Einbürgerung eines IGMG-Vorstandsmitglieds
Zwar entspricht es der Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG und der grundgesetzlichen Werteordnung seine Glaubensüberzeugung für sich selbst als die beste zu halten, jedoch ist für den weltanschaulich neutralen Staat ein Hegemoniestreben einer Religion oder Religionsgemeinschaft nicht hinnehmbar. Ein solches wird aber durch viele Reden und Publikationen von IGMG-Funktionären als Fernziel ausgedrückt. Aus diesem Grund kann ein Vorstandsmitglied der IGMG nicht eingebürgert werden. (Leitsatz der Redaktion)
Urteil: I. Die Klage wird abgewiesen. […]
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Der […] Kläger […] begehrt mit der Klage die Verpflichtung des Beklagten, ihn einzubürgern. |
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Der Kläger reiste im Juli 1977 im Rahmen des Familiennachzugs in die Bundesrepublik Deutschland ein, besuchte bis 1984 die Grund- und die Hauptschule und 1984 bis 1985 die Berufsschule Neu-Ulm. |
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Von 1985 bis 1986 arbeitete er bei einer Bäckerei in Ulm, von 1986 bis 1993 bei der Weberei und Spinnerei Senden. In den Jahren 1993 und 1994 war er arbeitslos. Seit 2. Mai 1994 arbeitet er im Lager der Frischdienstzentrale Süd in Neu-Ulm. Er hatte jeweils eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Am 10. Januar 1989 erteilte ihm das Landratsamt Neu-Ulm eine Aufenthaltsberechtigung. |
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Der Kläger heiratete am 27. November 1987 vor dem ... Generalkonsulat in München […]. Die Eheleute haben drei, jeweils in Deutschland geborene Kinder. |
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Die Familie beantragte am 5. Juli 1996 […] beim Landratsamt Neu-Ulm für die gesamte Familie die Einbürgerung in die deutsche Staatsangehörigkeit. |
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Die Regierung von Schwaben erteilte der gesamten Familie unter dem 13. Februar 1998 eine Einbürgerungszusicherung mit folgendem Inhalt: |
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"Dem Einbürgerungsbewerber (es folgen Namen und Daten aller Familienangehörigen) wird die Einbürgerung für den Fall zugesichert, dass der Verlust der ... Staatsangehörigkeit nachgewiesen wird. Diese Einbürgerungszusicherung gilt bis 29. Februar 2000. Sie wird unter dem Vorbehalt erteilt, dass sich die für die Einbürgerung maßgebenden Verhältnisse bis zum Ablauf dieser Frist nicht ändern." |
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Am 15. Dezember 1998 erhielt die Regierung von Schwaben vom Landratsamt Neu-Ulm einen Ausschnitt aus der Neu-Ulmer Zeitung übersandt. In diesem Zeitungsausschnitt war über eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von zwei Verkaufsgeschäften in ein Vereinsheim mit Gebetsraum für den Verein "Islamische Gemeinschaft ... (IGMG)" berichtet. In dem Zeitungsartikel wird erklärt, dass der Kläger den Ortsverband Senden des genannten Vereins leite bzw. dass er "Ortsvereinschef" ist. Das Bayerische Staatsministerium des Innern teilte der Regierung von Schwaben unter dem 8. Februar 1999 mit, der Artikel sei aus der Neu-Ulmer Zeitung vom 28. März 1998. Der Kläger sei laut Gründungsversammlung/Satzung vom 21. Dezember 1996 stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins Senden der IGMG. Zwischenzeitlich dürfte er Vorsitzender des IGMG-Ortsvereins sein. Die islamisch-extremistische IGMG sei ein Sammelbecken ehemaliger Anhänger der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei (RP) […]. Die Nachfolge der verbotenen RP habe inzwischen die bereits Ende 1997 von RP-Anhängern gegründete Tugendpartei (FP) angetreten. Die IGMG vertrete nunmehr die Ziele der FP unter den ... Muslimen in Deutschland. Entgegen den in der Satzung erklärten Zielen lehne die IGMG als überzeugte Vertreterin islamisch-extremistischer Positionen jegliche Integration in die deutsche Gesellschaft ab. Die Ziele der Organisation stellten eine gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung dar. Ihr Nahziel sei die Einführung des Koran als Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung und als staatlicher Verhaltenskodex. |
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Mit Schreiben vom 26. Februar 1999 teilte die Regierung von Schwaben dem Kläger mit, dass sich nach dem (oben bezeichneten) Zeitungsartikel die Verhältnisse, die für die Einbürgerung (und wegen der Familieneinheit auch für die Einbürgerung der Kinder) maßgebend seien, seit der Einbürgerungszusicherung vom 13. Februar 1998 geändert hätte. Die Regierung bitte daher, das Verfahren bei den ... Behörden zur Genehmigung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zu stoppen. Außerdem werde der Kläger gebeten, sich mit der Regierung in den nächsten Tagen wegen Vereinbarung eines Termins zur Anhörung zu einigen Punkten in Verbindung zu setzen. Der Kläger lehnte eine Anhörung fernmündlich am 8. März 1999 ab. |
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Der Kläger äußerte sich unter dem 6. Mai 1999 schriftlich. Er gab an, der Inhalt des Zeitungsartikels entspreche in wesentlichen Punkten nicht der Wahrheit. Es treffe zwar zu, dass er im Vorstand des örtlichen Vereins der IGMG tätig sei. Dieser Verein verfolge jedoch keine politischen Ziele, sondern wolle lediglich die Tradition und das Kulturgut pflegen und dieses an die eigene Jugend weitergeben. So würden zahlreiche Freizeitveranstaltungen geplant und durchgeführt, wobei der Genuss von Alkohol untersagt sei. Der örtliche Verein bestehe seit November 1996. Wie auch der Verfasser des Zeitungsartikels einräumen müsse, gebe es bis heute keinerlei Beanstandungen hinsichtlich der Tätigkeit des Vereins. Es sei unwahr, dass der Verein ein Sammelbecken von Anhängern der islamisch-fundamentalistischen Wohlfahrtspartei sei. Dass der Verein auch die Öffentlichkeit nicht scheue und nichts zu verbergen habe, beweise die Tatsache, dass den Journalisten die Möglichkeit gegeben worden sei, sich über Ziele und Zwecke des Vereins zu informieren. Der Artikelverfasser habe jedoch völlig unsachliche und unbegründete Behauptungen aufgestellt. So sei der Ausdruck "radikale" Moslems in der Überschrift durch nichts belegt. Im Übrigen sei er, der Kläger, bereits durch Beschluss des Ministerrats der Republik ... vom 23. November 1998 aus der Staatsbürgerschaft entlassen. Auf die beigefügte Genehmigung zum Austritt aus der ... Staatsangehörigkeit vom 15. März 1999 werde verwiesen. Die beglaubigte Übersetzung der Genehmigung hat auszugsweise folgenden Inhalt: |
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"Der vorstehend mit beglaubigten Lichtbild und vollständigen Personalien angegebene Person (es folgt der Name des Klägers) wurde gemäß ... und laut Beschluss des Ministerrats vom 23.11.1998 ... die Genehmigung erteilt, aus dem ... Staatsverband auszutreten, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Sobald der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit mittels Urkunde nachgewiesen wird, kann eine Urkunde über den Verlust der ... Staatsangehörigkeit ausgestellt und ausgehändigt werden." […] |
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Die Regierung von Schwaben lehnte mit Bescheid vom 10. Juli 2000 den Antrag des Klägers auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung ab. […] |
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Der Kläger erhob mit Schriftsatz vom 7. August 2000, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg am 9. August 2000 eingegangen, Klage gegen den Freistaat Bayern mit dem Antrag, |
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I. den Bescheid der Regierung von Schwaben vom 10. Juli 2000 aufzuheben und II. den Beklagten zu verpflichten, dem Einbürgerungsantrag des Klägers stattzugeben. Der Kläger trug vor, er habe zu keinem Zeitpunkt die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder sich an Gewalttätigkeiten beteiligt oder zur Gewaltanwendung aufgerufen oder mit Gewaltanwendung gedroht. Von ihm gingen keinerlei Aktivitäten in dieser Richtung aus und er habe sich niemals an solchen Aktivitäten beteiligt. Im Gegenteil, er unterstütze die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und wolle diese auch erhalten und bewahren. Er sei lediglich stellvertretender Vorstand des IGMG Ortsvereins von Senden. Auch dieser Verein habe sich zu keinem Zeitpunkt gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gewandt. Es lägen keine derartigen Aktivitäten des Vereins vor. Die in den Zeitungsberichten sowie in dem Verfassungsschutzbericht des Bayerischen Staatsministeriums des Innern enthaltenen Behauptungen und Befürchtungen seien unzutreffend. Sobald auch nur eine Aktivität des IGMG-Verbandes gegen die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekannt oder eingeleitet werden würde, wäre dies Anlass für ihn, den Kläger, sofort aus diesem Verein auszutreten. Er habe in dem Gespräch vom 19. Juli 1999 bereitwillig Auskunft erteilt. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb seine Angaben bei diesem Gespräch nicht glaubhaft sein sollten. In dem angefochtenen Bescheid würden nur abstrakte Formulierungen verwendet und Behauptungen oder Vermutungen aufgestellt, ohne auch nur einen einzigen Sachverhalt dafür zu benennen, der die Auffassung der Behörde stütze. Dazu komme, dass er durch die Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft, die er auf Grund der Einbürgerungszusicherung vorgenommen habe, praktisch staatenlos sei. |
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Die Regierung von Schwaben trat unter dem 18. Oktober 2000 für den Beklagten der Klage entgegen. Sie führte unter anderem aus, der Kläger übersehe oder wolle nicht wahrhaben, welche Gefahr vom IGMG für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgehe und dass ihm als stellvertretenden Vorstand des Ortsvereins in Senden diese Ziele der IGMG zuzurechnen seien. Nach § 11 der Vereinssatzung bedürfe die Vorstandswahl zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung des Vorstandes des IGMG "Verband islamischer Kulturvereine und Glaubensgemeinschaften in Schwaben e.V."; die Bestätigung sei jederzeit widerrufbar. Der Kläger sei als stellvertretender Vorsitzender allein vertretungsberechtigt. Er müsse sich entgegenhalten lassen, dass er aktiv für die IGMG arbeite. |
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Der Kläger äußerte sich unter dem 14. November 2000 u.a. dahingehend, es würden keine Tatsachen aufgeführt, wodurch der IGMG-Ortsverein Senden die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährden solle. Der Verein habe ausschließlich eine kulturelle, religiöse und soziale Zielrichtung. Als Nachweis werde die Satzung des IGMG-Ortsvereins Senden vom 29. Juni 1997 vorgelegt. Die Ausführungen der Regierung von Schwaben seien lediglich hypothetischer Natur. Es werde um eine zügige Entscheidung gebeten, insbesondere deshalb, weil der Pass seiner Ehefrau, in dem auch die drei Kinder eingetragen seien, zum 20. Dezember 2000 ablaufe. Das türkische Generalkonsulat werde den Pass auf Grund der Tatsache, dass er bereits aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen worden sei, nicht mehr verlängern. Die Regierung von Schwaben nahm dazu Stellung. |
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Der Kläger gab unter dem 10. April 2001 noch an, auch andere Mitglieder des IGMG-Vereins, auch in Schwaben, hätten problemlos ihre Einbürgerungsurkunde von dem Beklagten erhalten. Sogar der Vorstand des IGMG-Vereins für den Bezirk Schwaben, Herr R.E., sei eingebürgert worden. Darüber hinaus seien sogar die Vereinsvorstände des Hauptverbandes des IGMG in Köln eingebürgert worden. Der Beklagte wende somit das gleiche Recht unterschiedlich an. Das verstoße gegen das Willkürverbot. Das ... Generalkonsulat in München habe inzwischen angekündigt, dass auf Grund der langen Verfahrensdauer und der fehlenden Einbürgerung die Staatsangehörigkeitsunterlagen zurückzugeben seien. Es sei daher ein neuer Verfahrensantrag erforderlich, was mit erheblichen weiteren Unkosten verbunden sei. |
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Die Regierung von Schwaben gab unter dem 7. August 2001 an, bezüglich der Einbürgerung des Herrn R.E. habe das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 1995 mitgeteilt, die vorliegenden Erkenntnisse reichten nicht aus, um davon auszugehen, dass er die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland konkret gefährde. Erst im Jahr 1996 sei es auf Grund der zunehmenden Gewaltbereitschaft der IGMG/AMGT zu einer geänderten Bewertung dieser Organisation gekommen. Herr R.E. habe am 10. Dezember 1996 eine Zusicherung der Einbürgerung erhalten und sei in Ulm am 3. Dezember 1998 eingebürgert worden. Der IGMG-Generalvorsitzende habe nach Mitteilung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 mit Urkunde vom 20. März 1978 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. |
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Der Kläger gab unter dem 20. November 2001 an, er habe "seine Mitgliedschaft im IGMG-Verein mit Schreiben vom 18. Oktober 2001 gekündigt". Der Verein habe am 27. Oktober 2001 einen neuen Vorstand gewählt, so dass er auch aus dem Vorstand ausgeschieden sei. Die Änderungen seien am 19. November 2001 zur Eintragung des Vereinsregister des Amtsgerichts Neu-Ulm angemeldet worden. |
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Die Regierung von Schwaben erklärte unter dem 18. Dezember 2001, der Austritt sei rein aus taktischen Gründen erfolgt. Im Übrigen habe nach einem Schreiben des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. August 2001 Herr M. S. E. aus Köln als eheliches Kind einer deutschen Mutter und eines ... Vaters den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erklärungserwerb nach Art. 3 RuStAÄndG 1974 erworben. |
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Der Kläger trug unter dem 3. Juni 2002 vor, nach dem ursprünglichen Ausscheiden habe das Vereinsregister die Änderung des Vorstandes wegen formeller Fehler nicht angenommen. Die Fehler seien in einer neuen Mitgliederversammlung am 3. Mai 2002 behoben worden. Das beigefügte Schreiben des Klägers an den Vorsitzenden des Ortsvereins Senden vom 18. Oktober 2001 hat folgenden Inhalt: |
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"Hiermit möchte ich mitteilen, dass ich aus dem Vorstand des Vereins IGMG Senden Verband Bahnhofstraße 13 a mit sofortiger Wirkung zurücktrete. Begründung: Da ich Dreischicht arbeite, habe wenig Zeit für meine Familie und noch den Verein dazu. Bitte um Ihr Verständnis." […] |
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Mit Schreiben vom 19. Juli 2002 bat das Gericht um Äußerung zu der neuen Rechtslage ab 1. Januar 2002. Die Regierung von Schwaben nahm unter dem 30. Juli 2002 Stellung, der Kläger unter dem 26. August 2002. Außerdem reichte der Kläger einen Auszug aus dem Vereinsregister nach. […]
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Die Klage ist zulässig. […] Die Klage ist jedoch in der Sache nicht begründet. Die Versagung der Einbürgerung des Klägers ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. |
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1. Bei Verpflichtungsklagen, die auf Verpflichtung zur Einbürgerung oder zur Zusicherung einer Einbürgerung gerichtet sind, kann die Klage nur dann Erfolg haben, wenn die Behörde nach der zum Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Gerichts geltenden Rechtslage zur Einbürgerung verpflichtet bzw. befugt ist. Ändert sich die Rechtslage, muss die neue Rechtslage auch dann berücksichtigt werden, wenn sie dem betreffenden Kläger nachteilig ist, es sei denn, dass sich aus der Rechtsordnung ergibt, dass für frühere Anträge die bisherige Rechtslage maßgebend bleiben soll […]. Liegt ein Versagungsgrund im Sinne einer gebundenen Entscheidung vor, so ist die Klage abzuweisen; es braucht hier nicht vertieft zu werden, wie im Fall von Ermessensentscheidungen zu verfahren ist […], weil der Kläger hier den zwingenden Ausschlussgrund der §§ 102 a, 86 Nr. 2 AuslG erfüllt. |
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Nach § 102 a AuslG in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2003 geltenden Fassung finden auf Einbürgerungsanträge, die (wie hier) bis zum 16. März 1999 gestellt worden sind, die §§ 85 bis 91 AuslG in der vor dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung mit der Maßgabe Anwendung, dass die Einbürgerung zu versagen ist, wenn ein Ausschlussgrund nach § 86 Nr. 2 oder 3 AuslG vorliegt. Nach § 86 Nr. 2 AuslG besteht ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 86 AuslG nicht, |
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"wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind ... oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Einbürgerungsbewerber macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat." |
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Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob durch das Verhalten des Klägers der Tatbestand erfüllt ist, dass er Bestrebungen verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder durch Gewaltanwendung auswärtige Belange gefährden. Denn jedenfalls rechtfertigen zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts tatsächlich Anhaltspunkte die Annahme, dass der Kläger durch seine Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins Senden e.V. des "Verbandes islamischer Kulturverein und Glaubensgemeinschaften" (Islamische Gemeinschaft ...-IGMG) Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Der Wortlaut "die Annahme rechtfertigen" bringt dabei hinreichend bestimmt den Willen des Gesetzgebers zu Ausdruck, dass die Einbürgerung auch dann ausgeschlossen sein soll, wenn entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können […] |
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2. Das Verwaltungsgericht ist davon überzeugt, dass besonders der Zentralverband der Islamischen Gemeinschaft ... e.V. eine Bestrebung darstellt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist. Das Verwaltungsgericht stützt seine Wertung dabei insbesondere auf in Verfassungsschutzberichten des Bundesministers des Innern (im Folgenden als "VSBBMI" nach Jahr und Seite zitiert) und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern (im Folgenden als "VSB-BY" zitiert) wiedergegebenen Ereignissen, Publikationen und Auszügen aus Reden von Repräsentanten der Vereinigung. Die in den Verfassungsschutzberichten wiedergegebenen Wertungen wurden nicht zur Grundlage der Entscheidung gemacht, sondern das Verwaltungsgericht hat auf Grund der mitgeteilten Tatsachen eine eigene Wertung zu treffen. |
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Die IGMG bekämpft die laizistische Staatsordnung in der Türkei und strebt auch in Europa an, dass sich die staatliche Ordnung an Koran und Scharia orientiert. So hat z.B. der IGMG-Vorsitzende ... am 1. Juni 1998 in Forchheim unter anderem Folgendes ausgeführt (VSB-BMI 1998, 160): |
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"Wir müssen auch für eine Eroberung des Islams in Europa kämpfen. Aber dies ist nicht mit Gewalt und Krieg möglich, sondern nur mit dem Kopf und durch sinnvolles Vorgehen. Aber das wichtigste vor allem anderen ist es, dass wir zuerst innerhalb unserer Organisation die Opposition zurückdrängen und alle Meinungsverschiedenheiten unterbinden müssen." |
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In einem Strategiepapier (VSB-BMI 1998, 160) heißt es: "Unsere Aktivitäten und Methoden des "an die Macht Bringens und Vorherrschen des islamischen Recht" - unser größtes Ziel und unsere größte Aufgabe - soll in schönster und systematischer Form erklärt werden." |
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Auf einer Internet-Seite der IGMG-USA/Kanada von Anfang 1999 (VSB-BMI 1999, 165) heißt es: |
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"Wir, die jungen Soldaten der ..., kamen auf die Welt, um der Welt eine neue Ordnung zu geben, um die Glieder der Kette (der Sklaverei) zu brechen, um den Thron des Tyrannen zu stürzen. ... Unser Wegweiser ist der Koran, unser Führer der Prophet, die Staatsgewalt geht von Allah aus. Wir, die jungen Soldaten der ..., wir sind da als Nachfolger von Eroberern für neue Eroberungen." |
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In der "..." vom 20. März 2000 erklärt ein Funktionär zu den politischen Zielen der IGMG (VSBBMI 2000, 207): |
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"Uns reicht nicht nur unsere eigene Befreiung. Wir setzen uns für die Befreiung der ganzen Menschheit ein und sind die Vertreter einer Gesellschaft, die sich vor keiner Selbstlosigkeit scheut. ... Die Befreiung der Menschheit, ihr Wohl und Glück sind über den Koran möglich." |
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Im November 1999 hatte die IGMG als neue Strategie propagiert, den Westen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Man wolle sich in Zukunft nach außen pro-westlich und pro-amerikanisch geben sowie für Menschenrechte und Religionsfreiheit eintreten. In den Ortsvereinen selbst sollte dagegen die Ideologisierung und Abschottung verstärkt werden (VSB-BY 2000,155). Über die "Staatsbürgerschaftskampagne", die ... seit seiner Wahl zum IGMG-Vorsitzenden betreibt, berichtet auch VS-BMI 2001, 218. |
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In der ... vom 7. August 2001 (VSB-BMI 2001, 219) schreibt der Kolumnist ... über die klassische islamische Auffassung zur Scharia: |
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"Ein religiöser Muslim ist auch gleichzeitig ein Verfechter der Scharia. Der Staat, die Medien und die Gerichtsbarkeit haben nicht das Recht, sich einzumischen. ... Die Verbundenheit eines Muslims zur Scharia darf nicht dazu führen, dass er deswegen verurteilt oder ins Kreuzverhör genommen wird." |
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Die ... Schriftstellerin ... hat in einem ihrer Bücher ("Man hat die Jugendlichen durch Fragen ihres Glaubens beraubt") unter anderem folgende Aussagen getroffen (VSB-BMI 2000, 220): |
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"Es gibt keine andere Kraft, die bessere Gesetze als Allah erlässt. Der Islam ist eine Politik. Jede Gesellschaft, in der der Islam nicht herrscht, ist zum Verfall verurteilt. Die westlichen Werte und der Koran sind unvereinbar. Ihr müsst euer Haus geschlechtsgetrennt einrichten. Auch wenn es teuer sein sollte, müsst ihr nur bei den Muslimen einkaufen. Wünsche dir im Namen des Islam zu sterben. In einem Land, in dem der Islam nicht herrscht, kann es keine Ruhe (Frieden) geben. Der Islam kann sich nicht jedem anpassen, jeder hat sich dem Islam anzupassen. Im Islam gibt es keine Menschen, die links- oder rechtsgerichtet sind. Es gibt lediglich wohl nur Muslime und Ungläubige." […] |
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Der damalige IGMG-Generalsekretär Mehmet ... erklärt am 21. April 2000 auf einer Jugendkulturfeier in Nürnberg (VSB-BY 2001, 144) unter anderem Folgendes: |
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"Vor ungefähr 600 Jahren haben die Osmanen den ersten Versuch gemacht, sie sind aber nur bis Wien gekommen. Und jetzt, jetzt sind wir schon über die Grenze hinübergekommen. Wir haben den ersten Schritt unseres Zieles geschafft. Ab dem Jahr 2000 haben wir einen 20-JahresPlan. ... In England gibt es ca. 6 Mio. Afghanen und Pakistanis, in Frankreich und Holland ca. 5 Mio. Wir werden in 20 Jahren zusammen Europa erobert haben und in Europa wird der Islam die größte Religion." |
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Bei einer Veranstaltung des IGMG-Gebiets Schwaben am 4. Juni 2001 in Neu-Ulm, bei der etwa 1.500 Personen teilgenommen hatten, rief die Menge, als ein Redner die Zuhörer mit Ausführungen zum Tschetschenien- und Palästina-Konflikt emotionalisiert hatte (VSB-BY 2001, 144, 147): |
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"Hoca, wenn du sagst wir sollen kämpfen, dann kämpfen wir, wenn du sagst wir sollen töten, werden wir töten." |
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Der Kläger hat dazu in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausgeführt, dass er bei der Veranstaltung in Neu-Ulm (und bei einer in Amsterdam) anwesend gewesen sei, aber solche Worte nicht gehört habe. Das Verwaltungsgericht hat davon abgesehen, den Inhalt der von der Zuhörermenge in Neu-Ulm abgegebenen Äußerungen genauer zu ermitteln, weil die in den genannten Verfassungsschutzberichten wiedergegebenen Auszüge von Reden von Funktionären des Zentralverbandes der IGMG und aus allgemein zugänglichen Publikationen zur Entscheidungsfindung in dem zu beurteilenden Fall ausreichen […]. Der Kläger hat diese Teile der Verfassungsschutzberichte nicht bestritten; auch sonst sind keine substantiierten Einwendungen dagegen bekannt geworden. |
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Der Kläger hat sich zur Würdigung des Vereinsziels unter anderem auf die Satzung des Ortsvereins Senden e.V. des "IGMG Verband islamischer Kulturvereine und Glaubensgemeinschaften in Schwaben e.V." vom 29. Juni 1997 (Blatt 26 ff. VG-Akt) berufen. Nach Nr. 2 der Ortsvereinssatzung hat der Verein unter anderem als Ziel und Zweck angegeben: |
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"Der Verein soll die Grundlage für ein islamisches Gemeindeleben schaffen und jeder Muslima und jedem Muslim Hilfestellung bei der Verrichtung der religiösen Gebote geben. ..." |
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Nach Nr. 3 der Vereinssatzung gelten folgende allgemeine Grundsätze der Vereinsarbeit: |
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"... der Verein achtet und schützt die verfassungsmäßig garantierten Rechte und ist loyal gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Bei seinen Aktivitäten soll der Verein das im Qur‘an verankerte Toleranzgebot gegenüber Andersgläubigen beachten (Sure 6, Vers 108) und Toleranz von Andersgläubigen fordern. ... |
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Jede Form der Gewaltanwendung oder Aufruf zur Gewaltanwendung als Mittel der Auseinandersetzung wird vom Verein strikt abgelehnt, anders geartetes Verhalten eines Mitgliedes kann zu sofortigen Ausschluss führen." |
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Die Beurteilung der Ziele des Vereins durch das Verwaltungsgericht hat im zu entscheidenden Fall die Besonderheit, dass die in der Satzung niedergelegten und sonst öffentlich propagierten Ziele und die in manchen Reden von Funktionären und in Publikationen genannten Zielsetzungen unterschiedlich sind. Bei Betrachtung der Zitate aus den Verfassungsschutzberichten zeigt sich jedoch, dass diese anderen Zielsetzungen von ihrer Aussage her durchaus geeignet sind, die Beschreibung eines Fernziels für den Verein zu prägen. Bei der Würdigung der mündlichen oder schriftlichen Äußerungen ist jedoch das Recht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG […] und bei den religiös geprägten Vereinen des IGMG insbesondere die Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit des Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG zu berücksichtigen. Die Freiheit des Art. 4 GG umfasst unter anderem auch die äußere Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren, zu bekennen und zu verbreiten […].Von daher gesehen sind die religiöse Prägung des Vereins, die Ziele der Gewährleistung der religiösen Grundversorgung und der seelsorgerischen Betreuung sowie der Aus- und Weiterbildung der Muslime auf religiösem, beruflichem und schulischem Gebiet für Jungen und Mädchen und zur Erwachsenenausbildung vom Grundrecht auf Glaubensfreiheit gedeckt. Auch entspricht es der grundgesetzlichen Wertordnung, seine Glaubensüberzeugung für sich selbst als die beste zu halten. Nicht hinnehmbar für den weltanschaulich neutralen Staat […] ist ein Hegemoniestreben einer Religion über andere, wie es in manchen der oben dargelegten Publikationen und Reden von Funktionären als Fernziel zum Ausdruck kommt. Insbesondere und entscheidungserheblich widerspricht ein Bestreben, religiöse Verhaltenskodizes wie etwa die Scharia als Grundlage staatlichen Handelns machen zu wollen, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es braucht hier nicht vertieft zu werden, ob es Teile der Scharia gibt, die dem Grundgesetz entsprechen und es ein durchaus legitimes Ziel einer Vereinigung sein kann, derartige verfassungskonforme Gesetzgebungsinitiativen zu ergreifen. Darum geht es hier aber nicht. Denn in den oben dargelegten Reden und Publikationen soll nicht die Scharia am Grundgesetz ausgerichtet werden, sondern die Scharia soll ohne Differenzierung nach grundgesetzkonformen und nicht konformen Inhalten Grundlage staatlichen Handelns werden. Das aber widerspricht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. |
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Der Kläger hat derartige, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen insbesondere des Zentralverbandes der IGMG auch durch seine langjährige Tätigkeit als stellvertretender Vorsitzender des Ortsvereins Senden im Sinne von § 86 Nr. 2 unterstützt, obwohl er nach dem bekannt gewordenen Sachverhalt weder persönlich noch durch den Ortsverein Senden verfassungsfeindliche Handlungen begangen hat. Die organisatorische Verbundenheit mit dem Zentralverband kommt schon durch den Namen "IGMG-Verband islamischer Kulturvereine und Glaubensgemeinschaften in Schwaben e.V. Ortsverein Senden" zum Ausdruck. Die Vereinssatzung vom 29. Juni 1997 ist vorgedruckt; lediglich in der Überschrift, beim Namen und beim Sitz ist "Senden" handschriftlich eingetragen. Die Vorstandswahl bedarf, worauf schon der Beklagte hingewiesen hat, nach Nr. 11 der Vereinssatzung zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung durch den Vorstand des IGMG-Verband islamischer Kulturverein und Glaubensgemeinschaften in Schwaben e.V.; diese Bestätigung ist jederzeit widerrufbar. In Nr. 19 der Vereinssatzung heißt es zum Gerichtsstand: |
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"Für die Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern und dem Verein sind die Gerichts zuständig, in deren Geschäftsbereich der Dachverband islamische Gemeinschaft ... e.V. seinen Sitz hat." |
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Bei dieser organisatorischen Verflechtung und der Verbindung zwischen den Ortsvereinen und dem Dachverband durch zentrale Veranstaltungen usw. muss sich der Kläger die nicht dem Grundgesetz entsprechende Zielrichtung insbesondere des Dachverbandes zurechnen lassen, auch wenn er selbst in seinen Bekundungen im Verwaltungs- und im gerichtlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht versichert hat, dass für ihn die religiöse Ausrichtung die Erziehung von Jugendlichen etwa zur Achtung vor Älteren und insbesondere die Förderung sportlicher Aktivitäten zur Fernhaltung der Jugendlichen von der Straße und von Drogen für seine Mitwirkung im Ortsverein Senden maßgebend waren. So anerkennenswert diese persönliche Zielrichtung für den Kläger auch ist (und die Kammer hat auch den Eindruck gewonnen, dass etwa die Förderung der sportlichen Aktivitäten dem Kläger besonders am Herzen lag) darf doch nicht übersehen werden, dass er mit all seinen Aktivitäten für den Ortsverein Senden auch die nicht mehr der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entsprechenden Aktivitäten des Dachverbandes und der überörtlichen Gliederungen "unterstützt" hat. In diesem Zusammenhang braucht nicht entschieden zu werden, ob ihm wegen seiner Tätigkeit als stellvertretender Vorstand des Ortsvereins Senden gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Aktivitäten des Zentralverbandes oder überörtlicher Gruppierungen auch "zuzurechnen" wären, denn nach § 86 AuslG reicht eine "Unterstützung" aus. |
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3. Der Kläger hat auch nicht im Sinne von § 86 Nr. 2 AuslG glaubhaft gemacht, dass er sich von der Unterstützung der Bestrebungen "abgewandt" hat. Das vom Kläger vorgelegte Schreiben vom 18. Oktober 2001 […] betrifft nach dem Wortlaut den Austritt aus dem Vorstand, nicht aus dem Ortsverein Senden. Die vom Bevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärte Auffassung, mit diesem Schreiben sei der Kläger auch aus dem Ortsverein ausgetreten, entspricht weder dem Inhalt des Schreibens noch dem späteren Ablauf. So konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf Frage nicht angeben, ob sein Vereinsbeitrag nach der behaupteten "Kündigung" noch abgebucht worden ist oder nicht. Bei einem früheren Familienbeitrag von 100,-- DM monatlich ist es nicht glaubhaft, dass der Kläger über die Abbuchung von derartigen Beträgen nicht Bescheid weiß und er sich insoweit auch nicht erkundigt hat. Auch dieses Verhalten spricht dagegen, dass er sich von seiner Unterstützung derartiger Aktivitäten "abgewandt" hat. […] Außerdem ist in diesem Zusammenhang klarzustellen, dass selbst ein Austritt aus dem Ortsverein Senden oder die Nichtzugehörigkeit zu der Vereinigung IGMG für sich allein das Tatbestandsmerkmal des "Abwendens" nicht erfüllt. |
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4. Auch aus der unter dem 13. Februar 1998 dem Kläger durch die Regierung von Schwaben erteilten Einbürgerungszusicherung kann der Kläger einen Anspruch auf Einbürgerung nicht mit Erfolg geltend machen. |
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Die Einbürgerungsbehörde, die Regierung von Schwaben, hat unter anderem dem Kläger unter dem 13. Februar 1998 im Sinne von Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG zugesichert, ihn einzubürgern, wenn der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit nachgewiesen wird. Wenn die Zusicherung in den Jahren 1998 und 1999 für die Einbürgerungsbehörde bindend geblieben wäre, dann wäre mit der am 10. Mai 1999 vorgelegten (Übersetzung der) Genehmigung zum Austritt aus der türkischen Staatsangehörigkeit vom 15. März 1999 die Bedingung für die Einbürgerung des Klägers eingetreten. Zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts hat die Zusicherung aber vorher ihre Bindungswirkung verloren. |
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Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG lautet wie folgt: "Ändert sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen, ist die Behörde an die Zusicherung nicht mehr gebunden." |
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Erforderlich zum Wegfall der Bindungswirkung ist daher eine nachträgliche Änderung der objektiven Sach- oder Rechtslage. […] |
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Eine wesentliche Änderung der Sachlage im Sinne von Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG ist […] dadurch eingetreten, dass nach der Erteilung der Zusicherung die Radikalisierungstendenzen insbesondere im IGMG-Dachverband konkreter wurden. […] |
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Bei komplexen Sachverhalten genügt zwar eine Änderung der Vorstellungen noch nicht, um das Tatbestandsmerkmal der Änderung der Sachlage zu erfüllen, andererseits ist auch eine rechtsverbindliche abschließende "Planung" nicht erforderlich, sondern es genügt eine Verdichtung und Konkretisierung der anderweitigen "Planung". Auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen bedeutet das Folgendes: Bei einer Vereinigung wie der IGMG, die sich nach außen hin und nach ihrer Satzungslage als religiös orientierte Vereinigung gibt, die auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einschließlich des Toleranzgebotes steht, reichen vereinzelte Ausführungen auch führender Funktionäre, die eine andere Sicht der Vereinsziele begründen könnten, ohne zusätzliche Anhaltspunkte nicht aus, um von einer tatsächlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Vereinstätigkeit ausgehen zu können. Notwendig ist vielmehr zunächst eine intensive Beobachtung der Vereinigung und Sammlung des Materials sowie eine zusammenfassende Berichterstattung, etwa in den Verfassungsschutzberichten. Nach Mitteilung des Beklagten wurde die Beurteilung in Richtung auf eine Radikalisierung der IGMG-Verbände erst 1996 geändert. In den Verfassungsschutzberichten ab 1997 waren konkretere Anhaltspunkte enthalten, so etwa ein Auszug aus der "..." vom 27. September 1997 […]: |
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"Wir, als IGMG, bemühen uns, Personen zu Kadern auszubilden, die bereit sind, sich für ihre Sache aufzuopfern. Unser Ziel ist es die islamische Kultur und Ethik in unserer Person zu leben und dafür zu kämpfen, dass diese Wert um Allahs Willen auch in anderen Gesellschaften hochgehalten werden." |
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In dem Verfassungsschutzbericht 1997 wird auch berichtet, dass die IGMG 38.000 Protestunterschriften gegen die in der Türkei beschlossene Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht von 5 auf 8 Jahren mit dem Ziel, den Zulauf zu den von der RP beeinflussten Koranschulen einzudämmen, gesammelt habe. Nach einem Bericht der Zeitung "..." vom 10. Mai 1997 habe ein PR-Abgeordneter gewarnt […]: |
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"Es wird Blut fließen. Wenn ihr versucht, während der Amtszeit der RP die Vorbeter- und Predigerschulen zu schließen, dann wird Blut fließen. ..." |
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Wenn dieser Zeitungsbericht auch Ereignisse in der Türkei betreffen, zeigt die Unterstützung durch die IGMG doch, dass beachtenswerte Verbindungen zwischen der am 16. Januar 1998 in der Türkei verbotenen RP und den IGMG-Verbänden vorliegen. Im Verfassungsschutzbericht des Bayerischen Staatsministeriums des Innern für 1998 […] werden unter anderem Reden des IGMG-Vorsitzenden ... am 9. Mai 1998 in Düsseldorf wiedergegeben ("Wir sind eine Gemeinschaft, die das Recht vertritt. Die von unseren Gegnern vertretenen Systeme sind dem Untergang geweiht.") oder am 1. Juni 1998 in Forchheim ("Wir müssen auch für die Eroberung Europas durch den Islam kämpfen, aber dies ist nicht durch Gewalt und Krieg möglich, sondern nur durch den Kopf und sinnvolles Vorgehen."). Auf die letztgenannte Rede verweist auch der Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern für 1998 und ebenso auf das Strategiepapier der IGMG, in dem es unter anderem heißt: |
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"Unsere Aktivitäten und Methoden des "an die Macht Bringens und Vorherrschen des islamischen Rechtes" - unser größtes Ziel und unsere Aufgabe - sollen in schönster und systematischer Form erklärt werden." |
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Spätestens nach Bekanntwerden der Verfassungsschutzberichte für 1998 im Frühjahr 1999 waren die Änderungen in den Bestrebungen der IGMG-Verbände zumindest so konkretisiert worden, dass hierin eine Änderung im Sinne von Art. 38 Abs. 3 BayVwVfG zu sehen ist. Nach dieser Änderung hätte die Einbürgerungsbehörde die Einbürgerung des Klägers nicht mehr zugesichert (nicht mehr zusichern dürfen) sondern ihn zu den Verfassungsschutzberichten anhören müssen - wie es dann am 19. Juli 1999 auch geschehen ist […] – und auf der Grundlage dieser Anhörung und eventueller weiterer Ermittlungen eine Entscheidung nach dem damaligen Recht - § 86 Abs. 3, § 85 Abs. 2 AuslG in der bis 31. Dezember 1999 geltenden Fassung in Verbindung mit § 46 Nr. 1 AuslG der damaligen Fassung - entscheiden. Schon die Tatsache, dass die Einbürgerungsbehörde auf Grund der Änderung der Sachlage die Zusicherung nicht mehr gegeben hätte bzw. ohne weitere Ermittlungen nicht mehr hätte geben dürfen führt zum Wegfall der Bindungswirkung der Einbürgerungszusicherung vom 13. Februar 1998. |
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5. Soweit sich der Kläger auf die Einbürgerung anderer IGMG-Funktionäre beruft, kann das nicht zum Erfolg der Klage führen. Zum einen waren, worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat, überwiegend nicht vergleichbare Sachverhalte gegeben, wie etwa eine Einbürgerung durch Erklärungserwerb. Im Übrigen könnte sich der Kläger auf zu Unrecht erfolgte Einbürgerung eines anderen nicht mit Erfolg berufen, weil es auch unter Berücksichtigung des Artikels 3 GG keine "Gleichheit im Unrecht" gibt. […] |
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