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Rechtsurteile

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Versammlungsrechtliche Auflagen, Verbot der Parolen From the river to the sea und Juden Kindermörder sowie zur Vernichtung Israels aufzurufen

1. Mit Verfügung vom 2. November 2023 hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat die Vereinigung Hamas verboten und untersagt, Kennzeichen der HAMAS öffentlich, in einer Versammlung zu verwenden. Das Verbot betrifft auch die Parole Vom Fluss bis zum Meer (auf Deutsch oder anderen Sprachen). Das Äußern dieser Parole als Erkennungszeichen der Hamas verstößt damit formell gegen die öffentliche Sicherheit und rechtfertigt - nach summarischer Prüfung im Eilverfahren - die versammlungsrechtliche Auflage, das Ausrufen zu untersagen (Rdnr. 19). 2. Das Skandieren der Parole Juden Kindermörder erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB und verstößt gegen die öffentliche Sicherheit (Rdnr. 20). 3. Dagegen sind die Aussagen Kindermörder Israel und Israel bringt Kinder um noch von der durch Art 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit gedeckt (Rdnr. 22).


 

Verfahrensgang

vorgehend VG Frankfurt, 1. Dezember 2023, 5 L 3868/23.F, Beschluss

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2023 abgeändert. 

Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2023 wird bezüglich der Untersagungsverfügungen, zur Vernichtung Israels aufzurufen (in Nr. 11), dem Ausruf „Juden Kindermörder“ (in Nr. 12) und der Parole „From the river to the sea“ (Nr. 12) abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz haben die Antragstellerin 3/7 und die Antragsgegnerin 4/7 zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

 

Gründe

 

I.

1

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin hinsichtlich versammlungsrechtlicher Auflagen durch das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main.

2

Am 27. November 2023 zeigte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Durchführung einer Versammlung unter dem Motto „Frieden in Nahost“ für den 2. Dezember 2023 von 15:00 bis 18:00 Uhr an. Mit Bescheid vom 30. November 2023 erließ die Antragsgegnerin die folgenden streitigen versammlungsrechtlichen Auflagen:

„Nr. 11: Es ist während der Versammlung untersagt, zur Vernichtung Israels aufzurufen, dem Staat Israel das Existenzrecht abzusprechen Gleichbedeutendes über andere, dem entsprechende Äußerungen auszudrücken oder die israelischen Militäroperationen als Genozid oder gleichbedeutendes zu bezeichnen. Dies gilt gleichermaßen für mündliche wie für schriftliche Äußerungen.

Nr. 12: Die Aussagen „Israel Kindermörder“, „Juden Kindermörder“, „Israel bringt Kinder um“ und „from the river to the sea“ sind in mündlicher und schriftlicher Form untersagt. Die Versammlungsleitung hat Personen, die gröblich gegen diese Beschränkung verstoßen zum Verlassen der Versammlung aufzufordern.“

3

Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat die aufschiebende Wirkung des hiergegen gerichteten Widerspruchs vom 30. November 2023 wiederhergestellt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die erforderliche unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht dargelegt sei. Es fehle an einer ausreichenden Begründung. Außer dem Motto der Versammlung habe die Antragsgegnerin keine Erkenntnisse vorgelegt, die eine unmittelbare Gefahr stützen könnten.

 

II.

4

1. Die gemäß §§ 146, 147 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – fristgerecht eingelegte und inhaltliche begründete Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den oben genannten Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist zulässig und teilweise begründet.

5

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung angeordnet ist.

6

Der Verwaltungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung eine Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.

7

a) Gemessen daran führen die mit der Beschwerde dargelegten Gründe zu einer Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im tenorierten Umfang.

8

aa) Wie das Verwaltungsgericht insoweit zutreffend ausführt, hat die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung ihrer Verfügung gem. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hinreichend begründet.

9

bb) Die durch Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz – GG – und Art. 14 Abs. 1 Hessische Verfassung – HV – grundrechtlich gewährte Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen. Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen - schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. zu Art. 8 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 30.08.2020 – 1 BvQ 94/20 –, juris Rn. 14).

10

Nach § 14 Abs. 1 HVersFG kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Maßnahmen erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.

11

Die Vorschrift unterliegt im Hinblick auf die in Art. 14 Abs. 1 und 2 Hessische Verfassung (HV) gewährte Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. nur Gerster, Ut omnes unum sint? Das neue hessische Versammlungsrecht, GSZ 2023, 168-173). Der Senat hält demgegenüber § 14 Abs. 1 und 2 HVersFG nicht für verfassungswidrig, da es dem Gesetzgeber freisteht, verfassungsimmanente Schranken auszugestalten und somit die Versammlungsfreiheit und die übrigen in der Verfassung geschützten Rechtsgüter in Ausgleich zu bringen. Der Senat sieht deshalb keinen Anlass – zumal im Eilverfahren – für eine Vorlage an den Staatsgerichtshof des Landes Hessen gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, Art. 133 Abs. 1 Sätze 1 und 2 HV (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 14.10.2023 – 2 B 1423/23, juris Rn. 17).

12

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit der gesamten Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit anzunehmen sein wird, wenn eine strafbare Verletzung dieser Schutzgüter droht (vgl. Thür. OVG, Beschluss vom 13.02.2002 – 3 EO 123/02 –, juris Rn. 35). Die öffentliche Ordnung ist die Summe der ungeschriebenen Verhaltensregeln, deren Einhaltung nach den sozialen und ethischen Anschauungen und Vorstellungen der Menschen im jeweiligen Rechtsraum für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben unverzichtbar ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.06.2014 – 1 BvR 980/13 –, juris Rn. 25; Baudewin, Öffentliche Ordnung und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2023, Rn. 15). Eine unmittelbare Gefahr ist anzunehmen, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge den Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt und daher bei ungehindertem Geschehensablauf zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 –, juris Rn. 20; Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 2. Auflage 2022 § 15 Rn. 53; Baudewin, Öffentliche Ordnung und Versammlungsrecht, 4. Aufl. 2023, Rn. 291). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde (BVerfG, Beschluss vom 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 –, juris Rn. 17).

13

Soweit sich eine Auflage im Rahmen einer Versammlung auf den Inhalt von Aussagen bezieht, ist dies auch am Maßstab des Art. 5 Abs. 1 u. 2 GG zu beurteilen. Der Inhalt einer Meinungsäußerung, der im Rahmen des Art. 5 GG nicht unterbunden werden darf, kann daher auch nicht zur Begründung von Maßnahmen herangezogen werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken. Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Werden die entsprechenden Strafnormen durch Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit. Eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen. Bei der Auslegung und Anwendung der insoweit in Betracht gezogenen Strafgesetze haben die Gerichte der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine demokratische Gesellschaft Rechnung zu tragen. Es gilt hierbei die Vermutung zugunsten freier Rede in öffentlichen Angelegenheiten. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Weichenstellend für die Prüfung einer Grundrechtsverletzung ist die Erfassung des Inhalts der betreffenden Äußerung, der unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aus der Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums zu ermitteln ist; im Falle mehrdeutiger Äußerungen ist bei der Anwendung sanktionierender Normen die dem sich Äußernden günstigere Deutung zugrundezulegen. Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst. Ein solcher Fall liegt typischerweise bei dem "Motto" einer Versammlung vor, das in der Regel nur den Kern eines Anliegens in knappen Worten zum Ausdruck bringen kann. Die Versammlungsfreiheit schützt auch das Interesse des Veranstalters, auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen, so dass auch das Interesse, ein schlagwortartiges Versammlungsmotto zu formulieren, dem Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt. Dass ein solches Motto eine Forderung nur pauschal und undifferenziert zum Ausdruck bringt, erlaubt für sich allein nicht die Prognose, auch die Versammlung werde sich undifferenziert mit dem Thema befassen (zu dem Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 01.12 2007 – 1 BvR 3041/07 –, juris Rn. 13 - 16).

14

(1) Gemessen daran ist die Beschwerde begründet, soweit das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen hat, die behördliche Auflage, es zu untersagen, zur Vernichtung Israels aufzurufen, sei rechtswidrig. Denn das Skandieren der Vernichtung Israels verstößt gegen die öffentliche Sicherheit, nämlich gegen den Straftatbestand des § 111 Strafgesetzbuch. Gerade eine lautstarke Propagierung der Vernichtung des Staates Israel vermittelt erhebliche Gewaltbereitschaft und ist ihrem Inhalt nach auf Aggression und Rechtsbruch angelegt. Sie wirken für einen Beobachter einschüchternd. Das Verwenden dieser Parole auf einer Versammlung ist nicht vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit umfasst. Denn Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 HV schützen allein das Recht, sich „friedlich“ zu versammeln.

15

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Antragsgegnerin die erforderliche unmittelbare Gefahrenlage hinreichend dargelegt. Dabei geht das Verwaltungsgericht zunächst noch zutreffend davon aus, dass die Begründung der Auflagen im Bescheid vom 30. November 2023 nicht den Anforderungen nach § 39 Abs. 1 Satz 2 und 3 HVwVfG gerecht wird. Mit ihrem Vortrag im gerichtlichen Verfahren hat die Antragsgegnerin allerdings die erforderliche Begründung nachgeholt (§ 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HVwVfG).

16

Diese Begründung trägt auch die Prognose für eine unmittelbare Gefahr der Verletzung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Zwar spricht gegen eine solche Gefahr, worauf das Verwaltungsgericht abstellt, dass die Antragstellerin noch nicht im Rahmen von Versammlungen aufgefallen ist. Für die Prognose ist jedoch nicht allein auf die Antragstellerin als Anmelderin abzustellen. Denn dann könnten unbekannte Versammlungsanmelder als „Strohpersonen“ vorgeschoben werden, was regelmäßig den Erlass versammlungsrechtlicher Auflagen ausschließen würde. Für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr dürfen unzweifelhaft auch sonstige Umstände herangezogen werden, wie etwa der zu erwartende Teilnehmerkreis oder der Verlauf vergleichbarer Demonstrationen in unmittelbarer zeitlicher Nähe. Insoweit hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar ausgeführt, dass am Wochenende zuvor, am 25. November 2023, eine Versammlung, deren Verbot der erkennende Senat mit Beschluss vom gleichen Tag aufgehoben hat (Az.: 2 B 1662/23), unter ähnlichem Titel „Krieg beenden – Waffenstillstand in Palästina/Israel“ in Frankfurt am Main stattfand, bei der laut dem Polizeibericht gegen Beschränkungen verstoßen wurde. Dort ist es insbesondere zu antisemitischen Äußerungen gekommen und auch der Spruch „From the river to the sea“ wurde skandiert. Es ist gerichtsbekannt, dass derzeit aufgrund der israelischen Reaktion auf die Terrorangriffe der Hamas in Frankfurt am Main, aber auch im ganzen Bundesgebiet, eine Vielzahl von propalästinensischen Demonstrationen stattfinden, bei denen es oftmals zu strafbaren antisemitischen Äußerungen gekommen ist. Dies muss die Antragsgegnerin nicht unbeachtet lassen, nur weil die Antragstellerin noch nicht dergestalt aufgefallen ist. Sie geht insofern zu Recht davon aus, dass vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage von einer Demonstration unter dem Motto „Frieden in Nahost“ ein israelkritischer Teilnehmerkreis angezogen wird, der in der unmittelbaren Vergangenheit Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit gezeigt hat.

17

Überdies deutet der Vortrag der Antragstellerin im gerichtlichen Eilverfahren auf eine israelfeindliche Einstellung hin und stellt so eine Verbindung zu den bisherigen israelkritischen und teilweise -feindlichen Versammlungen her, bei denen es zu Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit gekommen ist. So stellt sie in ihrer Begründung ausführlich dar, weshalb militärische Maßnahmen des Staates Israel als „Genozid“ oder als „Völkermord“ bezeichnet werden dürfen. Ferner ergebe sich, so die Antragstellerin, aus den Berichten der Vereinten Nationen, der Ärzte ohne Grenzen und weiter Organisationen, dass Israel Kinder töte. In diesem Lichte seien die – von ihr offenbar gut geheißenen – Parolen „Stoppt den Kindermord“ und „Kindermörder Israel“ zu bewerten. Auch wenn diese Erwägungen von der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG und des Art. 11 Abs. 1 HV gedeckt sein dürften, begründet dies in der Zusammenschau mit dem zu erwartenden Teilnehmerkreis und den Erfahrungen der gerade erst vor einer Woche stattgefundenen Demonstrationen die unmittelbare Gefahr für Rechtsgutsverletzungen. Gerade weil hier ein Versammlungsverbot als schwerwiegendster Eingriff vor dem Hintergrund der speziell hinsichtlich der Antragstellerin dürftigen Erkenntnislage kaum gerechtfertigt werden könnte, sind Auflagen ein verhältnismäßiges Mittel zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. insoweit etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2023 – 3 S 1669/23 –, juris).

18

Die Antragstellerin und die Teilnehmer der Versammlung werden durch die zulässigen Auflagen auch nicht unter Generalverdacht gestellt. Die Auflage richtet sich zuvörderst an die Antragstellerin als Anmelderin, sodass etwaige Teilnehmer dadurch nicht abgeschreckt werden, an der Versammlung teilzunehmen. Gegenüber der Antragstellerin verdeutlicht sie nur die Grenze der öffentlichen Sicherheit, auf deren Einhaltung sie wie auch alle anderen Teilnehmer auch ohne diese Auflage achten müsste.

19

(2) Die Beschwerde ist auch begründet, soweit das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen hat, die behördliche Untersagung der Parole „From the river to the sea“ sei rechtswidrig. Die Bewertung dieses Slogans als Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung war bislang umstritten (vgl. VG Münster, Beschluss vom 17.11.2023 – 1 L 1011/23 –, juris Rn. 18; VG Berlin, Urteil vom 23.08.2023 – 24 K 7/23 –, juris Rn. 35; offenlassend: Bay VGH, Beschluss vom 19.10.2023 – 10 CS 23.1862 –, juris Rn. 26; eine Auflage rechtfertigend: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2023 – 3 S 1669/23 –, juris). Mit Verfügung vom 2. November 2023 (BAnz AT 02, 2023 B10) hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat die Vereinigung „Hamas“ verboten. Nach Nr. 3 dieser Verfügung ist es „verboten, Kennzeichen der HAMAS für die Dauer der Vollziehbarkeit öffentlich, in einer Versammlung […] zu verwenden. Das Verbot betrifft insbesondere folgende Kennzeichen:“ Nach einer Vielzahl von Abbildungen heißt es auf Seite 6 sodann: „Sowie die Parole „Vom Fluss bis zum Meer“ (auf Deutsch oder anderen Sprachen)“. Das Äußern dieser Parole als Erkennungszeichen der Hamas ist nach dieser Verfügung verboten und verstößt damit formell gegen die öffentliche Sicherheit. Ob das Verbot dieser Parole einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Verbotsverfügung anhand der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG standhalten wird, kann im anhängigen Eilverfahren aufgrund der gebotenen Dringlichkeit einer Entscheidung nicht abschließend bewertet werden, sodass der sofort vollziehbaren Verbotsverfügung der Vorrang gewährt wird.

20

(3) Die Beschwerde ist zudem begründet, soweit das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen hat, die Untersagung der Aussage „Juden Kindermörder“ sei rechtswidrig. Denn diese Aussage erfüllt den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 StGB (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.10.2023 – 3 S 1669/23 –, juris Rn. 10; VG Berlin, Beschluss vom 11.10.2023 – 1 L 428/23 –, juris Rn. 10). Nach § 130 Abs. 1 StGB wird, „wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“, mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Die Beschimpfung und Verleumdung der Gruppe der Juden als Kindermörder ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Zwar trägt die Antragstellerin vor, dass sie diese Parole ablehne, greift aber gleichwohl die Auflage auch in dieser Hinsicht an, verhält sich insofern also widersprüchlich, was die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage erschüttert. Sie erklärt auch nicht, dass – wie es die Auflage vorsieht –, sie Versammlungsteilnehmer, die gröblich gegen diese Beschränkung verstoßen, zum Verlassen der Versammlung auffordern wird. Damit verhält sie sich nicht rechtstreu. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Gefahrenlage besteht daher kein Anlass, diese Auflage als unbegründet anzusehen.

21

b) Im Übrigen ist die streitgegenständliche Auflage der Antragsgegnerin rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

22

(1) Die Beschwerde erweist sich nämlich insoweit als unbegründet, als dass die Aussagen „Kindermörder Israel“ und „Israel bringt Kinder um“ untersagt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass bei den militärischen Verteidigungshandlungen Israels gegen den palästinensischen Terror auch Kinder zu Schaden kommen. Dies macht Israel zwar juristisch nicht zu einem Mörder, eine derart laienhafte, schlagwortartige Zuspitzung ist jedoch im Rahmen der Meinungsfreiheit – wie oben dargestellt – hinzunehmen.

23

(2) Die Beschwerde ist auch nicht begründet, soweit die Auflage der Antragstellerin untersagt, dem Staat Israel das Existenzrecht abzusprechen. Zunächst wird mit dieser Auflage nicht nur eine konkrete Parole untersagt, sondern eine bestimmte Ansicht und Meinung, losgelöst von ihrer Formulierung untersagt. Dies ist für die Annahme eines Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu unbestimmt. Unbestritten ist das Existenzrecht Israels ein Grundpfeiler der deutschen Politik. Zwar erklärte die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel am 14. Mai 2008 sogar, dass das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsräson gehöre. Hieraus folgt aber nicht, dass eine Infragestellung des Existenzrechts Israels den Rahmen der zulässigen Meinungsfreiheit verlässt und damit gegen die Sicherheit und Ordnung verstößt.

24

(3) Schließlich ist die Beschwerde hinsichtlich der Untersagung von Aussagen, welche die israelischen Militäroperationen als Genozid bezeichnen, unbegründet. Diese Auflagen sind für eine Bewertung hinsichtlich einer Gefährdung für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ebenfalls zu unbestimmt. Unterstellt, es sei eindeutig unrichtig, die israelische Militäroperation als Genozid zu bezeichnen, ergibt sich daraus indes keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Auch sind solche überspitzten und verkürzten Äußerungen unter dem Schutz der Meinungsfreiheit hinzunehmen.

25

[…]

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