiöse, aber politische Bewegung durchsetzen wollte.

11

b. Die B-Gemeinde wollte/will den Islam wortwörtlich umgesetzt sehen und in eine politische Bewegung setzen.

12

c. Die B-Gemeinde nutzt ihren Status um ihre politische Agenda durchzusetzen.

13

d. Sie setzt sich inhaltlich nicht mit dem Koran - insbesondere nicht mit den Gewaltstellen im Koran - auseinander.

14

e. Die Moscheen der B sind Orte der Männer.

15

f. Aus der B1 könne nicht jeder ein- und austreten. […]

16

2. an die Klägerin 2.348,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit Rechtshängigkeit (09.07.2018) zu zahlen.

17

Die Beklagte hat beantragt,

18

die Klage abzuweisen.

19

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die in dem Klageantrag zu 1. genannten Äußerungen habe sie entweder so nicht getätigt oder es handele sich um wahre Tatsachenbehauptungen oder um Meinungsäußerungen. […]

20

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Äußerungen zu I b. (bezüglich des Teils der Äußerung „Die B-Gemeinde wollte den Islam wortwörtlich umgesetzt sehen...“) und d. entsprochen und die Beklagte überdies zur Zahlung von 1.474,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 9. Juli 2018 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. […]

22

Gegen das ihr am 19. Februar 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einer am 18. März 2019 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt […].

24

Die Beklagte hat gegen das ihr am 22. Februar 2019 zugestellte Urteil mit einer am 22. März 2019 bei Gericht eingegangenen Schrift Berufung eingelegt […].

25

Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlich gestellten Unterlassungsantrag auch bezüglich der Äußerungen gemäß Antrag zu 1 Buchstaben a, b (soweit durch das Landgericht noch nicht verboten), c, e und f weiter. Sie macht mit der Berufung geltend: Bezüglich der Äußerung 1a habe das Landgericht den Satz zu Unrecht aufgespalten. Dass sie in Wirklichkeit nicht aus Pakistan, sondern dem pluralistischen und demokratischen Indien hervorgegangen sei, sei nicht als wertneutral zu bewerten, sondern persönlichkeitsrechtsverletzend. Auch sei die Bezeichnung als Sekte grundsätzlich herabsetzend und eine unwahre Tatsachenbehauptung. Ferner stelle die Äußerung, die Klägerin wolle sich als politische Bewegung durchsetzen, eine unwahre Tatsachenbehauptung dar, da sich gerade die Klägerin durch die Abwesenheit eines politischen Flügels von anderen islamischen Gemeinschaften abhebe. Deshalb seien auch die diesbezüglichen Äußerungen im Antrag 1b und 1c als unwahre Tatsachenbehauptungen zu verbieten. Der Durchschnittsrezipient verstehe diese Äußerungen so, dass auch die Klägerin - wie islamische Gemeinschaften zumeist - politische Ziele verfolge, was in Richtung einer missionierenden Religion mit radikalen Strömungen gehe.

26

Hinsichtlich des Antrags 1e habe das Landgericht die Äußerung zu Unrecht als nicht objektivierbar eingestuft. Sie sei aber in dem Zusammenhang, in dem die Beklagte sie geäußert habe, so zu verstehen, dass die Moscheen der Klägerin nur von Männern und nicht von Frauen besucht würden. In Wirklichkeit sei es hingegen so und müsse berücksichtigt werden, dass es bei der Klägerin eine völlig unabhängige Frauenorganisation gebe, zahlreiche Veranstaltungen von und für Frauen stattfänden und auch bundesweit alle Gemeinden der Klägerin neben einem männlichen Vorsitzenden auch eine weibliche Vorsitzende hätten; die Moscheen, die die Klägerin unterhalte, hätten auch Gebets- und Andachtsräumlichkeiten für Frauen, die regelmäßig flächenmäßig denen der Männer entsprächen. Schließlich habe das Landgericht die Äußerung zu 1f zu Unrecht als (überwiegend) wertende Beurteilung und damit als Meinungsäußerung angesehen, indem es auf die Anerkennung einer Austrittsentscheidung in der sozialen Sphäre und nicht auf die schriftlichen Statuten der Klägerin abgehoben habe.

27

Die Klägerin beantragt,

28

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte auch zur Unterlassung der weiteren streitgegenständlichen Äußerungen (Antrag 1 a, b (2. Teil), c, e und f) - wie erstinstanzlich beantragt - zu verurteilen, wie geschehen gemäß der Anlage K1, sowie zur Zahlung weiterer 874,02 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % seit dem 9. Juli 2018.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

31

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und wiederholt und vertieft ihren Rechtsstandpunkt.

32

Mit ihrer eigenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung zur Unterlassung der Äußerungen 1b und 1d. Im Einzelnen macht sie geltend: Bei der Äußerung 1b handele es sich um eine Meinungsäußerung, weil es eben eine Wertungsfrage sei, was als „wortwörtliche Umsetzung des Islam“ zu verstehen sei; sie habe damit - und so müsse es auch der Durchschnittsrezipient verstehen - eine regelgerechte, traditionelle Religionsausübung gemeint. Das Gericht hätte auch den historischen Kontext der Äußerung berücksichtigen müssen; so habe sie in dem Interview indirekt auf den Gründer C abgestellt, der eben erklärt habe, kein Punkt und keine Silbe des Korans sei abänderbar, der Koran sei ein vollkommenes Buch, das buchstabentreu zu verstehen sei. Deswegen sei ihre Äußerung nicht falsch, jedoch, da sie nicht mit Tatsachen unterfüttert worden sei, als Meinungsäußerung zu verstehen. Das Landgericht hätte einen Hinweis nach § 139 ZPO geben müssen, dass es bezüglich der „wortwörtlichen Umsetzung“ nicht von einer Meinungsäußerung ausgehe. Denn dann hätte sie Sachverständigenbeweis angeboten zwecks Einholung eines mit der Klägerin befassten Islamwissenschaftlers zur Beurteilung, wie sich die Klägerin zu den Gewaltstellen im Koran positioniert. Es komme hinzu, dass es ja nicht, was das Landgericht wohl fälschlicherweise angenommen habe, um eine wortwörtliche Umsetzung des Korans gehe, sondern allgemein des Islam.

33

Auch bezüglich der Äußerung zu 1d handele es sich um ein Pauschalurteil ohne jede Konkretisierung. Die von der Klägerin reklamierte Exegese zum Begriff des „Jihad“ stelle nur eine Meinung dar, die überdies im Widerspruch stehe zur buchstabengetreuen Geltung des Koran. Sie bestreite eben eine kritische Befassung der Klägerin mit Gewalt legitimierenden Aussagen des Islam.

34

Schließlich rügt die Beklagte, dass sich das Landgericht nicht mit ihrem Vortrag zur Ablehnung der Abrogation durch die Klägerin sowie zu den zahlreichen Zitaten des Gründers der Klägerin und aus der Koranübersetzung der Klägerin befasst habe.

35

Die Beklagte beantragt,

36

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

37

Die Klägerin beantragt,

38

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

39

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil, soweit die Beklagte verurteilt worden ist. Dabei wiederholt und vertieft sie ihren Rechtsstandpunkt. […]

 

II.

40

Die Berufungen der Parteien sind in formeller Hinsicht unbedenklich. Die Berufung der Klägerin hat teilweise Erfolg, die der Beklagten ist in vollem Umfang erfolgreich.

42

1. Zunächst hat die Berufung der Klägerin nur teilweise Erfolg.

43

Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG verlangen, dass sie die Äußerungen gemäß Antrag 1c und 1e unterlässt.

44

Das gilt zunächst hinsichtlich der Äußerung „Die B-Gemeinde nutzt ihren Status, um ihre politische Agenda durchzusetzen.“

45

Hierbei handelt es sich um eine Meinungsäußerung mit Tatsachenkern, der nicht belegt ist.

46

Diese Äußerung tätigt die Beklagte, ohne näher und plausibel zu beschreiben, worin diese politische Agenda besteht. Es bleibt unklar, woran die Beklagte eine politische Agenda der Klägerin, die von ihrem Selbstverständnis gerade unpolitisch sein will, festmacht. Sie sagt im Interview zum einen, dass die Klägerin missionarisch sei, also den politischen Islam weitertrage. Aber das Missionieren selbst kann nicht die politische Agenda sein, weil diese ja durch das Missionieren nur weitergetragen wird. Möglich ist, dass die Beklagte den Islam grundsätzlich für politisch hält. Das ist zwar eine zulässige Meinungsäußerung. Aber die politische Agenda der Klägerin bleibt weiterhin unbeschrieben. An einer späteren Stelle im Interview äußert die Beklagte auf direktes Nachfragen, dass die politischen Ziele der Klägerin seien, dass der Islam die wahre Religion sei und lediglich nach außen vorgegeben werde, dass sie andere Religionen akzeptierten, es aber nach innen überhaupt keine liberale Bewegung gebe. Das aber ist für den Durchschnittsrezipienten nicht als politisches Ziel zu verstehen. Auch wenn aufgrund der Interviewform, innerhalb derer die Äußerungen der Beklagten fallen, nicht immer erwartet werden kann, dass die gesprochenen Sätze formvollendet und klar formuliert sind, bleibt die Beklagte an dieser Stelle zu allgemein, ohne die politische Agenda der Klägerin näher zu beschreiben.

47

Falls die Beklagte also der Klägerin unterstellt, dass sie auch einen politischen Islam propagiert, die Klägerin das aber gerade bestreitet, müsste sie diese Behauptung durch beweisbare Tatsachen untermauern können, was sie nicht tut. Die Beklagte sagt selbst, dass die Klägerin den „Jihad“ ablehnt. Falls es nicht um einen politischen Islam geht, sondern wirklich nur um eine politische Agenda der Klägerin, dann fehlt es in dem streitgegenständlichen Interview an belastbaren Fakten, die diese Behauptung verständlich und plausibel machen. Weder aus dem Interview noch aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich, dass die Klägerin öffentlich für allgemeine gesellschaftspolitische Ziele wirbt oder eintritt.

48

Ferner gilt dies auch für die Äußerung “Die Moscheen der B sind Orte der Männer.“

49

Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Meinungsäußerung mit Tatsachenkern.

50

Dabei kommt es für die Frage, ob diese als Meinungsäußerung zulässig oder als unwahre Tatsachenbehauptung unzulässig ist, darauf an, ob der tatsächliche Gehalt der Äußerung überwiegt, sich also die Äußerung als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt und damit eine Beweisaufnahme über die Wahrheit der prägenden tatsächlichen Umstände möglich ist […]. So liegt der Fall hier. Zwar ließe sich grundsätzlich die Klägerin als Gemeinde im Rahmen einer Meinungsäußerung als ein Ort der Männer bezeichnen, weil es als Meinungsäußerung legitim ist, eine islamische Gemeinde als patriarchalisch und männerdominant zu bewerten, weil dort die wesentlichen theologischen Fragen von Männern entschieden und auch das Predigtamt in den Moscheen nur von Männern wahrgenommen wird. Diese metaphorische Betrachtung, die natürlich nicht ausschließt, dass auch Frauen in der Gemeinde aktiv sind, würde aber nicht berücksichtigen, dass es in dem Interview konkret um die Moscheen der Klägerin geht, also die Räume gemeint sind. Die Äußerung ist hier nach dem Kontext dahin zu verstehen, dass die Moscheen der Klägerin nicht von Frauen besucht werden (dürfen). Denn im nächsten Satz heißt es, dass in Europa religiöse Orte längst von Männern und Frauen besucht werden können.

51

Das aber bestreitet die Klägerin und verweist auf zahlreiche Veranstaltungen von und für Frauen sowie auf Gebets- und Andachtsräume für Frauen, die es in allen ihren Moscheen gebe und die regelmäßig flächenmäßig denen der Männer entsprächen. Das bestreitet die Beklagte auch gar nicht, sodass ihre Behauptung unwahr und zu unterlassen ist.

52

Im Übrigen hat die Berufung der Klägerin jedoch keinen Erfolg.

53

Das gilt zunächst für die Äußerung 1 a „Die B-Gemeinde gehört zu einer bestimmten islamischen Sekte, die aus dem späteren Pakistan hervorgegangen ist und sich als eine religiöse, aber politische Bewegung durchsetzen wollte“.

54

Nach Auffassung des Senats ist dieser Satz in verschiedene Aussagen zu unterteilen, weil er unterschiedliche Äußerungen miteinander verbindet.

55

Zunächst ist der Begriff der islamischen Sekte als Meinungsäußerung aufzufassen.

56

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, bestimmte Sektenstrukturen seien durch Beweiserhebungen überprüfbar, weshalb eine Tatsachenbehauptung vorliege. Letztlich stellt die Auffassung darüber, was eine Sekte ausmacht, eine Bewertung dar, sodass eine Meinungsäußerung vorliegt. Der Begriff der Sekte ist vielschichtig. Er kann eine religiöse Gruppierung mit psychischen Abhängigkeiten der Mitglieder meinen, er kann aber auch nur die Tatsache einer Abspaltung von einer Mehrheit zu einer religiösen Minderheit bezeichnen.

57

Da der Begriff mehrdeutig ist, liegt auch keine Schmähkritik vor. Denn die Beklagte setzt sich ja als „Islamkritikerin“ mit der Klägerin auseinander und bewertet sie, sodass es um eine Auseinandersetzung in der Sache geht und nicht um eine Schmähung der Klägerin selbst. Die Beklagte wurde im A-Interview ja gerade nach ihrer Meinung gefragt.

58

Ob die Klägerin ursprünglich aus Pakistan oder Indien stammt, hält der Senat - wie das Landgericht - für eine wertneutrale Falschinformation ohne Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin.

59

Da die Herkunft die Vergangenheit betrifft und eine Zeit von vor über 100 Jahren, dürfte die falsche Bezeichnung des Herkunftslandes - ob Pakistan oder Indien – keine wesentliche Rolle spielen, zumal zur Zeit der Gründung in beiden Ländern andere politische Verhältnisse herrschten als heute.

60

Was den Satzteil „aber als politische Bewegung durchsetzen wollte“ betrifft, so ist auch hier das Geschehen in der Vergangenheit angesiedelt. Die Beklagte spricht von „wollte“. Da es sich um eine Einschätzung über die Vergangenheit der Klägerin handelt, ist es eine Bewertungsfrage, ob sie eine politische Bewegung war oder sich als solche durchsetzen wollte. Ob sie sich gerade heute von anderen islamischen Gemeinschaften abgrenzt, indem sie über keinen politischen Flügel verfügt, sagt nichts über die Vergangenheit. Deshalb muss die Klägerin die Äußerung der Beklagten als Meinungsäußerung hinnehmen.

61

Entsprechendes gilt für den zweiten Teil der Äußerung 1b, wo ebenfalls von der politischen Bewegung die Rede ist. Zwar wird durch das Verb “will“ auch ein Gegenwartsbezug hergestellt, aber der Bezug zur „wortwörtlichen“ Umsetzung des Islam ist evident und daher die Äußerung von der Klägerin hinzunehmen, wie die Ausführungen im Urteil zur Berufung der Beklagten zeigen (vgl. unten).

62

Keinen Erfolg hat die Berufung der Klägerin auch bezüglich der Äußerung „Aus der B1 könne nicht jeder ein- und austreten“.

63

Hier folgt der Senat ebenfalls der Einschätzung des Landgerichts und seiner Begründung.

64

Zwar hat die Klägerin, um überhaupt als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden, Statuten vorlegen müssen, die dem Grundrecht auf freie Religionswahl Rechnung tragen. Aber darum geht es der Beklagten offensichtlich nicht in dem Interview. Sie sagt, dass sich unsere Gesellschaft nur danach richte, was nach außen schriftlich kundgetan werde, und sich nicht wirklich darum kümmere, was innerhalb der Gemeinschaft stattfinde. Offensichtlich - und auch für den Durchschnittsrezipienten verständlich - meint die Beklagte damit, dass trotz dieser Statuten nach wie vor Druck auf Mitglieder der Klägerin ausgeübt werde. Das kann ein Druck mit Worten und eine konkrete Einflussnahme sein oder nur eine Atmosphäre, die Austrittswillige davor zurückschrecken lässt, ihren Austrittswillen zu bekunden. Offensichtlich meint die Beklagte Beeinflussungen dieser Art, weil sie auch das Wort „aussteigen“ benutzt; auch formuliert sie einige Sätze später, dass sie unter Religion mittlerweile verstehe, dass es spirituell sein müsse, dass jeder ein- und austreten kann und dass die Klägerin diese Merkmale nicht erfülle. Dass die Beklagte das so sieht, ist ihr gutes Recht und Teil ihrer Meinungsäußerungsfreiheit.

65

Ohne Erfolg wendet die Klägerin schließlich ein, ein freies Eintrittsrecht bestehe ja nun in jedem Fall. Denn sprachlich lässt sich die Wendung „ein- und aussteigen“ bzw. „ein- und austreten“ als eine besondere Form der Bekräftigung verstehen und nutzen, ohne dass sie inhaltlich aufgespalten werden müsste.

66

2. Demgegenüber hat die Berufung der Beklagten hinsichtlich der beiden inkriminierten Äußerungen Erfolg, zu deren Unterlassung sie verurteilt worden ist.

67

Erfolg hat sie zunächst hinsichtlich der Äußerung zu 1b „Die B-Gemeinde wollte den Islam wortwörtlich umgesetzt sehen“.

68

Hierin sieht der Senat entgegen der Auffassung des Landgerichts eine zulässige Meinungsäußerung.

69

Zunächst teilt der Senat nicht die Auffassung des Landgerichts, es gehe um die wortwörtliche Umsetzung des Korans. Denn in dem Interview ist ausdrücklich von der wortwörtlichen Umsetzung des Islams die Rede. Zwar kann man an und für sich eine Religion nicht „wortwörtlich“ umsetzen, weil eine Religion kein Text ist. Gerade deshalb ist aber der Einwand der Beklagten für jeden Durchschnittsrezipienten nachvollziehbar, von ihr gemeint gewesen sei eine regelgerechte und traditionelle Religionsausübung. Da es eine Frage der Bewertung ist, was unter einer regelgerechten und traditionellen Religionsausübung zu verstehen ist, liegt eine von der Klägerin hinzunehmende Meinungsäußerung vor, zumal sich die Äußerung auch auf die Vergangenheit („wollte“) bezieht.“

70

Erfolg hat die Berufung der Klägerin auch bezüglich der Äußerung 1 d „Sie setzt sich inhaltlich nicht mit dem Koran, insbesondere nicht mit den Gewaltstellen im Koran auseinander“.

71

Der Senat hält auch diese Aussage für eine Meinungsäußerung.

72

Nach dem Verständnis des Durchschnittsrezipienten ist diese Aussage nicht dahingehend zu verstehen, dass die Beklagte jede Auseinandersetzung der Klägerin mit dem Koran und seinen Gewaltstellen in Abrede stellen will.

73

Denn das wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Bei jeder Predigt in der Moschee, bei jedem Gespräch unter gläubigen Anhängern der Klägerin muss es zwangsläufig um den Inhalt des Korans gehen, wobei sicher auch die Gewaltstellen im Koran thematisiert werden dürften. Und auch die Klägerin wird als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht umhinkommen, zu bestimmten Stellen des Korans Stellung zu beziehen und Gutachten in Auftrag zu geben.

74

Es kann also nicht gemeint sein, dass die Klägerin sich gar nicht mit dem Koran und seinen Gewaltstellen auseinandersetzt. Vielmehr muss der Durchschnittsrezipient diese Äußerung dahingehend verstehen, dass sich die Klägerin lediglich zu wenig mit dem Koran und seinen Gewaltstellen auseinandersetzt.

75

Deshalb spielt es keine Rolle, dass es überwiegend ablehnende Stimmen zum „Jihad“ innerhalb der Klägerin gibt und dass die Klägerin eine Exegese des Begriffs „Jihad“ vorgelegt hat […]. Auch der Beweisantrag der Beklagten auf Einholung eines Gutachtens eines mit der Klägerin befassten Islamwissenschaftlers erübrigt sich.

76

Dass trotz gewisser Bemühungen der Klägerin in den Augen der Beklagten eine noch zu geringe Beschäftigung mit dem Koran und seinen Gewaltstellen erfolgt, ist eine legitime Wertung der Beklagten und damit eine Meinungsäußerung. Denn wann etwas ausreicht bzw. genug ist, ist eine Wertungsfrage. […]

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