
Das Kopftuch als Kündigungsgrund
Eine Kündigung einer Verkäuferin, die nach dem Erziehungsurlaub ihr Beschäftigungsverhältnis nun nur noch mit einem Kopftuch aus religiösen Gründen fortführen möchte, ist gem. §1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt. Eine Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen i.S.d. §1 Abs. 2 KSchG kann nicht auf die Tatsache gestützt werden, dass die Verkäuferin nun ein „islamisches Kopftuch“ trägt. (Leitsatz der Redaktion)
Verfassungsbeschwerde 1 BvR 792/03 nicht zur Entscheidung angenommen.
Leitsatz: Das Tragen eines - islamischen - Kopftuchs allein rechtfertigt regelmäßig noch nicht die ordentliche Kündigung einer Verkäuferin in einem Kaufhaus aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen nach § 1 Abs. 2 KSchG.
Urteil: 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 21. Juni 2001 - 3 Sa 1448/00 - aufgehoben. 2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hanau vom 13. April 2000 - 3 Ca 293/99 - abgeändert: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 nicht aufgelöst worden ist. 3. Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Zum Sachverhalt: |
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und über Annahmeverzugsansprüche der Klägerin. |
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Die am 29. November 1970 in der Türkei geborene Klägerin begann am 1. August 1989 bei der Beklagten eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau und war seit deren Abschluss als Verkäuferin beschäftigt. |
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Die Beklagte betreibt in S. ein Kaufhaus mit einer Verkaufsfläche von ca. 9. 000 qm. Ihr Warensortiment besteht ua. aus Modeartikeln, sog. Accessoires, Spielsachen, Schmuck, Kosmetika, Schreib-, Leder- und Süßwaren. Lebensmittel werden nicht angeboten. Die Beklagte beschäftigt im Verkauf ca. 85 Arbeitnehmer, im Verwaltungsbereich 8 Arbeitnehmer, in der Warenannahme 2 Arbeitnehmer und mit Hausmeisteraufgaben 3 Mitarbeiter. |
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Die Klägerin befand sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes vom 15. April 1996 bis zum 26. Mai 1999 erneut im Erziehungsurlaub. Anfang Mai 1999 teilte sie der Beklagten mit, sie werde bei der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, ihr moslemischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Personalleitung der Beklagten widersprach einem Einsatz mit Kopftuch und räumte der Klägerin eine Bedenkzeit ein. Die Klägerin blieb auch nach einem weiteren Gespräch bei ihrer Auffassung, obwohl die Beklagte ihr mitgeteilt hatte, dass dann eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unausweichlich sei. |
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Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 25. Mai 1999 das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich. Sie nahm mit Zustimmung der Klägerin diese Kündigung später zurück. |
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Unter dem 19. August 1999 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten fristgemäßen Kündigung der Klägerin an. Im Anhörungsschreiben heißt es ua.: ". . . Bis zum war sie im Mutterschutz. Sie informierte uns in der 20. KW davon, dass sie mit Beendigung des Erziehungsurlaubs wohl wieder bei uns tätig sein möchte, jedoch keinesfalls ohne Kopftuch (aus religiösen Gründen) und bis 20. 00 Uhr arbeiten könnte. Da es nicht dem Stil unseres Hauses entspricht Verkaufspersonal mit Kopfbedeckung zu beschäftigen und dies auch dem Großteil unserer Kunden nicht zuzumuten ist, und wir auch keine anderweitig frei Stelle im Hause haben, werden wir das Beschäftigungsverhältnis mit Frau C. zum 30.09.1999 fristgerecht kündigen. . . . " |
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Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 30. August 1999 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Oktober 1999. |
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Die Klägerin hat sich gegen diese Kündigung gewandt und Ansprüche aus Annahmeverzug für den Zeitraum 1. Juni 1999 bis 30. April 2001 geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Die Kündigung sei ein unzulässiger, unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit ihrer Religionsausübung. Der Koran schreibe ihr das Tragen des Kopftuches verbindlich vor. Die Beklagte habe demgegenüber eine Beeinträchtigung ihrer betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen nicht dargelegt. Sie hätte zumindest abwarten können und müssen, ob es bei ihrem Einsatz mit einem Kopftuch zu Störungen komme. Auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Ihm seien weder ausreichende Angaben zur Dauer und Lage ihres Erziehungsurlaubs noch über ihre Staats- bzw. Volkszugehörigkeit gemacht worden. Der Kündigungssachverhalt sei dem Betriebsrat nicht hinreichend konkret und vollständig mitgeteilt worden; der nur schlagwortartige Hinweis "aus religiösen Gründen" genüge nicht. |
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt, 1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 nicht aufgelöst worden ist, 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 73.600,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus jeweils 3.200,00 DM […] abzüglich 22.058,63 DM in dem gesamten Zeitraum erhaltenes Arbeitslosengeld bzw. -hilfe zu zahlen. |
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Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Kündigung sei aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt. Die Klägerin sei zukünftig nicht mehr in der Lage, ihren bisherigen Arbeitsplatz als Verkäuferin in der Parfümerieabteilung wieder einzunehmen. Ihr Verkaufspersonal sei dem Stil des Hauses entsprechend dazu angehalten, sich bei der Ausübung der Verkaufstätigkeit gepflegt und unauffällig zu kleiden. Das Kaufhaus wolle seinen Kunden einen noblen und exklusiven Eindruck vermitteln. Die Weigerung der Klägerin, sich weiterhin in das vorgegebene einheitliche Erscheinungsbild des Verkaufspersonals einfügen zu wollen, führe zu einer Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen. Sie könne es nicht dulden, dass sich einzelne Mitarbeiter nicht mehr an die ungeschriebene und allseits akzeptierte Kleiderordnung im Betrieb hielten. Faktisch werde eine "Schleuse geöffnet". Sie würde zukünftig damit konfrontiert, auch anderen Mitarbeitern vergleichbare Wünsche zu erfüllen. Ihr sei es nicht zumutbar, die Klägerin probeweise mit einem Kopftuch zu beschäftigen. Es bestehe ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse, mögliche Schäden durch Kundenverluste zu vermeiden. |
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Die Beklagte hat ferner die Auffassung vertreten, der Betriebsrat sei ausreichend informiert worden. |
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter.
Gründe: |
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Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. August 1999 zum 31. Oktober 1999 aufgelöst worden. Bezüglich des Zahlungsantrags der Klägerin war der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, da es weiterer Feststellungen bedarf. A. |
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Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die Kündigung vom 30. August 1999 sei rechtswirksam. Der Betriebsrat sei zu ihr ordnungsgemäß angehört worden. […] Erheblich sei allein, dass die Beklagte den Betriebsrat über die "religiös fundierte Begründung" der Klägerin informiert habe. Damit sei dem Betriebsrat der entscheidungserhebliche Rechtfertigungsgrund der Klägerin hinreichend erkennbar gewesen. |
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Die Kündigung sei als personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Auf Grund der vertraglichen Nebenpflichten müsse die Klägerin ihre äußere persönliche Erscheinung in den Rahmen einordnen, der im Kaufhaus der Beklagten als betriebliche Übung allseits akzeptiert und praktiziert werde. […] Es könne keinem Zweifel unterliegen, dass die Beklagte im Hinblick auf den Charakter ihres Kaufhauses, dessen örtliche Lage und die Vorstellungen des ländlich-konservativ geprägten Kundenkreises mit dieser Kleiderordnung berechtigte Interessen verfolge, denen sich die Klägerin als Arbeitnehmerin zu fügen habe. Wenn die Klägerin als Muslimin ein Kopftuch aus religiösen Gründen tragen müsse, sei sie dauernd außer Stande, ihre mit ihrer Grundrechtsstellung kollidierende arbeitsvertragliche Pflicht zu erfüllen. […] Zwar stehe das Verhalten der Klägerin nach Art. 4 Abs. 1 GG unter Grundrechtsschutz und sei von der Beklagten bei der Ausübung ihres Direktionsrechts zu beachten. Die Beklagte könne sich aber ihrerseits auf Grundrechte berufen, die mit denen der Klägerin in einem Spannungsverhältnis stünden. […] Eine andere Einsatzmöglichkeit sei für die Klägerin zur Zeit der Kündigung außerhalb des Verkaufs nicht vorhanden. Da ihr nicht zugemutet werden könne, auf das religiös indizierte Tragen des Kopftuches zu verzichten, scheide eine Weiterbeschäftigung der Klägerin unter diesen Umständen aus. […] B. |
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Dem folgt der Senat nicht. Die fristgemäße Kündigung vom 30. August 1999 ist rechtsunwirksam. Zwar ergibt sich dies nicht auf Grund einer fehlerhaften Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG. Sie ist jedoch sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. I. |
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Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. […] Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 19. August 1999 über den aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt ordnungsgemäß unterrichtet. Außerdem kannte der Betriebsrat bei seiner Anhörung die maßgeblichen persönlichen und sozialen Daten der Klägerin. 1. […] 2. […] |
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3. Nach den auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kannte der Betriebsrat die anderen erforderlichen persönlichen und sozialen Daten der Klägerin. […] |
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4. Entgegen der Rüge der Revision hat die Beklagte ihren Betriebsrat auch über die wesentlichen Kündigungsgründe ausreichend unterrichtet. […] II. |
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Die ordentliche Kündigung vom 30. August 1999 ist aber sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Sie ist weder durch einen im Verhalten noch - worauf sich die Beklagte in erster Linie berufen hat - einen in der Person der Klägerin liegenden Grund bedingt. |
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1. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist […]. |
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Auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Überprüfungsmaßstabs hält das angefochtene Urteil einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. |
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2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aus einem in ihrer Person liegenden Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG gekündigt werden. Bei zutreffender Würdigung der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen hat die Klägerin ihre Eignung und Fähigkeit zur Erbringung ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung als Verkäuferin im Kaufhaus der Beklagten nicht verloren. |
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a) Ein personenbedingter Kündigungsgrund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Fähigkeit oder Eignung zur Erfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung verloren hat. […] Dabei ist zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die Fähigkeit oder die Eignung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, im Kündigungszeitpunkt fehlt oder ob sie erheblich eingeschränkt ist und ob mit ihrer baldigen Wiederherstellung nicht gerechnet werden kann. Dies muss zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führen, die im Zeitpunkt der Kündigung noch andauert und zukünftig auch zu befürchten ist und die nicht durch eine Umsetzung des Arbeitnehmers zu beseitigen ist. Schließlich muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, wobei vor allem zu prüfen ist, ob der Arbeitgeber die auf Grund des personenbedingten Kündigungsgrundes eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses billigerweise noch hinnehmen muss oder ob die Kündigung bei verständiger Würdigung und Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes billigenswert und angemessen erscheint […]. |
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b) Zwar kann eine Arbeitnehmerin auf Grund von fundamentalen, unüberwindbaren Glaubenshindernissen ihre Fähigkeit und Eignung verlieren, die unmittelbar vertraglich geschuldete Arbeitsleistung überhaupt zu erbringen […].Vorliegend ist die Klägerin jedoch […] in der Lage, ihre vertraglich geschuldete Arbeitsleistung als Verkäuferin auch dann noch zu erfüllen, wenn sie bei ihrer Tätigkeit ein - islamisches - Kopftuch trägt. […] Die Annahme eines personenbedingten Grundes im vorstehenden Sinne ist daher nicht gerechtfertigt. |
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3. Die Kündigung ist auch nicht aus einem im Verhalten der Klägerin liegenden Grund sozial gerechtfertigt. |
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a) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte mit der Ablehnung eines Einsatzes der Klägerin mit einem – islamischen – Kopftuch im Zusammenhang mit den zwischen den Parteien geführten Gesprächen eine Weisung hinsichtlich ihrer bei der Arbeit zu tragenden Kleidung - zumindest konkludent - erteilt hat oder ob sich die Beklagte mit ihrem Hinweis auf die "ungeschriebene Kleiderordnung" nur auf eine Verletzung der allgemeinen vertraglichen Nebenpflicht zur Rücksichtnahme berufen will. Denn sowohl bei der Ausübung ihres Weisungsrechts als auch bei der Ausgestaltung dieser vertraglichen Pflicht ist das spezifische, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Anliegen der Klägerin, aus religiösen Gründen nicht mehr ohne ein Kopftuch zu arbeiten, zu beachten. Auf Grund der verfassungsrechtlich gewährleisteten, im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts oder der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu berücksichtigenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin kann deshalb die Beklagte nicht ohne weiteres die Einhaltung der in ihrem Betrieb allgemein üblichen Bekleidungsstandards verlangen und die Klägerin zur Arbeitsleistung ohne ein Kopftuch wirksam auffordern. |
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b) Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber von seiner Arbeitnehmerin mit Kundenkontakt allerdings erwarten, sich dem Charakter des Handelsgeschäfts und dessen Kundenstamm entsprechend branchenüblich zu kleiden. Eine solche Pflicht kann […] durch eine Weisung des Arbeitgebers begründet werden oder sich aus einer vertraglichen Rücksichtnahmepflicht […] ergeben […]. Ausnahmsweise können danach der durch das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmerin garantierten freien Gestaltung ihres Äußeren und ihrer Kleidung Grenzen gesetzt werden, um dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers nach einem einheitlichen Erscheinungsbild und den Erwartungen der Kundschaft Rechnung zu tragen […]. |
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c) Das Weisungsrecht, das seine Grenzen in den gesetzlichen Regelungen, im Kollektiv- und im Einzelvertragsrecht findet, darf jedoch nach § 315 Abs. 1 BGB nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden […]. Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit wird inhaltlich durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt […]. Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), […], mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden […]. |
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Gleiches gilt auch bei der Ausformung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Rahmen des § 242 BGB […]. |
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aa) Das von der Beklagten nicht akzeptierte Tragen des - islamischen - Kopftuchs während der Arbeit führt unmittelbar zu einer Beeinträchtigung der Grundrechte der Klägerin. Sie leitet das von ihr als verpflichtend angesehene Gebot des Kopftuchtragens aus ihrem Glauben her. Damit genießt sie den Grundrechtsschutz aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG […]. |
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Das - islamische - Kopftuch stellt ein Symbol für eine bestimmte religiöse Überzeugung dar. Mit dem Tragen dieses Kopftuchs macht die Klägerin von ihrem Grundrecht Gebrauch […]. Dabei kann dahinstehen, ob das Kopftuchtragen Ausdruck eines zwingenden religiösen Gebots des Korans ist, was unter den islamischen Autoritäten umstritten sein mag. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet nämlich als Grundrecht nicht nur die persönliche Freiheit, nach Maßgabe einer autoritativen oder allgemein anerkannten Lehre einer Religionsgemeinschaft zu leben, sondern auch die individuelle Religionsfreiheit als Recht des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln […]. Insbesondere überlässt das Grundrecht es dem einzelnen, welche religiösen Symbole er anerkennt und verwendet […]. Das in Rede stehende Verhalten muss nicht allgemein von den Gläubigen geteilt werden. Für eine zulässige Berufung auf Art. 4 GG kommt es nur darauf an, dass es überhaupt von einer wirklichen religiösen Überzeugung - wie hier bei der Klägerin - getragen und nicht anders motiviert ist. Andernfalls würde den Gerichten eine Bewertung von Glaubenshaltungen oder die Prüfung von theologischen Lehren aufgebürdet, die sie nicht leisten können und nicht leisten dürfen […]. |
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bb) Demgegenüber kommt zwar als konkurrierende, durch Art. 12 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützte Position der Beklagten vor allem ihre Unternehmerfreiheit in Betracht. In welcher Intensität dieses Recht der Beklagten betroffen ist, kann aber auf Grund ihres nicht hinreichend konkreten Sachvortrags nicht festgestellt werden. Es sind von der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten keine Tatsachen vorgetragen worden, auf Grund derer es bei einem weiteren Einsatz der Klägerin als Verkäuferin mit einem - islamischen - Kopftuch zu konkreten betrieblichen Störungen oder wirtschaftlichen Einbußen kommen würde. |
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Die für das Kaufhaus der Beklagten bisher ungewohnte Bekleidung der Klägerin und die Auffälligkeit des Kopftuchs mit den sich daraus ergebenden Assoziationen zum Islam rechtfertigen jedenfalls nicht per se eine andere Beurteilung. In Anbetracht des hohen Stellenwerts des Grundrechts der Glaubens- und Religionsfreiheit sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts solche realen Gefährdungen konkret darzulegen. Es ist nach der Lebenserfahrung eben nicht "naheliegend" und ohne dezidierten Tatsachenvortrag auch nicht "gut nachvollziehbar", dass sie sich realisieren. […] |
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d) Unter Berücksichtigung des besonders hohen Stellenwertes der grundrechtlich und auch nach Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention […] gewährleisteten Glaubens- und Religionsfreiheit ist es demnach der Beklagten zuzumuten, die Klägerin als Verkäuferin weiterhin einzusetzen und ggf. abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in nennenswertem Maße realisieren. Zu prüfen wäre nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dann zunächst auch, ob etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch eine Kündigung zu begegnen wäre. |
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e) Der weitere Einwand der Beklagten, sie müsse ggf. auch den anderen Mitarbeitern aus Gleichbehandlungsgründen gestatten, aus der allseits akzeptierten Kleiderordnung "auszubrechen", rechtfertigt keine andere Bewertung. […] III. |
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Da das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht durch die Kündigung vom 30. August 1999 wirksam zum 31. Oktober 1999 beendet worden ist, steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der begehrten Vergütung aus Annahmeverzug gemäß § 615 Satz 1 BGB zu. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts war die Klägerin auch nicht iSv. § 297 BGB dauernd außer Stande, ihre Leistungspflicht innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses zu erbringen, weil sie nur noch eine Tätigkeit mit einem - islamischen - Kopftuch ausüben wollte. […] |
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