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Rechtsurteile

IGMG als Versagungsgrund der Einbürgerung

OVG Rheinland-Pfalz, 24.05.2005 - 7 A 10953/04.OVG Ohne eine ernsthafte Reformbewegung sind Feststellungen bzgl. der Verfassungsfeindlichkeit einer Vereinigung, wie der IGMG, nicht zu revidieren und deshalb auch in einem entsprechenden Einbürgerungsverfahren eines Sekretärs des Ortsvereins der IGMG so zu behandeln. Für die Versagung der Einbürgerung genügt hierbei nicht die aktive verfassungsfeindliche Betätigung sondern bei objektiver Betrachtung lediglich der Verdacht solche Betätigungen zu unterstützen. (Leitsatz der Redaktion)


Leitsätze:

Die IGMG ist eine Organisation, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richtet.

Der Versagungstatbestand des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist nicht erst dann erfüllt, wenn dem Einbürgerungsbewerber aufgrund eigener verbaler Bekundungen oder Aktionen ein verfassungsfeindliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Ein Verdacht im Sinne der Norm rechtfertigt sich vielmehr schon aus dem Vorliegen eines Umstandes, der bei objektiver und vernünftiger Sicht auf eine Unterstützung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen hinweist (hier langjährige Mitgliedschaft in der IGMG und Tätigkeit als Sekretär eines Ortsvereins.

 

Urteil:

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. April 2004 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt/Wstr. wird zurückgewiesen. [...]

 

Zum Sachverhalt:

 

Der Kläger begehrt seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.

Der seit Juni 1975 in der Bundesrepublik Deutschland lebende Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und seit 1987 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung. Am 4. Februar 1999 beantragte er zusammen mit seiner Ehefrau die Einbürgerung. Nach einem von dem Beklagten eingeholten Vereinsregisterauszug war der Kläger am 18. September 1997 als Sekretär des Ortsvereins G... der IGMG eingetragen. Dieses Amt übt er bis heute aus.

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Gegenüber dem Beklagten erklärte der Kläger, er wisse nicht, dass die IGMG im Verfassungsschutzbericht erwähnt werde. Er selbst sei stolz, bei dieser Vereinigung zu sein. Er sei ein gläubiger Muslim und seit Jahren auch Mitglied der Moscheegemeinde. Als ihm das Amt des Sekretärs angetragen worden sei, habe er es als seine Verpflichtung angesehen, der Gemeinde zu dienen. Die Moscheegemeinde werde zu Unrecht als verfassungsfeindlich diskriminiert. Er selbst stehe zur Verfassung und sei ein Verfechter der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Bis heute habe er weder von der Moscheegemeinde noch von einem ihrer Mitglieder oder vom Verband Bestrebungen, Äußerungen oder Handlungen wahrgenommen, die als die Werte der Verfassung missachtend bezeichnet werden könnten.

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Mit Bescheid vom 26. November 2001 lehnte der Beklagte die Einbürgerung des Klägers ausgehend von den §§ 86 Abs. 3, 84 Abs. 2 i.V.m. 46 Nr. 1 AuslG a.F. ab, da in seinem Fall Ausweisungsgründe vorlägen.

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Mit seinem hiergegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er bekenne sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Deutschland betrachte er als seine Heimat. Er habe sich nicht nur immer verfassungstreu verhalten, sondern sich auch sozial engagiert. Zusammen mit anderen Muslimen in der Umgebung wolle er Infrastrukturen schaffen, die es erlaubten, dass man sich als Muslim in Deutschland wohl fühle. Deshalb sei er in G... in einem Verein aktiv, der auch einen Gebetsraum unterhalte. Er sei zum Sekretär dieser Moscheegemeinde gewählt worden, die sich der größten muslimischen Vereinigung in Deutschland angeschlossen und damit den Namen „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs, Ortsverein G...“ angenommen habe. Die IGMG verstehe sich als eine islamische Religionsvereinigung, die das religiöse Leben der Muslime umfassend organisieren wolle. Die sie betreffenden Behauptungen des Verfassungsschutzes seien zum Teil falsch, zum Teil verzerrt und reflektierten in keiner Weise die Bemühungen der IGMG der letzten Jahre. Er selbst habe sich immer verfassungstreu und gesetzeskonform verhalten und sei auch 2002 der CDU beigetreten. Der Kreisrechtsausschuss des Beklagten wies mit Bescheid vom 23. Juli 2003 den Widerspruch zurück und führte aus, die IGMG sei als extremistische islamistische Organisation einzustufen, deren Tätigkeit auf eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinaus laufe. Der Kläger, der jahrelang als Funktionär für die IGMG tätig sei, müsse sich diese Ziele zurechnen lassen mit der Folge, dass ein Ausweisungsgrund nach § 46 Nr. 1 AuslG vorliege.

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Zur Begründung seiner hiergegen erhobenen Klage führt der Kläger im Wesentlichen aus, zum einen seien in den Bescheiden keine Feststellungen dahingehend getroffen worden, dass die IGMG die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehne, und zum anderen rechtfertige allein seine Funktionärstätigkeit in einer lokalen Gliederung nicht die Annahme, er verfolge oder unterstütze Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richteten. Auch gebe es keine speziell in seiner Person liegenden Gründe für die Annahme, er verfolge oder unterstütze Ziele im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG n.F., der hier anzuwenden sei. Weiter wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des Beklagten, die IGMG sei als islamistische extremistische Organisation einzustufen; hierzu hat er umfassend Stellung genommen.

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Der Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers in ausführlichen Stellungnahmen entgegengetreten und hat dargelegt, dass die IGMG seiner Auffassung nach nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe.

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Das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. hat mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. April 2004 die Klage abgewiesen: Die Einbürgerung des Klägers sei nach Maßgabe des hier anwendbaren § 86 Nr. 2 AuslG [...] ausgeschlossen, da tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Bestrebungen verfolge oder unterstütze, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien, und er auch nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt habe. Die entsprechenden Tatsachen folgten aus der Tätigkeit des Klägers im Rahmen des Ortsvereins G... der IGMG. Nach Neuregelung des § 86 Nr. 2 AuslG genüge es zudem, wenn ein tatsachengestützter hinreichender Verdacht bestehe. Die IGMG mit ihrem in K... ansässigen Dachverband und den ihr angeschlossenen Ortsvereinen sei eine islamistische extremistische Organisation, deren Ziele der im Grundgesetz manifestierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprächen. Dies ergebe sich aus der Einbindung der IGMG in den miteinander verzahnten Komplex bestehend aus der Weltanschauung „Milli Görüs“, der jeweiligen islamistischen Partei in der Türkei - heute der Saadet Partisi – und der Zeitung Milli Gazete. Eine Wandlung der IGMG dahingehend, dass sie die von ihr schon früher verfolgten islamistischen Ziele aufgegeben habe, lasse sich noch nicht feststellen. Im Fall des Klägers sei auch die Annahme gerechtfertigt, dass er diese Bestrebungen persönlich unterstütze. Dafür spreche zunächst, dass der Kläger seinen Angaben nach bereits 1990 der IGMG (vormals AMGT) beigetreten sei und 1992/1993 den Ortsverein G... mitgegründet habe. Im damaligen Zeitpunkt sei aber von der IGMG nahezu ausschließlich eine islamistische, auf die Einheit von islamischer Religion und Staat und die Geltung der Scharia gegründete Weltanschauung vertreten worden. Dies lege nahe, dass der Kläger diese Ziele auch unterstützt habe. Auch sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Beitritt des Klägers gerade zur AMGT/IGMG und die Gründung eines entsprechenden Ortsvereins nicht ohne eine grundsätzliche Identifizierung mit den Zielen dieser Organisation erfolgt seien. Des Weiteren spreche auch die Tatsache, dass er dann 1997 zum Sekretär und damit zum Mitglied des Vorstands des Ortsvereins A-Stadt ernannt worden sei, dafür, dass er sich die Ziele der IGMG zurechnen lassen müsse. Seit Mitte der 90er Jahre seien zwar erste Ansätze dafür sichtbar geworden, dass innerhalb der IGMG die islamistische Ausrichtung in Frage gestellt werde, es lasse sich aber nicht feststellen, dass damit bereits im Jahre 1997 eine Änderung der ideologischen Einstellung im Ortsverein G... verbunden gewesen wäre. Dabei sei zu sehen, dass der Vorstand des Ortsvereins nicht von der Mitgliederversammlung gewählt, sondern vom Vorstand des Dachverbands ernannt werde und von diesem auch jederzeit wieder abberufen werden könne. Gerade die hierarchische Struktur der IGMG spreche dagegen, dass der Kläger 1997 zum Mitglied des Vorstands hätte ernannt werden können, obwohl er eine abweichende Linie vertreten habe. Ebenso sei es aus diesem Grunde unwahrscheinlich, dass der Kläger nichts davon gewusst haben wolle, dass die IGMG vom Verfassungsschutz beobachtet werde. Der Kläger habe schließlich auch nicht im Sinne von § 86 Nr. 2 Halbsatz 2 AuslG glaubhaft gemacht, dass er sich von der früheren Unterstützung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der IGMG abgewandt habe. 

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Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger unter Wiederholung und umfassender Vertiefung seines bisherigen Vorbringens sein Begehren weiter. Er weist darauf hin, selbst der Beklagte werfe ihm kein individuelles verfassungsfeindliches Verhalten vor, sondern knüpfe die Ablehnung einer Einbürgerung an seine Mitgliedschaft in der IGMG. Feststellungen dazu, welche Richtung innerhalb der IGMG er vertrete, habe der Beklagte nicht getroffen. Hierzu sei zu bemerken, dass er sich innerhalb der Vereinigung verfassungstreu verhalte und sich für die Integration hier lebender Türken einsetze.

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Er beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Kreisverwaltung G... vom 26. November 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses vom 23. Juli 2003 sowie unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20. April 2004 zu verpflichten, ihn auf seinen Antrag einzubürgern.

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Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung seines Zurückweisungsantrags verweist der Beklagte auf die bisherigen Stellungnahmen und legt weitere Unterlagen vor, aus denen nach seiner Auffassung die verfassungsfeindliche Zielsetzung der IGMG abzuleiten sei. [...]

 

Gründe:

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Die zulässige Berufung des Klägers bleibt erfolglos. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße in dem angefochtenen Urteil die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband versagt.

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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerung gemäß § 86 AuslG [...].§ 40 c StAG sieht u.a. vor, dass die Einbürgerung auch in diesen Fällen dann zu versagen ist, wenn ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG [...] vorliegt. Die Voraussetzungen dieses Ausschlussgrundes sind hier erfüllt. Es liegen bei dem Kläger tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigen, dass er Bestrebungen unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Zur Überzeugung des Senats handelt es sich bei der IGMG um eine Organisation, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richtet (1.). Die langjährige Mitgliedschaft des Klägers in dieser Organisation sowie die Tätigkeit des Klägers für die Organisation, zuletzt als Sekretär des IGMG-Ortsvereins G..., sind für den Senat hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger die Bestrebungen der IGMG unterstützt (2.).

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1. Nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG besteht kein Anspruch auf Einbürgerung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Unter diesem Tatbestandsmerkmal ist eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit, der Freiheit und der Gleichheit unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft zu verstehen. Hierzu gehören u.a. die Volksouveränität, die Gewaltenteilung ebenso wie die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte und die Unabhängigkeit der Gerichte [...].

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Die IGMG strebt trotz gegenteiliger offizieller Bekundungen nicht nur die Beseitigung der laizistischen Gesellschaftsordnung der Türkei an, sondern es geht ihr darüber hinaus um die Errichtung einer islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia zumindest in den Staaten, in denen - wie in der Bundesrepublik -, Muslime leben. Unter Ersetzung der vorhandenen staatlichen Herrschaftssysteme sollen in der von der IGMG angestrebten islamischen Ordnung die Lebensbereiche so gestaltet werden, wie es von Gott durch den Koran, den Propheten und die Sunna verbindlich vorgegeben ist. Diese theokratische Herrschaftsform schließt - in der Sache liegend - die nach dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes in Art. 20 Abs. 2 GG festgelegte Staatsgewalt des Volkes aus. Indem sie einen islamischer Gottesstaat anstrebt, richtet sich die IGMG daher vor allem gegen das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieprinzip.

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Diese Einschätzung des Senats gründet sich auf der ideologischen Ausrichtung der IGMG an der Weltanschauung der Milli Görüs. [...] [Gründungsgeschichte der IGMG im Orginalen nachlesbar]

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Die Weltanschauung der Milli Görüs (Nationale Weltsicht) basiert auf dem 1975 von Necmettin Erbakan veröffentlichten gleichnamigen Werk. In diesem hat Erbakan seine „Vision“ zur Lösung der gesellschaftlichen und politischen Probleme beschrieben und zugleich den Absolutheitsanspruch von Milli Görüs festgelegt: „Milli Görüs vertritt den wahren und rechten Weg.“ [...] Milli Görüs beschwört die nach ihrer geschichtlichen Wertung ruhmreiche und große Geschichte der Türkei, ihre Sitten und Gebräuche und wendet sich gegen die ihrer Auffassung nach in die türkische Verfassung eingedrungene „linke und liberale Weltsicht“, die einen falschen und unrechtmäßigen Weg darstelle [...]. Die aus der Milli Görüs entwickelte „Gerechte Ordnung“ – Adil Düzen - bezeichnet die westliche Zivilisation als auf Gewalt beruhende „nichtige“ Ordnung, die durch eine islamische, auf der göttlichen Wahrheit und dem daraus abgeleiteten Recht basierende „Gerechte Ordnung“ abzulösen sei [...]. Ziel ist die Umgestaltung des Staatswesens in eine islamische Republik, wobei eine Unvereinbarkeit von islamischer und westlicher Ordnung hergestellt wird [...]. Adil Düzen sieht den Schlüssel zur Überwindung von Kapitalismus und Sozialismus, die - nach Überzeugung Necmettin Erbakans – an ihrem Ende angelangt sind in einem richtigen Rechtsverständnis, welches sich an zeitlose islamische Prinzipien bindet und an eine islamische Kultur knüpft [...]. Zur Verbreitung ihrer Ideologie bedient sich Milli Görüs verschiedener Medien. Besonders hervorzuheben ist die Zeitung Milli Gazete, die auch in einer Deutschlandausgabe erscheint. Zwar formal von der Milli Görüs/IGMG unabhängig, ist sie ihrer Sache jedoch eng verbunden. Sie ist keine unabhängige Zeitung, vielmehr Sprachrohr der Bewegung und Verbreiter ihrer Ideologie. Dieser Rückschluss ergibt sich für den Senat aus den Äußerungen Necmettin Erbakans zur Milli Gazete und der Einschätzung der Zeitung selbst einschließlich ihres Erscheinungsbildes. Angesichts dessen können Äußerungen in der Milli Gazete als repräsentativ für das Islam- und Politikverständnis der Milli Görüs und damit der IGMG angesehen werden. [...] [Ausführungen zur Milli Gazete]

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Der Widerspruch der Milli Görüs zum Demokratieprinzip der Bundesrepublik Deutschland kann somit auch anhand verschiedenster Äußerungen in der Milli Gazete nachvollzogen werden. [...]

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Die [...] deutlich zum Ausdruck kommende religiös-politische Botschaft wird so auch in den Moscheen der IGMG und im Internet verbreitet, oftmals verbunden mit dem Aufruf zum Djihad. So wurden bei einer Predigt in der „Ömer ül Farük Camii“ in Köln am 26. September 2003 die Gläubigen dazu aufgerufen, Staaten mit säkularen Ausrichtungen zu bekämpfen, einhergehend mit der Aufforderung, sich für den gemeinsamen Kampf zu organisieren, denn Gott werde die Muslime beim Djihad unterstützen [...]. Anlässlich einer Predigt im April 2002 in einer bayerischen IGMG-Moschee erklärte der Prediger, die Ungläubigen müssten bis in die tiefste Hölle getrieben werden. Man selbst müsse zusammenhalten und sich ruhig verhalten, bis es soweit sei. Es sei alles in Vorbereitung und laufe im Verborgenen [...]. Im November 2002 hieß es in einer Predigt, man müsse Erbakan gehorsam sein und seine Befehle ausführen. Wenn es verlangt werde, müsse das Leben geopfert werden; jeder Moslem müsse jede Sekunde vorbereitet sein zum Djihad. [...] Auch wenn in offiziellen Erklärungen Krieg und Gewalt eine Absage erteilt werden und die Übereinstimmung mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland betont wird, kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Vorherrschaft der Scharia auch für Europa und Deutschland angestrebt wird. Bereits am 1. Juni 1998 erklärte der IGMG-Vorsitzende Yüksel, man müsse für eine Eroberung des Islams in Europa kämpfen, aber nicht mit Krieg und Gewalt, sondern mit einem sinnvollen Vorgehen [...]. Ein internes Papier der IGMG führt dazu aus, die Aktivitäten und Methoden des Andie-Machtbringens und Vorherrschens des islamischen Rechtes, das größte Ziel und die schönste Aufgabe, müssten in schönster und systematischer Form erklärt werden [...]. So solle nicht der Kern der Dienstleistungen der IGMG, sondern die Form ihrer Darbietung und die Methode der Zeit gemäß neu bewertet werden [...]. Einer der Wege zur Einflussnahme führt aus Sicht der IGMG über die Teilhabe an politischen Gestaltungsrechten. Dementsprechend wurden die IGMG-Mitglieder über Anzeigen in der Milli Gazete und über die vereinseigene Homepage aufgerufen, die Staatsangehörigkeit ihrer Gastländer anzunehmen [...]. Mit dem Potential der Muslime in Deutschland sei man in der Lage, eine islamische Partei zu gründen, die dann ins Parlament kommen könne [...]. Der Senat schließt aus diesen Erkenntnisquellen, dass die IGMG, im Gegensatz zu gewaltbereiten islamistischen Organisationen, unter Ausnutzung der von der Verfassung selbst gebotenen Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten die demokratische Grundordnung und damit die Verfassung der Bundesrepublik überwinden will.

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Der Senat vermochte schließlich nicht zu der Einschätzung zu gelangen, die IGMG stelle sich aufgrund von Reformbestrebungen nicht mehr als einheitlich zu beurteilender Block dar oder sie habe gar eine neue Ausrichtung erfahren und sich von der Ideologie Erbakans getrennt: Zwar mag die Abspaltung und Gründung der AKP von der SP sowie deren Niederlage bei den Parlamentswahlen in der Türkei im November 2002 innerhalb der IGMG zu Diskussionen über eine Neu- oder Umorientierung hin zum Kurs der AKP geführt haben [...]. Greifbare Konturen dieser „Diskussion“ lassen sich bislang jedoch nicht erkennen. Ein Reformflügel, der sich innerhalb der Bewegung artikuliert, beispielsweise durch Diskussionsbeiträge, in Arbeitskreisen oder auf Veranstaltungen ist nicht auszumachen, ebenso wenig bestimmte Personen, auf die der Begriff des Reformers zutreffen könnte. Der Verweis auf eine in Gang gesetzte Loslösung von der Ideologie Erbakans ist letztlich nicht an entsprechenden Tatsachen festzumachen, ebenso wenig die Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, Erbakan habe keinen Einfluss mehr auf Politik und Gestaltung der IGMG. Die Erkenntnisquellen des Senats führen zu einer anderen Einschätzung. Danach prägt und dominiert nach wie vor die traditionalistische Weltanschauung Erbakans die IGMG, ohne für abweichende Auffassungen Raum zu lassen: Für die IGMG in Deutschland gilt nach wie vor, trotz der politischen Machtverluste in der Türkei und (möglichen) Differenzen über den künftigen Kurs, Erbakan als geistiger Führer der Bewegung. [...] Dass Erbakan den Einfluss auf Milli Görüs nicht verloren hat, bekräftigte auch der SP-Vorsitzende Kutan bei einem Empfang des SP-Ortsvereins Ankara. Er hob die Kontinuität der Führungsrolle Erbakans hervor und betonte, dessen Führung der Milli Görüs werde weitergehen. [...] So wurden wiederum im Jahr 2004 Grußbotschaften Erbakans bei IGMG-Veranstaltungen in Deutschland live übertragen. [...] Dementsprechend ist bis heute, trotz öffentlicher Demokratiebekenntnisse, keine Loslösung von Erbakan und seiner Ideologie erfolgt [...] weder von Seiten der Führungsspitze, noch von Seiten eines – ohnedies nicht greifbaren (s.o.) - Reformflügels.

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Zusammenfassend bleibt deshalb festzuhalten, dass mangels eines ernsthaften reformerischen Ansatzes die Absichten der IGMG insgesamt und trotz gegenteiliger Bekundungen, im Kern gegen das in der Verfassung verankerte Demokratieverständnis und damit gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind.

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2. Die langjährige aktive Vereinstätigkeit des Klägers für die IGMG und seine bis zum heutigen Zeitpunkt ausgeübten Funktionen bilden eine hinreichende Tatsachengrundlage, um die Annahme zu tragen, er unterstütze die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der IGMG. Ausweislich seines Wortlauts schließt § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG die Einbürgerung nicht erst im Fall nachgewiesener verfassungsfeindlicher Unterstützungshandlungen des Einbürgerungsbewerbers selbst aus, vielmehr genügt ein aufgrund des Vorliegens tatsächlicher Anhaltspunkte entstandener Verdacht [...]. Der Versagungstatbestand ist daher nicht erst dann erfüllt, wenn dem um Einbürgerung nachsuchenden Ausländer aufgrund eigener verbaler Bekundungen oder Aktionen ein verfassungsfeindliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Ein Verdacht im Sinne der Norm rechtfertigt sich vielmehr schon aus dem Vorliegen eines Umstandes, der bei objektiver und vernünftiger Sicht auf eine Unterstützung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen hinweist. Solche Umstände liegen bei dem Kläger vor: Er ist seit langen Jahren als Vereinsmitglied aktiv für den Ortsverein G... tätig und nimmt Funktionärsfunktionen wahr. Es kann ihm auch nicht abgenommen werden, er gehöre zu den Reformern in der IGMG. Abgesehen davon, dass letztere - wie mehrfach erwähnt - nicht fassbar sind, hat der Kläger als Sekretär eine Stellung inne, die er nur in Übereinstimmung mit dem Vorstand des Dachverbandes der IGMG ausüben darf. [...] Nach den vorangehenden Feststellungen des Senats ist es zudem ausgeschlossen, dass in der von Erbakan dominierten IGMG der Vorstand des Dachverbands abweichende Auffassungen des Funktionärspersonals in Richtung eines Reformkurses zulässt. Es besteht weiter kein Zweifel daran, dass sich die Aktivitäten des Klägers vorteilhaft für die IGMG auswirken und dazu verhelfen, die IGMG und mit ihr ihre Ideologie unter den in Deutschland lebenden Türken zu stärken. Bei objektiver und vernünftiger Bewertung aller Anhaltspunkte, ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger die Ziele der IGMG unterstützt und sich bislang von diesen nicht glaubhaft abgewandt hat. [...]

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