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Rechtsurteile

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Islamischer Religionsunterricht in Berlin (Bremer-Klausel)

Eine Klausel, die die Aufsicht über Religionsunterricht i.S.d. Art. 141 GG an die Religionsgemeinschaften delegiert, kann weiter ausgelegt werden als der grundgesetzliche Begriff der Religionsgemeinschaft. Dabei müssen nur die allgemeinen Regeln der Art. 3, Art. 4 und Art. 6 GG sowie die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates gewahrt bleiben. (Leitsatz der Redaktion)


Leitsätze:

1. Die "Bremer Klausel" des Art. 141 GG gilt in ganz Berlin.

2. Erklärt das Gesetz eines von Art. 141 GG erfaßten Landes die Erteilung von Religionsunterricht zur Sache der Religionsgemeinschaften, so ist die Auslegung dieses Begriffs nicht durch Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG oder Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV vorgegeben; einer weiten Auslegung des landesrechtlichen Begriffs der "Religionsgemeinschaft" steht Bundesverfassungsrecht nicht entgegen.

 

Urteil:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 4.November 1998 wird zurückgewiesen. [...]

 

Gründe:

I.

 

Die Beteiligten streiten darüber, ob der klagende Dachverband als Religionsgemeinschaft anzusehen ist und als solche einen Anspruch auf Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen hat.

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Der Kläger ist seit 1980 im Vereinsregister eingetragen (95 VR 6247 Nz Amtsgericht Charlottenburg). Laut § 3 Satz 1 seiner Satzung in der seit April 1990 geltenden Fassung verfolgt der Kläger das Ziel, "allen in Berlin lebenden Muslimen, die den Koran und die Sunna des Propheten Mohammed als gemeinsame Grundlage des Islam anerkennen, das religiöse Leben in unserer Gesellschaft zu ermöglichen und die Beziehungen zu den Andersdenkenden herzustellen und zu verbessern, um ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in unserer Zeit für die Zukunft zu fördern". Zu den Aufgaben des Klägers zählt § 3 Satz 2 Nr. 1 der Satzung insbesondere auch die Erteilung von Religionsunterricht an den öffentlichen Schulen. [...] § 4 Abs. 2 der Satzung unterscheidet zwischen Vereinen, die unmittelbar die Religionsausübung des Islam verwirklichen (Vollmitglieder), und Vereinen, die diesem Zweck nur mittelbar dienen (fördernde Mitglieder). Im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts gehörten dem Kläger neun Vereine als Vollmitglieder und 16 Vereine als fördernde Mitglieder an.

2

Mit Schreiben vom 7. April 1987 beantragte der Kläger, ihm die Erteilung von islamischem Religionsunterricht in der Berliner Schule zu gestatten. Dies lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 25. März 1994 im wesentlichen mit der Begründung ab, bei dem Kläger handele es sich nicht um eine Religionsgemeinschaft im Sinne von § 23 des Berliner Schulgesetzes. Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.

3

Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 25. März 1994 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Gestattung des islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt: §23 Abs. 1 des Berliner Schulgesetzes begründe einen Anspruch auf Gestattung zum Erteilen von Religionsunterricht für alle Zusammenschlüsse, die den Begriff der Religionsgemeinschaft erfüllten. Dieser Begriff sei identisch mit demjenigen der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 GG und dem Begriff der Religionsgesellschaft nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV . Der Kläger erfülle die dort genannten Anforderungen. Der Beklagte habe daher bei der Neubescheidung davon auszugehen, daß der Kläger eine Religionsgemeinschaft sei und Anspruch darauf habe, bei Einhaltung der übrigen verfassungsrechtlichen und schulrechtlichen Rahmenbedingungen Religionsunterricht an der Berliner Schule zu erteilen.

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Der Beklagte trägt zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision vor: Die Auslegung und Anwendung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in § 23 des Berliner Schulgesetzes durch das Berufungsgericht betreffe Bundesrecht. [...] Die Zulassung einer Vereinigung, die nicht die Voraussetzung einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 , Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff. WRV erfülle, zu einem staatlich geförderten bekenntnismäßigen Religionsunterricht verstoße auch in Berlin gegen Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG . Die in Berlin geltende Ausnahmeregelung des Art. 141 GG beziehe sich ausdrücklich nur auf die Pflicht zur Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG . Auch in einem solchen Land müsse bekenntnismäßiger Religionsunterricht, wenn er in öffentlichen Schulen angeboten werde, gemäß Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft erfolgen. Den verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsgemeinschaft habe das Berufungsgericht fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Es habe unter den Gesichtspunkten der Homogenität, Konsistenz und Zentralität zu geringe Anforderungen gestellt.

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Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.


II.

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Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Auf die vom Beklagten gerügte unrichtige Anwendung und Auslegung des Begriffs der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 des Schulgesetzes für Berlin vom 20. August 1980, GVBl S. 2103, in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 12. März 1997, GVBl S. 65, (SchulG), kann die Revision nicht mit Erfolg gestützt werden, weil sich dies nicht zugleich als Verletzung von Bundesrecht darstellen würde (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ).

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a) Die landesrechtliche Norm wird nicht dadurch revisibel, daß sie bei einem ihrer Zentralbegriffe – hier dem Begriff der Religionsgemeinschaft - Bezug nimmt auf den gleichlautenden Begriff in der Bundesverfassung (Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ). Nimmt der Landesgesetzgeber in seine eigene Regelung einen für konkretisierende Gestaltungen durch den Landesgesetzgeber (noch) offenen Begriff des Bundesrechts auf, so wird dieser insoweit Landesrecht. [...]

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Im vorliegenden Fall ist somit die Überprüfung des angefochtenen Urteils durch das Revisionsgericht nicht allein deswegen eröffnet, weil das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, der Begriff der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 SchulG sei mit dem gleichlautenden Begriff in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG und dem Begriff der Religionsgesellschaft nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 ff WRV identisch. Soweit die Identität der Begriffsinhalte nicht durch einen Gesetzesbefehl des Bundes vorgegeben ist, kann es für die Überprüfbarkeit der Entscheidung durch das Revisionsgericht nicht entscheidend darauf ankommen, ob das Berufungsgericht bei der Auslegung der landesrechtlichen Norm auf vollständig, teilweise oder überhaupt nicht gleichlautendes Bundesrecht zurückgegriffen hat. [...]

14

b) Der Begriff der Religionsgemeinschaft in § 23 Abs. 1 SchulG ist nicht aufgrund eines Gesetzesbefehls des Bundes ebenso auszulegen wie der gleichlautende Begriff im Grundgesetz .

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Ein derartiger Gesetzesbefehl des Bundes ergibt sich nicht aus Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG . Der dort verwandte Begriff der Religionsgemeinschaft wäre im Zusammenhang mit der Erteilung von Religionsunterricht für das Landesrecht freilich dann maßgeblich, wenn in dem betreffenden Land Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG gelten würde. Danach ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Diese Bestimmung gilt jedoch in Berlin nicht.

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aa) Allerdings ist die in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG normierte Rechtsfolge nicht schon deswegen in Berlin unanwendbar, weil die öffentlichen Schulen des Landes Berlin bekenntnisfreie Schulen im Sinne jener Vorschrift wären; sie sind dies nicht. [...]

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bb) Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG gilt in Berlin jedoch nicht. Nach Art. 141 GG findet Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Ein Bundesland trifft nicht die Verpflichtung, in seinen nicht bekenntnisfreien öffentlichen Schulen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzuführen, wenn dort am 1. Januar 1949 eine von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende landesrechtliche Regelung galt.

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(1) Diese Voraussetzungen sind zunächst für den Westteil Berlins zu bejahen.

[...] Am 1. Januar 1949 galt im Westteil Berlins - ebenso wie im Ostteil der Stadt - das Schulgesetz für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 [...]. Dieses Gesetz enthielt in bezug auf den Religionsunterricht folgende Bestimmungen:

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§13
Der Religionsunterricht ist Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Er wird von Geistlichen oder Religionslehrern erteilt, die von diesen beauftragt und besoldet werden. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften übernehmen die Verantwortung, daß der Religionsunterricht gemäß den für den allgemeinen Unterricht geltenden Bestimmungen durchgeführt wird. Lehrer an öffentlichen Schulen haben das Recht, nebenamtlich im Rahmen der für Nebenbeschäftigung geltenden Bestimmungen Religionsunterricht zu erteilen. Aus der Erteilung oder Nichterteilung des Religionsunterrichts dürfen den Lehrern keine Vorteile oder Nachteile erwachsen.

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§14
Religionsunterricht erhalten diejenigen Schüler, deren Erziehungsberechtigte bei ihrer Religionsgemeinschaft eine dahingehende schriftliche Erklärung abgeben. Die Willenserklärung gilt bis zu einem schriftlichen Widerruf. Bei religionsmündigen Schülern tritt die eigene Willenserklärung bzw. der eigene Widerruf an die Stelle der von den Erziehungsberechtigten ausgehenden Erklärung. Wer als Erziehungsberechtigter zu gelten hat, entscheidet das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 [...].

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§15
Die Schule hat für die Erteilung des Religionsunterrichts an die nach Paragraph 14 ordnungsgemäß angemeldeten Schüler allwöchentlich zwei Stunden als erste oder letzte im Stundenplan der Klassen freizuhalten und unentgeltlich Unterrichtsräume mit Licht und Heizung zur Verfügung zu stellen. Die nicht zum Religionsunterricht gemeldeten Schüler sind während der Religionsstunden unterrichtsfrei zu lassen.

29

Die vorbezeichneten Bestimmungen weichen im Sinne von Art. 141 GG von der in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG getroffenen Regelung ab.

31

Der durch Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG garantierte Religionsunterricht ist als ein Fach zu verstehen, das in "konfessioneller Positivität und Gebundenheit" zu erteilen ist. Der hier gemeinte Religionsunterricht ist daher keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln ist seine Aufgabe [...]. Die Erklärung des Religionsunterrichts zum ordentlichen Lehrfach in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG stellt klar, daß seine Erteilung staatliche Aufgabe und Angelegenheit ist; er ist staatlichem Schulrecht und staatlicher Schulaufsicht unterworfen. Seine Einrichtung als Pflichtfach ist für den Schulträger obligatorisch; der Staat muß gewährleisten, daß er ein Unterrichtsfach mit derselben Stellung und Behandlung wie andere ordentliche Lehrfächer ist. Sein Pflichtcharakter entfällt nicht dadurch, daß Art. 7 Abs. 2 GG ein Recht zur Abmeldung einräumt. Diese Befreiungsmöglichkeit hebt ihn zwar aus den übrigen Pflichtfächern heraus, macht ihn aber nicht zu einem Wahlfach im Sinne der allgemeinen schulrechtlichen Terminologie [...]. Weil der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist, hat das Land selbst bzw. der zuständige öffentliche Schulträger die Sach- und Personalkosten des Unterrichts zu tragen [...].

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Von diesen Grundsätzen wich das maßgebliche Regelwerk im Schulgesetz für Groß-Berlin vom 26. Juni 1948 schon insoweit grundlegend ab, als es den Religionsunterricht zur Sache der Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften erklärte (§ 13 Satz 1). War der Staat nicht Veranstalter des Religionsunterrichts, so war es auch folgerichtig, daß die Kirchen und Religionsgemeinschaften - unbeschadet staatlicher Unterstützung - für die Besoldung der von ihnen beauftragten Geistlichen und Religionslehrer aufzukommen hatten (§ 13 Satz 2).

33

(2) Art. 141 GG gilt auch im Ostteil Berlins, also jenem Teil der Stadt, in welchem das Grundgesetz seit 3. Oktober 1990 gilt.

34

Freilich wird die Anwendung des Art. 141 GG in den neuen Bundesländern von zahlreichen Stimmen in der Literatur abgelehnt. Vorrangig wird argumentiert, Art. 141 GG setze voraus, daß das Land, in dem am 1. Januar 1949 eine andere Regelung gegolten habe, als Rechtssubjekt bis zu dem Zeitpunkt fortbestanden habe, an dem das Grundgesetz auf seinem Territorium in Kraft getreten sei. Daran fehle es bei den neuen Bundesländern, weil die früheren ostdeutschen Länder im Zuge der Entwicklung der DDR zum sozialistischen Einheitsstaat untergegangen seien, mithin mit den im Zuge der Wiedervereinigung neu gegründeten Ländern nicht identisch seien. [...]

35

Andererseits war der Westteil Berlins, wie bereits oben unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, von Anfang an ein Land der Bundesrepublik Deutschland. Das am 3. Oktober 1990 neu gegründete Land Berlin vereinigte eine Stadt, deren größerer westlicher Teil von jeher - ungeachtet besatzungsrechtlicher Vorbehalte - als Land der Bundesrepublik Deutschland angehört hatte. Der westliche Teil des Landes Groß-Berlin, in welchem am 1. Januar 1949 die von Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichende Regelung bestand, wurde mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 ein Land der Bundesrepublik Deutschland, welches am 3. Oktober 1990 in dem wiedervereinigten Land Berlin fortlebte, in dem der Ostteil Berlins durch den Beitritt der DDR gemäß Art. 23 GG a. F. aufging. Betrachtet man somit den nach Art. 141 GG maßgeblichen Stichtag (1. Januar 1949) und den Tag, an welchem das Grundgesetz in ganz Berlin in Kraft getreten ist (3. Oktober 1990), so ist bezogen auf die Rechtssubjektivität von einer unveränderten (Teil-)Identität auszugehen.

37

Teleologische Überlegungen gebieten die Einbeziehung von ganz Berlin in den Anwendungsbereich des Art. 141 GG. [...] Im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung ist die Neufassung der Präambel durch Art. 4 Nr. 1 des Einigungsvertrages , wonach die Deutschen in den nunmehr 16 Bundesländern die Einheit Deutschlands vollendet haben. Der Einheitsgedanke bezieht sich ausdrücklich auch auf das Land Berlin, welches gleichzeitig mit der Wiedervereinigung des Gesamtstaates als Stadtstaat wiedervereinigt worden ist. Einheit bedeutet ganz wesentlich Rechtseinheit, die ungeachtet unvermeidlicher Übergangsbestimmungen möglichst schnell zu verwirklichen war. Dem entspricht in bezug auf den in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 und Art. 141 GG thematisierten Religionsunterricht eine einheitliche Lösung für die wiedervereinigten Stadthälften Berlins. Dies gilt um so mehr, als die landesrechtliche Norm, welche – wie dargelegt - den Westteil Berlins von der in Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG vorgegebenen Verpflichtung entbunden hat, am 26. Juni 1948 von der damals noch nicht gespaltenen Stadtverordnetenversammlung für Groß-Berlin erlassen worden ist und am 1. Januar 1949, dem nach Art. 141 GG maßgeblichen Stichtag, für ganz Berlin einheitlich galt. [...]

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Den vorstehenden Überlegungen kann nicht entgegengehalten werden, in Art. 141 GG sei mit Blick auf Art. 29 GG durchaus mitbedacht worden, daß nach der Vereinigung von Bundesländern in dem einen Teil des neuen Bundeslandes die "Bremer Klausel" gelte, in dem anderen aber nicht. Denn diese Konstellation ist mit der hier gegebenen nicht vergleichbar. Am 3. Oktober 1990 wurden die beiden Stadthälften Berlins vereinigt, in denen am 1. Januar 1949 in bezug auf den Religionsunterricht ein einheitlicher Rechtszustand herrschte. Diese Lage ist allenfalls mit der Vereinigung zweier Bundesländer nach Art. 29 GG vergleichbar, die vor der Neugliederung beide unter den Geltungsbereich des Art. 141 GG fielen. Daß in einem solchen Fall die "Bremer Klausel" in dem gesamten neu gebildeten Bundesland gelten müßte, liegt auf der Hand. [...]

39

cc) Aus der somit für ganz Berlin geltenden Regelung in Art. 141 GG folgt nicht nur, daß die institutionelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG für einen staatlich veranstalteten Religionsunterricht hier entfällt, sondern auch, daß der Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG nicht im Wege eines Gesetzesbefehls des Bundes dem gleichlautenden Begriff des § 23 Abs. 1 SchulG zugrunde zu legen ist. [...]

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(1) Aus der in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG getroffenen Gesamtregelung, die dem Postulat einer strikten Trennung von Staat und Kirche eine Absage erteilt und ganz im Sinne einer nicht nur distanzierenden, sondern auch respektierenden, vorsorgenden Neutralität des Staates gegenüber Religionen und Weltanschauungen zu verstehen ist [...], ergibt sich, daß der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach eine gemeinsame Angelegenheit von Staat und Religionsgemeinschaften ist [...]. Davon kann indes keine Rede sein, wenn - wie in Berlin landesrechtlich geregelt und durch Art. 141 GG bundesrechtlich gestattet - der Religionsunterricht Sache der veranstaltenden Religionsgemeinschaften ist. In einem solchen Fall, in welchem die alleinige Verantwortung für den Religionsunterricht bei den Religionsgemeinschaften liegt, macht das Übereinstimmungsgebot des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG keinen Sinn. Denn dieses setzt voraus, daß der Staat in bezug auf den Religionsunterricht Veranstalter ist ("wird erteilt"), der sich mit den Religionsgemeinschaften wegen der Lehrinhalte ins Benehmen zu setzen hat, weil er in ihren verfassungsrechtlich geschützten Freiheitsbereich hineinwirken will. Dieses in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gelöste Spannungsverhältnis entsteht nicht bereits dann, wenn der Staat - wie in Berlin - die Religionsgemeinschaften bei Durchführung des Religionsunterrichts unterstützt, ohne jedoch selbst die Veranstaltereigenschaft zu übernehmen. Hier besteht kein mit dem Normprogramm des Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG ganz oder teilweise zu erfassender Regelungsbedarf.

44

Abgesehen davon gestattet Art. 141 GG in seinem Geltungsbereich landesrechtliche Gestaltungen, deren Verwirklichung verfassungsrechtlich nicht von einer Beteiligung der Religionsgemeinschaften abhängt. Wird aufgrund dieser Sonderregelung statt des Religionsunterrichts ein anderes Fach wie z.B. Philosophie oder Ethik angeboten, so ist eine Hinzuziehung der Religionsgemeinschaften ebensowenig wie bei den anderen Schulfächern zwingend geboten, weil es dann gerade nicht um die Vermittlung von Glaubensinhalten geht. Art. 141 GG würde es jedenfalls nach seinem Wortlaut ferner zulassen, daß in seinem örtlich begrenzten Geltungsbereich der Staat den Religionsunterricht den Religionsgemeinschaften unter Verzicht auf jede Förderung überantwortet; in diesem Fall scheidet der Religionsunterricht als Anknüpfungspunkt für Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften von vornherein gänzlich aus. [...] All dies zeigt, daß Art. 141 GG den von seinem Geltungsbereich betroffenen Ländern weite Gestaltungsräume eröffnet und im Sinne des föderalistischen Prinzips die Schulautonomie jener Länder durch Entbindung von Vorgaben für den Religionsunterricht punktuell stärkt. Der Landesgesetzgeber wird hier in seiner Gestaltungsfreiheit gerade nicht durch eine schulspezifische bundesverfassungsrechtliche Normierung eingeschränkt, sondern allein durch die allgemeinen Regelungen, also durch Art. 3 , Art. 4 und Art. 6 GG sowie durch das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates. [...]

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(2) Eine selbständige, von der Geltung des Grundsatzes nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG losgelöste Bedeutung hat Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG auch nicht mit Blick auf das dort genannte staatliche Aufsichtsrecht. Die dort verwandte Formulierung "unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts" weist darauf hin, daß hier nicht eine konstitutive Regelung getroffen, sondern etwas bereits an vorhergehender Stelle Geregeltes klargestellt wird. Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG greift insoweit klarstellend den bereits in Art. 7 Abs. 1 GG normierten Grundsatz auf, daß das gesamte Schulwesen unter Aufsicht des Staates steht. Der Hinweis in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG darauf, daß das staatliche Aufsichtsrecht unberührt bleibt ("unbeschadet"), erhält seine Bedeutung als gesetzestechnisch sinnvolle Bekräftigung vor dem Hintergrund des in Art. 7 Abs. 3 Sätze 1 und 2 GG normierten Zusammenspiels von Staat und Religionsgemeinschaften. Die Übertragung der Verantwortung für die Lehrinhalte auf die Religionsgemeinschaften ist eine Besonderheit des Religionsunterrichts, die ihn gegenüber den anderen Fächern heraushebt, in welchen der Staat für die Lehrinhalte verantwortlich ist. [...]

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2. Mit seiner Auslegung und Anwendung des Landesrechts hat das Berufungsgericht nicht gegen Bundesrecht verstoßen.

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a) Zu Recht hat es § 23 Abs. 1 SchulG auf ganz Berlin angewandt. Indem diese Vorschrift den Religionsunterricht zur Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften erklärt, steht sie im Widerspruch zum Grundsatz des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG , wonach der Religionsunterricht in den nicht bekenntnisfreien öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Wegen Art. 141 GG darf das Land Berlin jedoch vom Grundsatz des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG abweichen, wie oben ausgeführt wurde.

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b) Das Berufungsgericht hat sich auch nicht etwa rechtsirrig an den Begriff der Religionsgemeinschaft in Art. 7 Abs. 3 Satz 2 GG gebunden gefühlt. Einziger Anhalt für eine derartige Erwägung ist eine Passage in dem angefochtenen Urteil, in welcher es - in Auseinandersetzung mit der Argumentation des Beklagten und des Verwaltungsgerichts - wörtlich heißt: "Dem ist bereits entgegenzuhalten, daß - wie ausgeführt - der in §23 Abs. 1 SchulG verwendete Begriff der Religionsgemeinschaft ein vorgegebener verfassungsrechtlicher Terminus ist, der nichts mit organisatorischen Anforderungen des Berliner Schulrechts für die Durchführung des Religionsunterrichts zu tun hat". Schon die Bezugnahme ("wie ausgeführt") belegt, daß dem Berufungsgericht entgegen der mißverständlichen Formulierung keine bundesverfassungsrechtliche Vorgabe vorschwebte, sondern ein im Grundgesetz und der dazu vorliegenden Rechtsprechung und Literatur vorgefundener Terminus, dessen herkömmliches Verständnis als Interpretationshilfe für die Auslegung des gleichlautenden landesrechtlichen Begriffs herangezogen wurde. Daß jene Passage nur in diesem Sinne gemeint sein kann, bestätigt die Begründung für die Nichtzulassung der Revision am Ende des Urteils. [...]

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