
Kopftuchverbot für Erzieherinnen aufgrund einer Neutralitätsanordnung
Wird eine Bewerberin einer Kindertagesstätte danach gefragt, ob sie bereit sei, aufgrund einer Neutralitätsanordnung ein religiöses Symbol abzulegen, und bleibt eine Einstellung daraufhin aus, liegt zumindest eine mittelbare Diskriminierung gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor. Das AGG schützt das Recht, im Zusammenhang mit der Religion keinen Nachteil erleiden zu müssen und seine religiösen Überzeugungen durch entsprechende Kleidung zu äußern. Eine Ungleichbehandlung kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber ein Bedürfnis für eine solche Neutralitätspolitik hat. Dieses Bedürfnis muss im Einzelfall konkret dargelegt werden. (Leitsatz der Redaktion)
Urteil nimmt Bezug auf:
Leitsatz 1. Wenn eine Bewerberin für eine Stelle als Erzieherin vom zukünftigen AG danach gefragt wird, ob sie bereit sei, während der Dienstzeit ein religiöses Symbol abzulegen und nicht zu tragen und dies damit begründet wird, dass beim zukünftigen AG eine Neutralitätsanordnung im Hinblick auf das Zeigen und Tragen von Kleidungsstücken mit religiöser Symbolik besteht, so liegt darin zumindest eine mittelbare Diskriminierung gemäß § 3 Abs. 2 AGG wegen der Religion, wenn danach eine Stellenbesetzung unterbleibt.(Rn.63) 2. Geschützt ist nämlich nicht nur das Recht, religiöse Überzeugung zu haben, sondern auch das Recht, sie zu äußern, einschließlich dem einer entsprechenden Bekleidung oder sonstiger Zeichen.(Rn.60) 3. Damit wird klargestellt, dass eine Benachteiligung wegen der Religion nicht nur dann vorliegt, wenn Religionsanhänger schlechter behandelt werden, als Nicht-Religiöse, sondern bereits dann, wenn jemand im Zusammenhang mit der Religion einen Nachteil erleidet. Die Neutralitätsanordnung des AG, die als Verbot jeder Bekundung irgendeiner Religion oder Weltanschauung formuliert ist, schließt aber nicht generell eine Ungleichbehandlung aus (EuGH v. 15.7.2021 - C- 804/18, C- 341/19).(Rn.64) 4. Der zukünftige AG hat keine Umstände dargelegt, die diese mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion rechtfertigen könnten, § 3 Abs. 2 AGG.(Rn.65) 5. Gegenüber den sozialpolitischen Zielen, wie den Schutz vor Diskriminierungen im Arbeitsleben ist nämlich eine von der unternehmerischen Freiheit umfasste Maßnahme, wie eine Neutralitätspolitik, nicht automatisch vorrangig, sondern setzt sich nur im konkreten Einzelfall gegen das Diskriminierungsverbot durch, sofern sie einem wirklichen Bedürfnis dieses AG dient (EuGH v. 15.7.2021 - vorzitiert).(Rn.68) 6. Dabei hat der AG auch zu belegen, dass zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen internen Regel eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels der Neutralität bestand und gegenwärtig besteht, wie beispielsweise die Gefahr konkreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbußen (EuGH v. 15.7.2021 - vorzitiert).(Rn.68) 7. Der AG hat dabei keine tatsächliche, konkrete Gefahr oder Beeinträchtigung der genannten Rechtsgüter dargelegt. Dazu reicht die empirisch nicht untermauerte Prognose nicht aus, dass möglicherweise sämtliche Mitarbeiter der Einrichtung desselben Glaubens oder derselben Weltanschauung angehören würden, dies offen zeigen könnten und deshalb eine Beeinflussung der negativen Glaubensfreiheit der Kinder der Kindertagesstätte und deren Eltern entstehen könnten.(Rn.70) 8. Soweit aus verfassungsrechtlichen Gründen, Art. 4 GG, eine verfassungskonforme Auslegung der Neutralitätspolitik zu fordern ist, ändert sich unter Würdigung der Grundrechtspositionen der Kinder, deren Eltern und der Bewerberin an dieser Bewertung nichts. Aus dem Tatsachenvortrag des AG geht nicht hervor, dass eine solche Gefahr schon eingetreten ist oder unmittelbar oder unvermeidlich bevorsteht.(Rn.94) |
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Orientierungssatz (Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 8 AZR 126/22) Verfahrensgang vorgehend ArbG Offenbach 4. Kammer, 25. September 2019, 4 Ca 230/19, Urteil anhängig BAG, kein Datum verfügbar, 8 AZR 126/22, Termin: 2023-03-30 Diese Entscheidung wird zitiert
Tenor 1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main – 4 Ca 230/19 – vom 25. September 2019 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. 2. Die Revision wird zugelassen. Tatbestand |
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Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen einer Diskriminierung. |
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Die Klägerin ist 27 Jahre alt, verheiratet und ausgebildete Sozialpädagogin. Die Klägerin erwarb an der Frankfurt University of Applied Sciences den Bachelor Soziale Arbeit und hat verschiedene Praktika absolviert. Als Berufserfahrung in dem Beruf Sozialpädagogin hatte die Klägerin zum Zeitpunkt der Bewerbung bei der Beklagten 2 Jahre aufzuweisen. |
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Am 09.02.2019 hat sich die Klägerin auf eine bei der Beklagten ausgeschriebene Vollzeitstelle als Erzieherin beworben. […] Die Stelle als Erzieherin sollte nach den einschlägigen TVöD-Regelungen vergütet werden. |
3 |
Bei der Beklagten handelt es sich um eine Gemeinde mit knapp 40.000 Einwohnern. Im Stadtgebiet der Beklagten gibt es 26 Kindertagesstätten mit unterschiedlichen Betreuungsangeboten. Ca. 80% der betreuten Kinder in den Kindertagesstätten der Beklagten haben einen Migrationshintergrund. Unter den Kindern wird eine Vielfalt von Religionen vertreten. In den Kindertagesstätten der Beklagten werden fast alle traditionellen Feste gefeiert, überwiegend aber ohne konkrete Benennung eines religiösen Bezugs. […] |
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Die Beklagte stellt in ihren Einrichtungen sicher, dass der Förderungsauftrag gem. § 22 Abs. 3 SGB VIII gewährleistet ist. Dies schließt die Orientierung der Förderung am Alter und Entwicklungsstand der Kinder ebenso ein, wie die Berücksichtigung der ethnischen Herkunft. Für alle Kindertagesstätten der Beklagten gilt, dass alle Kinder unabhängig von ihrer sozialen, kulturellen oder religiösen Herkunft ihrer Geschlechtszugehörigkeit oder eben unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten dort anerkannt und wohl fühlen. Hierzu erwartet die Beklagte von den pädagogischen Fachkräften ihrer Kindertagesstätten den Kindern und Familien mit einer vorurteilsfreien und wertschätzenden Haltung zu begegnen. Auch erwartet die Beklagte, dass die pädagogischen Fachkräfte unterschiedliche Meinungen bzw. Differenzen von Eltern erkennen und im Zuge einer gelingenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zum Wohle der Kinder Lösungen erarbeiten müssen, wie es § 22 a Abs. 2 Ziffer 1 SGB VIII vorsieht. […] |
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Für die Arbeitsverhältnisse der in der Stadtverwaltung der Beklagten Beschäftigten besteht folgende Dienstanweisung vom 19.11.2018: |
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„Für die Arbeitsverhältnisse der in der Stadt A Beschäftigten findet § 45 Hessisches Beamtengesetz für alle Arbeitsplätze mit unmittelbarem Kundenkontakt entsprechende Anwendung und ist zwingend zu beachten.“ […] |
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§ 45 Hessisches Beamtengesetz lautet wie folgt: |
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„Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten, insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.“ |
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Am 26.02.2019 fand für die ausgeschriebene Vollzeitstelle als Erzieherin ein Vorstellungsgespräch der Klägerin bei der Beklagten statt. In diesem Vorstellungsgespräch wurde die Klägerin dann gefragt, ob sie bereit wäre, während der Dienstzeit das Kopftuch abzulegen. Begründet wurde dies gegenüber der Klägerin mit einer Neutralitätspflicht der Beklagten. Die Klägerin konnte in diesem Vorstellungsgespräch dies nicht zusichern, da sie das Kopftuch aus einem religiösen Verpflichtungsgefühl trägt. |
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Mit E-Mail vom 04.03.2019 hat die Beklagte dann der Klägerin mitgeteilt, dass sie nicht in die engere Auswahl gekommen sei. Daraufhin antwortete die Klägerin per E-Mail vom 07.03.2019, dass Frau B ihr im Gespräch gesagt habe, dass die Stadt nach dem Neutralitätsgesetz agiere und daher sie gefragt worden sei, ob sie bereit wäre, für die Tätigkeit das Kopftuch abzulegen. Nach anschließender Überlegung wolle sie nun mitteilen, dass sie bereit wäre, für die Tätigkeit das Kopftuch abzulegen. Unter dem 12.03.2019 hat die Beklagte geantwortet, dass sie der Klägerin nun eine unverbindliche Hospitation in einer ihrer Einrichtungen anbiete. […] |
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Mit Schreiben vom 08.04.2019 hat die Klägerin bei der Beklagten Schadensersatzansprüche geltend gemacht. |
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Mit Schreiben vom 13.05.2019 hat die beklagte Stadt die Schadensersatzansprüche zurückgewiesen. |
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Die Klägerin hat in der Ablehnung zur Stellenbesetzung eine Benachteiligung wegen ihrer Religion und ihres Geschlechts gesehen. |
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Die Klägerin hat hierzu behauptet, man habe im Vorstellungsgespräch sinngemäß gesagt, dass sichergestellt sein müsste, dass die Klägerin während des Dienstes das Kopftuch ablege. So sei die weitere Teilnahme am Bewerbungsverfahren von der diskriminierenden Forderung abhängig gemacht worden, auf das Tragen des Kopftuchs zu verzichten. Darin hat die Klägerin eine Diskriminierung wegen ihrer Religion und ihres Geschlechts gesehen. |
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Desweiteren hat die Klägerin behauptet, dass sie ansonsten die Stelle schon aufgrund ihrer erreichten Qualifikationen erhalten hätte. Aktuell würden nämlich Fachkräfte in den Erziehungsberufen gesucht, was sich auch durch die Homepage der Beklagten dokumentieren lasse. Die Klägerin bringe nicht nur die erforderliche Ausbildung als Erzieherin mit, sondern sei sogar mit dem Bachelor-Abschluss Soziale Arbeit besser qualifiziert als die anderen Bewerberinnen und Bewerber. Das Angebot der Hospitation nach der Ankündigung der Klägerin, das Kopftuch doch absetzen zu können, zeige, dass die Beklagte die Qualifikation der Klägerin und den persönlichen Eindruck im Rahmen des ersten Bewerbungsgesprächs als passend bewertet habe. Auch der Verweis auf eine „Kollegin D“ die nach dem Ablegen des Kopftuchs eingestellt worden sei, zeige doch, dass die Klägerin mit einer Einstellung hätte rechnen können, wenn sie der Aufforderung nachgekommen wäre. |
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Hierzu hat die Klägerin die Auffassung vertreten, dass die öffentliche Arbeitgeberin sich nicht wie eine private Arbeitgeberin verhalten dürfe, denn sie sei gem. Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Ein umfassendes Verbot von religiösen und weltanschaulichen Symbolen wiege in der Abwägung schwerer als die negative Religionsfreiheit von den Kindern, die in der Kindertagesstätte betreut werden und den Rechten der Eltern. Der Schutz des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleiste auch den Erzieherinnen und Erziehern in den Kindertageseinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft die Freiheit, den Regeln ihres Glaubens gem. einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wie dies etwa durch das Tragen eines Kopftuchs der Fall sein kann, wenn dies hinreichend plausibel begründet werde. Deswegen komme es auf den Aspekt, welches Konzept die Beklagte für den Betrieb von Kindertagesstätten gewählt habe, in der Grundrechtsbetrachtung nicht an. Überwiegende öffentliche Interessen seien nicht ersichtlich. Auch die Behauptung der Beklagten, es komme auf eine Vielfalt in der Jugendhilfe an, würde im konkreten Kontext nicht überzeugen, da die strittige Dienstanweisung für die gesamte kommunale Verwaltung und die ihr angegliederten Einrichtungen gelte. |
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Die Klägerin hat deswegen die Höhe der Entschädigungszahlung auf der Grundlage von 3 Bruttomonatsgehältern in Höhe von jeweils 3.204,99 dargelegt. Insgesamt hat sich die Klägerin auf den Standpunkt gestellt, dass sie den Anforderungen des § 22 AGG genügt habe, nunmehr müsse sich die Beklagte entlasten. |
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Die Klägerin hat beantragt, |
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin wegen einer Diskriminierung eine Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch den Betrag von 9.614,97 € nicht unterschreitet, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2019, zu zahlen. |
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Die Beklagte hat beantragt, |
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die Klage abzuweisen. |
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Die Beklagte hat sich auf den Standpunkt gestellt, das vorliegend allenfalls eine mittelbare Diskriminierung vorliege, die aber aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sei. Die weltanschauliche Neutralität bei der Beklagten sei das Konzept der betreffenden Kindertagesstätten. Dies erfordere aber von den Beschäftigten den Verzicht auf die religiöse Symbolik. Dieser Verzicht werde auch in der Dienstanweisung von jedem Beschäftigten und jeder Beschäftigten verlangt. Deswegen können in dieser Dienstanweisung und ihrer Umsetzung im Bewerbungsgespräch keine Benachteiligung der Klägerin gesehen werden, da es nur um die Konzeption der Kindertagesstätte gehe. |
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Die Beklagte hat weiterhin die Auffassung vertreten, dass die Klägerin nicht wegen ihrer Religion benachteiligt worden sei. Sie sei sogar zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden und habe damit die gleichen Chancen gehabt, wie alle anderen Bewerber und Bewerberinnen. Es gehe somit nicht ausschließlich um die staatliche Neutralität gegenüber der Religionsfreiheit der Bewerberin, sondern auch um die Konzeption der Kindertageseinrichtung mit der entsprechenden Außenwirkung gegenüber den Kindern und den Personensorgeberechtigten. Insofern könnten solche religiösen Symbole auch in Kindertagesstätten Außenwirkung erzielen, ohne dass es dabei um entsprechende staatliche Betätigung bzw. hoheitliche Tätigkeiten gehen müsse. Die Beklagte habe sich nun mal für die städtischen Einrichtungen im Rahmen der Trägervielfalt für eine religiöse und weltanschauliche Neutralität entschieden, die sie entsprechend auch für die Beschäftigten in ihrer Verwaltung anwende, sodass generell für Mitarbeiter mit Publikums- und Bürgerkontakt religiöse und weltanschauliche Symbole während der Arbeitszeit nicht geduldet würden. Alle Bewerber und Mitarbeiter würden insofern auch gleichbehandelt. |
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Das Arbeitsgericht in Offenbach am Main – 4 Ca 230/19 – hat mit seinem […] Urteil der Klage teilweise stattgegeben und in dem Verhalten der Stadt eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gesehen. […] Dabei ist das Arbeitsgericht zu einer Entschädigungshöhe von 1 ½ Durchschnittsgehälter gekommen. |
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Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte […] Berufung eingelegt. |
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass sie die Klägerin beim Bewerbungsvorgang nicht diskriminiert habe. |
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Die Beklagte sieht bei der Klägerin keine persönliche Verpflichtung zum Tragen des Kopftuchs. Schließlich habe die Klägerin in ihrer E-Mail vom 07.03.2019 gegenüber der Beklagten zugesagt, für die beworbene Tätigkeit ihr Kopftuch abzulegen. |
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Die Beklagte bezieht sich bei ihrer Rechtsansicht auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der eine interne Regel, die ein Verbot für Arbeitnehmer enthält, Zeichen politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugungen sichtbar zu tragen, zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität geeignet sei, sofern diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werde. Das Arbeitsgericht habe deswegen fehlerhaft angenommen, dass das Bekundungsverbot nicht angemessen sei. |
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Die beklagte Stadt vertritt weiter die Auffassung, dass das in der Regelung enthaltene Bekundungsverbot sachlich gerechtfertigt sei. Die Dienstanweisung verfolge nämlich einen legitimen Zweck. Die Beklagte verfolge nämlich den Wunsch, ihren Kunden gegenüber weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. Dies gehe aus der Dienstanweisung selbst als auch aus den Leitlinien zu ihren Kindertagesstätten hervor. Ferner sei dies im SGB VIII als Auftrag der Trägerin von Kindertagesstätten impliziert. Dass das unternehmerische Interesse für die Beklagte hierbei besonders hoch zu bewerten sei, ergebe sich zudem aus der Verpflichtung gem. § 3 SGB VIII. Danach sei nämlich die Beklagte als Trägerin von Kindertageseinrichtungen verpflichtet, ein entsprechendes bedarfsgerechtes Angebot aufzubereiten, welches eine Vielfalt an Inhalten, Methoden und Arbeitsformen enthalte. Christlich geprägte Feste würden mit den Kindern regelmäßig in einer religiös neutralen Form gefeiert. So werde z.B. an Ostern ein Frühlingsfest und in der Weihnachtszeit ein internationales Plätzchenbacken in den Kindertagesstätten veranstaltet. Aus dieser alltäglichen Praxis werde deutlich, dass die Beklagte besonderen Wert auf die ausnahmslose weltanschauliche und religiöse Neutralität ihrer Arbeitnehmer und ihren Einrichtungen lege. Insbesondere sei dies für die Beklagte im Hinblick auf die Internationalität der Kinder und Eltern in ihren Kindertageseinrichtungen von erheblicher Bedeutung. |
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Die Beklagte vertritt des Weiteren die Auffassung, dass das Bekundungsverbot auf das unbedingt Erforderliche beschränkt sei. Deswegen sei auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts fehlerhaft, da das Interesse der Beklagten nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. |
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Bei der Interessenabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst ihr Kopftuch abnehmen wollte. Das Glaubensinteresse der Klägerin sei durch die interne Regel nicht übermäßig beeinträchtigt. Außerdem sei die Ungleichbehandlung nach § 8 AGG gerechtfertigt. |
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Die Beklagte stützt ihre Rechtsansicht, dass eine mittelbare Diskriminierung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sei auf folgende Gesichtspunkte: Das rechtmäßige Ziel ihrer Dienstanweisung könne schon darin gesehen werden, dass der Arbeitgeber nach außen hin ein Bild der Neutralität vermitteln wolle. Deswegen beschränke sich auch die Neutralitätsregelung vorrangig auf Arbeitnehmer mit Kontakt zu Dritten. Auch wenn sich die Beklagte nicht auf die unternehmerische Freiheit berufen könne, so müsse das rechtmäßige Ziel auch von einem öffentlichen Arbeitgeber verfolgt werden können. Dies müsse schon deswegen gelten, weil die Beklagte mit anderen Unternehmen im Wettbewerb stünde und sie ein berechtigtes Interesse daran habe, genauso wie private Arbeitgeber behandelt zu werden. Außerdem könne sich die Beklagte auf den Grundsatz staatlicher Neutralität nach Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie der Verpflichtung zu weltanschaulich-religiöser Neutralität nach Art. 136 Abs. 1 und Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV iVm Art. 140 GG berufen. |
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Die Beklagte ist des Weiteren der Auffassung, dass die Dienstanweisung auch dadurch gerechtfertigt sei, weil die Eltern, die ihre Kinder zur Betreuung in einen städtischen Kindergarten geben, davon ausgehen müssten, dass in diesem eine nach weltanschaulichen, religiösen und politischen Kriterien neutrale und wertfreie Erziehung erfolge. Die negative Religionsfreiheit einer Vielzahl von Eltern und Kindern werde hierdurch geschützt. Die Beklagte stelle mittels ihrer Kindertagesstätten einen Gegenpol zu religiös und weltanschaulich geprägten Angeboten. Sie sehe sich verpflichtet, Eltern und deren Kindern eine religiös und weltanschaulich neutrale Betreuung anzubieten. Würde man die interne Regelung als unwirksam ansehen, so wäre zu befürchten, dass ein Vertrauensverlust der unmittelbar betroffenen Eltern sowie der Bevölkerung insgesamt in Bezug auf die Achtung der Verpflichtung zur staatlicher Neutralität sowie der Verpflichtung zur weltanschaulich-religiöser Neutralität durch die Beklagte erfolgen würde. Die Eltern sollten aber bei der Wahrnehmung eines städtischen Kindergartenangebots darauf vertrauen können, dass die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in diesem Rahmen religiös und weltanschaulich neutral verlaufen würde. Das Tragen eines großflächigen Kleidungsstücks mit religiöser Symbolik würde dieses Vertrauen beschädigen. |
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Des Weiteren ist die Beklagte der Ansicht, dass die Rechte der Kinder gem. Art. 24 Abs. 1 und Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta beachtet werden müssten. Dabei sei aber festgelegt, dass bei allen die Kinder betreffenden Maßnahmen, insbesondere auch in öffentlichen Stellen, dem Kindeswohl eine vorrangige Erwägung zukommen müsse. Kindern kommen im Wege der europarechtlichen Vorgaben somit ausdrückliche Schutzrechte zu, dies sei im Rahmen des Grundgesetzes verfassungsrechtlich noch nicht festgeschrieben. Erzieher seien aber enge Bezugspersonen von Kindern im Kindergartenalter. Der enge Kontakt mit einem Erzieher, der klar erkenntlich ein religiöses und zudem großflächiges Kleidungsstück oder Symbol von religiöser Bedeutung trage, sei dazu geeignet, Einfluss auf die Entwicklung der Kinder in religiöser bzw. weltanschaulicher Hinsicht zu nehmen. Es stelle sich insgesamt die Frage, ob die Kinder des städtischen Kindergartens der Beklagten nicht nur durch einen einzelnen Erzieher einer bestimmten Glaubensrichtung und Weltanschauung durch das Tragen entsprechender Kleidung oder Symbolik beeinflusst werden könnten, sondern auf Grundlage der Unwirksamkeit der Dienstanweisung zukünftig sämtliche Mitarbeiter der Einrichtung desselben Glaubens oder derselben Weltanschauung angehören und dies offen zeigen könnten. Spätestens dann wäre eine Beeinflussung der negativen Glaubensfreiheit der Kinder nicht von der Hand zu weisen. Da es aber vollkommen dem Zufall überlassen wäre, ob sich ein solches einheitliches, religiös oder weltanschaulich verfestigtes Erzieherbild ergibt, sei diese Entwicklung von Beginn an Einhalt zu gebieten. Auch seien Umsatzeinbußen zu befürchten. […] |
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Die Beklagte beantragt, |
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das […] Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main, 4 Ca 230/19, abzuändern und die Klage abzuweisen. |
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das am 25.09.2019 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main, 4 Ca 230/19, abzuändern und die Klage abzuweisen. |
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die Berufung zurückzuweisen. |
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Die Klägerin bleibt bei ihrer Auffassung, dass sie durch das Verhalten der Beklagten im Bewerbungsvorgang diskriminiert worden sei. |
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Die Klägerin behauptet hierzu, dass das Tragen eines Kopftuchs gerade für die Berücksichtigung der unterschiedlichen religiös-weltanschaulichen Herkunft der Kinder förderlich sein könnte. Das bloße Tragen eines Kopftuchs durch eine Erzieherin sei nicht geeignet, den Eindruck zu vermitteln, die Kindertagesstäte sei nicht neutral. |
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Außerdem behauptet die Klägerin, dass das Feiern der verschiedenen Feste nicht religiös neutral sei, sondern einen christlich geprägten Hintergrund habe. Dies werde deutlich durch das Winterfest und das Frühlingsfest, die eindeutig auf das Weihnachtsfest und das Osterfest, christlich konnotierte Feierlichkeiten, Bezug nehmen. So gesehen sei die Dienstanweisung der Beklagten schon nicht kohärent und systematisch umgesetzt. Außerdem bedeute staatliche Neutralität nicht Abstinenz von religiösen oder weltanschaulich oder philosophischen Kleidungsstücken. |
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass eine abstrakte Gefährdung für die Kinder oder die Kunden der Kindertagesstätte für den Erlass der Dienstanweisung der Beklagten nicht ausreichend sei. Die Klägerin sei auch schon im Bewerbungsverfahren ausgeschieden. Darin sei auch eine unmittelbare Diskriminierung zu sehen, man habe nämlich die Klägerin konkret auf das Kopftuch angesprochen. |
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Der Verweis auf § 45 Hessisches Beamtengesetz greife vorliegend nicht, da die Klägerin nämlich nur kommunale Angestellte und nicht Angestellte im Landesdienst werden wollte. Deswegen sei eine konkrete Gefährdung des Einrichtungsfriedens zu fordern. Es sei nicht nachvollziehbar wenn die Beklagte behaupte, dass es zu Konflikten mit den Eltern kommen würde. 80% der betreuten Kinder in den Kindertagesstätten der Beklagten hätten nämlich nach deren eigenen Angaben einen Migrationshintergrund, unter denen eine Vielfalt von Religionen vertreten sei. Es dürfe also angenommen werden, dass eine Vielzahl der Kinder, Frauen, die ein Kopftuch tragen, ohnehin als Teil alltäglicher Normalität auffassen würden. Es scheine sich hier also lediglich um eine gefühlte Gefahr zu handeln, die weder für eine abstrakte und schon gar nicht für eine konkrete Gefahrenprognose ausreichen würde. Dies würde umso mehr gelten, als eine christliche konnotierte Traditionspflege auch nicht zu Problemen führe trotz vielfältiger religiöser Hintergründe. Die Akzeptanzbasis für das islamische Kopftuch sollte daher selbstverständlich sein. Dem staatlichen Neutralitätsgebot könne nur dann der Vorrang einzuräumen sein, wenn staatliche Schlüsselpositionen betroffen seien. Damit seien Richter oder sonstige staatliche Amtsträger gemeint. Hier sei eine klar definierte Distanz und Gleichmaß erforderlich. Dies könne aber nicht für die Tätigkeit einer Erzieherin gelten. |
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Die Klägerin habe immer im Bewerbungsverfahren dem religiösen Verpflichtungsgebot gemäß gehandelt. Die Aussage, dass Kopftuch absetzten zu wollen, sei nur wegen der Zwangslage im Hinblick auf das Erreichen einer Stelle gemacht worden. Dies entspreche auch ihrer unumstößlich am Islam orientierten Lebensweise. Zu keinem Zeitpunkt habe die Klägerin das Ablegen des Kopftuchs in Erwägung gezogen. |
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Außerdem sei von einer unmittelbaren Diskriminierung auszugehen. Die Beklagte habe nämlich die Klägerin aufgefordert, das Kopftuch bei der Arbeitsleistung auszuziehen. |
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Deswegen vertritt die Klägerin die Auffassung, dass für die anlasslose Dienstanweisung weder im Beamtengesetz noch im Kindertagesstättengesetz eine Ermächtigungsgrundlage zu sehen sei. Es bestehe nämlich keine konkrete Gefahr für die Einführung eines Kopftuchverbots. Deswegen sei die Dienstanweisung auch unverhältnismäßig. |
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Zusammenfassend behauptet die Klägerin, dass die Beklagte bis heute keine konkrete Gefahr, keinen Anlass für die Einführung des Verbots nennen könnte. Ein pauschales, von der konkreten Situation in der Einrichtung losgelöstes Verbot sei jedoch unverhältnismäßig. Vielmehr sei es so, dass die Beklagte religiös eindeutig christlich konnotierte Traditionen lebe, trotz der religiösen, kulturellen und weltanschaulichen Vielfalt in ihren Kindertagesstätten. Nach ihrem eigenen Vortrag kam es dabei bislang zu keinerlei Konflikten mit Eltern und Kindern, so dass nicht ersichtlich sei, weshalb eine konkrete Gefahr bestehen solle, wenn eine weitere religiöse Bekundung den in der Elternschaft und im Kinderpublikum und im Kindertagesstätten-Alltag sich wiederspiegele. Die Beklagte setzte deswegen ihren Neutralitätsansatz nicht konsistent als Betriebskonzept um. Dies sei aber im Hinblick auf die Religionsfreiheit der Klägerin unverhältnismäßig. |
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Zusammenfassend ist die Klägerin der Ansicht, dass die Beklagte ein wirkliches Bedürfnis für die Dienstanweisung nicht dargelegt habe. Konkrete Nachteile oder greifbare Konsequenzen seien nicht nachgewiesen. Nicht eine konkrete Situation sei von der Beklagten bezeichnet worden. Schließlich würden von den Eltern auch christlich tradierte Feierlichkeiten störungsfrei als Teil des Einrichtungskonzeptes akzeptiert. Außerdem würde die Beklagte unterstellen, dass das Kopftuch an sich geeignet sei, das Vertrauen in das pädagogische Konzept der Einrichtung zu schmälern. Da diese Einschätzung ohne Hintergrund bezogen auf die konkrete Einrichtung erfolge, genüge sie nicht den Substantiierungsanforderungen der neueren Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts. Angesichts der Vielfalt von Eltern und Kindern in der Einrichtung könnte der Umstand, dass eine Mitarbeiterin mit Kopftuch Teil des Teams sei, durchaus auch als vertrauensbildend aufgefasst werden. Von einer Störung des Einrichtungsfriedens könne nicht ausgegangen werden. Die Annahme eines Störpotenziales eines Kopftuchs ohne merkliche Störungen oder Beschwerden seitens der Kinder und Eltern zeige in den Ausführungen der Beklagten doch vielmehr, dass kein Neutralitätsstreben im Raum stehe, sondern die negative Einstellung der Beklagten gegenüber einem bestimmten religiösen Symbol an sich. |
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Entscheidungsgründe |
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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main […] – 4 Ca 230/19 – ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 b ArbGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm §§ 517, 519, 520 ZPO) und damit insgesamt zulässig. |
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In der Sache ist die Berufung der Beklagten jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat, soweit es der Klage stattgegeben hat, dies mit zutreffender Begründung getan. Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht im Ergebnis und in der Begründung. |
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Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht Offenbach die beklagte Stadt zu Recht zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von Euro 4.807,49 verurteilt hat. |
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Die Berufung ist unbegründet, weil die Klage begründet ist. |
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Die Klage ist begründet, weil der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer Diskriminierung gegen die Beklagte zusteht, § 15 Abs. 2 AGG. |
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Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Für die Klägerin ergibt sich dies aus § 6 Abs. 1 S. 2 Alternative 1 AGG. Diese Bestimmung enthält einen formalen Bewerberbegriff, wonach derjenige Bewerber ist, der eine Bewerbung eingereicht hat. […] Die beklagte Stadt ist Arbeitgeberin im Sinne von § 6 Abs. 2 AGG. |
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Die Klägerin hat ihrem Entschädigungsanspruch den Vorgaben von § 15 Abs. 4 AGG sowie von § 61 b Abs. 1 ArbGG entsprechend geltend gemacht und eingeklagt. |
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Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch mit Schreiben vom 08.04.2019 formgerecht geltend gemacht. Die […] Frist ist damit eingehalten. […] |
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Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 AGG liegen […] vor. Die beklagte Stadt hat die Klägerin entgegen den Vorgaben des § 7 Abs. 1 AGG wegen ihrer Religion benachteiligt. Diese Benachteiligung war auch nicht ausnahmsweise nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig. |
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Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen, § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung wegen der Religion, wie sie in § 1 AGG genannt wird. |
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Auch wenn die Klägerin für den vorliegenden Ablauf im konkreten Kontext eine unmittelbare Diskriminierung durch das Verhalten der Beklagten im Bewerbungsverfahren für eine Vollzeitstelle als Erzieherin geltend macht, während die Beklagte allenfalls von einer mittelbaren Diskriminierung ausgeht, die auf der Grundlage einer strikten Anwendung der Dienstanweisung vom 19.11.2018 stattgefunden habe, so muss für den vorliegenden Zusammenhang diese Frage nicht abschließend geklärt werden. Geschützt ist nämlich nicht nur das Recht, religiöse Überzeugungen zu haben, sondern auch das Recht, sie zu äußern, einschließlich dem einer entsprechenden Bekleidung oder sonstiger Zeichen. Damit wird klargestellt, dass eine Benachteiligung wegen der Religion nicht nur dann vorliegt, wenn Religionsanhänger schlechter behandelt werden, als Nicht-Religiöse […], sondern bereits dann, wenn jemand im Zusammenhang mit der Religion einen Nachteil erleidet. Damit kann der Nachteil nicht nur durch einen Vergleich von Merkmalsträgern mit Nicht-Merkmalsträgern, sondern auch im Vergleich verschiedener Merkmalsträger mit unterschiedlicher Betroffenheit zu einer Benachteiligung führen […]. |
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Nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde. Wie der Begriff „erfahren würde“ verdeutlicht, muss nach dieser Bestimmung die Vergleichsperson nicht eine reale, sondern kann auch eine fiktive bzw. hypothetische sein […]. |
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Vor diesem Hintergrund erfährt die erfolglose Bewerberin, die bereits aus dem Bewerbungs-/Stellenbesetzungsverfahren ausgeschieden wird, ganz gleich ob es andere Bewerberinnen für die Stelle gab oder eine andere Bewerbung Erfolg hatte, sowie unabhängig, ob die Stelle überhaupt besetzt wurde, zumindest eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG, wenn nicht gar eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG, weil der Bewerber oder die Bewerberin eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde […]. |
62 |
Vorliegend ist die Klägerin im Vorstellungsgespräch am 26.02.2019 von der Vertreterin der beklagten Stadt danach gefragt worden, ob sie bereit wäre, während der Dienstzeit das Kopftuch abzulegen. Begründet wurde dies mit einer Neutralitätspflicht der Beklagten. Da die Klägerin dies nicht zusichern konnte, dabei konkret Bezug nahm auf ihr religiöses Verpflichtungsgefühl, hat die beklagte Stadt unter dem 04.03.2019 dann der Klägerin mitgeteilt, dass sie an einem weiteren Bewerbungsverfahren nicht mehr teilnehme. Die Beklagte stützt also ihr Verhalten auf eine bei ihr existierende generelle Neutralitätsanordnung, die unabhängig von der konkreten Gesprächssituation von der Beklagten umgesetzt werden soll. |
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Auch soweit der EuGH […] davon ausgeht, dass eine interne Regelung über das Verbot des Tragens sichtbarer weltanschaulicher oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, wenn und soweit das Gebot, sich neutral zu kleiden, allgemein und undifferenziert gilt, so ergibt sich für den vorliegenden Fall folgendes. Dass eine Neutralitätsanordnung, die als Verbot jeder Bekundung irgendeiner Religion oder Weltanschauung wie die Dienstanweisung der Beklagten vom 19.11.2018 formuliert ist, keine unmittelbar religionsbezogene Benachteiligung darstellt, schließt dies aber nicht generell eine Ungleichbehandlung aus […]. Würde dieser Ansatz maßgeblich sein, so wäre nach einer mittelbaren Diskriminierung und deren sachlicher Rechtfertigung gem. § 3 Abs. 2 AGG zu fragen […]. Dass eine Neutralitätsanordnung, wie sie bei der Beklagten existiert, die als Verbot jeder Bekundung irgendeiner Religion oder Weltanschauung formuliert ist, keine unmittelbar religionsbezogene Benachteiligung darstellt, ist nämlich vom EuGH erneut unterstrichen worden […]. Das Verbot bei der Beklagten knüpft nicht an der Religion oder einer Weltanschauung selbst an, sondern an der Form ihrer Bekundung nach Außen, unter Verwendung von sichtbaren Symbolen. […]. Demnach ist in einer hinreichend weit formulierten und in der Praxis konsequent umgesetzten Neutralitätsanordnung keine unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion zu sehen, selbst wenn damit muslimisch gebundene Kopftücher am Arbeitsplatz wie bei der Beklagten untersagt werden. |
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Die Beklagte hat aber keine Umstände dargelegt, die diese mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion rechtfertigen könnten, § 3 Abs. 2 AGG. |
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Im Gegensatz zu einer unmittelbar religionsbedingten Benachteiligung, die lediglich bei Vorliegen besonderer Ausnahmen zulässig sein kann, ist die mittelbare Diskriminierung unzulässig, wenn sie nicht gerechtfertigt werden kann. Die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung setzt ein rechtmäßiges Maßnahmeziel voraus, dass durch angemessene und erforderliche Mittel verfolgt wird […]. Dabei ist festzuhalten, dass sowohl die Legitimität des Regelungsziels wie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der Umsetzungsmittel eng auszulegen sind […], da vom Diskriminierungsschutz als anerkanntes Menschenrecht nur ins seltenen Fällen abgewichen werden darf. |
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Da die Orientierung auf ein neutrales Auftreten, wie es die Beklagte für sich reklamiert, aber selbst Ausdruck der unternehmerischen Freiheit ist […], wird sie als grundsätzlich legitim anerkannt. Da Diskriminierungsverbot und Unternehmerfreiheit jeweils von der Europäischen Grundrechtecharta (GRC) garantiert werden, handelt es sich unionsrechtlich um einen Grundrechtskonflikt, der durch Abwägung zwischen den berührten Grundrechten aufzulösen ist. Für diesen konkreten Zusammenhang geht es dann nicht um das staatliche Neutralitätsgebot in öffentlichen Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Schulen oder Gerichten, wie es schon Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren war […], sondern um die Auslegung der Diskriminierungsverbote aus §§ 1,3,7 AGG. Bei ihrer Auslegung ist zu berücksichtigen, dass sie zur Umsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinie RL 2000/78/EG erlassen wurden. Die Richtlinie konkretisiert das Diskriminierungsverbot aus Art. 21 GRC und steht in Wechselwirkung mit der Religionsfreiheit aus Art. 10 GRC sowie der unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 GRC. |
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Gegenüber den sozialpolitischen Zielen der EU ist nämlich eine von der unternehmerischen Freiheit umfasste Maßnahme damit aber nicht automatisch vorrangig, sondern setzt sich nur im konkreten Einzelfall gegen das Diskriminierungsverbot durch, sofern sie „einem wirklichen Bedürfnis dieses Arbeitgebers“ dient […]. Wirklich ist ein Bedürfnis nur dann, wenn die dahinterliegenden Kundenerwartungen eine bestimmte Qualität aufweisen. Handelt es sich dabei um unionsrechtlich anerkannte Rechte der Kunden oder jedenfalls um berechtigte Interessen, wird das Bedürfnis des Unternehmens, diese Erwartungen zu erfüllen, ein „wirkliches“ […]. Dabei hat der Arbeitgeber auch zu belegen, dass zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen internen Regel eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels bestand oder gegenwärtig besteht, wie beispielsweise die Gefahr konkreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbuße […]. |
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Soweit sich die Beklagte bei einer Erzieherin in einer Kindertagesstätte darauf beruft, dass die Rechte der Eltern und Kinder einen Wunsch nach Fernhalten der Kinder von religiös anderweitig gebundenen Aufsichtspersonen einschließt, so kann dies grundsätzlich auch in die geforderte Abwägung mit dem Diskriminierungsverbot eingestellt werden […]. Die Beklagte führt in diesem Zusammenhang aus, dass sie den Wunsch habe, ihren Kunden gegenüber weltanschaulich und religiös neutral aufzutreten. Dabei kann aber das wirkliche Bedürfnis erst dann bejaht werden, wenn der Arbeitgeber deutlich macht, ohne sein Konzept „nachteilige Konsequenzen“ in Kauf nehmen zu müssen […]. |
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Auch wenn man diesen Ausgangspunkt der Beklagten in die Grundrechtsabwägung einstellt, so hat die Beklagte keine konkreten Konsequenzen aufgezeigt, die ihr drohen würden, wenn sie die Neutralitätsanordnung nicht umsetzen würde. Die Beklagte bezieht sich auf normative Gesichtspunkte, dass nämlich die Eltern, die ihre Kinder in die städtische Kindertagesstätte geben würden, davon ausgehen müssten, dass in diesen eine nach weltanschaulichen, religiösen und politischen Kriterien neutrale und wertfreie Erziehung erfolge. Dabei befürchtet die Beklagte, dass es ohne die Dienstanweisung möglich wäre, dass zukünftig eine einsetzende Personalfluktuation alle Erzieherinnen einer Kindergruppe oder alle Erzieherinnen der Einrichtung insgesamt Frauen islamischen Glaubens wären, die ein Kopftuch tragen würden. Auch wäre es theoretisch möglich, dass alle Erzieherinnen und Erzieher einer anderen Glaubensrichtung angehören und dies offen am Arbeitsplatz zeigen, insofern es der Beklagten nicht offen stünde, zur Verfolgung ihrer Neutralitätspolitik das Tragen sichtbarer Kleidungsstücke oder anderer Zeichen mit religiöser Symbolik zu verbieten. Man könne deshalb auch keine tatsächliche, konkrete Gefahr oder Beeinträchtigung der genannten Rechtsgüter auf Seiten der Beklagten fordern. Es könne nicht ausschlaggebend sein, ob der Einrichtungsfrieden bereits Beeinträchtigungen erfahren habe, und ob sich ein Elternteil über das Tragen religiöser oder weltanschaulicher Symbolik stören würde. |
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Dabei hat die Beklagte nicht einen tatsächlichen Fall einer solchen Forderung oder sonstige Kommunikationen dargelegt, aus denen diese Sichtweise der Eltern hervorgehen würde. Auch wenn man zugunsten der Beklagten annehmen würde, die negative Religionsfreiheit einer Vielzahl von Eltern und Kindern werde hierdurch geschützt und ansonsten drohe ihr ein Vertrauensverlust bei den unmittelbar betroffenen Eltern und der Bevölkerung, so hat die Beklagte, obwohl die Dienstanweisung seit dem 19.11.2018 erst besteht, keine Entwicklungen, keine Beschwerden, keine Kommunikationen durch Eltern oder Kinder geschildert, die deutlich machen könnten, dass vor Erlass der Dienstanweisung die von ihr in Bezug genommen Konsequenzen konkret zu befürchten waren, eingetreten sind oder ohne die Dienstanweisung ab November 2018 nunmehr zu befürchten seien. Hinzu kommt noch, dass die entsprechende Dienstanweisung bereits seit dem Jahr 2012 besteht und deshalb die Beklagte in der Lage sein müsste, die Erforderlichkeit der Verlängerung im Jahr 2018 zu begründen. |
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Zusätzlich sieht die Beklagte ein besonders hohes unternehmerisches Interesse in der Verpflichtung des § 3 SGB VIII. Auf der Grundlage dieser gesetzlichen Vorschrift, sei sie verpflichtet, ein bedarfsgerechtes Angebot aufzubereiten, dass eine Vielfalt an Inhalten, Methoden und Arbeitsformen enthalte. Die Beklagte hat in diesem Rechtsstreit betont, dass die von ihr in den Kindertagesstätten zu betreuenden Kinder oftmals einen Migrationshintergrund aufzuweisen hätten. Dies macht die Bedeutung der Gesichtspunkte der Vielfalt, der Toleranz und der Gleichberechtigung der Lebensstile, Weltanschauungen und religiösen Haltungen nur zu deutlich. Damit geht die Beklagte in ihrer Begründung selbst davon aus, dass andere Menschen mit anderen Religionszugehörigkeiten oder anderen Weltanschauungen gerade nicht in ihrer kulturellen Prägung oder im Kontext ihrer Herkunft und Sozialisation gewissermaßen gefangen sind. Übergreifend unter Berücksichtigung der Begründungen der Beklagten formuliert: Verschiedene Kulturen, Religionen und Weltanschauungen bilden keine füreinander undurchdringlich abgeschotteten Lebensbereiche und sie prägen auch keine im Verhältnis zueinander unbewegliche Identitäten im Zusammenhang mit den beruflichen Anforderungen in einer Kindertagesstätte bei der Beklagten. |
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Welcher Zusammenhang dann aber mit dem Verbot, ein religiöses Symbol zu zeigen, besteht, warum diese Gesichtspunkte höher zu bewerten sein könnten als ein Diskriminierungsverbot, geht aus dieser Verpflichtung nicht hervor. Die Beklagte hat auch in diesem Zusammenhang keine Störquellen, keine negativen Konsequenzen oder konkreten Kommunikationen oder Beeinträchtigungen aufgezeigt, sondern darauf abgestellt, dass Umsatzeinbußen zu befürchten und eine Abwanderung von Betreuungsaufträgen zu befürchten seien. Damit hat die Beklagte kein wirkliches Bedürfnis für die Neutralitätsanordnung seit November 2018 nachgewiesen, zumal die Beklagte in der Berufungsverhandlung am 15.11.2021 klargestellt hat, dass es mit dieser Maßnahme zu einer Verlängerung einer Regelung aus dem Jahr 2012 gekommen ist. |
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Wirtschaftliche Folgen stellt die Beklagte selbst nicht in den Vordergrund, und konkrete Störungen im Hinblick auf die Erwartungen der Eltern, der Kinder oder der sonstigen Beschäftigten bei der Beklagten finden sich im Tatsachenvortrag der Beklagten vor dem Hintergrund der zeitlichen Abfolge der Dienstanweisung aus den Jahren 2012 und 2018, einer Erheblichkeit und vor allem unter Bezugnahme auf das konkrete Geschäftsfeld oder Umfeld der Kindertagesstätten nicht. |
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Ein weiterer Umstand kommt vorliegend hinzu: Die Beklagte selbst legt nämlich dar, dass, wenn auch nur mittelbar, christliche Feiertage Veranlassung für Feiern in den Kindertagesstätten sind. Im Winter kommt es zu einem Plätzchenbacken oder einem Lichterfest und im Frühjahr zu einem Bemalen von Eiern. Wäre die Beklagte in diesem Zusammenhang in der Lage einen konkreten christlichen Bezug dieser Feiern in den Hintergrund treten zu lassen, so wäre dies bei anderen religiösen Veranlassungen sicherlich auch möglich, auch andere Inhalte, Methoden und Arbeitsformen zu anderen Zeitpunkten zu verwirklichen, was der gesetzlichen Verpflichtung der Sicherung der Vielfalt und der Neutralität auch dienen könnte. Insofern würde dies der Forderung der Rechtsprechung des EuGH nach Angemessenheit und Erforderlichkeit sowie nach Kohärenz und Systematik des staatlichen Neutralitätsgebots auch entsprechen. Damit ist grundsätzlich ein möglichst schonender Verbotsumfang durch den EuGH vorgeschrieben, während die Kohärenzforderung auf ein möglichst umfassendes Verbot zielt. Dieser Konflikt ist aber nur aufzulösen, wenn die Erforderlichkeit strikt auf das Regelungsziel der vollständigen Neutralität nach Außen bezogen wird, das nur mit der kohärent umfassenden Ausgestaltung und Umsetzung der Dienstanweisung als Neutralitätsanordnung erreicht wird. Insoweit würde man mit dieser Forderung von der Rechtsprechung des EGMR abweichen […]. Deswegen kann die Berufungskammer zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen Dienstanweisung eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung der Neutralitätsziele der Beklagten nicht erkennen. Dies wird aber gerade vom EuGH gefordert […]. |
75 |
Die Beklagte hingegen hat folgende Befürchtung: Bei der Unwirksamkeit der Dienstanweisung aus dem Jahr 2018 könnten zukünftig sämtliche Mitarbeiter der Einrichtung, die desselben Glaubens oder derselben Weltanschauung angehören würden, dies offen zeigen. Dann wäre eine Beeinflussung der negativen Glaubensfreiheit der Kinder nicht von der Hand zu weisen. Es wäre dann dem Zufall überlassen, ob sich ein solches einheitliches, religiös oder weltanschaulich verfestigtes Erzieherbild ergibt. Wie vorstehend ausgeführt, fordert der EuGH, dass der konkrete Arbeitgeber nachweist, ohne sein Konzept nachteilige Konsequenzen in Kauf nehmen zu müssen. Die Beklagte weist aber gerade den Zusammenhang zwischen vielfältigen Inhalten, Methoden und Arbeitsformen, der Dienstanweisung und einem religiös und weltanschaulichen verfestigten Erzieherinnenbild nicht nach, sondern stellt auf eine Prognose, den Zufall, ab und möchte dieser Entwicklung von Beginn an Einhalt gebieten. Damit legt sie kein aktuelles, konkretes, wirkliches Bedürfnis eines bestimmten Arbeitgebers dar und führt auch nicht den von der Rechtsprechung des EuGH geforderten Nachweis. |
76 |
Es muss dann nach der vorzitierten Entscheidung des EuGH bei einer mittelbaren Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG bleiben, die nicht sachlich gerechtfertigt ist. |
77 |
Die Berufungskammer hat die von der Beklagten herangezogene Dienstanweisung aus dem Jahr 2018 und ihr darauf bezogenes Erklärungsverhalten im Vorstellungsgespräch mit der Klägerin auch auf die im Grundgesetz (GG) enthaltene und durch Art. 4 GG geschützte Religionsfreiheit bezogen. |
78 |
Der EuGH hat nämlich in der vorzitierten Entscheidung […] ausgeführt, dass die RL 2000/78 es erlaube, dem jeweiligen Kontext der einzelnen Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen und jedem Mitgliedsstaat im Rahmen des notwendigen Ausgleichs der verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Interessen einen Wertungsspielraum einzuräumen, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen diesen zu gewährleisten. Dass eine Regelung, keine sichtbaren Zeichen religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, in den Schutzbereich des Verbots einer Diskriminierung wegen der Religion fällt, wird auf allen rechtlichen Ebenen anerkannt. Der Begriff der Religion in Art. 1 der RL 2000/78/EG ist parallel zu Art. 10 GRC […] und damit entsprechend Art. 9 EMRJ auszulegen […]. |
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Daraus folgt für den EuGH, dass im Rahmen der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung vorliegt, die nationalen Vorschriften, die die Gedanken-, Weltanschauungs- und Religionsfreiheit als Wert schützen, dem die modernen demokratischen Gesellschaften seit vielen Jahren eine verstärkte Bedeutung beimessen, als Vorschriften, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne von Art. 8 Abs. 1 RL 2000/78 günstiger sind, berücksichtigt werden dürfen. Dies gelte für nationale Vorschriften, die an die Rechtfertigung einer unmittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung höhere Anforderung knüpfen als Art. 2 Abs. 2 b) Nr. i RL 2000/78. Dies führt den EuGH dahin, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen. Der EuGH bestätigt dadurch, dass sich die Rechtfertigungsvoraussetzungen, wonach eine hinreichend konkrete Gefahr für den Betriebsfrieden oder konkrete Ertragseinbußen für Unternehmen nachgewiesen werden müssen, sich auch in die Rechtfertigungsprüfung der RL 2000/78/EG einfügt […]. Ein Exklusivitätsverhältnis oder ein Vorrangverhältnis zwischen den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien und dem nationalstaatlichen Verfassungsrecht ist dann nicht anzunehmen. |
80 |
Die Klägerin hat auch auf dieser Grundlage zumindest eine mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG wegen der Religion erfahren. |
81 |
Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines im § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dabei braucht der betreffende Grund im Sinne von § 1 AGG nicht das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligten zu sein. Vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund im Sinne von § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt […]. |
82 |
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass am 26.02.2019 ein Vorstellungsgespräch geführt wurde. In diesem Vorstellungsgespräch wurde dann die Klägerin gefragt, ob sie bereit sei, während der Dienstzeit das Kopftuch abzulegen. Obwohl die Beklagte dies mit ihrer Neutralitätspflicht gegenüber der Klägerin begründete, konnte die Klägerin dies nicht versichern, da sie das Kopftuch aus einem religiösen Verpflichtungsgefühl trage. Unter dem 04.03.2019 kam es dann zu einer Mitteilung der Beklagten, dass die Klägerin nicht mehr am weiteren Bewerbungsverfahren teilnehme, wobei die Klägerin im Nachgang zu diesem Schreiben unter dem 07.03.2019 dann mitteilte, dass sie bereit wäre, für die Tätigkeit ihr Kopftuch abzulegen. Dies führte dann auf Seiten der Beklagten zu dem Angebot eines unverbindlichen Hospitationstermins in einer der Einrichtungen. Damit ist von einem konkreten Ablauf auszugehen, der möglicherweise seine Orientierung und Grundlage in der Dienstanweisung aus dem Jahr 2018 hat, er aber im Verhältnis zur Klägerin im Bewerbungsverfahren konkret ausgestaltet und gehandhabt wurde. Es kommt zu einer Bewerbung, es kommt zur Frage nach der Kleidung und der Bekundung eines religiösen Merkmals, die Klägerin muss aufgrund ihrer Antwort aus dem Bewerbungsverfahren ausscheiden, bei Schilderung einer Bereitschaft, dass, das Kopftuch abzulegen, erhält sie das Angebot eines unverbindlichen Hospitationstermins. Auch wenn man mit guten Gründen auf der Grundlage einer abstrakt generell formulierten Neutralitätspolitik allenfalls von einer mittelbaren Diskriminierung ausgeht, im vorliegenden Fall gibt es konkrete Motivationen, Handlungsweisen, Bezugnahmen und Gestaltungen im Bewerbungsverfahren, die über das bloße Anwenden einer abstrakten, generell formulierten Dienstanweisung hinausgehen. |
83 |
Gleichzeitig macht dies aber auch deutlich, dass der unstreitige Sachverhalt die Voraussetzungen des § 22 AGG ergibt. 1§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines im § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat […]. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhaltes zu berücksichtigen. |
84 |
Danach besteht zwischen der Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG, die die Klägerin durch ihre Nichtberücksichtigung im Auswahlverfahren erfahren hat, und der für die Klägerin maßgeblichen Religion der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang. Es ist zwischen den Parteien nämlich unstreitig, dass die Beklagte im Vorstellungsgespräch ausdrücklich auf die Dienstanweisung vom 19.11.2018 Bezug genommen hat, die Klägerin eine Antwort hierzu gewählt hat, was schließlich zu einem Ausscheiden aus dem Bewerbungsverfahren geführt hat. Dieser Sachverhalt wird von der Beklagten gar nicht in Abrede gestellt, es wird auch nicht eine Motivlage angezweifelt, sondern die Beklagte beruft sich in diesem Rechtsstreit durchgehend auf die Dienstanweisung vom 19.11.2018. Auch wenn diese Dienstanweisung eigentlich nur hätte eingreifen können, wenn die Klägerin Beschäftigte der beklagten Stadt geworden wäre, die beklagte Stadt hat genau hierzu schon im Vorgriff auf eine Einstellung mit der Folge der Arbeitsleistungspflicht für die Klägerin genau diesen Umstand in Bezug genommen. Damit liegt die Haupttatsache einer Benachteiligung wegen der Religion zumindest auf einer Vermutungsgrundlage nahe. Die Beklagte stellt nämlich darauf ab, dass auf der Grundlage der Dienstanweisung vom 19.11.2018 innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös- oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke und damit auch kein sogenanntes islamisches Kopftuch getragen werden dürfen. Dass lässt den Schluss zu, dass das Tragen eines solchen Kopftuchs im Dienst von der beklagten Stadt als mit den Pflichten einer Pädagogin in der Kindertagesstätte unvereinbar angesehen wird und dass die Bereitschaft der Klägerin, entsprechend der Dienstanweisung vom 19.11.2018 auf das Tragen des Kopftuchs zu verzichten, ein für die Auswahlentscheidung maßgebliches persönliches Eignungskriterium war. Mit ihrer Erklärung im Vorstellungsgespräch am 26.02.2019, das Kopftuch auch bei dem Dienst in der Kindertagesstätte nicht abzulegen, hat die Klägerin sodann zum Ausdruck gebracht, dass sie als Erzieherin nicht beabsichtige, den Pflichten nach der Dienstanweisung nachzukommen. |
85 |
Das Tragen eines sogenannten islamischen Kopftuchs im Dienst in der Kindertagesstätte durch eine Erzieherin fällt als Bekundung ihres religiösen Glaubens unter den Begriff der Religion in § 1 AGG. Ob die Annahme einer Benachteiligung der Klägerin wegen der Religion im Sinne von § 1 AGG, das heißt die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen ihrer Benachteiligung und der Religion darüber hinaus voraussetzt, dass diese sich aufgrund ihres Glaubens verpflichtet fühlt, ein solches Kopftuch zu tragen, wird auch durch das Verhalten der Klägerin nach der Absage nicht in Frage gestellt. |
86 |
Die Klägerin bewirbt sich auf eine unter fachlichen und qualifikationsmäßigen Gesichtspunkten passende Stelle als Erzieherin bei der beklagten Stadt. Dementsprechend findet auch ein Vorstellungsgespräch statt, in dem die Qualifikationen oder die sachlichen Voraussetzungen jedenfalls nach dem Vortrag beider Parteien in ihrer Eignung nicht in Frage gestellt werden. Was aber auch Gegenstand des Vorstellungsgespräches gewesen ist, ist die Frage nach dem Tragen des Kopftuchs. Die Klägerin wusste also in diesem Zusammenhang, noch dazu als die Vertreterin der Beklagten auf die Neutralitätsvorschrift hinwies, dass dies möglichweise zu einem Ausschlusskriterium führen könnte. Die Beklagte wurde auch deutlich und nannte das Ablegen des Kopftuchs während der Dienstzeit als wichtig. Wenn dann die Klägerin genau in dieser Situation an dem Tragen des Kopftuchs festhält und dies gegenüber der Beklagten auch deutlich macht, so kann eine als verpflichtend empfundene religiöse Haltung nicht angezweifelt werden. Dies gilt auch für das Verhalten der Klägerin im März 2019, was schließlich zu einer unverbindlichen Hospitation führte. Die Klägerin hat nämlich in der für beide Arbeitsvertragsparteien entscheidenden Situation, nämlich der Offenbarung in einem Vorstellungsgespräch im Hinblick auf eine Vollzeitstelle als Erzieherin an dem für sie verpflichtend empfundenen Gebot des Tragens eines Kopftuchs festgehalten. Die von der Beklagten, insbesondere in der Berufungsinstanz hieran geknüpften Zweifel sind nicht so durchschlagend, als die Benachteiligung wegen der Religion der Klägerin nicht anzunehmen wäre. |
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Damit umfasst der Begriff der Religion der Richtlinie 2000/78/EG auch die Möglichkeit der Darstellung nach außen, d.h. die Bekundung des religiösen Glaubens in der Öffentlichkeit […]. Deswegen kann es auch nicht darauf ankommen, ob die Klägerin sich verpflichtet fühlt, immerwährend ein solches Kopftuch zu tragen, denn § 7 Abs. 1 AGG gilt auch für Personen, die zwar nicht selbst ein entsprechendes Merkmal aufweisen, aber gleichwohl aus einem dieser Gründe weniger günstig behandelt werden oder in besonderer Weise benachteiligt werden. Deswegen spricht auch für das BAG viel dafür, dass die Annahme einer Benachteiligung der Klägerin „wegen“ der Religion im Sinne von § 1 AGG nicht voraussetzt, dass sich diese aufgrund ihres Glaubens verpflichtet fühlt, ein solches Kopftuch zu tragen […]. |
88 |
Die Klägerin, dies ist zwischen den Parteien unstreitig, bezeichnet sich selbst als gläubige Muslimin und das Tragen des Kopftuchs als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung. Sie hat zudem gegenüber der Beklagten bekundet, dass sie nicht versichern könne, das Kopftuch auch bei der Erziehungsarbeit abzulegen. Dieses Vorbringen lässt nur den Schluss zu, dass das Tragen des Kopftuchs als Ausdruck des religiösen Bekenntnisses der Klägerin auf einen als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot zurückgeht […]. |
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Diese mittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG, die die Klägerin wegen der Religion erfahren hat, ist auch nicht nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig. |
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Nach dieser Bestimmung ist die unterschiedliche Behandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes dann zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Ein solches Merkmal ist zudem nur dann eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von § 8 Abs. 1 AGG, wenn davon die ordnungsgemäße Durchführung der Tätigkeit abhängt […]. Der Begriff „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne der Antidiskriminierungsrichtlinien der Europäischen Union bezieht sich damit auf eine Anforderung, die von der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung objektiv vorgegeben ist. Er kann sich hingegen nicht auf subjektive Erwägungen erstrecken, die nicht durch entsprechende objektive Analysen belegt sind. Es muss ein direkter, objektiv überprüfbarer Zusammenhang zwischen der vom Arbeitgeber aufgestellten beruflichen Anforderung und der fraglichen Tätigkeit bestehen […]. Ausgehend hiervon ist die Benachteiligung der Klägerin nicht nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig. |
91 |
Die beklagte Stadt hat zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AGG keinen konkreten oder substantiierten Vortrag geleistet, sondern sich insoweit ausschließlich auf ihre Dienstanweisung vom 19.11.2018 gestützt und dabei geltend gemacht, dass es um ein Konzept für jede Kindertagesstätte gehe, und sie unbedingt eine Außenwirkung wegen des Tragens eines Kopftuchs vermeiden wolle. Zweitinstanzlich hat die Beklagte hinzugefügt, dass es ihr um die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Anwendung einer Politik der Neutralität gehe und deswegen die Dienstanweisung und ihr darauf gestütztes Handeln geeignet sei, weil sie die Neutralitätspolitik systematisch und konsequent verfolge. Die Dienstanweisung verfolge einen legitimen Zweck und das Bekundungsverbot sei auf das Erforderliche beschränkt. Außerdem hat sie dargelegt, dass die Neutralitätsregelung sich nur auf Arbeitnehmer mit Kontakt zu Dritten beziehe und eine staatliche Neutralitätspolitik zulässig sei. Sie sehe sich verpflichtet, Eltern und deren Kindern eine religiös und weltanschaulich neutrale Betreuung anzubieten. Es gehe ihr um den Schutz der Kinder, und die konsequente Umsetzung einer Neutralitätspolitik, die auch zufälligen Gestaltungen im Hinblick auf die religiösen Symbole Einhalt gebiete. |
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Setzt man dieses tatsächliche Vorbringen der beklagten Stadt in ein Verhältnis zu den Anforderungen des § 8 Abs. 1 AGG, so legt die beklagte Stadt gerade nicht spezifische Anforderungen oder berufsmäßige Anforderungen der Erzieherinnen in ihrer Kindertagesstätte dar. Es geht der Beklagten vornehmlich um staatliche Neutralität, die Erwartung der Eltern der Kinder und das Freihalten der Kindertagesstätten von religiösen Symbolen. Dies lässt aber nicht erkennen, dass die Klägerin mit oder ohne Kopftuch die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nicht in den Kindertagesstätten erfüllen könnte. Die Klägerin ist ausgebildet, qualifiziert, sie hat den pädagogischen Umgang mit Kindern erlernt, sie kann dies umsetzen, irgendwelche trennenden Aspekte dahingehend, dass Kinder wegen des Kopftuchs Abstand von ihr nehmen würden, hat die Beklagte nicht dargelegt. Auch eine Identitätsbeeinträchtigung der Kinder oder der Eltern durch die Arbeitsleistung der Klägerin oder anderen Mitarbeiterinnen ist nicht Gegenstand des Tatsachenvortrags der Beklagten im Hinblick auf § 8 Abs. 1 AGG. |
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Aus der in der Dienstanweisung vom 19.11.2018 getroffenen Regelung, nach der u.a. das Tragen eines islamischen Kopftuchs als auffallendes religiös konnotiertes Kleidungsstück im Dienst schon wegen seiner bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Frieden in den Kindertagesstätten oder die staatliche Neutralität untersagt ist, begründet nicht den Einwand des § 8 Abs. 1 AGG, weil die Dienstanweisung verfassungskonform auszulegen ist, dass sofern das Tragen eines solchen Kleidungsstücks nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist, zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für den Frieden in der Kindertagesstätte oder die staatliche Neutralität vorliegen muss und die beklagte Stadt das Vorliegen einer solchen konkreten Gefahr nicht dargelegt hat […]. Dabei geht das BAG davon aus, dass ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Pädagoginnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit den gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen, nämlich der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Kinder sowie der Eltern nach Art. 4 Abs. 1 GG, des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG und des staatlichen Erziehungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu erfüllen ist, erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm dahin, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die staatliche Neutralität oder den Schulfrieden vorliegen muss […]. |
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Die Beklagte stellt in diesem Zusammenhang auf die Systematik ihrer Neutralitätspolitik ab, möchte die Rechte und berechtigten Erwartungen der Kunden oder der Nutzer berücksichtigt wissen und stellt auf ihre Verpflichtung ab, Eltern und deren Kindern eine religiös und weltanschaulich neutrale Betreuung anzubieten. |
95 |
Aus diesen Darlegungen geht eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden nicht hervor. Es ist eben so, dass politische Entscheidungen bei der beklagten Stadt zu dieser Dienstanweisung vom 19.11.2018 geführt haben. Diese Dienstanweisung wiederum nimmt Bezug auf eine entsprechende Dienstanweisung vom 06.12.2012. Welche konkreten Erwartungshaltungen, welche konkreten Gefahren mit einer Dienstanweisung aus dem Jahr 2012 oder aber der Ergänzung oder Ersetzung im Jahr 2018 geführt haben könnten, welche Erwartungen bei den Eltern in der Zwischenzeit entstanden seien könnten, wie diese Erwartungen vor dem Hintergrund einer möglicherweise durchbrochenen Neutralitätspolitik durch die Eltern an die Verantwortlichen der Stadt artikuliert worden sein könnten, geht aus dem tatsächlichen Vorbringen der Beklagten nicht hervor. Die Beklagte hingegen geht davon aus, dass ein Kleidungsstück mit religiöser Symbolik zu einer Vertrauensschädigung gegenüber den Eltern führen müsse, unabhängig davon, wie sich der Erzieher ansonsten tatsächlich am Arbeitspatz verhalte. Für die Eltern sei der Kindergartenalltag dahingehend, inwiefern eine Beeinflussung ihrer Kinder in weltanschaulicher, religiöser oder politischer Hinsicht erfolgt, kaum bis nicht einsehbar. Das sei aber für eine intakte Vertrauensbasis unumgänglich. |
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Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang keinen Fall einer weltanschaulichen Beeinflussung der Kinder durch Erzieherinnen mit einer bestimmten Weltanschauung oder religiösen Orientierung dargelegt. Der Zusammenhang wird abstrakt geschildert, es wird davon ausgegangen, dass auch und gerade ein Kleidungsstück mit religiöser Symbolik von dem Träger oder der Trägerin für eine religiös motivierte Beeinflussung genutzt werden könnte. Allein die große Fläche des Kleidungsstücks wird von der beklagten Stadt als entscheidend angesehen, denn sie betont in ihrem Vorbringen, dass dies unabhängig davon gelte, wie sich die Erzieherin ansonsten tatsächlich am Arbeitsplatz verhalte. |
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Die konkreten Ausgangsbedingungen bei der Beklagten sind auf der Grundlage ihres eigenen Tatsachenvortrags doch differenziert. Die Beklagte nennt eine bestimmte Anzahl an Kindertagesstätten, die sie in ihrem Stadtgebiet betreibt. Des Weiteren hat die Beklagte dargelegt, dass große Teile der Kinder in den Kindertagesstätten einen Migrationshintergrund aufweisen. Welche religiöse Orientierung dieser Migrationshintergrund zur Folge haben könnte, hat die Beklagte allerdings nicht dargelegt. Es geht ihr in diesem Zusammenhang um Vielfalt, Gleichberechtigung und Offenheit im Hinblick auf eine respektvolle Erziehung der einzelnen Kinder. Nun wäre es an der Beklagten gewesen, ein bestimmtes Kleidungsstück konkret bezogen auf die von ihr selbst in der Dienstanweisung und Neutralitätsanordnung beschriebenen Anforderungen darzulegen. Es kann nämlich auch zu den Erziehungszielen in einer staatlichen Neutralitätspolitik gehören, Toleranz, Gleichberechtigung und Respekt vor anderen Weltanschauungen und Religionen zu erlernen und den ein oder anderen Hinweis von der Erzieherin oder Erzieher hierzu zu bekommen. Aber auch wenn man diesen Gedanken nicht nähertreten wollte, allein die Fläche eines Kleidungsstücks bedeutet noch keine inhaltliche Aussage und damit auch noch keine konkrete Beeinflussung eines Kindes. Dies wiederum würde nämlich bei dem Kind entsprechende Kognitionen bezogen auf ein großflächiges Kleidungsstück voraussetzen. Die Beklagte hat hierzu keinerlei Tatsachenvortrag abgeleistet. |
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Auch wenn man mit der Beklagten von Schutzrechten für die Kinder ausgeht, und auch wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass Erzieher als eine enge Bezugsperson von Kindern im Kindergartenalter anzusehen sind, so geht die Beklagte ohne nähere Darlegung dann davon aus, dass das Kleidungsstück klar erkenntlich ein religiöses und zudem großflächiges Kleidungsstück oder Symbol sein könne. Die Kinder würden dann täglich stundenlang mit dieser jederzeit unübersehbaren Glaubensbekundung konfrontiert. |
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Wie vorstehend begründet, setzt eine solche Argumentation gerade voraus, dass es bestimmte Wahrnehmungsmöglichkeiten bei Kindern gibt, diese auch religiös von den Kindern zugeordnet werden können und dass sie sich durch das Tragen des Kopftuches in einer konfrontativen Situation wiederfinden würden. Beispielsfälle, empirische Schilderungen oder Untersuchungen hierzu, konkrete Auswirkungen auf den Kinderalltag in der Stadt A hat die Beklagte allerdings nicht dargelegt. Es wäre für die Beklagte aber möglich gewesen, die Kinder danach zu fragen, welche Verbindungen, welche Aussagen sie zu einem Kopftuch bei der Klägerin oder anderen Erzieherinnen treffen würden. Das Gleiche gilt auch für die Interessenartikulation der Eltern. Im konkreten Fall ist es sogar so, dass die Klägerin mit einem Kopftuch für die Beklagte gar keine Arbeitsleistung erbracht hat. Des Weiteren hat die Beklagte auch nicht dargelegt, ob es zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegenüber Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gekommen sein könnte, die entweder seit 2012 oder seit 2018 ein Kleidungsstück mit religiöser oder weltanschaulicher Symbolik nicht mehr hätten tragen dürfen. All diese Gesichtspunkte hätten eine Beurteilung im Hinblick auf hinreichend konkrete Gefahren bei der Erbringung der Arbeitsleistung deutlich machen können. Die Berufungskammer hat keine Anhaltspunkte im Hinblick auf die Interessenartikulation durch die Eltern, sie hat auch keine Information im Hinblick auf arbeitsrechtliche Maßnahmen entweder seit 2012 oder seit 2018, sie hat keinerlei Informationen im Hinblick auf den Kindertagesstättenalltag und möglicherweise ablehnende oder konfrontative Reaktionen der Kinder auf eine religiöse Symbolik. Von hinreichend konkreten Gefahren kann dann nicht ausgegangen werden. |
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Deswegen ist die Dienstanweisung vom 19.11.2018 verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass dann, wenn das Tragen des Kopftuchs nachvollziehbar auf einen als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist, zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für den Frieden in der Kindertagesstätte oder die staatliche Neutralität vorliegen muss […]. Dabei ist der Tatsachenvortrag der Beklagten, ob im Einzelfall aufgrund bestehender Konfliktlagen, die ihre Ursache im Tragen auffallender religiös konnotierter Kleidungsstücke haben oder durch sie geschürt werden, nicht ausreichend. Gleiches gilt für die Darlegung, dass die Abläufe in der Kindertagesstätte und/oder die staatliche Neutralität tatsächlich so ernsthaft in einem Maße beeinträchtigt sind, dass von einer konkreten Gefahr für diese Schutzgüter gesprochen werden kann. […]. Die vorzitierte Rechtsprechung fordert nämlich in diesem Zusammenhang substantielle Konflikte, die tatsächlich bestehen und die Abläufe oder die staatliche Neutralität tatsächlich in einem für die Annahme einer Gefahr für diese Schutzgüter erheblichen Maße beeinträchtigen. Rein subjektive Erwägungen der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Eltern erfüllen diese Anforderungen nicht. |
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Inwiefern bei der Beklagten in den Kindertagesstätten entweder seit 2012 oder seit 2018 substantielle Konfliktlagen bestanden, die ihre Ursachen im Tragen auffallender religiös konnotierter Kleidungsstücke durch eine Erzieherin hatten oder durch die geschürt wurden und dass hierdurch die Abläufe oder die staatliche Neutralität tatsächlich ernsthaft in einem Maße beeinträchtigt wurden, dass von einer konkreten Gefahr für diese Schutzgüter gesprochen werden könnte, hat die Beklagte nicht dargelegt. |
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Deswegen muss auch nicht weiter auf der Grundlage des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten geklärt werden, ob und welche Bedeutung den in Artikel 24 der GRC bestimmten Rechte der Kinder im vorliegenden Verfahren zukommt. Letztlich müssen auch nicht die Fragen beantwortet werden, ob das Grundgesetz zwar für den Staat die Pflicht zur weltanschaulich-religiöser Neutralität begründet, die danach gebotene Neutralität allerdings nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen ist, und ob dies als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung und dass dies auch für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Kindertagesstätte gilt. […] |
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Auch soweit die Klägerseite Zweifel an der systematischen und kohärenten Umsetzung der Dienstanweisung vom 19.11.2018 wegen der Winterfeste oder der Frühlingsfeste geäußert hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an. Zu fordern ist eine hinreichend konkrete Gefahr für den Frieden in der Kindertagesstätte vor dem Hintergrund einer offenen und übergreifenden, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung und dass dies auch für den Staat als Träger für den Bereich von Kindertagesstätten gilt. Die Beklagte hat nämlich keine religiösen oder weltanschaulichen Konflikte innerhalb der Elternschaft, der Belegschaft oder im Verhältnis zu Kindern in Form von andauernden Diskussionen oder sonstige Störungen in den betrieblichen Abläufen dargestellt. Auch wenn man nach dem Vorbringen der Beklagten von diesen Konflikten nicht ausgehen kann, so ist aber auch nicht von strukturellen Problemen auszugehen, weil sich im Arbeitnehmerkreis mehrere Anhänger von allgemein zu Kontroversen neigenden Glaubensrichtungen befinden würden. Die Beklagte hat weder für das Jahr 2018 oder aber für das Jahr 2012 ein solch fortwirkendes Problem aufgezeigt. |
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Wirtschaftliche Einbußen, die Beklagte betont es selbst, könnten für die vorliegende Prüfung einer konkreten Gefahr für den Frieden in den Kindertagesstätten nicht herhalten. Elternwünsche, Wünsche der Kinder, Umsatzeinbußen, Ertragseinbußen, die auf lokalweltanschaulichen Verhältnissen beruhen, hat die Beklagte darüber hinaus nicht in ihr tatsächliches Vorbringen aufgenommen. |
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Auch wenn man zugunsten der Beklagten ein präventives Verbot annehmen wollte, wenn sich Beeinträchtigungen von interkulturellen Kundenbeziehungen oder Elternbeziehungen andeuten, und auch wenn man das Bedürfnis einer Vorbeugung von kulturellen Konflikten anerkennt, so könnte dies im Rahmen eines Nutzerkontakts allenfalls dann angenommen werden, wenn sich dies geschäftsschädigend oder ertragsschädigend auswirken würde. Deswegen ist für eine konkrete Beeinträchtigung oder Gefahr zunächst entscheidend, dass sie schon eingetreten ist oder unmittelbar oder unvermeidlich bevorsteht. Dies lässt sich dem Tatsachenvortrag der Beklagten auch unter Berücksichtigung der zeitlichen Abfolgen seit dem Jahr 2012 oder seit dem Jahr 2018 nicht entnehmen. |
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Das Bundesverfassungsgericht hat auch betont, dass Maßnahmen zeitlich zu begrenzen sind und aufzuheben sind, sobald Konfliktlagen behoben sind oder andere Einbußen ausbleiben. Eine Störung des Friedens in den Kindertagesstätten ist nicht schon bei einer einzelnen Auseinandersetzung zwischen Erzieherinnen und Erziehern oder Erzieherinnen und Eltern oder Erzieherinnen und Kindern anzunehmen, genauso wie ein finanzieller Verlust irrelevant bleiben würde, solange es den Bestand des Unternehmens nicht merklich tangiert. Des Weiteren hat die Beklagte in ihrem tatsächlichen Vorbringen auch keine Prognoseerwägungen für eine Wiederholungsgefahr angestellt. Es gibt keine Analysen für mögliche Konfliktursprünge oder vorhersehbare geschäftliche Schwierigkeiten anhand des unternehmerischen Konzepts. |
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Die Klage ist auch begründet, soweit sie die Höhe der geltend gemachten Entschädigung betrifft. |
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Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Dabei muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt […]. Die Entschädigung muss in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. |
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Keine der Parteien hat im Ausgangspunkt die Höhe der ausgeurteilten Entschädigung durch das Arbeitsgericht Offenbach kritisiert. Im Fall einer Nichteinstellung ist für die Bemessung der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG an das Bruttomonatsentgelt anzuknüpfen, das die erfolglose Bewerberin ungefähr erzielt hätte, wenn sie die ausgeschriebene Stelle erhalten hätte. Dies hat das Arbeitsgericht Offenbach getan. Des Weiteren kritisieren die Parteien auch nicht den vom Arbeitsgericht ausgefüllten Ermessensspielraum, innerhalb dessen es die Besonderheiten des einzelnen Falls berücksichtigt hat. |
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Vorliegend ist bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung davon auszugehen, dass die Klägerin eine sehr gut qualifizierte Bewerberin für die angestrebte Vollzeitstelle gewesen ist. Die Klägerin hatte nämlich über das geforderte Anforderungsprofil hinaus weitere Studienabschlüsse aufzuweisen. Dies müsste eigentlich die Qualifikation und Eignung der Klägerin für die von Beklagten ausgeschriebene Stelle gesteigert haben. Des Weiteren beschreibt die Klägerin die konkrete und direkte Bezugnahme auf ihre religiöse Bekundung in Form eines Kopftuchs, die unter diesem Gesichtspunkt doch den Eindruck vermitteln muss, dass der bisherige Ausbildungs- und Berufsweg nicht allein entscheidend bei einer Einstellungsentscheidung für die Beklagte ist. Mehr noch macht dies der nachfolgende Schriftverkehr nach der Absage deutlich. Man ist bezogen auf das religiöse Symbol in Ausprägung eines Kopftuchs und der damit verbundenen religiösen Bekundung doch bereit, weitere Verhandlungen zu führen und kommt schließlich zu einer unverbindlichen Hospitation. Die Einstellung als Arbeitnehmerin ist aber für die Klägerin nicht möglich. Die Klägerin muss also den Eindruck gewinnen, dass es für die Beklagte auch andere Gesichtspunkte als die Leistungsfähigkeit und die hierzu erforderlichen Qualifikationen bei der Stellenbesetzung oder im Beruf geben kann. Auch wenn die Beklagte sich hierzu auf die von ihr verfolgte Neutralitätspolitik beruft, auch wenn die Beklagte dieses Ziel vornehmlich und generell zu erfüllen versucht, auch wenn man zugunsten der Beklagten annimmt, sie habe die Klägerin nicht kränken oder verletzen wollen, so erweist sich eine Entschädigungszahlung in Höhe von 1,5 Bruttomonatsgehältern als erforderlich im Hinblick auf die Sanktionen, aber auch als angemessen vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Diese Gesichtspunkte nehmen auch Bezug auf das nachträgliche Gefühl der Klägerin nach der Durchführung des Bewerbungsverfahrens, und der von der Beklagten beabsichtigten Neutralitätspolitik. Die Parteien haben auch nach Nachfrage durch das Berufungsgericht klargestellt, dass sie insoweit die Höhe der Entschädigung nicht kritisieren und als angemessen empfinden. […] |
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Die Revision ist zuzulassen, dies ist veranlasst durch § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage, nämlich die Geltungskraft und Reichweite der Dienstanweisung der Beklagten vom 19.11.2018, hat grundsätzliche Bedeutung. Auch wenn das Bundesarbeitsgericht auf der Grundlage der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und unter Beachtung einer Bindungswirkung nach § 31 BVerfGG eine verfassungskonforme Auslegung von Neutralitätsanordnungen annimmt, der EuGH konkret zu Vorlagefragen bundesrepublikanischer Gerichte, darunter auch des Bundesarbeitsgerichts, entschieden hat, so geht es nunmehr um die Herstellung einer Wertungsparallelität, einer Wertungsharmonie im Hinblick auf bundesrepublikanisches Verfassungsrecht und der Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinien. Wie die Abwägung der Freiheitsrechte beider Parteien, der Kinder und ihrer Eltern in die Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung integriert werden soll, und in welchem Umfang dies die Berücksichtigung der Grundrechte des GG sowie die Beachtung einer gemeindlichen Neutralitätspolitik erlaubt, scheint noch nicht abschließend geklärt. Des Weiteren hat die Beklagte immer wieder darauf abgestellt, dass sich möglicherweise auf der Grundlage eines Revisionsverfahrens Vorlagefragen zum EuGH ergeben könnten. Dies würde bedeuten, dass eine dogmatische Linie für den vom EuGH geforderten Abwägungsvorgang unter Einbezug der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts noch zu erarbeiten wäre. |
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