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Rechtsurteile

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Der Koedukative Schwimmunterricht und der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag

Angesichts der hohen Bedeutung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages gem. Art. 7 Abs. 1 GG und den dem Schwimmunterricht zukommenden Bildungs- und Erziehungszielen, kann einer muslimischen Schülerin zugemutet werden in einem Burkini oder einer Haschema am Schwimmunterricht teilzunehmen. Dabei ist die Schule gehalten sämtliche Möglichkeiten zu erschöpfen, um eine Außenseiterrolle der Klägerin zu vermeiden, ihr die Möglichkeit zu geben sich ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend um- bzw. wieder anzukleiden und durch die spezifische Badebekleidung hervorgerufenen Leistungsdefizite bei der Notenvergabe entsprechend zu berücksichtigen. (Leitsatz der Redaktion)


Urteil:

Die Klage wird abgewiesen. […]

 

Zum Sachverhalt:

 

Die Klägerin ist Schülerin der G Schule in T und befindet sich im Schuljahr 2008/2009 in der 6. Klasse.

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Die Eltern der Klägerin stellten für die Klägerin einen Antrag auf Befreiung vom Schwimmunterricht. Mit Bescheid vom 19.08.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und trug dabei vor, der Schwimmunterricht sei fester Bestandteil des Regelunterrichts und gehöre zum Bildungsauftrag der Schule. Er sei für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich. Die Klägerin könne in einer besonderen Badebekleidung (z.B. Leggins und T-Shirt) am Schwimmunterricht teilnehmen.

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Gegen diese Ablehnung legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.09.2008 am 17.09.2008 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass eine Befreiung vom Schwimmunterricht aus wichtigen Gründen nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW erfolgen müsse. Ein solcher wichtiger Grund liege in religiösen Gründen. Sie könne aus diesen Gründen nicht am koedukativen Schwimmunterricht teilnehmen. Auch eine spezielle Badekleidung würde den Gewissenkonflikt nicht lösen, da der durchnässte Stoff einer besonderen Badebekleidung wie Leggins und T-Shirt so am Körper hafte, dass es zu einer starken Körperbetonung komme und dadurch ihr Schamgefühl verletzt werde. Auch führe der Anblick von Jungen mit zweckentsprechend geschnitten Badehosen zur Verletzung islamischer Regeln. Darüber hinaus gehöre auch unter Frauen der Bereich zwischen dem Bauchnabel und dem Knie zu dem Bereich, dessen Anblick nicht erlaubt sei. Ferner seien im Schwimmbecken körperliche Berührungen mit Jungen unvermeidbar. Sie hätte auch in den Sammelduschen und Umkleidekabinen keine Möglichkeit, sich umzuziehen und zu duschen, ohne dass sie den Blicken Anderer ausgesetzt sei. Es komme nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann eine Teilnahme am Schwimmunterreicht in Betracht, wenn bestimmte Bekleidungsvorschriften eingehalten würden. Außerdem müsste der Schwimmunterricht nach Geschlechtern getrennt von einer der Geschlechtergruppe entsprechenden Lehrkraft erteilt werden, die Räumlichkeiten müssten so verschlossen sein, dass auf keinen Fall das jeweils andere Geschlecht Zutritt bzw. Einblick in die Räumlichkeiten des anderen Geschlechts haben könne, gemeinsames Duschen sei weder für Mädchen noch für Jungen erlaubt und es müssten getrennte Duschkabinen vorhanden sein.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2008 wies die Bezirksregierung Düsseldorf den Widerspruch der Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten zurück. Dabei führte sie im Einzelnen aus, dass ein nach Geschlechtern getrennter Schwimmunterricht aus organisatorischen Gründen bei der Beklagten nicht möglich sei. Das Tragen geeigneter Schwimmkleidung genüge aber den allgemeinen Glaubensvorschriften des Islam. Geeignete Kleidung wäre z.B. das Tragen einer Badehaube an Stelle des Kopftuches in Verbindung mit langer Badebekleidung wie sie ein Neoprenanzug, Schwimmbekleidung für Rettungs-Kleiderschwimmen oder spezielle Wassersportbekleidung wie die sog. "Burkini" oder "Haschema" es darstellten. Die letztgenannte Bekleidung zeichne sich vor allem dadurch aus, dass sei im nassen Zustand weder am Körper klebe noch die Körperformen übermäßig deutlich zur Schau stelle. Die öffentliche Begegnung mit gleichaltrigen Jungen in allen Gesellschaft üblichen Bekleidungsformen sei für die in einer westlich-abendländischen Kulturgesellschaft unvermeidlich und müsse daher zumutbar sein. Auch körperliche Berührungen gehörten zum alltäglichem Umgang junger Menschen untereinander. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, dass die Klägerin eine Einzelumkleidekabine und eine uneinsehbare Dusche benutze. Die Klägerin habe daher den koedukativen Schwimmunterreicht zu besuchen, weil in Abwägung der betroffenen Grundrecht festzustellen sei, dass es ihr trotz ihrer religiösen Überzeugung zuzumuten sei, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Der stattliche Bildungs- und Erziehungsauftrag überwiege hier die geltend gemachten Vorbehalte.

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Mit ihrer am 13.11.2008 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht. Zur Begründung trägt sie im Einzelnen vor, dass nur ein nach Geschlechtern getrennter Schwimmunterricht mit den Bekleidungs- und Glaubensvorschriften des Islam zu vereinbaren sei Bei nicht nach Geschlechtern getrenntem Unterricht besteh das Problem, dass die übrigen Mitschwimmer nicht entsprechend gekleidet seien. Es sei bereits bei Jungen untereinander eine lockere Badehose, die vom Nabel bis zum Knie reiche, erforderlich und bei Mädchen untereinander eine Bekleidung, die den Bereich zwischen Nabel und Knie bedecke. Das Tragen eines "Burkinis" oder einer "Haschema" sei nicht ausreichend, da auch das Anschauen von männlichen Mitschülern in Badehosen sowie das Anschauen von weiblichen Mitschülern im Bereich vom Bauchnabel bis zum Knie nicht mit ihrem Glauben vereinbar sei. Außerdem würde sie sich im "Burkini" oder in der "Haschema" wie ein Hampelmann fühlen. Die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht sei ihr unzumutbar. Die Verpflichtung verletze ihre Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG und ihre Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG.

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Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19.08.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 09.10.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für das Schuljahr 2008/2009 die Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht zu erteilen,

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Die Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen. […]

 

Gründe:

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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und zur Sache entscheiden, da die Beklagte darauf in der Ladung hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.

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Die Klage ist nicht begründet.

Die Ablehnung der beantragten Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht im Schuljahr 2008/2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer entsprechenden Befreiung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG kann die Schulleiterin oder der Schulleiter Schülerinnen und Schüler auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund bis zur Dauer eines Schuljahres vom Unterricht beurlauben oder von der Teilnahme an einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreien. Diese Vorschrift findet auf alle Unterrichtsfächer, also auch auf das Fach Sport Anwendung. Das Fach Sport ist für Schüler der 5./6. Klasse der Realschule ein gemäß § 3 Abs. 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I (APO-SI) in Verbindung mit Anlage 2 zur APO-SI ein der allgemeinen Schulpflicht nach Artikel 8 Abs. 2 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen (LVerf NRW) in Verbindung mit § 29 SchulG unterliegendes Pflichtfach.

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Ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht besteht hier nicht, weil in Würdigung der Umstände des Einzelfalles, wie sie von der Klägerin vorgetragen worden sind, kein wichtiger Grund im Sinne der zuvor genannten Vorschrift vorliegt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes erlaubt eine Ausnahme von der dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz (GG) entsprechenden allgemeinen Schulpflicht. Jedoch ist angesichts der besonderen Bedeutung des staatlichen Bildungsauftrags für die Gesellschaft sowie insbesondere für die Verwirklichung der vom Grundgesetz allen Bürgern gleichermaßen eingeräumten Grundrechte und dem Ziel des Schulwesens, allen jungen Bürgern gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, […]

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eine restriktive Auslegung geboten, […].

Danach ist ein wichtiger Grund jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einem bestimmten Fach oder einer bestimmten schulischen Veranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Kindes und/oder seiner Eltern unzumutbar verletzen würde, […].

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Das ist hier nicht der Fall. Im Fall der Klägerin muss das Recht der Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) hinter dem in Art. 7 Abs. 1 GG normierten staatlichen Erziehungsauftrag zurücktreten.

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Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gilt im Einzelnen Folgendes: Durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Klägerin gewahrt, ihr gesamtes Verhalten – wozu auch die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, die vielfach einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Lebensführung von Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften bilden – an den Lehren des Glaubens auszurichten. Danach ist der Wunsch der Klägerin, nicht an einer Schulveranstaltung teilzunehmen, die sie zwingt, sich für sich als verbindlich erachteten religiösen Bekleidungs- oder Verhaltensvorschriften zuwider zu verhalten, grundsätzlich durch die genannten Grundrechtspositionen geschützt. Auch ist es dem Staat und dem staatlichen Gericht verwehrt, eine Bewertung der vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen Richtigkeit vorzunehmen, […].

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Allerdings trifft denjenigen, der unter Berufung auf seine Grundrechte Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht – hier von der allgemeinen Schulpflicht hinsichtlich des Sportunterrichts – begehrt, die Darlegungslast dafür, dass er durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass er in einen Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn er entgegen dieser Ge- oder Verbote die gesetzliche Pflicht erfüllen müsste. Erst die konkrete, substantiierte und hinsichtlich des Inhalts des als verpflichtend dargestellten religiösen oder weltanschaulichen Gebots ausreichend objektivierbare Darlegung eines Gewissenskonflikts als Konsequenz aus dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, ist geeignet, einen möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, dass der Zwang zu Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde. […]

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Ausgehend hiervon hegt das Gericht keine Zweifel daran, dass die von der Klägerin vorgetragenen Gründe für die Weigerung, am koedukativ geführten Schwimmunterricht teilzunehmen, auch auf von ihr als verbindlich erachteten Ge- oder Verboten des Islam basieren. Das Gericht geht zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass es nach ihren religiösen Wertvorstellungen nicht erlaubt ist, mit einer eng anliegenden Badebekleidung am Schwimmunterricht teilzunehmen. Denn eine Bewertung dieser konkret vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen Richtigkeit ist, wie oben schon angegeben, dem Staat und dem staatlichen Gericht verwehrt.

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Die Annahme einer als verbindlich erachteten Glaubenshaltung durch die Klägerin führt aber nicht zwangsläufig zu der Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG und damit zu einer Befreiung vom Schwimmunterricht. Das Rechte aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Sie gelten aber nicht schrankenlos. Kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung imstande, sie zu begrenzen. Auftretende Konflikte sind dann über die Herstellung praktischer Konkordanz im Einzelfall zu lösen, […].

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Dementsprechend kann der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Artikel 7 Abs. 1 GG, bei dem es sich um einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswert handelt, das Recht auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG beschränken, […].

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Gemessen hieran kommt dem – hier in der Form des Schwimmunterrichts durchgeführten – Sportunterricht im Rahmen des staatlichen Bildungskonzepts eine bedeutsame Funktion zu.

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Der Sportunterricht hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Schüler und die Entwicklung ihrer sportlichen Fähigkeiten, die Einübung sozialen Verhaltens und das gerade auch beim Schwimmunterricht bedeutsame Erlernen der Einhaltung von Regeln und Vorschriften hin. Damit trägt der Sportunterricht in besonderer Weise zur Erfüllung wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung, soziales Lernen, Regelbeachtung etc.) bei. Das gilt insbesondere angesichts der zunehmenden motorischen Defizite und körperlichen Leistungsschwächen bei Schulkindern. In diesem Bereich bietet der Schulsport erhebliche Potenziale zur sozialen Prävention und Intervention. Er kann auch pädagogische Beiträge zur Koedukation, zur interkulturellen Erziehung und auch zur Gewaltprävention leisten […]. Gerade das Erlernen von Fähigkeiten in einem Handlungsraum, der Spontanität genauso erfordert wie planerisches Denken, Durchsetzungsvermögen wie Sensibilität, Leistungsstärke des Einzelnen wie Solidarität mit Schwächeren, ermöglicht, dass durch Sport negatives Sozialverhalten verringert und jene Spannungen positiv wirksam werden, die aus unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und Temperamenten resultieren. Bei dem Schwimmunterricht kommt für die Schülerinnen und Schüler die Erfahrung hinzu, dass das Medium Wasser einen besonderen Reiz ausübt, die normalen menschlichen Fähigkeiten jedoch unzureichend sind und lebensbedrohlich sein können. Dem durch den Schwimmunterricht vermittelten Gefahrenbewusstsein, dem Ziel, das Schwimmen zu erlernen, und der hierdurch erfahrenen realistischen Einschätzung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit kommt daher eine für die gesamte Lebensführung der Kinder wichtige und der Vermeidung späterer lebensbedrohlicher Situationen dienliche Bedeutung zu. Angesichts dieser Fülle von Bildungs- und Erziehungszielen kommt dem Umstand, dass die Klägerin – nach ihren Angaben – schon schwimmen kann, keine maßgebliche Bedeutung zu.

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Der wie vor definierte staatliche Erziehungsauftrag lässt sich zunächst nicht dadurch mit den widerstreitenden Rechtspositionen der Klägerin in einen schonenden Ausgleich bringen, dass der Schwimmunterricht nicht koedukativ, sondern nach Geschlechtern getrennt durchgeführt wird. Hierzu hat die Beklagte auf die dem durchgreifend entgegenstehenden, ohne weiteres nachvollziehbaren Organisationsschwierigkeiten und Hindernisse hingewiesen. Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob der Klägerin ein Anspruch auf einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht zustünde, selbst wenn das schulorganisatorisch möglich wäre. Denn dieser Anspruch kollidierte möglicherweise mit dem Anspruch anderer Eltern und Schüler bzw. Schülerinnen, die zum Erlernen wichtiger sozialer Werte, die gerade im Sport- bzw. Schwimmunterricht vermittelt werden, auf einen koedukativ durchgeführten Schwimmunterricht Wert legen. Insofern, d.h. bei einem nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht, läge gerade kein "schonender Ausgleich" widerstreitender Grundrechte vor, sondern allein die kompromisslose Durchsetzung eines Einzelinteresses gegenüber den Belangen des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages.

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Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht,

Urteil vom 25. August 1993 – 6 C 8/91  […],

entschiedenen Fall sieht das erkennende Gericht hier nach den Gegebenheiten und Möglichkeiten des Einzelfalls auch nicht die rechtliche Notwendigkeit, wegen der organisatorischen Schwierigkeiten, einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht anzubieten, zu Zwecken der Herbeiführung eines schonenden Ausgleichs die Klägerin vom Schwimmunterricht zu befreien.

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Dieser schonende Ausgleich kann nämlich in der Weise beigeführt werden, dass die Klägerin unter weitgehender Beachtung der von ihr als verbindlich erachteten Bekleidungsvorschriften am Schwimmunterricht teilnimmt. So gibt es heute durchaus Badebekleidung, die bis auf das Gesicht und die Hände vollständig den Körper bedeckt und die wegen der Eigenart des Textils oder ihres Stoffes ein enges Anliegen an den Körper ausschließt wie z.B. einen sog. "Burkini" oder eine "Haschema". Die Haare können durch das Tragen einer Badekappe verdeckt werden. Auch ist es für das erkennende Gericht maßgebend, dass der zeitlich größte Teil des Schwimmunterrichts im Wasser stattfindet, wo die Konturen des Körpers aufgrund der physikalischen Gegebenheiten nur unscharf und daher nicht beeinträchtigend wahrgenommen werden können. Sollte theoretischer Unterricht außerhalb des Wassers stattfinden, ist es der Klägerin möglich, ihren Körper mit einem entsprechend weiten Bademantel zu verhüllen. Soweit beim Einstieg in das Wasser und dem Ausstieg aus dem Wasser eine enger liegende Badebekleidung der Klägerin gesehen werden mag – was die Klägerin durch Tragen eines "Burkinis" oder einer "Haschema" vermeiden könnte -, erfolgt die dadurch verursachte Beeinträchtigung ihrer religiösen Glaubensüberzeugung nur in einem zeitlich geringen Moment und ist von ihr gegenüber den zuvor genannten Werten der staatlichen Bildungs- und Erziehungsarbeit, die auch und gerade im Schwimmunterricht vermittelt werden, hinzunehmen. Dabei wird die Schule sämtliche pädagogischen und organisatorischen Möglichkeiten ausnützen können und müssen, um sowohl einer möglichen Außenseiterrolle der Klägerin entgegenzuwirken als auch ihr die Möglichkeit zu geben, sich ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend um- bzw. wieder ankleiden zu können, etwa durch Vorhaltung einer Einzelkabine oder durch Zulassung der Möglichkeit eines zeitversetzten Um- bzw. Ankleidens. Insoweit wird die Schule auch gehalten sein, etwa bestehende organisatorische Schwierigkeiten zu überwinden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Leistungsdefizite der Klägerin, die auf die Eigenart ihrer Badebekleidung zurückzuführen sind, bei der Notenvergabe in der Weise berücksichtigt werden müssen, dass ihr dadurch keine Nachteile entstehen. 

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Soweit die Klägerin vorträgt, sie dürfe Jungen mit zweckentsprechend geschnittener oder eng anliegender Sportbekleidung bei ihren Übungen nicht zusehen, ist zu beachten, dass Schule nicht im isolierten Raum stattfindet, sondern eingebunden ist in die Vielschichtigkeit und das soziale Gefüge der in Deutschland gelebten Gesellschaftsform. Diese zeichnet sich durch von Konventionen und Normen weitgehend losgelöste Verhaltensweisen aus, die auch ausgelebt werden. Das bedeutet, dass im alltäglichen Zusammenleben überall und jederzeit Situationen anzutreffen sind, in denen muslimische Glaubensangehörige mit anderen Wertvorstellungen konfrontiert werden, mit denen sie umgehen müssen. Nichts anderes gilt für staatlichen Schwimmunterricht, bei dem – wie zuvor ausgeführt – die pädagogische Aufgabe der Lehrpersonen besteht, Spannungen abzumildern. Das gilt auch hinsichtlich der geäußerten Befürchtung, eine körperliche Berührung von Jungen sei in einem gemeinsamen Schwimmunterricht nicht zu vermeiden. Auch dem kann organisatorisch und pädagogisch begegnet werden.

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Durch die vorgenannten Aspekte ist der Eingriff in die Religionsfreiheit soweit abgemildert, dass die Zumutbarkeitsgrenze in der Gesamtschau - jedenfalls hinsichtlich einer Schülerin der 6. Klasse – nicht überschritten wird. […]

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