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Rechtsurteile

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Einbürgerungshindernde verfassungsfeindliche Ziele durch Unterstützung des Rates der Imame und Gelehrten (RIG) und der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD)

Die Funktionärstätigkeit (durch Veranstaltung von Seminaren und der Teilnahme an diesen) in einem vom Verfassungsschutz beobachteten Verein führt regelmäßig zu der Annahme, dass der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zumindest unterstützt. Die Behauptung er veranstalte und nehme an den Seminaren aus bloßem religiösen Interesse teil, ist als innerer Vorbehalt in diesem Zusammenhang unbeachtlich. (Leitsatz der Redaktion)


(Beschwerde an BVerwG, 20.02.2018 - 1 B 3/18 erfolglos)

Leitsätze:

1. Es bestehen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass die auf deutschem Boden agierenden, der Muslimbruderschaft ideologisch und organisatorisch nahestehenden Organisationen des Rates der Imame und Gelehrten (RIG) und die Islamische Gemeinschaft Deutschlands (IGD) gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgen.

2. Es bestehen dagegen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Organisationen einbürgerungsunschädliche Strömungen aufweisen.

3. Eine Person, die Vertreter dieser Organisationen zu öffentlichen Auftritten einlädt, regelmäßig an Veranstaltungen und Seminaren der Organisationen teilnimmt und in sozialen Netzwerken als Repräsentant bzw. Ansprechpartner der Organisationen in Erscheinung tritt, bietet Anhaltspunkte dafür, dass sie Bestrebungen im vorgenannten Sinne unterstützt.

 

Urteil:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. November 2015 - 4 K 3759/14.GI - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen. […]

 

Zum Sachverhalt:

 

Der Beklagte wendet sich mit der vom Senat zugelassenen Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen, das seinen Bescheid vom 28. November 2014 aufgehoben und ihn verpflichtet hat, den Kläger antragsgemäß in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

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Der am ... 1978 in Libyen geborene Kläger ist staatenloser Palästinenser, der am 15. Juli 1996 mit einem Aufenthaltstitel zur Studienaufnahme in die Bundesrepublik Deutschland einreiste. Am 14. Mai 2007 erteilte ihm die Ausländerbehörde erstmals eine Aufenthaltserlaubnis, die - nachdem der Kläger eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte - am 2. Juli 2009 auf veränderter Rechtsgrundlage verlängert wurde.

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Am 22. Dezember 2011 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Eine Überprüfung des Klägers ergab Zweifel an seiner Verfassungstreue. Im Rahmen der Sicherheitsbefragung habe er angegeben, Mitglied im Rat der Imame und Gelehrten (RIG) gewesen zu sein und unsicher, ob er noch immer Mitglied sei. Er unterstütze den RIG durch Hilfsdienste. Zudem hat der Beklagte festgestellt, dass der Kläger vom 29. Mai 2012 bis zum 23. Juli 2013 Vorsitzender des Vereins islamische Gemeinde X-Stadt e. V. gewesen sei, an Hadith-Seminaren des RIG und dessen Jahreskonferenz und an der Jahreskonferenz der islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD) teilgenommen habe. Des Weiteren stehe der Kläger in Kontakt zu islamischen Rechtsgelehrten, die Funktionäre der Muslimbruderschaft (MB) seien. Da der Kläger eingeräumt habe, Kenntnis der Verfassungsschutzberichte zu haben, sei davon auszugehen, dass er über die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der IGD und des RIG sowie deren organisatorischer und ideologischer Verflechtungen mit der MB informiert sei.

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Mit Bescheid vom 28. November 2014 lehnte der Beklagte die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Einbürgerung des Klägers komme nicht in Betracht, da er verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes verfolge bzw. unterstütze.

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Am 11. Dezember 2014 hat der Kläger Klage erhoben.

Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei nicht verfassungsfeindlich tätig. Er sei stets freundlich und hilfsbereit, respektiere die deutsche Rechtsordnung und distanziere sich von Extremismus und Terror. Er sei auch in keine verfassungsfeindliche Organisation eingebunden. Soweit er an Vorträgen von Islamgelehrten teilgenommen habe, habe er sich für diese thematisch interessiert.

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Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Kläger antragsgemäß in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

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Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen Bezug genommen auf die Ausführungen des angefochtenen Bescheides, die er vertieft hat.

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Mit Urteil vom 2. November 2015 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Beklagten vom 28. November 2014 aufgehoben und ihn verpflichtet, den Kläger antragsgemäß in den deutschen Staatsverband einzubürgern. Zur Begründung seines Urteils führt das Verwaltungsgericht aus, der Kläger habe gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach § 10 Staatsangehörigkeitsgesetz - StAG -. Der Kläger erfülle alle Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerung, insbesondere liege ein Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht vor. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne der Ausschlussgrund in der Person des Klägers aufgrund der Tätigkeiten und religiösen Aktivitäten des Klägers nicht festgestellt werden. Dies gelte zunächst für den Vorwurf, dass er im Jahr 2000 einen Betrag von 2.800,00 DM an eine Person überwiesen habe, die in Verbindung mit den Ereignissen vom 11. September 2001 gestanden habe. Dieser Überweisungsvorgang sei zum einen nicht beleghaft dokumentiert und im Übrigen sei der Kläger zu dieser Zeit wirtschaftlich nicht in der Lage gewesen, einen solchen Betrag an Dritte zu überweisen. Darüber hinaus hinderten auch die aktenkundigen und vom Kläger eingeräumten Aktivitäten im Rat der Imame und Gelehrten (RIG), die Teilnahme am Hadith-Seminar des RIG im Mai 2013, die Teilnahme an der Jahreskonferenz der Islamischen Gemeinschaft Deutschlands (IGD) sowie der bildhaft nachgewiesene Kontakt zu einem Herrn Y... die Einbürgerung nicht. Dem Beklagten sei zwar zuzugestehen, dass sowohl dem RIG als auch der IGD und möglicherweise auch Herrn Y. eine Nähe zur Muslimbruderschaft (MB) zu unterstellen sei. Auch dies führe jedoch nicht zu einem Ausschluss des Einbürgerungsanspruchs. Zwar sei das Gericht aufgrund der Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden der Überzeugung, dass die MB, die IGD und der RIG mit dem von ihnen vertretenen islamischen Extremismus nicht auf der Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes stünden, den entsprechenden Berichten zufolge sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass sowohl der RIG als auch die IGD ungeachtet ihrer verfassungsfeindlichen Grundtendenzen Strömungen aufwiesen, die mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang zu bringen seien. Bei derartigen Organisationen komme es darauf an, welcher Richtung der Ausländer zuzurechnen sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei dementsprechend individuell auf den Kläger und seine Person bezogen zu prüfen, ob er sich verfassungsfeindliche Bestrebungen der Organisation, in deren Nähe er sich bewegt habe und bewege, als eigene verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zurechnen lassen müsse. Dies sei nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall. Der Kläger habe gerade in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass er die deutsche Rechtsordnung als verbindlich anerkenne. Hinsichtlich der Teilnahme an den genannten Konferenzen und Seminaren sowie den von ihm erbrachten Hilfsdiensten habe er deutlich gemacht, dass es ihm allein darum gegangen sei, mehr über seine Religion zu erfahren. Dies sei ein legitimes Recht des Klägers. Im Übrigen habe er seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 15. Juli 1996 ein unauffälliges Leben geführt; hinsichtlich seiner Person befänden sich keine Eintragungen im Bundeszentralregister. Er habe die Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossen, mit der er drei gemeinsame Kinder habe. Hauptberuflich sei er im sozialen Bereich tätig. All dies belege zur Überzeugung des Gerichts, dass der Kläger an den ihm vorgehaltenen Veranstaltungen nicht mit dem Ziel teilgenommen habe, die freiheitliche und demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zu bekämpfen, sondern allein deswegen, um sich vertiefte Kenntnisse über den Islam zu verschaffen, die er nutzbringend bei seiner täglichen Arbeit in die deutsche Gesellschaft einbringen könne. Schließlich könne allein aus einer persönlichen Kenntnis oder einer Kontaktaufnahme zu dem islamischen Gelehrten Y. nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger folge dessen Thesen unbesehen und unkritisch. Insgesamt hätten weder der Beklagte noch die Verfassungsschutzbehörden belastbar belegt, dass der Kläger mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbare Aktivitäten entwickelt habe. Hinsichtlich der vom Kläger geleisteten Hilfsdienste sei nicht nachgewiesen, dass diese einem Zweig des gelebten Islam gedient hätten, der sich verfassungsfeindlich geriere.

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Auf den Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 20. Juli 2016 - 5 A 2723/15.Z - die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zugelassen.

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Zur Begründung der Berufung führt der Beklagte aus, die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragende Begründung beruhe auf unzutreffenden Annahmen, fehlerhaften Schlüssen und unzutreffenden Bewertungen der gegen den Kläger vorliegenden Erkenntnisse. Bereits die zugrunde gelegte Annahme des Verwaltungsgerichts, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sowohl der RIG als auch die IGD ungeachtet ihrer verfassungsfeindlichen Grundtendenz Strömungen aufwiesen, die mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang ständen, gehe fehl. Eine Begründung für die Existenz einer solchen Strömung lasse sich weder der Urteilsbegründung noch den vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Verfassungsschutzberichten entnehmen. Vielmehr seien die IGD und der RIG fest in die deutschen MB-Strukturen eingebunden und stünden damit als Vertreter für die ideologischen Grundsätze der MB in Deutschland. Nach dem Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern 2014 ergebe sich aus einem im Rahmen eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens sichergestellten Dokuments ein Vierjahresplan der MB. Die darin vorgesehenen Maßnahmen basierten auf einer Doppelstrategie, um damit die eigentlichen Ziele der IGD und der Mutterorganisation - der MB - zu verdecken. Vordergründig und in der Außendarstellung agierten die Organisationen tolerant und dialogbereit und vermieden in der Öffentlichkeit Bekenntnisse zur MB und verfassungsfeindliche Äußerungen. Ziel der Organisation sei aber die Errichtung einer auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Auch die Verfassungsschutzberichte Hessens und Nordrhein-Westfalens sähen in Deutschland eine Unterwanderungsstrategie der MB. Vor dem Hintergrund der Homogenität der Zielsetzungen der Organisationen gehe auch die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts fehl, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts komme es für die Entscheidungsfindung darauf an, ob der Kläger sich die dargestellten verfassungsfeindlichen Bestrebungen der IGD und des RIG als eigene verfassungsfeindliche Bestrebungen zurechnen lassen müsse. Die dokumentierten und eingeräumten Teilnahmen des Klägers an Konferenzen und Seminaren des RIG und der IGD, die sonst zu dem Kläger bestehenden Erkenntnisse und seine innerhalb und außerhalb der Veranstaltungsteilnahmen geleisteten Hilfsdienste seien ausreichend, das Vorliegen der einbürgerungshindernden Voraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu belegen. Auch die weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu seinen Lebensverhältnissen und insbesondere die Feststellung, der Kläger habe vertiefte Kenntnisse über seine Religion erlangen wollen, ließen keine Rückschlüsse auf die Einstellung des Klägers zur Wertordnung des Grundgesetzes zu. Vertiefte Kenntnisse über seine Religion habe der Kläger, der durch die Lektüre von Verfassungsschutzberichten über die Bewertung der Ideologie der MB, der IGD und des RIG informiert gewesen sei, unschwer auch anderweitig erlangen können. Schließlich könne der Kläger auch nicht im Sinne von § 11 StAG glaubhaft machen, dass er sich von den nachgewiesenen Unterstützungshandlungen abgewandt habe. Denn weitere Erkenntnisse, die bei der Entscheidung über die Berufung zu berücksichtigen seien, stünden dem entgegen. Am 25. März 2014 seien auf einem Facebook-Profil Lichtbilder veröffentlicht worden, auf denen der Kläger mit MB/IGD-Funktionären wie Y., (Sheikh) A... und B... zu sehen sei. B... sei Generalsekretär der in Doha beheimateten International Union of Muslim Scholars (IUMS) und zugleich Professor für Rechtswissenschaften an der Qatar University. Dieser sei auch aktiver Unterstützer von C., der ebenfalls lange Jahre den Vorsitz der IUMS innegehabt habe. C. habe in Fatwas in der Vergangenheit die Todesstrafe bei Abfall vom Glauben gerechtfertigt. Er habe u. a. das Schlagen von Ehefrauen, die Todesstrafe bei außerehelichem Geschlechtsverkehr, die Todesstrafe bzw. das Auspeitschen bei Homosexualität sowie Selbstmordattentate im Kampf gegen Israel befürwortet. Auf einem Lichtbild auf dem Facebook-Profil des RIG sei der Kläger mit B. bei der Übergabe eines Schriftstücks anlässlich eines Seminars des RIG vom 28. bis 29. Dezember 2015 in den Räumen des Islamischen Moschee Vereins D. in Frankfurt zu sehen. Auf einem weiteren Lichtbild dieses Facebook-Profils sei der Kläger mit E. u. a., wahrscheinlich im Rahmen einer vom RIG veranstalteten Fortbildung zum Thema „Prioritäten des religiösen Diskurses im aktuellen europäischen Kontext" am 22. Februar 2016, bei der Übergabe eines Schriftstückes zu sehen. Schließlich hätten u. a. auf dem Facebook-Profil des RIG Stellungnahmen und Verlautbarungen des RIG festgestellt werden können, in denen im Briefkopf die Rufnummer angegeben gewesen sei, die dem Kläger zugeordnet gewesen sei. Nach einer aktuellen Auskunft sei die Telefonnummer im Juli 2015 abgeschaltet worden. Am 24. April 2017 seien auf dem Facebook-Profil des RIG Bilder einer Veranstaltung veröffentlicht worden, die neben dem Kläger und dem Referenten F. unter anderem auch A..., Y... und G... zeigten. F. sei Mitglied im ECFR sowie Vorsitzender des Planungs- und Entwicklungsausschusses der IUMS. G. aus Berlin sei der MB zuzurechnen und zähle in diesem Umfeld zu den bekanntesten Predigern innerhalb Deutschlands. Identische Bilder dieser Veranstaltung seien auch auf dem Facebook-Profil von A. veröffentlicht worden. Schließlich weise ein Veranstaltungsflyer der Islamischen Gemeinde X-Stadt e.V. - IGG - den Kläger als Vortragenden für eine Veranstaltung am 15. Januar 2017 zu dem Thema „Das Bildungssystem in Deutschland" aus. Die IGG sei im April 2014 dem Deutsch-Islamischen Vereinsverband (DIV) beigetreten. Dieser Vereinsverband sei mit Wirkung vom 16. August 2016 vom Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz zum Beobachtungsobjekt erklärt worden, da hinsichtlich des islamistisch beeinflussten Dachverbandes tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung vorlägen. Zum Zeitpunkt der Prüfung seien von 46 Mitgliedsvereinen etwa 1/3 wegen Verbindungen zur islamistischen Muslimbruderschaft als extremistisch oder extremistisch beeinflusst zu bewerten. Einzelne Mitgliedsvereine wiesen auch salafistische Züge auf. Schließlich sei auch den Verfassungsschutzberichten des Bundes für das Jahr 2016 und des Landes Hessen für das Jahr 2017 keine Anhaltspunkte für die Annahme des Verwaltungsgerichts zu entnehmen, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass IGD oder RIG - ungeachtet ihrer verfassungsfeindlichen Grundtendenz - Strömungen aufwiesen, die mit der Werteordnung des Grundgesetzes in Einklang stünden.

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Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 2. November 2015 - 4 K 3759/14.GI - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zum Begehren des Klägers auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband führt der Bevollmächtigte aus, Grundlage der Entscheidung sei das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und sein Menschenbild. Dementsprechend sei das Individuum, der konkrete Mensch, sein Bewusstsein, seine individuelle Würde und sein Verhalten nach außen zur Grundlage jedweder Entscheidung zu nehmen. Kollektive Zuordnungen bzw. der Gedanke der Kontaktschuld, könnten dabei entsprechend dem Verständnis der Würde des Individuums nicht dazu führen, die Rechtssphäre des Betroffenen entscheidungserheblich zu beeinträchtigen. Zum Beleg dafür, dass der Kläger die Wertvorstellungen des Grundgesetzes teile, stellt sein Bevollmächtigter unterschiedliche Äußerungen dar, die in den Sicherheitsbefragung während des Verwaltungsverfahrens dokumentiert sind. […] Der Kläger - so der Bevollmächtigte weiter - habe seine Lebensauffassung und sein Bewusstsein stets offen dargelegt. Er sei an Fortbildung, Weiterbildung und Entwicklung seiner Person und seiner Fähigkeiten interessiert. Er habe im Laufe der Jahre an zahlreichen Veranstaltungen und Seminaren unterschiedlicher Organisationen teilgenommen, wobei er sich nicht an dem Veranstalter orientiert habe, sondern an dem Kriterium, ob der Vortragende aufgrund seines zu unterstellenden Wissens qualitative Vorträge halten könne. Prof. Dr. B..., Professor für Rechtswissenschaften an der Fakultät für islamische Studien der Universität von Qatar habe einen Vortrag über das Thema „Grundlagen des islamischen Finanzwesens" gehalten. Prof. Dr. E... sei Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Zitouna und ehemaliger Minister für religiöse Angelegenheiten in Tunesien. Der Kläger habe mit zahlreichen unterschiedlichen Menschen Kontakt; diese Kontakte könnten jedoch nicht Grundlage der Beurteilung seiner Persönlichkeit sein. Kontakt zu einer Person heiße für den Kläger nicht, dass er dessen Meinung oder Auffassung teile. Er habe - ohne Abschluss - Psychologie und Medizin studiert und sei im Wege des Fernstudiums an der Hochschule Fulda in der Fachrichtung Soziale Arbeit eingeschrieben. In den letzten 16 Jahren habe er im Sozialbereich in den unterschiedlichsten Feldern gearbeitet. […]

 

Gründe:

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Die mit Beschluss des Senats vom 20. Juli 2016 - 5 A 2723/15.Z - zugelassene Berufung des Beklagten ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere mit Schriftsatz vom 19. August 2016 fristgerecht begründet worden.

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Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern. Der Einbürgerung des Klägers steht der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1, 1. Alt. Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG - entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind […]. Bestrebungen in diesem Sinne sind politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Grundprinzipien der politischen Ordnungs- und Wertvorstellungen, auf denen die Bundesrepublik Deutschland beruht, zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]). Zu diesen Ordnungs- und Wertvorstellungen zählen die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG dargestellten Prinzipien, insbesondere das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen (§ 4 Abs. 2a BVerfSchG) und die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (§ 4 Abs. 2b BVerfSchG). Für die Rechtfertigung der Annahme der Verfolgung bzw. Unterstützung derartiger Bestrebungen müssen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Mit dieser Formulierung findet eine Vorverlagerung des Schutzes der freiheitlich demokratischen Grundordnung statt. Die Bestrebungen müssen nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des Gefahrenabwehrrechts überschreiten, ausreichend für derartige tatsächliche Anhaltspunkte ist eine auf Tatsachen gestützte Prognose, die eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine solche Annahme begründen (BVerwG, Urteile vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]). Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Verfolgung oder Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des die Einbürgerung anstrebenden Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne dieser Vorschrift verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]). Dies gilt auch für eine Organisation, die sich in erster Linie als religiöse Gemeinschaft versteht. Voraussetzung ist jedoch, dass sich diese Gemeinschaft nicht nur auf religiöse und soziale Ziele und Aktivitäten beschränkt, sondern - und sei es als Teil ihres religiösen Selbstverständnisses - auch weitergehende politische, verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Dem stehen auch nicht die grundrechtlichen Freiheiten des Glaubens, Gewissens sowie des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, einschließlich der ungestörten Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz - GG b) entgegen. Denn ungeachtet der Frage, ob der Schutzbereich des Grundrechts überhaupt berührt ist, erlaubt das Grundrecht nicht, die Grenzen, die die allgemeine Wertordnung des Grundgesetzes errichtet hat, zu überschreiten (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]). „Verfolgen" im vorgenannten Sinne ist das eigene Hinwirken auf die Ziele der Bestrebung, „Unterstützen" hingegen das Mitwirken an einem fremden Hinwirken auf die Ziele. Eine Bestrebung „verfolgt" dementsprechend, wer sie durch eigene Handlung aktiv vorantreibt und dabei um die Tatsachen weiß, aus denen sich deren gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung ergibt. Namentlich erfüllt den Begriff des „Verfolgens" derjenige, der in einer Führungsposition oder sonst an herausgehobener Stelle die Aktivitäten der Bestrebung plant, organisiert oder entscheidet (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Januar 2016 - 19 A 1214/11 […]). „Unterstützen" im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist hingegen jede Handlung eines Ausländers, die für Bestrebungen im Sinne der vorgenannten Vorschrift objektiv vorteilhaft ist, sich also in irgendeiner Weise für diese positiv auswirkt. Dies muss für den Ausländer erkennbar sein und er muss zum Vorteil der genannten Bestrebungen handeln wollen. Nicht erforderlich ist, dass die Bestrebungen objektiv geeignet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Es reicht aus, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die besagten Grundprinzipien zu beeinträchtigen […]. Ebenso wenig ist erforderlich, dass das Verhalten des Einbürgerungsbewerbers tatsächlich Erfolg hat oder für einen Erfolg ursächlich ist (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]).

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Unter Beachtung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass der Kläger in Kontakt zu verfassungsfeindlichen Organisationen - der Islamischen Gemeinschaft Deutschland e.V. (IGD) und dem Rat der Imame und Gelehrten e.V. (RIG), der Muslimbrüderschaft (MB) in Deutschland - stand und offensichtlich noch steht. Nach den Verfassungsschutzberichten der Länder Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen ist die 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründete MB eine internationale Organisation, die bis heute von zentralen Elementen der Ideologie der Gründungsbewegung geprägt wird. Wesentlicher Bestandteil dieser Ideologie ist die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna […]. Das Motto der MB lautet bis heute: „Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch" […]. Aus der darauf beruhenden Ideologie der MB und den Äußerungen ihrer Führungspersönlichkeiten wird ersichtlich, dass die Organisation demokratische Grundprinzipien ablehnt. Langfristig strebt sie ein islamisches Staatsgebilde an. Nach ihrer Auslegung nimmt der Islam darin eine Monopolstellung ein. Allen Andersgläubigen und generell den Frauen werden lediglich eingeschränkte Rechte zugestanden. Durch die avisierte Staats- und Gesellschaftsordnung werden zwangsläufig auch Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen beschnitten […]. In Deutschland gründete Said Ramadan - ein Schwiegersohn al-Bannas und hoher MB-Funktionär - 1960 die Moscheebau-Kommission e. V., aus der 1962 durch Umbenennung zunächst die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V. und 1982 die Islamische Gemeinschaft Deutschland e.V. (IGD) hervorgingen. In Europa wird die streng hierarchisch organisierte MB durch die FIOE - die Föderation Islamischer Organisationen in Europa - einem europäischen Dachverband MB-naher Organisationen mit Sitz in Brüssel vertreten. Der Rat der Imame und Gelehrten e.V. (RIG) ist ebenso wie der Europäische Rat für Fatwa und Islam Studien (European Council for Fatwa and Research - ECFR -, dessen Vorsitzender C. als geistiger Führer der MB bekannt ist) und die IGD eine MB-Institution bzw. organisatorisch und ideologisch der MB nahe stehend […]. Dies gilt schließlich auch für das im Dezember 2012 gegründete Europäische Institut für Humanwissenschaften (EIHW). Das als Verein gegründete Institut dient als Schulungsstätte der Verbreitung der MB-Ideologie, in dem regelmäßig Seminare mit IGD-Funktionären und internationalen Gastdozenten - unter anderem aus Ägypten und Saudi-Arabien – stattfinden […]. In Deutschland tritt die MB nicht offen in Erscheinung, wird jedoch durch die IGD, den RIG und die FIOE als Teil einer weltweiten „Islamischen Bewegung" vertreten. Mit einer legalistischen Strategie, d.h. ohne das Recht zu verletzen, wird versucht, ihrer Ideologie zur Akzeptanz in Teilen der Gesellschaft zu verhelfen. Dazu verhalten sie sich nach außen offen, tolerant und dialogbereit und streben eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen […]

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Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich vor dem dargestellten Hintergrund bei diesen Organisationen auch nicht um inhomogene Organisationen, die verschiedene Strömungen aufweisen, die unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unterschiedlich zu bewerten sind. In einer solchen inhomogenen Organisation könnte die Mitgliedschaft in ihr und/oder die Tätigkeit für sie keine vergleichbare indizielle Aussagekraft wie bei einer in Bezug auf die Verfassungsfeindlichkeit einheitlich zu beurteilenden Organisation beigemessen werden. Vielmehr müsste in einem solchen Fall die Frage geklärt werden, welcher Richtung sich der Einbürgerungsbewerber zurechnen lassen müsste. Denn das Gesetz fordert mit Rücksicht auf die Höchstpersönlichkeit der Staatsangehörigkeit und des darauf gerichteten Einbürgerungsanspruchs einen personenbezogenen Verdacht. Lägen in einem solchen Fall äußerliche Umstände vor, die es hinreichend wahrscheinlich erscheinen ließen, dass der Einbürgerungsbewerber den Kreisen innerhalb einer Organisation zuzurechnen ist, die ausschließlich einbürgerungsunschädliche Ziele verfolgen, wäre für den Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG kein Raum (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 2009 - 5 C 24/08 […]).

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Zwar weisen die MB, ihre Ableger und Institutionen - je nach den individuellen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der einzelnen Länder – unterschiedliche Strukturen und in einzelnen Punkten voneinander abweichende Positionen auf. So zählen zu dem internationalen Netzwerk der MB auch die palästinensische Hamas sowie die in Jordanien gegründete und u. a. in Deutschland verbotene Hizb ut-Tahrir („Partei der Befreiung"), die auch weiterhin Gewalt als Mittel einsetzen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Demgegenüber wird insbesondere in Europa die zuvor dargestellte legalistische Strategie verfolgt. Insoweit kann zwar von unterschiedlichen Strömungen gesprochen werden, die zuvor dargestellten Grundüberzeugungen der MB - die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna -, die mit demokratischen Prinzipien wie der Meinungsfreiheit, der Volkssouveränität und der Gleichberechtigung unvereinbar sind, werden im internationalen Netzwerk der MB und ihrer Institutionen aber geteilt. Die in Europa verfolgte legalistische Strategie der MB bzw. der ihnen nahe stehenden Organisationen lässt sich nicht dahingehend interpretieren, dass diese Strömungen der Organisationen keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen. Vielmehr lässt sich aus den zitierten Verfassungsschutzberichten der Länder für die in Europa agierenden Strömungen der MB bzw. der ihr nahe stehenden Organisationen eine Doppelstrategie ableiten, deren wesentlicher Ansatzpunkt sich auf Angebote im Kinder- und Jugendbereich bezieht. Neben den dort vermittelten unpolitischen und lebenspraktischen Inhalten finden sich religiös-politische Einflussnahmen im Sinne der MB-Ideologie, so dass davon auszugehen ist, dass die islamistische Gottesstaat-Ideologie weitere Verbreitung findet […].

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Da der Kläger den Inhalten der zitierten Verfassungsschutzberichte der Länder nicht substantiiert entgegengetreten ist und die Erkenntnisse auch nicht durch sonstige abweichende Informationen in Zweifel gezogen werden, bestehen zur Überzeugung des Gerichts hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, dass die auf deutschem Boden agierenden, der MB nahe stehenden Organisationen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgen.

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Diese Bestrebungen hat der Kläger jedenfalls unterstützt. Hinsichtlich der Unterstützung ist zwar nicht bereits jede Handlung einbürgerungsfeindlich, die sich zufällig für solche Bestrebungen objektiv vorteilhaft erweist, sondern Unterstützungshandlungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind nur solche Handlungen, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt […]. Dem Kläger waren und sind die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der vorgenannten Organisationen bewusst, denn er hat sich bereits Mitte des letzten Jahrzehnts anhand der Verfassungsschutzberichte über die Ausrichtung islamischer Organisationen informiert. Dazu hat er in der Sicherheitsüberprüfung durch das Ordnungsamt der Universitätsstadt Gießen am 16. Dezember 2011 ausgeführt, dass er nicht mehr in der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) aktiv gewesen sei, als diese in Verfassungsschutzberichten erwähnt worden sei. Der Kläger hatte danach also die Kenntnis und das Bewusstsein, dass auch die IGD und der RIG aufgrund der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften der Verfassungsschutzgesetze der Länder […] wegen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Bestrebungen beobachtet werden.

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Des Weiteren hat der Kläger auch Unterstützungshandlungen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, also Handlungen vorgenommen, die für Bestrebungen im Sinne dieser Vorschrift objektiv vorteilhaft sind, ohne dass es auf die Existenz oder den Nachweis eines messbaren Nutzens für das angestrebte Ziel ankommt […]. Das Verhalten, dessen der Ausländer verdächtig ist, muss aber für den Fall, dass sich der Verdacht bestätigt, ein Unterstützen im Sinne des § 11 StAG Satz 1 Nr. 1 StAG darstellen. Einzelne Unterstützungshandlungen hindern als tatsächliche Anhaltspunkte die Einbürgerung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erst dann, wenn sie nach Art und Gewicht geeignet sind, eine dauernde Identifikation des Ausländers mit diesen Bestrebungen zu indizieren. Ob nach diesen Grundsätzen eine tatbestandsmäßige Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vorliegt, ist aufgrund einer wertenden Betrachtung der gesamten Begleitumstände einschließlich vergangener Handlungen oder Erklärungen zu beurteilen […]. Bei dieser wertenden Betrachtung sind zum einen die dem Einbürgerungsbewerber zustehenden Grundrechte zu berücksichtigen, andererseits können auch legale Betätigungen des Ausländers Berücksichtigung finden […].  So hat der Kläger in seiner Funktion als Vorsitzender des Vereins Islamische Gemeinde X-Stadt e.V. ausweislich einer Teilübersetzung der arabischsprachigen Facebook-Seite am 1. November 2012 interessierte Besucher zu einer Vortragsveranstaltung des Referenten Scheich A. zum Thema „Grundlagen des zeitgenössischen Lebens in Koran und Sunna" eingeladen. Der Referent ist Mitglied des Vereinsvorstands (Geschäfts- und Schriftführer) des RIG, Imam des islamischen Zentrums Frankfurt (IZF) und Dozent am EIHW. Mit dieser Einladung hat der Kläger objektiv zur Verbreitung der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Ideologie der MB nahestehenden Organisationen beigetragen, dessen Mitglied der Referent ist. Des Weiteren muss sich der Kläger auch die Verbreitung von Stellungnahmen und Verlautbarungen auf dem Facebook-Profil des RIG in deutscher und arabischer Sprache als einbürgerungsfeindliche Handlung zurechnen lassen, die im Briefkopf eine Telefonnummer aufwiesen, die am 15. Mai 2015 dem Kläger zuzuordnen war, jedoch im Juli 2015 abgeschaltet wurde. Dies verdeutlicht, dass der Kläger – unabhängig von einer formellen Mitgliedschaft im RIG - bereit ist, als Repräsentant und Ansprechpartner des RIG öffentlich in Erscheinung zu treten. Dies rechtfertigt darüber hinaus die Annahme, dass er die Vorstellungen, Werte und Unternehmungen der Vereinigung teilt bzw. sich mit ihnen identifiziert. In dieses Bild passt auch die regelmäßige Teilnahme des Klägers an Veranstaltungen und Seminaren des RIG und einer Teilnahme an der Jahreskonferenz der IGD. Soweit der Kläger im Zusammenhang mit diesen die Bedeutung seiner Teilnahme mit dem Hinweis herunterspielt, er leiste lediglich unbedeutende organisatorische Hilfsdienste, ist dieser Vortrag angesichts der zuvor dargestellten inhaltlichen Einbindung in den RIG und angesichts des dokumentierten Auftretens des Klägers im Rahmen dieser Seminare wenig glaubhaft. Vielmehr belegt auch diese regelmäßige langjährige - auch während des Einbürgerungsverfahrens fortdauernde - Teilnahme an den Veranstaltungen des RIG, dass es sich bei dem Kläger um eine Person handelt, die den Fortbestand der Vereinigung und die Verwirklichung ihrer Ziele aktiv fördert. 

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Soweit man dem wiederholten, zuletzt in der mündlichen Verhandlung dargestellten Vortrag des Klägers Glauben schenkt, seine Aktivitäten im Zusammenhang mit dem RIG und der IGD seien allein auf seine religiöse Weiterbildung gerichtet, er respektiere die Rechtsordnung des Grundgesetzes, distanziere sich von Extremismus und Terror und er sei auch in keinerlei verfassungsfeindliche Organisationen eingebunden, lässt sich dies allenfalls als ein unbeachtlicher innerer Vorbehalt hinsichtlich der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der von ihm unterstützten Organisationen qualifizieren […]. Der früher für das Staatsangehörigkeitsrecht zuständige 12. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat in seinem Beschluss […] ausgeführt, dass es für die Erfüllung des Ausschlusstatbestandes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass die unterstützten Organisationen nahezu ausschließlich verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgen, vielmehr genüge es, wenn in mehr als nur ganz unwesentlichem Umfang gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen festzustellen seien, auch wenn ein Teil der Aktivitäten dieser Organisationen auf politisch nicht relevantem, allein kulturellem Gebiet stattfinde. An einem Unterstützen im Sinne des Ausschlusstatbestandes des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG fehlt es allerdings, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die inkriminierten Ziele befürwortet und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seiner Grundrechte nach außen vertritt […]. Ist allerdings eine scharfe Trennung zwischen den vorgenannten politischen, humanitären oder sonstigen Zielen und den verfassungsfeindlichen Aktivitäten der Organisation - auch für den Einbürgerungsbewerber erkennbar - nicht möglich, so sind auch legale Unterstützungshandlungen objektiv als Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu qualifizieren, auch wenn sich der Einbürgerungsbewerber aufgrund eines inneren Vorbehalts allein mit den humanitären, kulturellen oder mit solchen mit der Wertordnung des Grundgesetzes in Einklang stehenden religiösen Zielen voll identifiziert […]. Angesichts der oben beschriebenen Doppelstrategie der in Europa agierenden Strömungen der MB bzw. der ihr nahestehenden Organisationen ist es gerade diese legalistische Strategie, mit der auch der RIG seine gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen verfolgt. Dementsprechend scheidet eine Differenzierung zwischen einbürgerungsunschädlichen und verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Organisation aus, so dass die Unterstützungshandlungen des Klägers - selbst wenn sie unter dem oben beschriebenen inneren Vorbehalt stünden - als Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu qualifizieren sind.

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Vor diesem Hintergrund kommt auch eine glaubhafte Abwendung der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht in Betracht. Denn ein solches Sich-Abwenden setzt eine Änderung der inneren Einstellung voraus, was wiederum voraussetzt, dass der Einbürgerungsbewerber jedenfalls einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit Bestrebungen im vorgenannten Sinne unterstützt zu haben, und dass er derartige Unterstützungshandlungen, insbesondere deren Verfassungswidrigkeit nicht verharmlost oder bagatellisiert […]. Neben den geschilderten Unterstützungshandlungen, die noch nach dem Erlass des ablehnenden Bescheids des Beklagten vom 28. November 2014 dokumentiert sind, beschränkt sich das Vorbringen des Klägers nach wie vor darauf, sich über seine Religion informieren zu wollen. Er habe im Laufe der Jahre an zahlreichen Veranstaltungen und Seminaren teilgenommen und zwar nicht nur an solchen des RIG. Bei der Auswahl der Veranstaltungen habe er sich nicht an dem Veranstalter, sondern daran orientiert, ob der Vortragende aufgrund seines zu unterstellenden Wissens qualitative Vorträge halten könne. Dies legt entweder eine Verharmlosung bzw. eine Verschleierung seiner eigenen Verhaltensweisen zugunsten der von ihm unterstützten Organisationen nahe oder eine lediglich fehlerhafte rechtliche Einordnung seiner Aktivitäten zu Gunsten des RIG. Beides steht jedoch der Annahme einer glaubhaften Abwendung der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegenstehen. […]

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