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Rechtsurteile

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Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“

1. Die an behördliche Hinweise zu stellenden rechtlichen Anforderungen richten sich nach den Grundsätzen für die Rechtmäßigkeit amtlicher Äußerungen. 2. Das Verwenden der Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“ ist nicht per se strafbar. 3. Die Parole „From the river to the sea“ stellt ein Kennzeichen der Terrororganisation HAMAS i.S.d. § 86a Abs. 2 StGB dar. 4. Für eine ausnahmsweise straflose Verwendung eines Kennzeichens einer terroristischen Vereinigung i.S.d. § 86 Abs. 2 StGB kommt es darauf an, ob für einen unbefangenen Beobachter eindeutig und unmissverständlich zu erkennen ist, dass das Kennzeichen nicht als Kennzeichen der Vereinigung verwendet werden soll (hier verneint).


 

Tenor

Auf das Anerkenntnis des Beklagten hin wird festgestellt, dass die Beschränkungen unter Ziffer I. des Bescheides vom ..., soweit die Äußerung „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“ sowie die Verwendung der Begriffe „Genozid“/„Völkermord“ untersagt worden sind, sowie die Beschränkung unter Ziffer II. des Bescheides vom ..., soweit die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ untersagt worden ist, rechtswidrig gewesen sind. 

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 3/4 und der Kläger zu 1/4.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der aufgrund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Beschränkung der Äußerungen „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“, „Genozid“/„Völkermord“ bzw. „Stoppt den Genozid/Völkermord“ sowie einen Hinweis auf eine Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ und Abwandlungen ebendieser anlässlich zweier von ihm veranstalteter Versammlungen am 18. November 2023 und am 2. Dezember 2023 in L.

2

Der Kläger zeigte bei dem Polizeipräsidium L (im Folgenden: Polizeipräsidium) am ... zwei Versammlungen unter dem Motto „Stoppt die Aggression“ für den 18. November 2023 sowie den 2. Dezember 2023 in Form eines Aufzuges an. Der Kläger, der zugleich verantwortlicher Leiter der Versammlungen war, gab zunächst an, er rechne mit ca. 3.000 Versammlungsteilnehmern.

3

Mit Bescheid vom ... bestätigte das Polizeipräsidium dem Kläger die Anzeige der Demonstration für den 18. November 2023 in der Zeit von 14:30 Uhr bis 17:30 Uhr unter dem Motto „Stoppt die Aggression“ und verfügte zugleich verschiedene Beschränkungen. U. a. untersagte das Polizeipräsidium unter Ziffer I. das Skandieren bzw. die Äußerung der Parole „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“ in jeglicher Sprache sowie die Verwendung der Begriffe „Genozid“ oder „Völkermord“, unabhängig vom Kontext, und ordnete die sofortige Vollziehung der Beschränkungen an. Zur Begründung führte es aus: Die Skandierungen erfüllten strafrechtliche Tatbestände. Entsprechende Vorfälle seien zuletzt bundesweit zur gleichen Thematik festgestellt worden. Derartige Schadensereignisse für die objektive Rechtsordnung seien daher auch im Rahmen dieser Versammlung wahrscheinlich.

4

Hiergegen hat der Kläger bei dem erkennenden Gericht am ... um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (18 L 3013/23). Mit Beschluss vom 17. November 2023 hat das erkennende Gericht die aufschiebende Wirkung der seinerzeit noch zu erhebenden Klage wiederhergestellt.

5

Für die Versammlung am 2. Dezember 2023 wurde eine abweichende Aufzugstrecke innerhalb L kooperiert. Der Kläger gab zuletzt an, er rechne mit ca. 500 Versammlungsteilnehmern.

6

Mit weiterem Bescheid vom ... bestätigte das Polizeipräsidium dem Kläger die Anzeige der Demonstration für den 2. Dezember 2023 in der Zeit von 14:30 Uhr bis 16:30 Uhr unter dem Motto „Stoppt die Aggression“ und verfügte auch insoweit verschiedene Beschränkungen. U. a. untersagte das Polizeipräsidium unter Ziffer II. dieses Bescheids die Skandierung „Stoppt den Genozid/Völkermord“ in Form einer mündlichen Kundgabe wie auch abgedruckt in jeglicher Sprache und ordnete die sofortige Vollziehung der Beschränkungen an. Zur Begründung führte es aus: Es lägen belastbare Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit der untersagten Parole nach §§ 130, 140 StGB und damit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Die Gefahrenprognose vollziehe sich im Kontext des sich dynamisch entwickelnden Nahost-Konflikts und der hohen Emotionalisierung bei pro-palästinensischen Versammlungen, bei denen zuvor in einer Vielzahl von Fällen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Äußerungsdelikten eingeleitet worden seien. Die Bewertung erfolge nicht im „luftleeren Raum“, sondern vor dem Hintergrund des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023.

7

Ab Seite 17 des Bescheids führte das Polizeipräsidium nach der Voranstellung der Formulierung „Ich weise Sie, als verantwortliche Versammlungsleitung, auf nachfolgend näher bezeichnete gesetzliche Regelungen hin, deren Beachtung und Einhaltung Sie zu gewährleisten haben:“ zudem u. a. unter Ziffer 2 aus:

„Die Parolen „From the river to the sea – Palestine will be free“, Abwandlungen ebendieser (…) erfüllen aufgrund ihrer klaren islamistischen, antiisraelischen, antisemitischen und anderweitig verhetzenden Färbung die Tatbestandsvoraussetzungen der § 130 StGB bzw. § 140 StGB. Dies ist durch Staatsanwaltschaften und das Verwaltungsgericht Köln (Beschluss vom 17.11.2023 – 20 L 2308/23) bestätigt worden.

Durch die Erfüllung der Straftatbestände durch die Parolen selbst sind weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht erforderlich. Die Einsatzkräfte sind gehalten, entsprechend einzugreifen und Strafanzeigen zu schreiben.“

8

Der Kläger hat am ... Klage vor dem erkennenden Gericht erhoben und zeitgleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht (18 L 3167/23). Mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 hat die Kammer den Antrag abgelehnt. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit Beschluss vom 2. Dezember 2023 (15 B 1323/23) den Beschluss des erkennenden Gerichts teilweise geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage (18 K 8760/23) hinsichtlich der in Ziffer II. verfügten Auflage – Untersagung der Formulierung „Stoppt den Genozid/Völkermord“ in mündlicher oder abgedruckter Form – wiederhergestellt; im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen.

9

Zur Begründung trägt der Kläger vor, die Beschränkungen und die als „Hinweis“ bezeichneten Ausführungen seien rechtswidrig. Er habe mit Schreiben vom ... das Polizeipräsidium erfolglos aufgefordert, die Rechtswidrigkeit der beschränkenden Verfügung vom ... hinsichtlich der Begrifflichkeiten „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“, „Genozid“ und „Völkermord“ anzuerkennen. Den als „Hinweis auf die Gesetzeslage“ bezeichneten Ausführungen unter Ziffer 2 zu einer Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ und Abwandlungen ebendieser im Bescheid vom ... komme Regelungscharakter zu bzw. seien diese zumindest als faktische Auflage zu bewerten. Die Parole sei von der Meinungsfreiheit umfasst und erfülle ohne einen entsprechenden Kontext keine Straftatbestände. Sofern die Ausführungen als Hinweis zu werten seien, wäre dieser bereits deshalb inhaltlich unzutreffend und folglich rechtswidrig, weil er nur auf die Strafbarkeit nach § 130 StGB sowie nach § 140 StGB verweise. Von einer zwingenden Auslegung der Parole als nach diesen Strafnormen strafbar sei indes nicht auszugehen. Aufgrund der Formulierung („Erfüllung der Straftatbestände“) sei auch nicht erkennbar, dass das Polizeipräsidium (nur) von dem Vorliegen eines Anfangsverdachts ausgehe. Auch eine Strafbarkeit nach § 86a Abs. 1 Satz 1 StGB bzw. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG komme nicht in Betracht. Sie scheitere bereits daran, dass es sich bei der Äußerung nicht um ein Kennzeichen der Vereinigung „HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya)“ (nachfolgend: HAMAS) oder von „Samidoun – Palestinian Solidarity Network“/“Samidoun“ einschließlich seiner Teilorganisation „Samidoun Deutschland“ (nachfolgend: Samidoun) handele. Es sei schon nicht ersichtlich, dass der in seinem Aussagegehalt am Weitesten gehende Slogan „Palestine will be free – from the river to the sea“ die von der Rechtsprechung geforderten Voraussetzungen an ein Kennzeichen im vorstehenden Sinne erfülle, da die mit dieser Parole zum Ausdruck kommende politische Forderung umstritten sei. Allein der Umstand, dass Varianten dieses Slogans z. B. in der aktuellen bzw. der Gründungscharta der HAMAS zu finden seien oder von Vertretern dieser Vereinigung bis heute verwendet würden, belege noch nicht, dass die Aussage eine Identifizierung mit dieser Organisation zum Ausdruck bringe. Die Verwendung von Varianten der Parole in der Satzung der HAMAS oder in gelegentlichen politischen Stellungnahmen könne auch nicht als Autorisierungsakt angesehen werden. Weder handele es sich um den offiziellen Slogan dieser Organisation (oder der Organisation Samidoun), noch lasse die Häufigkeit, die Art und der Anlass des Gebrauchs darauf schließen, dass die Parole nunmehr als Zeichen dieser Gruppierungen erscheine. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass die Äußerung keine politische, sondern eine rein geografische Aussage treffe und sich je nach konkreter Formulierung und Kontext mit nahezu jeder politischen Stellungnahme verbinden lasse. Es habe keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Parole auf der angemeldeten Versammlung gerade in einer Weise verwendet werde, die nicht in Opposition zur Ideologie der verbotenen Gruppierungen stehe. Auch für die vollständige Parole „Palestine will be free – from the river to the sea“ könne sich aus den Gesamtumständen ergeben, dass gerade nicht die gewalttätige „Befreiung“ Palästinas, wie sie kennzeichnend für die Ideologie der HAMAS und Samidoun sei, gefordert werde, sondern umgekehrt ein friedlicher, auf Verhandlungen gestützter Weg. Jedenfalls sei der Hinweis aber deshalb rechtswidrig, weil er irreführend und unzutreffend pauschal eine Strafbarkeit der Parole behaupte und nicht – wie sich aus dem aktuellen Meinungsstand in der Rechtsprechung ergebe – auf den erforderlichen Kontext einer HAMAS-Bezogenheit abstelle.

10

Nachdem der Kläger zunächst die Aufhebung der streitgegenständlichen Beschränkung in Ziffer II. sowie der als Hinweis bezeichneten Ausführungen im Bescheid vom ... beantragt hatte, hat er diese Anträge nach Durchführung der Versammlung am 2. Dezember 2023 auf die Feststellung deren Rechtswidrigkeit umgestellt.

11

Mit gleichem Schriftsatz vom ... hat er seine Klage erweitert und zusätzlich die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschränkung unter Ziffer I. des Bescheids vom ... im dort genannten Umfang beantragt.

12

Mit Schriftsatz vom ... hat der Beklagte die Rechtswidrigkeit der Beschränkungen unter Ziffer I. des Bescheids vom ... sowie unter Ziffer II. des Bescheids vom ... im genannten Umfang anerkannt.

13

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. auf das Anerkenntnis des Beklagten hin festzustellen, dass die Beschränkungen unter Ziffer I. des Bescheides vom ..., soweit die Äußerung „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“ sowie die Verwendung der Begriffe „Genozid“/„Völkermord“ untersagt worden sind, sowie die Beschränkung unter Ziffer II. des Bescheides vom ..., soweit die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ untersagt worden ist, rechtswidrig gewesen sind;

2. festzustellen, dass die Ausführungen auf Seite 18 des Bescheides des Beklagten vom ... unter Ziffer 2. rechtswidrig gewesen sind, soweit sie die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ und Abwandlungen ebendieser betreffen.

14

Der Beklagte verweist hinsichtlich des Klageantrags zu 1) auf sein schriftsätzlich erklärtes Anerkenntnis. Im Übrigen beantragt er,

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid vom ..., seine Einlassung im Verfahren 18 L 3167/23 sowie auf die ergangenen Beschlüsse im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Polizeipräsidiums sowie die Gerichtsakten in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (18 L 3167/23 und 18 L 3013/23) Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

17

Die Klage hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.

 

I.

18

Der Beklagte war nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 307, 313b ZPO seinem Anerkenntnis gemäß wie aus dem Tenor ersichtlich zu verurteilen.

19

Die Klageerweiterung mit Schriftsatz vom ..., mit der der Kläger auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschränkungen unter Ziffer I. des Bescheids vom ..., soweit die Äußerung „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“ sowie die Verwendung der Begriffe „Genozid“/„Völkermord“ untersagt worden sind, begehrt hat, war zulässig, weil der Beklagte sich mit seiner rügelosen Einlassung und dem entsprechenden Anerkenntnis auf die Klageänderung eingelassen und er mithin i.S.d. § 91 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 2 VwGO eingewilligt hat.

20

Dem Beklagten ist es auch im Verwaltungsprozess unbenommen, Klageansprüche anzuerkennen. Die Regelungen der Zivilprozessordnung über die Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils sind im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwenden. Dabei kann offenbleiben, ob dies auch für Anfechtungsklagen gilt. Denn der Kläger hat seine gegen die Beschränkung mit Bescheid vom ... zunächst erhobene Anfechtungsklage nach Durchführung der Versammlung zulässigerweise auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt und hinsichtlich des angegriffenen Bescheids vom ... mit Schriftsatz vom ... (erstmalig) einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsbegehren kann der Beklagte zum Gegenstand seines Anerkenntnisses machen.

Vgl. BVerwG, Anerkenntnisurteil vom 27. September 2017 – 8 C 20.16 –, juris, Rn. 3 f. m.w.N.

21

Das Polizeipräsidium hat das Anerkenntnis hinsichtlich der von dem Kläger begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschränkungen unter Ziffer I. des Bescheids vom ..., soweit die Äußerung „Israelische Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“ sowie die Verwendung der Begriffe „Genozid“/„Völkermord“ untersagt worden waren, sowie unter Ziffer II. des Bescheids vom ..., soweit die Parole „Stoppt den Genozid/Völkermord“ untersagt worden war, wirksam erklärt.

22

Dabei lagen die für den Erlass eines Anerkenntnisurteils erforderlichen Sachurteilsvoraussetzungen vor.

Vgl. hierzu BVerwG, Anerkenntnisurteil vom 27. September 2017 – 8 C 20.16 –, juris, Rn. 3.

23

Insbesondere hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten beschränkenden Verfügungen (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein.

St. Rspr., vgl. nur BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 – 6 C 2.22 –, juris, Rn. 16, und vom 29. März 2017 – 6 C 1.16 –, juris, Rn. 29; VGH BW, Urteil vom 18. November 2021 – 1 S 803/19 –, juris, Rn. 30.

24

In versammlungsrechtlichen Verfahren sind die für die Beurteilung des Rechtsschutzinteresses bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage geltenden Anforderungen unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG anzuwenden. Allerdings begründet nicht jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Ein solches ist dann anzunehmen, wenn eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitierungsinteresse besteht oder bei sich kurzfristig erledigenden, tiefgreifenden Eingriffen in die Versammlungsfreiheit, bei denen gerichtlicher Rechtsschutz in der Regel nicht rechtzeitig erlangt werden kann.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, juris, Rn. 36; BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 – 6 C 2.22 –, juris, Rn. 16 ff., und vom 27. März 2024 – 6 C 1.22 –, juris, Rn. 23 m.w.N., sowie Beschluss vom 29. Januar 2024 – 8 AV 1.24 –, juris, Rn. 10 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2016 – 15 A 1955/15 –, S. 3 des Entscheidungsabdrucks (n.v.); VG Düsseldorf, Urteile vom 10. April 2024 – 18 K 4774/21 –, juris, Rn. 55 ff., vom 10. April – 18 K 4927/21 –, juris, Rn. 75 ff., vom 10. April 2024 – 18 K 5786/21 –, juris, Rn. 70 ff., und vom 19. Februar 2020 – 18 K 17619/17 –, juris, Rn. 28.

25

Unter dem letzteren Gesichtspunkt ist aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG in einer Demokratie die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes stets geboten, wenn die Grundrechtsausübung durch ein Versammlungsverbot tatsächlich unterbunden oder die Versammlung aufgelöst worden ist. Derartige Eingriffe sind die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit, weshalb es keiner Klärung bedarf, ob eine fortwirkende Beeinträchtigung im grundrechtlich geschützten Bereich gegeben ist. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich des Hauptsacheverfahrens ist jedoch ebenso zu bejahen, wenn die Versammlung zwar durchgeführt werden konnte, dies aber infolge von beschränkenden Verfügungen nur in einer Weise, die ihren spezifischen Charakter verändert, insbesondere die Verwirklichung ihres kommunikativen Anliegens wesentlich erschwert hat. Abzulehnen ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse demgegenüber dann, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, juris, Rn. 37 f.; OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2016 – 15 A 1955/15 –, S. 5 des Entscheidungsabdrucks (n.v.); VG Düsseldorf, Urteil vom 19. Februar 2020 – 18 K 17619/17 –, juris, Rn. 30.

26

Nach diesen Grundsätzen kann hier ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers aufgrund der Beeinträchtigung seiner Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG bzw. Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG angenommen werden. Zwar standen die in den streitgegenständlichen Bescheiden verfügten und hier angegriffenen Beschränkungen der Durchführung der beiden angemeldeten Versammlungen nicht per se entgegen. Sie beeinträchtigten jedoch die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens der Versammlung wesentlich, indem die genannten Äußerungen verboten wurden. Insbesondere vor dem Hintergrund des jeweiligen Versammlungsthemas „Stoppt die Aggression“ ist davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen beschränkenden Verfügungen die Versammlung in ihrem spezifischen Charakter veränderten.

27

Eine Klage, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts – wie hier der beschränkenden Verfügungen – gerichtet ist, der sich – wie hier – vorprozessual vor Eintritt der Bestandskraft erledigt hat, unterliegt auch keiner Klagefrist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 – 6 C 7.98 –, juris, Rn. 19; VGH BW, Urteil vom 18. November 2021 – 1 S 803/19 –, juris, Rn. 27; VG Düsseldorf, Urteile vom 10. April 2024 – 18 K 4774/21 –, juris, Rn. 53 f., vom 10. April – 18 K 4927/21 –, juris, Rn. 61 f., vom 10. April 2024 – 18 K 5786/21 –, juris, Rn. 59 f.

28

Die Klage ist insoweit auch begründet. Eine Sachprüfung findet gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 307313b ZPO nicht statt. Vielmehr ergeht das Anerkenntnisurteil zugunsten des Klägers im Umfang des vom Beklagten erklärten Anerkenntnisses, auf das die Tenorierung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 313b Abs. 2 Satz 4 ZPO Bezug nimmt.

 

II.

29

Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg. Sie ist hinsichtlich des noch streitig zu entscheidenden Teils, namentlich des als Hinweis überschriebenen Teils ab Seite 17 f. (Ziffer 2) des Bescheides vom 30. November 2023 betreffend die Parole „From the river to the sea …“, zwar zulässig, jedoch unbegründet.

30

1. Die Klage ist zulässig.

31

a. Sie ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Bei der streitgegenständlichen Frage, ob die von der sonstigen Verfügung abgesetzte und in dem mit dem Satz „Ich weise Sie, als verantwortliche Versammlungsleitung, auf nachfolgend näher bezeichnete gesetzliche Regelungen hin, …“ überschriebenen Teil des Bescheides (S. 17 f.) enthaltene Ziffer 2, wonach die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“, Abwandlungen ebendieser, (…) aufgrund ihrer klaren islamistischen, antiisraelischen, antisemitischen und anderweitig verhetzenden Färbung die Tatbestandsvoraussetzungen der § 130 StGB bzw. § 140 StGB“ erfüllten, rechtmäßig war, handelt es sich um ein nach dieser Bestimmung feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Da die Versammlung am 2. Dezember 2023 durchgeführt und beendet wurde, ist ein vergangenes Rechtsverhältnis streitgegenständlich, das ebenfalls zulässiger Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann.

Vgl. statt vieler nur BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 – 1 C 2.95 –, juris, Rn. 16; OVG RP, Urteil vom 23. Januar 2024 – 6 A 10383/22.OVG –, juris, Rn. 76.

32

Die Feststellungsklage ist auch nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO subsidiär. Denn der Kläger kann seine Rechte nicht durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen. Insbesondere handelt es sich bei der streitgegenständlichen Passage nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG NRW, gegen den die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Var. VwGO bzw. nach Erledigung eine Rechtswidrigkeitsfeststellung im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in Betracht käme. Denn diesen Ausführungen mangelt es insoweit an einem konkreten, unmittelbaren Regelungscharakter i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG NRW. 

33

Zwar kann ein Hinweis auf die Strafbarkeit eines Verhaltens faktisch einer „Untersagung“ gleichkommen oder als solche seitens des Bürgers (subjektiv) empfunden werden; hieraus folgt jedoch nicht zwingend ein darüberhinausgehender verbindlicher Regelungsgehalt der behördlichen Äußerung.

Vgl. hierzu auch VG Mainz, Urteil vom 26. Januar 2023 – 1 K 46/21.MZ –, juris, Rn. 30.

34

Bei der rechtlichen Bewertung, ob eine Beschränkung im Sinne des § 13 Abs. 1 VersG NRW und damit ein Verwaltungsakt oder nur ein nicht-regelnder Hinweis ohne Verwaltungsaktqualität vorliegt, ist entsprechend §§ 133, 157 BGB auf den objektiven Empfängerhorizont abzustellen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. März 2007 – 1 BvR 232/04 –, juris, Rn. 19; VGH BW, Urteil vom 2. August 2012 – 1 S 618/12 –, juris, Rn. 31 ff.; Dürig-Friedl, in: ders./Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, § 15 VersammlG Rn. 82.

35

Daran gemessen handelt es sich bei der hier streitgegenständlichen Ziffer 2 um einen (nur) nicht-regelnden Hinweis auf die Rechtslage, wie sie sich nach Auffassung des Polizeipräsidiums dargestellt hat. Darauf deutet zunächst der Umstand hin, dass die betreffende Passage gerade nicht in den Teil des Bescheides aufgenommen wurde, in dem das Polizeipräsidium die Beschränkungen gemäß § 13 Abs. 1 VersG NRW erlassen hat (Seite 3 f. des Bescheides vom ...), sondern sie deutlich davon abgesetzt am Ende des Bescheides (erst) nach der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in dem sog. Hinweisteil ab Seite 17 f. des Bescheides enthalten ist. Auch erschöpft sie sich objektiv unter Hinweis auf entsprechende rechtliche Einschätzungen von Staatsanwaltschaften sowie des Verwaltungsgerichts Köln in einer bloßen Wiedergabe der nach dortiger Auffassung bestehenden Rechtslage und trifft keine darüberhinausgehenden versammlungsbehördlichen Anordnungen. Aus der Formulierung „Durch die Erfüllung der Straftatbestände durch die Parolen selbst sind weitere versammlungsrechtliche Beschränkungen nicht erforderlich“, ergibt sich vielmehr im Gegenteil, dass das Polizeipräsidium gerade keine Beschränkung nach § 13 Abs. 1 VersG NRW erlassen wollte, weil es eine solche nicht für erforderlich gehalten hat. Auch aus der von dem Polizeipräsidium vorgenommenen layout-technischen Hervorhebung dieser Passage durch Unterstreichung folgt nichts Gegenteiliges, sondern nur, dass das Polizeipräsidium auf diese Passage in besonderer Weise hinweisen wollte.

36

b. Der Kläger ist als Veranstalter und zugleich verantwortlicher Versammlungsleiter entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Eine Verletzung in seinen Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erscheint zumindest möglich. Es ist nicht nach jeder Betrachtungsweise offensichtlich ausgeschlossen, dass der Hinweis im Hinblick auf die von ihm ausgehende Abschreckungswirkung,

vgl. hierzu auch VG Mainz, Urteil vom 26. Januar 2023 – 1 K 46/21.MZ –, juris, Rn. 35,

jedenfalls mittelbar-faktisch auf die durch die genannten Grundrechte auch gewährleistete Willensentschließungsfreiheit des Klägers derart einwirkt, dass die entsprechende Parole im Rahmen der Versammlung nicht geäußert wird, und der Hinweis den rechtsstaatlichen Anforderungen an solch behördliches schlicht-hoheitliches Handeln nicht genügt. Vorliegend verblieb dem Kläger faktisch kein Raum mehr für eine eigene Willensentschließung, da das Polizeipräsidium ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben hat, im Falle des Skandierens der Parole unmittelbar repressiv einzuschreiten. Der streitgegenständliche Hinweis kommt damit in seiner faktischen Eingriffsintensität dem einer versammlungsrechtlichen Beschränkung nahe.

37

c. Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger auch sein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis nicht abzusprechen. Denn im Gegensatz zu Hinweisen der Versammlungsbehörde auf die Gesetzeslage, bei denen ein Rechtsschutzbedürfnis für ein gerichtliches Vorgehen regelmäßig zu verneinen ist,

vgl. hierzu etwa Dürig-Friedl, in: ders./Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, § 15 VersammlG, Rn. 83,

betrifft der hier streitgegenständliche Hinweis die – zwischen den Beteiligten gerade umstrittene – rechtliche Bewertung der Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ im Kontext der vom Kläger geplanten Versammlung.

38

d. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Hinweises i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO. Als Feststellungsinteresse i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO ist grundsätzlich jedes anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art anzusehen, sofern die begehrte gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Klägers in den genannten Bereichen zu verbessern. 

Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 6 B 14.17 –, juris, Rn. 13; VG Mainz, Urteil vom 26. Januar 2023 – 1 K 46/21.MZ –, juris, Rn. 38.

39

Ist – wie hier – ein erledigtes, vollständig in der Vergangenheit liegendes Rechtsverhältnis streitgegenständlich, wird ein besonderes, qualifiziertes Feststellungsinteresse gefordert. Ein solches kann in bestimmten – im Wesentlichen zur Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entwickelten – Fallgruppen angenommen werden.

Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 – 1 C 2.95 –, juris, Rn. 17; OVG RP, Urteil vom 23. Januar 2024 – 6 A 10383/22.OVG –, juris, Rn. 77.

40

So ist ein besonderes Feststellungsinteresse grundsätzlich bei Bestehen einer Wiederholungsgefahr, fortdauernder Diskriminierung (Rehabilitationsinteresse) und im Falle der Absicht des Klägers, nicht offensichtlich aussichtslose Amtshaftungs- oder Entschädigungsansprüche geltend zu machen (Präjudizinteresse), sowie der Geltendmachung eines tiefgreifenden, qualifizierten Grundrechtseingriffs bei sich typischerweise schnell erledigenden Maßnahmen anzunehmen.

Vgl. hierzu statt vieler Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 VwGO, Rn. 265 ff.; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 113 VwGO, Rn. 108 ff., 111.

41

Offenbleiben kann hier, ob im Falle des streitgegenständlichen Hinweises aufgrund der (nur) mittelbar-faktischen Betroffenheit der Grundrechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1 bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG überhaupt ein Fall eines sich typischerweise schnell erledigenden, tiefgreifenden Grundrechtseingriffs vorliegen kann.

Vgl. dazu statt vieler zuletzt BVerwG, Urteile vom 24. April 2024 – 6 C 2.22 –, juris, Rn. 16 ff., und vom 27. März 2024 – 6 C 1.22 –, juris, Rn. 23 m.w.N., sowie Beschluss vom 29. Januar 2024 – 8 AV 1.24 –, juris, Rn. 10 ff.

42

Denn vorliegend ist jedenfalls eine hinreichende Wiederholungsgefahr anzunehmen. Die Wiederholungsgefahr setzt die konkret absehbare, hinreichende Möglichkeit voraus, dass in naher Zukunft eine gleiche oder gleichartige Entscheidung oder Maßnahme zu Lasten des Klägers zu erwarten ist. Dabei müssen im Wesentlichen die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bestehen wie bei der erledigten Entscheidung oder Maßnahme.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14.12 –, juris, Rn. 21; OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2022 – 15 A 2100/18 –, juris, Rn. 56; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 VwGO, Rn. 270 ff.

43

Das ist hier der Fall. Nach Auskunft des Klägers in der mündlichen Verhandlung beabsichtigt er auch weiterhin, im Zwei-Wochen-Rhythmus Versammlungen im Zuständigkeitsbereich des beklagten Polizeipräsidiums zu im Wesentlichen gleichen Themen unter Verwendung der streitgegenständlichen Parole durchzuführen, auf deren Strafbarkeit das Polizeipräsidium auch weiterhin in identischer Form hinweist.

44

2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die mit dem Klageantrag zu 2) begehrte Feststellung, denn der streitgegenständliche Hinweis des Polizeipräsidiums war rechtmäßig.

45

Der behördliche Hinweis auf die – nach Ansicht des Polizeipräsidiums bestehende – Strafbarkeit der hier streitgegenständlichen Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ und deren Abwandlungen greift zumindest insoweit mittelbar-faktisch in die von Art. 8 Abs. 15 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Versammlungs- und Meinungsfreiheit des Klägers ein, als er von der Kundgabe dieser Meinung abschreckt bzw. abhält. Der Kläger war als Veranstalter und Leiter der Versammlung von diesem Eingriff auch individuell betroffen, da das faktische Nichtskandieren der Parole ihn in seinem Recht auf Bestimmung der den spezifischen Versammlungscharakter bestimmenden, der Verwirklichung seines kommunikativen Versammlungsanliegens dienenden konkreten Versammlungsmodalitäten beeinträchtigt hat.

46

Der Eingriff in die Grundrechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist indes gerechtfertigt, weil der streitgegenständliche behördliche Hinweis den rechtlichen Anforderungen genügt hat.

47

Die an behördliche Hinweise zu stellenden rechtlichen Anforderungen richten sich nach den Grundsätzen für die Rechtmäßigkeit amtlicher Äußerungen.

48

Amtliche Äußerungen mit Eingriffsqualität sind danach gerechtfertigt, wenn sich der Amtsträger mit seinen Äußerungen im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs bewegt (hierzu unter a.) und die rechtsstaatlichen Anforderungen in der Form des Sachlichkeitsgebots (hierzu unter b.) sowie des Verhältnismäßigkeitsgebots (hierzu unter c.) gewahrt sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, juris, Rn. 71 ff.; BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2022 – 6 C 11.20 –, juris, Rn. 28; OVG NRW, Urteil vom 28. November 2022 – 5 A 2808/19 –, juris, Rn. 80 f. m.w.N.

49

Der streitgegenständliche Hinweis des Polizeipräsidiums genügt diesen rechtlichen Anforderungen.

50

a. Das Polizeipräsidium bewegte sich mit dem beanstandeten Hinweis auf eine Strafbarkeit der Parole im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs i.S.d. § 32 VersG NRW i.V.m. §§ 7 Abs. 1, 10 POG NRW i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW. Denn der Hinweis diente – jedenfalls aus dortiger Sicht – (auch) der vorbeugenden Verhinderung von Straftaten, nämlich solchen, die durch die Äußerung der streitgegenständlichen Parole aus Sicht des Polizeipräsidiums verwirklicht worden wären.

51

Einer über die allgemeine, in § 1 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW normierte Kompetenzzuweisung zur Straftatenverhütung bzw. vorbeugenden Straftatenbekämpfung hinausgehenden besonderen Ermächtigungsgrundlage bedurfte es dabei nicht. 

Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 – 1 BvR 670/91 –, juris, Rn. 76.

52

b. Die Äußerung wahrt auch die rechtsstaatlichen Anforderungen an das Sachlichkeitsgebot. Diese sind gewahrt, wenn mitgeteilte Tatsachen im Wesentlichen zutreffend wiedergegeben werden und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen. Werturteile müssen zudem auf einen im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern zurückzuführen sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. September 2017 – 10 C 6.16 –, juris, Rn. 26 ff.; OVG NRW, Urteil vom 28. November 2022 – 5 A 2808/19 –, juris, Rn. 80 f. m.w.N.

53

Rechtliche Wertungen sind dabei auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. November 2022 – 5 A 2808/19 –, juris, Rn. 82 f.; Beschlüsse vom 20. April 2020 – 13 B 1466/19 –, juris, Rn. 27 und vom 23. April 2012 – 13 B 127/12 –, juris, Rn. 16.

54

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der beanstandete behördliche Hinweis beruht auf einem im Wesentlichen zutreffenden bzw. zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern. Sachfremde Erwägungen des Polizeipräsidiums sind nicht ersichtlich.

55

Der ausdrückliche Verweis im streitgegenständlichen Hinweis auf die entsprechende Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaften sowie die Rechtsprechung trifft zu. Insbesondere hat das Verwaltungsgericht Köln – wie im streitgegenständlichen Hinweis zitiert – mit Beschluss vom 17. November 2023 ausgeführt, dass u.a. der Parole „Vom Jordan bis zum Mittelmeer“ eine „klare islamistische, antiisraelische, antisemitische und anderweitig verhetzende Färbung“ zugeschrieben werden könne. 

VG Köln, Beschluss vom 17. November 2023 – 20 L 2308/23 –, juris, Rn. 12.

56

Der Wahrung des Sachlichkeitsgebots steht dabei nicht entgegen, dass der Hinweis konkret (nur) auf eine Strafbarkeit nach § 130 StGB bzw. § 140 StGB abstellt. Zwar dürfte sich im Rahmen einer Strafbarkeitsprüfung nach § 130 Abs. 1 StGB der dort zu fordernde notwendige inländische Gruppenbezug und bei einer Strafbarkeitsprüfung nach § 140 StGB eine Auslegung zwingend als „Billigung“ der Angriffe der HAMAS am 7. Oktober 2023 als problematisch erweisen,

vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 50; HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 –, juris, Rn. 20 ff., 23, 25; OVG Bremen, Beschluss vom 30. April 2024 – 1 B 163/24 –, juris, Rn. 24 ff.; VG Münster, Beschluss vom 17. November 2023 – 1 L 1011/23 –, juris, Rn. 25; a.A. noch HessVGH, Beschluss vom 14. Oktober 2023 – 2 B 1423/23 –, juris, Rn. 30; VGH BW, Beschluss vom 21. Oktober 2023 – 3 S 1669/23 –, juris, Rn. 10; offenlassend VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 11,

insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei der rechtlichen Bewertung einer Strafbarkeit nach §§ 130, 140 StGB bei – wie hier – im Einzelfall mehrdeutigen Äußerungen stets diejenige Auslegungsvariante zugrunde zu legen ist, die noch von der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt ist,

vgl. statt vieler BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 – 6 C 8.21 –, juris, Rn. 30 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG; OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 30,

 und zudem bei Meinungsäußerungsdelikten stets die konkreten Einzelfallumstände zu betrachten sind.

Vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 25. August 1994 – 1 BvR 1423/92 –, juris, Rn. 21 ff. m.w.N. und vom 9. November 2022 – 1 BvR 523/21 –, juris, Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 26. April 2023 – 6 C 8.21 –, juris, Rn. 29 f.; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2022 – 15 B 584/22 –, juris, Rn. 15; VG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2023 – 18 L 3167/23 –, juris, Rn. 30 f.

57

Die Kammer sieht sich angesichts der aktuellen (rechts-) politischen Diskussion zu der ausdrücklichen Klarstellung veranlasst, dass das Verwenden der Parole „From the river to the sea [Palestine will be free]“ nicht per se strafbar ist. Ob ihr Ausruf allerdings – wie das Polizeipräsidium meint – im Kontext der Versammlung des Klägers am 2. Dezember 2023 (gerade) in den Anwendungsbereich der Straftatbestände der §§ 130, 140 StGB fällt, bedarf vorliegend keiner Klärung.

Siehe zum Ganzen VGH BW, Beschlüsse vom 3. April 2023 – 2 S 496/24 –, juris, Rn. 7, und vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 11, 23 [„Das Äußern dieser Parole ist mit anderen Worten kei-neswegs generell strafbewehrt.“]; OVG Bremen, Beschluss vom 30. April – 1 B 163/24 –, juris, Rn. 22 ff., 29 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2024 – 1 L 261/24 –, juris, Rn. 13. Von der fehlenden Strafbarkeit ebenfalls ausgehend VG Berlin, Urteil vom 23. August 2023 – 24 K 7/23 –, juris, Rn. 34 ff. mit ausführlicher Begründung; vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 u.a. –, juris, Rn. 20 ff.; LG Mannheim, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 5 Qs 42/23 –, juris, Rn. 9. Zur Literatur siehe Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780/1781 [„regelmäßig nicht strafbar“]); siehe auch Steinberg, Versammlungsfreiheit nach dem 7. Oktober, NVwZ 2024, 302 ff.; Kalscheuer, Anm. zu VGH Kassel, Beschluss vom 22. März 2024, NVwZ 2024, 851 ff.; Jendrusch, From the river to the sea – Zur Kritik am VGH Kassel, NVwZ 2024, 1069 ff.; siehe auch „Eine Frage an Thomas Fischer: Ist Jubel über Terror strafbar?“, LTO-online, 16. Oktober 2023 (abgerufen am 24. September 2024); Hahne, Pro-Palästinensische Demonstrationen im Lichte des Versammlungsrechts, NVwZ, 1793 ff.; „Terrorparole oder Slogan der Freiheit?“, FAZ vom 13. Juni 2024, S. 8.

58

Denn im maßgeblichen Zeitpunkt der Hinweiserteilung war jedenfalls die Annahme eines Anfangsverdachts (vgl. § 152 Abs. 2 StPO) einer Strafbarkeit der Parole nach § 130 StGB bzw. § 140 StGB – nach dem für den hier streitgegenständlichen Hinweis relevanten Prüfungsmaßstab – vertretbar.

Vgl. zur Annahme eines Anfangsverdachts insoweit ausdrücklich VGH BW, Beschluss vom 21. Oktober 2023 – 3 S 1669/23 –, juris, Rn. 10; Hahne, Propalästinensische Demonstrationen im Lichte des Versammlungsrechts, NVwZ 2023, 1793 ff.; Kolter, Nach Hamas-Verbot durch BMI: „From the river to the sea“ plötzlich straf…, in: Legal Tribune Online, 15. November 2023, abrufbar unter https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hamas-parole-river-sea-palaestina-palestine-free-israel-antisemitisch-antisemitismus-billigung; zu einer Strafbarkeit nach § 140 StGB Fischer, Ist Jubel über Terror strafbar?, in: Legal Tribune Online, 16. Oktober 2023, abrufbar unter https://www.lto.de/persistent/a_id/52929

59

Im Übrigen sind die rechtsstaatlichen Anforderungen an das Sachlichkeitsgebot nicht zu überspannen. Maßgeblich ist, wie ausgeführt, dass die beanstandete behördliche Äußerung auf einen im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruht. Dabei ist – im Hinblick auf die vorzunehmende Abwägung zwischen den Grundrechten des Klägers sowie der effektiven Aufgabenwahrnehmung des beklagten Polizeipräsidiums – auch die Eingriffswirkung der behördlichen Äußerung einzustellen. Dies zugrunde gelegt diente der Hinweis, wie ausgeführt, der Straftatenverhütung bzw. vorbeugenden Straftatenbekämpfung durch Abschreckung bzw. Abhaltung von der Skandierung der Parole. Anders als der Kläger meint, macht insoweit weder die ausdrückliche Angabe von Strafnormen, bei denen nach rechtlicher Prüfung die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall möglicherweise im Ergebnis nicht vorliegen, noch die Formulierung „Erfüllung der Straftatbestände“ statt eines bloßen Verweises auf den zum repressiven Einschreiten erforderlichen, aber auch ausreichenden Anfangsverdacht den Hinweis im Wesentlichen unzutreffend, sofern sich der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit jedenfalls aus einer anderen Strafnorm ergeben kann.

60

So liegt hier der Fall. Denn jedenfalls lag hier bei der Verwendung der Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Versammlung am 2. Dezember 2023 der Anfangsverdacht einer Straftat nach §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 86 Abs. 1 und 2 StGB vor.

61

Nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3 StGB) verwendet. Gemäß § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB sind Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Nach § 86a Abs. 3 StGB gilt u.a. § 86 Abs. 4 StGB entsprechend. Die zuletzt genannte Vorschrift bestimmt, dass die Absätze 1 und 2 (des § 86 StGB und entsprechend des § 86a StGB) nicht gelten, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.

62

Die Regelungen der §§ 86, 86a StGB stellen keine gegen die individuelle Meinungsäußerung gerichteten Straftatbestände dar. Vielmehr handelt es sich um Staatsschutzdelikte im Sinne von „mittelbaren Organisationsdelikten“, die als abstrakte Gefährdungsdelikte eine inhaltliche Werbung für die Ziele verfassungsfeindlicher Organisationen verhindern sollen.

Vgl. Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl. 2024, § 86 Rn. 2, § 86a, Rn. 2.

63

Demgegenüber stellt die gegenüber § 86a StGB subsidiäre Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG die Verwendung von Kennzeichen eines in Deutschland vollziehbar verbotenen Vereins – wie etwa Samidoun – in einer Versammlung unter Strafe; hierbei gilt § 9 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 VereinsG entsprechend (§ 20 Abs. 1 Satz 2 VereinsG).

64

Die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ stellt ein Kennzeichen der auf der sog. EU-Terrorliste als Organisation gelisteten, mithin als Terrororganisation im Sinne von §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 2 StGB anzusehenden, siehe dazu nur EuGH, Urteil vom 23. November 2021 – C-833/19 P –, juris. Zu den näheren Voraussetzungen des § 86 Abs. 2 StGB und zum Verhältnis zur nebenstrafrechtlichen Norm des § 20 VereinsG siehe Ellbogen, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, 62. Edition, Stand: 1. August 2024, § 86, Rn. 21 ff. und zudem mit Verfügung des BMI vom 2. November 2023 (BAnz AT 02.11.2023 B 10) in Deutschland vollziehbar mit einem Betätigungsverbot belegten HAMAS dar (hierzu aa.), deren Verwendung bei der hier im Einzelfall zu betrachtenden Versammlung des Klägers am 2. Dezember 2023 auch nicht deshalb ausnahmsweise zulässig war, weil eindeutig erkennbar kein Zusammenhang mit der HAMAS bestand (hierzu bb.).

65

aa. Die Parole „From the river to the sea“ stellt ein Kennzeichen der HAMAS i.S.d. § 86a Abs. 2 StGB dar.

66

Die Kennzeicheneigenschaft folgt dabei nicht schon aus der Benennung der Parole in der Verbotsverfügung des BMI selbst. Denn die Verbotsverfügung hat, sofern sie wie hier zum maßgeblichen Zeitpunkt lediglich vollziehbar und noch nicht unanfechtbar i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB ist, im Rahmen der Strafbarkeit gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2 StGB (Verwenden eines Kennzeichens einer auf der sog. EU-Terrorliste aufgeführten Organisation) keine Relevanz.

Vgl. insoweit zur Frage der Relevanz der Benennung der Parole in der Verbotsverfügung des BMI im Rahmen der zu § 86a StGB subsidiären Strafbarkeitsprüfung nach § 20 Abs. 1 VereinsG BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 VR 14.17 –, juris, Rn. 17 f.; BayVGH, Beschluss vom 26. Juni 2024 – 10 Cs 24.1062 –, juris, Rn. 27; VG Düsseldorf, Urteil vom 25. September 2024 – 18 K 3322/24 –, S. 17 f. des Entscheidungsabdrucks (noch nicht veröffentlicht), wonach die Benennung lediglich als deklaratorischer Hinweis auf ein gesetzesunmittelbares Verbot anzusehen ist; vgl. auch Albrecht, in: Albrecht/Roggenkamp, Vereinsgesetz, Kommentar, 2. Auflage, 2024, § 3 Rn. 21.

67

Für eine Strafbarkeit nach §§ 86a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 86 Abs. 1 und 2 StGB bedarf es vielmehr einer konkreten Zuordnung der Parole zu der Terrororganisation HAMAS als ihr Kennzeichen. Dies ist aus Sicht der Kammer anzunehmen.

68

Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Zwar sind nach § 86a Abs. 2 Satz 1 StGB Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 dieser Vorschrift namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift stehen den in Satz 1 genannten Kennzeichen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. In dieser Vorschrift findet sich allerdings keine allgemeingültige Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals. In der Rechtsprechung werden als Kennzeichen im Sinne von § 86a Abs. 2 StGB – ebenso wie für § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG – optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen begriffen, durch die die Vereinigung auf sich und ihre Zwecke hinweist; intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Mitglieder stärken. Die öffentliche Verwendung der Kennzeichen ist danach ein Beitrag zur Erhaltung des Bestands einer Vereinigung, zudem Mitgliederwerbung und Selbstdarstellung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 2020 – 1 BvR 2067/17 –, juris, Rn. 29; BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2024 – 6 B 3.24 –, juris, Rn. 11 m.w.N. zur Rechtsprechung insb. des BGH; OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 – 15 A 1270/20 –, juris, Rn. 70 ff.; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15 –, juris, Rn. 13 m.w.N.

69

Für die Kennzeicheneigenschaft ist es unerheblich, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Vereinigung oder Organisation besitzt und ob das Kennzeichen mehrdeutig ist und deshalb auch in unverfänglichen Zusammenhängen Verwendung findet.

VGH BW, Beschluss vom 21. Juni – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 18; Ellbogen, in: v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BeckOK StGB, 61. Ed., § 86a Rn. 4 m.w.N.

70

Ausreichend ist, dass sich eine Vereinigung ein bestimmtes Symbol – etwa durch formale Widmung oder durch schlichte Übung – derart zu eigen gemacht hat, dass dieses zumindest auch als ihr Kennzeichen erscheint, ohne dass es auf eine Unverwechselbarkeit des Kennzeichens ankommt. Ob dieses auch von anderen, nicht verbotenen Vereinigungen oder in gänzlich anderem Kontext genutzt wird, ist für die Frage der Kennzeicheneigenschaft ohne Bedeutung. Auch kommt es für die Kennzeicheneigenschaft grundsätzlich nicht darauf an, unter welchen Umständen das Kennzeichen gezeigt wird; ebenso ist die Absicht des Handelnden nicht von Bedeutung. Denn andernfalls würden in die Prüfung, ob überhaupt ein Kennzeichen vorliegt, letztlich die außerhalb desselben liegenden Umstände seiner Verwendung einbezogen; eine solche Gesamtbetrachtung ist indes wegen der damit verbundenen nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit und die Bestimmtheit des Tatbestands abzulehnen. Ein Kennzeichen muss vielmehr in seinem auf die verbotene Vereinigung hinweisenden Symbolgehalt aus sich heraus verständlich sein. 

Vgl. OVG NRW Urteil vom 8. Januar 2024 – 15 A 1270/20 –, juris, Rn. 72, sowie Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 51; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15 –, juris, Rn. 13, m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 – 206 StRR 27/22 –, juris, Rn. 23; OVG Bremen, Urteil vom 25. Oktober 2005 – 1 A 144/05 –, juris, Rn. 22.

71

Nach Ansicht der Kammer hat sich die HAMAS die Parole „From the river to the sea“ jedenfalls durch ständige Übung derart zu eigen gemacht, dass diese zumindest auch als Parole der HAMAS erscheint, ohne dass es, wie ausgeführt, auf deren Unverwechselbarkeit ankommt.

Vgl. zur Zuordnung der Parole als Kennzeichen der HAMAS unter dem Maßstab des Eilverfahrens bereits OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 55; VGH BW, Beschlüsse vom 3. April 2024 – 2 S 496/24 –, juris, Rn. 9, und vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 18; OVG Bremen, Beschluss vom 30. April 2024 – 1 B 163/24 –, juris, Rn. 30; SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 – 1 B 116/24 –, juris, Rn. 24 ff.; VG Berlin, Beschluss vom 20. Dezember 2023 – 1 L 507/23 –, juris, Rn. 14; VG München, Beschluss vom 8. August 2024 – M 10 S 24.4736 –, juris, Rn. 23.

72

Dabei ist nach dem Vorstehenden ohne Bedeutung, dass auch andere Vereinigungen oder Personen diese Parole nutzen, die als zunächst geografische Aussage mit gänzlich unterschiedlichen politischen Stellungnahmen bzw. Forderungen verbunden werden kann und ihrerseits grundsätzlich mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt. 

Vgl. hierzu etwa SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 – 1 B 116/24 –, juris, Rn. 24 f.; OVG Bremen, Beschluss vom 20. April 2024 – 1 B 163/24 –, juris, Rn. 23 m.w.N.; HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 –, juris, Rn. 21 m.w.N.; VG Berlin, Urteil vom 23. August 2023 – 24 K 7/23 –, juris, Rn. 35 ff. m.w.N.; LG Mannheim, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 5 Qs 42/23 –, juris, Rn. 11 ff. m.w.N.

73

Die Zuordnung der Parole „From the river to the sea“ zur HAMAS ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus nachfolgenden Erkenntnissen, die sie aus öffentlich zugänglichen Quellen (jeweils zuletzt abgerufen am 24. September 2024) gewinnen konnte, wobei zu beachten ist, dass die Erkenntnisse diese Einschätzung bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des streitgegenständlichen Hinweises im Bescheid vom ... stützten. Im Einzelnen gilt Folgendes:

74

Der Slogan findet sich in der Charta der HAMAS von 2017,

s. Art. 20 („Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer“), zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf, 

mit deren Text die HAMAS sich selbst ein eigenes Programm im Sinne eines politischen Selbstverständnisses gegeben hat.

Vgl. die Formulierung in der Präambel der Charta 2017: „Als Bewegung sind wir uns sowohl in der Theorie als auch in der Praxis über die Vision einig, die auf den folgenden Seiten skizziert wird“ und die Formulierung in der Präambel der Gründungscharta von 1988: „Dies ist die Charta der Islamischen Widerstandsbewegung. Sie legt dar, was die Bewegung ist: Ihre Identität, ihren Standpunkt, ihre Ambitionen und ihre Hoffnungen“, zit. jeweils nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter:https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf; 

Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.

75

Dass es sich hierbei lediglich um eine geografisch beschreibende Verwendung der Wörter und nicht um einen Ausspruch in Form einer Parole handele,

vgl. hierzu LG Mannheim, Beschluss vom 29. Mai 2024 – 5 Qs 42/23 –, juris, Rn. 12,

vermag die Kammer nicht festzustellen. Im Gegenteil wird der Ausspruch von der HAMAS ständig und wiederkehrend als Parole im Sinne eines Aufrufs genutzt und sich auch insofern durch Übung zu eigen gemacht, 

vgl. insoweit statt vieler die Wiedergabe von Äußerungen von verschiedenen HAMAS-Mitgliedern: „People of Jerusalem, we want you to cut off the heads of the Jews with knives (…) Oh Allah, bring annihilation upon the Jews (…) We will die while exploding and cutting the necks and legs of the Jews (…) from the river to the sea“, zu sehen im Video: @todayunpacked – Is „From the river to the sea“ a real solution? (ab Minute 00:46), abrufbar unter https://www.youtube.com/shorts/-6OzY1GMrCo; 

vgl. auch die Äußerung von Chalid Maschal, Vorsitzender des Politbüros der HAMAS, in einer Rede von Dezember 2012: „The state will come from resistance, not negotiation. Liberation first, then statehood. Palestine is ours from the river to the sea (…). There will be no concession on any inch of the land. We will never recognize the legitimacy of the Israeli occupation, and therefore there is no legitimacy for Israel… We will free Jerusalem inch by inch, stone by stone. Israel has no right to be in Jerusalem.”, abrufbar unter https://www.wilsoncenter.org/article/doctrine-hamas;

insbesondere auch nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023.

Vgl. die Aussage von Chalid Maschal: „Obviously, the position of HAMAS (…), especially following October 7, I believe that the dream and the hope for Palestine from the River to the Sea (…)“, zu sehen im Video: MEMRI TV Videos – „Hamas Leader Abroad: October 7 Shows Liberating Palestine from the River to the Sea Is Realistic“ (ab Minute 2:40), abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=ULjTL9IYwkQ.

76

Nach den der Kammer vorliegenden, aus öffentlichen Quellen zugänglichen Erkenntnissen und mit Blick auf die Ausführungen in der Gründungscharta von 1988 und denjenigen in der Charta von 2017 nutzt die HAMAS die Parole „From the river to the sea“ im Sinne einer gewaltgeprägten Vernichtungsabsicht des Staates Israel.

77

So formuliert die Charta von 2017 etwa: „Das zionistische Projekt ist ein rassistisches, aggressives, koloniales und expansionistisches Projekt. (…) Das israelische Staatsgebilde ist der Spielball des zionistischen Projekts und seine Basis Aggression“ (Artikel 14). Die Aussage bezieht sich mithin auf Israel, unabhängig von der Frage der Grenzen von 1967 oder den Siedlungsprojekten; es geht um eine grundsätzliche Delegitimation des Staates. Entsprechend gilt die Gründung von „Israel“ als illegal, was auch die bewusst gesetzten Anführungszeichen den Lesern veranschaulichen sollen (vgl. Artikel 18). In Artikel 20 wird schließlich ausgeführt: „HAMAS lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab“. „Widerstand und Dschihad für die Befreiung von Palästina“ bleibt nach Artikel 23 der Charta ein „legitimes Recht“, was auch entsprechende Gewalttaten als konkrete Praxis miteinschließt. Alle Handlungsweisen entsprächen legitimen Rechten, im Mittelpunkt stehe der „bewaffnete Widerstand“ (vgl. Artikel 25).

Vgl. Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.

78

Nach Auffassung der HAMAS sind Maßnahmen des israelischen Staates sowie die Balfour-Erklärung und die UNO-Resolution zur Teilung Palästinas „null und nichtig“.

Vgl. Art. 10, 11 und 18, zit. jeweils nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf.

79

Die Gründungscharta der HAMAS von 1988 ruft weitergehend ganz offen zur Tötung von Juden als Mittel auf, um das Ziel eines islamischen Palästinenserstaates zu erreichen.

Vgl. Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.

80

Danach sollen „Juden und der Staat Israel“ bis zur Vernichtung und Zerschlagung gewalttätig bekämpft werden.

Vgl. die Formulierung in Art. 7 der Gründungscharta von 1988: „Die islamische Widerstandsbewegung ist ein Glied in der Kette des Dschihad gegen die zionistische Invasion. (…) Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken.“ sowie in Art. 28: „Israel fordert durch seinen jüdischen Charakter und seine jüdischen Einwohner den Islam und die Muslime heraus“, zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf;

vgl. Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/.

81

Nach Art. 13 der Gründungscharta der HAMAS von 1988 stehen „sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen zur Lösung der Palästina-Frage“ im „Widerspruch zur Ideologie der Islamischen Widerstandsbewegung“.

Vgl. auch die weitergehende Formulierung in Art. 13 der Gründungscharta von 1988: „Die Palästina-Frage kann nur durch den Dschihad gelöst werden. Initiativen, Vorschläge und internationale Konferenzen sind sinnlose Zeitvergeudung, frevelhaftes Spiel“ und in Art. 15: „Gegenüber der Usurpierung Palästinas durch die Juden muß zwingend das Banner des Dschihad erhoben werden.“, zit. nach Hamas: Die Charta der Hamas von 1988 und 2017 im Wortlaut – ins Deutsche übersetzt, mit Vorwort von Heinz Gess, in: Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft abrufbar unter: https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/charta%20der%20hamas.pdf.

82

Dabei bleibt das Verhältnis der neuen Charta von 2017 gegenüber der Gründungscharta von 1988 zwar unklar. Insbesondere bekundete die Führung der HAMAS nicht, ob es sich hierbei um eine Ergänzung oder Ersetzung handeln solle. Eine direkte Distanzierung gegenüber den Ausführungen in der ersten Charta erfolgte bis heute allerdings nicht, eine kritische Erörterung von deren Inhalten lässt sich ebenso wenig konstatieren. Insbesondere hinsichtlich der Vorgehensweise der sog. „Befreiung“ (Gewaltanwendung im Sinne von bewaffnetem Widerstand) nimmt auch die neue Charta von 2017 keine Einschränkungen vor. Nach wissenschaftlicher Einschätzung sind beide Texte daher zusammen zu lesen, wobei die formale Mäßigung im Text der Charta 2017 politische Anerkennung und öffentliche Wirkung zum Ziel gehabt habe. Es sei nicht um eine ideologische Änderung, sondern vielmehr um eine strategische Täuschung gegangen.

So Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, abrufbar unter https://www.bpb.de/themen/islamismus/dossier-islamismus/36358/antisemitismus-und-antizionismus-in-der-ersten-und-zweiten-charta-der-hamas/; zur strategischen Täuschung auch: Jeffrey Herf, „From the river to the sea – When Hamas revised its charter in 2017, it tapped into the narratives of the global left – with stunning effects“, abrufbar unter https://www.americanpurpose.com/articles/from-the-river-to-the-sea/.

83

bb. Die Verwendung der Parole war hier auch nicht absehbar nach §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB ausnahmsweise erlaubt.

84

Gemäß §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB ist eine Strafbarkeit nicht anzunehmen, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Ein strafbares „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation scheidet demnach nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus, wenn der mit seinem Gebrauch verbundene Aussagegehalt nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft. Bei der Prüfung, ob die Verwendung eines Kennzeichens auch einer verbotenen Organisation dem Schutzzweck des § 86a StGB eindeutig nicht zuwiderläuft, kann in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Symbols selbst zurückgegriffen werden; denn dieses lässt bei isolierter Betrachtung meist gerade nicht erkennen, ob es als Kennzeichen der verbotenen Organisation oder zu anderen, nicht zu beanstandenden Zwecken verwendet wird. Vielmehr ist den Anforderungen, die die Grundrechte etwa der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG), aber auch der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falls ermittelt wird. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm – der effektive Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung und die Wahrung des politischen Friedens –,

vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 –, juris, Rn. 5; Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86a Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 86a Rn. 1; Renzikowski, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth, VersammlungsR, 2. Aufl. 2020, § 86a StGB Rn. 1,

eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, weil dieses nicht als solches der für verfassungswidrig erklärten bzw. verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, so ist der objektive Tatbestand der Norm nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfüllt.

OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 – 15 A 1270/20 –, juris, Rn. 114; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 53 unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 3. November 1987 – 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85 –, juris, Rn. 39, vom 9. Juli 2020 – 1 BvR 2067/17 –, juris, Rn. 42, und vom 1. Juni 2006 – 1 BvR 150/03 –, juris, Rn. 17; BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 33/15 –, juris, Rn. 22 f.; BayObLG, Beschluss vom 14. Juli 2022 – 206 StRR 27/22 –, juris, Rn. 26; BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 25.17 –, juris, Rn. 62. Siehe zu den Tatbeständen der §§ 86, 86a StGB Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86 Rn. 39; Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl. 2024, § 86 Rn. 17, und ders., § 86a Rn. 18, 20.

85

Ist der Aussagegehalt eines verwendeten Kennzeichens also mehrdeutig oder eine behauptete Gegnerschaft bei der Verwendung des Kennzeichens nur undeutlich erkennbar, so ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt.

BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 –, juris, Rn. 12; Anstötz, in: MüKom StGB, 4. Aufl. 2021, § 86a Rn. 21.

86

Diese Auslegung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf den Straftatbestand des §§ 86a Abs. 3 i.V.m. 86 Abs. 4 StGB, wonach die weite Fassung des § 86a StGB eine Restriktion des Tatbestands in der Weise erfordert, dass solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm „eindeutig“ nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken, nicht dem objektiven Tatbestand unterfallen. Mit dieser Rechtsprechung wird einerseits dem Anliegen, verbotene Kennzeichen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen, andererseits den hohen Anforderungen, die das Grundrecht der freien Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 und 2 GG an die Beurteilung solcher kritischen Sachverhalte stellt, Rechnung getragen. Dementsprechend erfüllt die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder verbotener Vereinigungen in Darstellungen, bei denen sich bereits aus ihrem Inhalt „in offenkundiger und eindeutiger Weise“ ergibt, dass sie in einem nachdrücklich ablehnenden Sinne gebraucht werden, und bei denen ein unbefangener Beobachter die Gegnerschaft somit auf Anhieb zu erkennen vermag, nicht den Straftatbestand des § 86a StGB.

VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 22 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06 –, juris, Rn. 4, 12; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 3 StR 164/08 –, juris, Rn. 28 m.w.N. Vgl. auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 –, juris, Rn. 29 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 1969 – 1 BvR 553/64 –, BVerfGE 25, 44-64.

87

Teilweise wird für das Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB darüber hinaus eine Verbindung zwischen dem Rufen der fraglichen Parole und der verbotenen Vereinigung ähnlich einem sog. Organisationsbezug gefordert, wie er im Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 VereinsG im Lichte des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu fordern ist.

VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 26 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 15. November 2001 – 1 BvR 98/97 –, juris, Rn. 24 ff.; zur Übertragung auf die § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB im Grundsatz entsprechende Vorschrift des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG s. HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 –, juris, Rn. 29 ff.; siehe dazu Kalscheuer, Anm. zu VGH Kassel, Beschluss vom 22. März 2024, NVwZ 2024, 851 ff.; Jendrusch, From the river to the sea – Zur Kritik am VGH Kassel, NVwZ 2024, 1069 ff.

88

Ein Organisationsbezug im zuvor genannten Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn jemand gleiche Meinungen vertritt wie die verbotene Organisation, wohl aber dann, wenn sich für einen unbefangenen Betrachter der Eindruck ergibt, es handele sich um eine Aktion unmittelbar zugunsten der verbotenen Organisation selbst.

BVerfG, Beschluss vom 15. November 2001 – 1 BvR 98/97 –, juris, Rn. 24; BayVGH, Beschluss vom 9. August 2024 – 10 CS 1382/24 –, juris, Rn. 22. Vgl. dazu auch HessVGH, Beschluss vom 22. März 2024 – 8 B 560/24 –, juris, Rn. 28 f.; SächsOVG, Beschluss vom 27. Juli 2024 – 1 B 116/24 –, juris, Rn. 18 ff.

89

Daraus folgt, dass bei Meinungsäußerungen, die eindeutig erkennbar keinen Zusammenhang zum Organisationsbereich der Terrororganisation HAMAS oder deren Wirken aufweisen, die Verwendung der Parole „From the river to the sea“ entweder (schon) nicht vom Tatbestand der Strafnorm umfasst oder im Einzelfall „sozialadäquat“ sein kann.

90

Zum vereinsrechtlichen Prüfungsmaßstab siehe auch OVG NRW, Urteil vom 8. Januar 2024 – 15 A 1270/20 –, juris, Rn. 114 ff. Weitere Hinweise zur Tatbestandseinschränkung aufgrund der Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 4 StGB bei v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, BeckOK StGB, 62. Edition, Stand 1. August 2024, § 86 Rn. 28 ff. Siehe auch Fischer, StGB, Kommentar, 71. Aufl. 2024, § 86a, Rn. 18, wonach solche Handlungen bereits tatbestandslos sind und diese tatbestandliche Restriktion unabhängig von § 86a Abs. 3 StGB greift.

91

Ungeachtet der dogmatischen Einordnung der Sozialadäquanzklausel und des (tatbestandlichen) Erfordernisses des Organisationsbezugs liegt eine zulässige Verwendung der Parole „From the river to the sea“ bei den hier im Einzelfall zu betrachtenden Gesamtumständen der streitgegenständlichen Versammlung des Klägers am 2. Dezember 2023 jedenfalls fern.

Vgl. in diese Richtung bereits OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 55; vgl. auch VGH BW, Beschlüsse vom 3. April 2024 – 2 S 496/24 –, juris, Rn. 12, und vom 17. Dezember 2023 – 12 S 1947/23 –, juris, Rn. 36.

92

Denn vorliegend ergibt sich bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung der streitgegenständlichen Demonstration am 2. Dezember 2023, insbesondere im Hinblick auf deren Motto, Zeit, Ort, Art der Durchführung und den erwarteten Teilnehmerkreis der Versammlung, ein Bild, bei dem es bei der beabsichtigten Verwendung der Parole für einen objektiven Betrachter an einer von außen erkennbaren Distanzierung von der HAMAS fehlt. Ein unbefangener Beobachter konnte zum damaligen Zeitpunkt gerade nicht auf Anhieb erkennen, dass die Parole im Rahmen der Versammlung am 2. Dezember 2023 – wie es der hiesige Maßstab bei § 86a StGB erfordert – eindeutig nicht als Kennzeichen der verbotenen HAMAS verwendet werden soll und das Rufen stattdessen ausnahmslos von § 86 Abs. 4 StGB erfasst oder unter sonstige Sozialadäquanzfallgruppen fallen würde.

Vgl. zum insoweit gleichlautenden Prüfungsmaßstab VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 24; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 9. Juli 2024 – 1 L 261/24 –, juris, Rn. 11 ff. Im Ergebnis ähnlich BayVGH, Beschluss vom 9. August 2024 – 10 CS 24.1382 –, juris, Rn. 25; vgl. auch Hippeli, Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen – Parole „From the river to the sea“, NJW 2024, 1780 ff.

93

Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

94

Sowohl die streitgegenständliche pro-palästinensische Versammlung des Klägers als auch das Versammlungsmotto „Stoppt die Aggression“ sind zeitlich und inhaltlich im Zusammenhang mit dem terroristischen Überfall der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 und den darauffolgenden Gegenreaktionen Israels im Gaza-Streifen zum Zwecke der Bekämpfung der HAMAS sowie zur Befreiung der von der HAMAS am 7. Oktober 2023 entführten Geiseln zu sehen. In die Bewertung ist daher einzustellen, dass die streitgegenständliche Versammlung des Klägers – inhaltlich – im Kontext des nach dem 7. Oktober 2023 neu entflammten Nahost-Konflikts erfolgte, in dem die Terrororganisation HAMAS gerade einen der Hauptakteure darstellt.

So auch OVG NRW, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23 –, juris, Rn. 55.

95

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die streitgegenständliche Demonstration am 2. Dezember 2023 zeitlich keine zwei Monate nach dem Terrorangriff der HAMAS am 7. Oktober 2023 auf Israel sowie genau einen Monat nach Vollziehung der Verbotsverfügung des BMI vom 2. November 2023 in Bezug auf die HAMAS stattfinden sollte, wobei seit dem Terrorangriff der HAMAS am 7. Oktober 2023 fortwährend im Rahmen breiter medialer Berichterstattung, auch in sozialen Medien, über die Strafbarkeit der Parole diskutiert wurde, seit der Verbotsverfügung des BMI insbesondere auch über eine Zuordnung der Parole als Kennzeichen der HAMAS.

96

In die Bewertung einzustellen ist zudem die beachtliche Breitenwirkung der streitgegenständlichen Versammlung. So sollte die Versammlung in Form eines Aufzuges durch die Innenstadt der Landeshauptstadt L an einem Samstagnachmittag in der Vorweihnachtszeit durchgeführt werden. Konkret sollte die kooperierte Aufzugstrecke u.a. über die stark frequentierte P.-Allee führen und mit einer Abschlusskundgebung am O.-Platz enden. Dabei wurde ein Teilnehmerkreis von ca. 500 Personen erwartet und war die Nutzung von Hilfsmitteln wie etwa Plakaten, Bannern, Fahnen, Bühnen, Lautsprechern, Megafonen, zwei Fahrzeugen, einem Pavillon und einem Beamer/Projektor beabsichtigt.

97

Hinzu kommt, dass die streitgegenständliche Demonstration – wie auch die bereits zuvor in L durchgeführten Versammlungen etwa am 14. Oktober 2023, an der der Kläger nach seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung teilgenommen und die ihn sodann zur Veranstaltung eigener Versammlungen veranlasst hatte, die sodann von dem Kläger selbst angezeigten Versammlungen am 21. Oktober 2023 mit ca. 7.000 Teilnehmern unter dem Motto „Verurteilung der Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza“ und am 18. November 2023 mit ca. 1.500 Teilnehmern unter dem Motto „Stoppt die Aggression“ sowie die Großdemonstration am 4. November 2023 mit ca. 17.000 Versammlungsteilnehmern unter dem Motto „Menschenrechtdemo #humansunderattack #standwithhumanity“, der sich der Kläger mit seiner Demonstration angeschlossen hatte – sowohl unter dem Instagram-Profil „demonstration_nrw“ (Großdemonstration Nordrhein-Westfalen) als auch unter dem Instagram-Profil „Palästina Solidarität Duisburg“ im Vorfeld der jeweiligen Versammlungen aktiv beworben wurde. Fotos sowie Videos über den Ablauf der Demonstrationen in L einschließlich der Reden wurden auf den beiden vorgenannten Instagram-Profilen wechselseitig veröffentlicht und verlinkt. Dabei wurde insbesondere die Demonstration am 14. Oktober 2023 nach deren Durchführung in den sozialen Medien (zuletzt abgerufen am 24. September 2024) mit dem Hashtag „muqawama“, dem arabischen Wort für Widerstand und zugleich Namensbestandteil der HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya), beworben.

Vgl. auch die Anlage 34 bzw. 64 zur Verbotsverfügung „Palästina Solidarität Duisburg“, abrufbar unter https://static1.squarespace.com/static/6666a7a4f7f14d12804609d1/t/6671d2473117cf236dcbb474/

1718735447349/Verbotsverfügung-PSDUgeschwärzt.pdf/.

98

Bei lebensnaher Betrachtung musste daher damit gerechnet werden, dass aufgrund der genannten äußeren Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls der unbefangene, außenstehende Beobachter das Rufen dieser Parole während der streitgegenständlichen Versammlung am 2. Dezember 2023 in L zu einem erheblichen Teil als Aktion zugunsten der verbotenen Vereinigungen HAMAS auffassen würde.

Vgl. insoweit auch VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 26; VG München, Beschluss vom 8. August 2024 – M 10 S 24.4736 –, juris, Rn. 23 f.

99

Belastbare Anhaltspunkte dafür, dass die Parole ausschließlich und eindeutig in sonstiger Weise sozialadäquat im Rahmen der Versammlung verwendet werden sollte, hat der Kläger weder zur Überzeugung der Kammer vorgetragen noch sind diese sonst ersichtlich.

100

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat, für ihn drücke der Slogan den Wunsch des palästinensischen Volkes aus, „in Freiheit und ohne Besatzung“ zu leben, und er müsse sich nicht davon abhalten lassen, diesen Slogan zu benutzen, nur, weil eine verbotene Terrororganisation die Parole ebenfalls nutze, verkennt er die für eine Strafbarkeit nach den §§ 86a, 86 StGB entscheidenden rechtlichen Maßstäbe. Wie zuvor unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung ausgeführt, ist die Verwendung der hier streitgegenständlichen Parole als Kennzeichen der HAMAS grundsätzlich verboten und einzig im Falle einer eindeutig oder offenkundig sozialadäquaten Verwendung ausnahmsweise straflos. Eine solche eindeutige und erkennbare Distanzierung von dem Bezug der Parole zur HAMAS hat der Kläger in Bezug auf die streitgegenständliche Versammlung nicht zur Überzeugung der Kammer darzulegen vermocht. 

Vgl. zu diesem – jedenfalls im Ansatz bestehenden – Darlegungserfordernis VG München, Beschluss vom 8. August 2024 – M 10 S 4736/24 –, juris, Rn. 24; vgl. auch VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 24.

101

Nichts anderes folgt aus dem Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wonach keine personelle oder inhaltliche Vernetzung mit der mittlerweile vollziehbar verbotenen Organisation „Palästina Solidarität Duisburg“ bestehe, er weder personell, inhaltlich noch technisch für Inhalte des Instagram-Accounts „demonstration_nrw“ verantwortlich sei und dieser, von einer Bekannten geführte Account die von ihm angezeigten und veranstalteten Versammlungen aufgrund von Meinungsverschiedenheiten seit Anfang dieses Jahres nicht mehr bewerbe. Ungeachtet des Umstandes, dass die Kammer bereits erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Angaben hat, da der Instagram-Account „demonstration_nrw“ (zuletzt abgerufen am 24. September 2024) sowohl vergangene als auch von dem Kläger für die Zukunft in L geplante pro-palästinensische Versammlungen weiterhin bewirbt (etwa die am 5. Oktober 2024),

vgl. etwa die Beiträge unter https://www.instagram.com/demonstration_nrw/reels/?hl=de,

kommt es hierauf angesichts des dargelegten Prüfungsmaßstabs für das Bestehen eines Anfangsverdachts nach §§ 86a, 86 StGB, der aufgezeigten Gesamtumstände hinsichtlich der streitgegenständlichen Demonstration am 2. Dezember 2023 und nicht zuletzt der zum damaligen Zeitpunkt – unstreitig noch erfolgten – aktiven Werbung für die streitgegenständliche Demonstration durch die genannten Instagram-Accounts nicht entscheidungserheblich an.

102

Soweit der Kläger schließlich vorträgt und sich von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat bestätigen lassen, dass seine Demonstrationen bisher (weitestgehend) friedlich und störungsfrei verlaufen seien und kein Bezug zur HAMAS zu erkennen gewesen sei, ist auch dies vorliegend unerheblich. Denn die Äußerung der streitgegenständlichen Parole „From the river to the sea“ und Abwandlungen ebendieser waren zuvor etwa für die Versammlung des Klägers am 18. November 2023 mittels beschränkender Verfügung vom 16. November 2023 (vgl. die dortige Ziffer II.) durch das beklagte Polizeipräsidium untersagt bzw. war durch den hier streitgegenständlichen Hinweis auf eine Strafbarkeit hingewiesen worden mit der Folge, dass die Parole als Kundgabemittel nicht verwendet wurde.

Vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 9. August 2024 – 10 CS 24.1382 –, juris, Rn. 23.

103

Schließlich liegt auch sonst nach Auswertung öffentlich zugänglicher Internetquellen (jeweils zuletzt abgerufen am 24. September 2024) zur Überzeugung der Kammer fern, dass die Parole bei der streitgegenständlichen Demonstration am 2. Dezember 2023 ausschließlich und eindeutig in sozialadäquater Weise bzw. ohne Bezug zur verbotenen Terrororganisation HAMAS verwendet worden wäre. So war etwa auf der von dem Kläger zuvor am 18. November 2023 veranstalteten Versammlung in L der Versuch von einem Ordner unternommen worden, das Schild einer an der Aufzugstrecke stehenden Passantin mit der Aufschrift „Free Gaza from HAMAS“ mit seiner Kufiya zu verdecken.

Vgl. https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/erneut-pro-palaestina-demo-in-duesseldorf-fotos_bid-101726827#20; https://rp-online.de/nrw/staedte/duesseldorf/duesseldorf-rund-1500-teilnehmer-bei-pro-palaestina-demo-am-181123_aid-101601057.

104

Dies zeigt nach Auffassung der Kammer exemplarisch, dass die erforderliche Distanzierung von der Terrororganisation HAMAS für einen unbefangenen Beobachter nicht nur nicht eindeutig erkennbar war, sondern eine solche Distanzierung in den Augen außenstehender Dritter sogar aktiv verhindert wurde.

105

Der Wahrung des Sachlichkeitsgebots steht – entgegen der Auffassung des Klägers – schließlich auch nicht entgegen, dass die streitgegenständliche Äußerung im Bescheid vom ... nicht ausdrücklich auch darauf hinweist, dass der Ausruf der Parole nicht generell, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls strafbar sei.

Vgl. hierzu auch VGH BW, Beschluss vom 21. Juni 2024 – 14 S 956/24 –, juris, Rn. 23; BayVGH, Beschluss vom 26. Juni 2024 – 10 CS 24.1062 –, juris, Rn. 28.

106

Denn die in Form des Hinweises geäußerte Wertung der Parole als strafbar bezieht sich – bereits aufgrund des Äußerungszusammenhangs im Bescheid vom ... – ersichtlich nur auf die Gesamtumstände der geplanten Versammlung am 2. Dezember 2023. Einzig die Gesamtumstände dieser Versammlung, die nach dem Vorstehenden eine ausnahmsweise sozialadäquate Verwendung der Parole für einen unbefangenen Beobachter nicht eindeutig und offenkundig erscheinen lassen, sind daher einzustellen. Angesichts dessen bedurfte es keiner Klarstellung in dem streitgegenständlichen Hinweis, dass in einem anderen Kontext ggf. auch eine nicht strafbare, sozialadäquate Verwendung der Parole grundsätzlich möglich ist.

107

c. Der streitgegenständliche behördliche Hinweis erweist sich auch als verhältnismäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert, dass das staatliche Verhalten zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen ist. Es ist geeignet, wenn der gewünschte Erfolg mit seiner Hilfe gefördert werden kann, und erforderlich, wenn es aus den zur Erreichung des Zwecks gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, d.h. das die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende, Mittel ist. Schließlich darf eine staatliche Maßnahme nicht außer Verhältnis zum Zweck der Maßnahme stehen; sie muss für den Betroffenen zumutbar sein.

108

Diesen Vorgaben wird der streitgegenständliche Hinweis zu einer Strafbarkeit der Parole „From the river to the sea“ gerecht. Legitimes Ziel des Polizeipräsidiums war, wie bereits ausgeführt, die Straftatenverhütung bzw. vorbeugende Straftatenbekämpfung, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW. Der Hinweis war unzweifelhaft auch geeignet, das Ziel, Versammlungsteilnehmer von dem Rufen der Parole abzuhalten, zu erreichen.

109

Der Hinweis war auch erforderlich. Ein anderes, gleich geeignetes und zugleich milderes Mittel ist nicht ersichtlich. Insbesondere hätte eine beschränkende Verfügung in Form der versammlungsbehördlichen Untersagung der Parole „From the river to the sea“ auf Grundlage des § 13 Abs. 1 VersG NRW stärker in die Grundrechte des Klägers aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1 GG eingegriffen. Denn zusätzlich zu einer Strafverfolgung der Äußernden im Einzelfall wäre bei Erlass einer entsprechenden Beschränkung nach § 13 Abs. 1 VersG NRW und Verstoß hiergegen zudem auch eine Strafbarkeit nach § 27 Abs. 2, 2. Var. VersG NRW in Betracht gekommen.

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Schließlich war der Hinweis auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Die in der Sache vertretbare Wertung der Strafbarkeit der Parole im Kontext der Versammlung des Klägers am 2. Dezember 2023 verfolgt das Ziel der Straftatenverhütung bzw. vorbeugenden Straftatenbekämpfung. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass einmal getätigte, strafbare Äußerungen irreversibel sind und auch durch ein nachträgliches repressives Einschreiten der Polizei in der Sache nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Die Interessen des Klägers sind dagegen allenfalls mittelbar-faktisch berührt. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Nutzung von Parolen grundsätzlich ein legitimes und zugleich gebräuchliches Mittel bei Versammlungen darstellt, um eine Meinung schlagwortartig verkürzend auf den Punkt zu bringen. Weshalb die vom Kläger bei seiner Versammlung beabsichtigte Solidarisierung mit dem palästinensischen Volk nicht auch mittels einer anderen, „unkritischen“ Parole zum Ausdruck gebracht werden könnte, die ihrerseits kein verbotenes Kennzeichen darstellt, erschließt sich der Kammer nicht. Im Übrigen sind versammlungsbehördliche Hinweise hierbei lediglich als Serviceleistung i.S.d. „erhobenen Zeigefingers“, die Parole nicht zu rufen, zu verstehen, um vor allem den Veranstalter und Leiter vorab – wie hier – über eine Rechtsauffassung des beklagten Polizeipräsidiums zu informieren.

Vgl. Dürig-Friedl, in: ders./Enders, Versammlungsrecht, 2. Aufl. 2022, § 15 VersammlG Rn. 80.

 

III.

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