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Rechtsurteile

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Anforderungen an das Bekenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung

Das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (nach alter Rechtslage) erfordert zumindest Grundkenntnisse derselbigen, die darauf schließen lassen, dass das abgegebene Bekenntnis jedenfalls rudimentär verstanden wurde. In der Aussage einer Einbürgerungsbewerberin, sie halte Scharia und Grundgesetz für vereinbar, kann nicht pauschal ein Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gesehen werden, sofern die Einbürgerungsbewerberin unter Scharia nicht etwa die Strafgesetze nach islamischem Recht verstehe, sondern lediglich die fünf Säulen des Islam. (Leitsatz der Redaktion)


Vorinstanz: M 25 K 09.5509

Leitsatz:

Das nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F. […] erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ist nicht nur eine formelle, sondern eine materielle Einbürgerungsvoraussetzung; ein wirksames Bekenntnis setzt daher voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und die Erklärung damit von einem entsprechenden Bewusstsein getragen ist.

 

Urteil:

 

I. Die Berufung wird zurückgewiesen. […]

 

Zum Sachverhalt:

 

Die Klägerin ist tunesische Staatsangehörige; sie reiste im Juni 1998 in das Bundesgebiet ein und wurde mit Bescheid vom 17. Dezember 1998 antragsgemäß als Asylberechtigte anerkannt.

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Am 25. August 2005 beantragte die Klägerin beim Landratsamt Freising ihre Einbürgerung - später beschränkt auf die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG – und unterschrieb hierbei u.a. ein vorformuliertes Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland.

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Auf Anfrage des Landratsamtes teilte das Landesamt für Verfassungsschutz am 18. Februar 2009 mit, die Klägerin müsse sich die ideologischen Ziele der En-Nahda in Tunesien zurechnen lassen, mit deren Geldern sie nach ihren Angaben im Asylverfahren seit 1981 in Tunesien hilfsbedürftige Familien unterstützt habe. Dass sie dies in eigener Verantwortung habe tun dürfen, spreche für eine besondere Vertrauensstellung und gegen eine nur durchschnittliche Mitgliedschaft.

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Daraufhin führte das Landratsamt am 14. April 2009 eine Befragung der Klägerin durch. Das Bayerische Staatsministerium des Innern teilte nach Überprüfung der Befragungsergebnisse dem Landratsamt mit, ein Ausschlussgrund des § 11 StAG liege zwar nicht vor, das Bekenntnis der Klägerin zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG sei jedoch lediglich als Lippenbekenntnis zu werten.

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Mit Bescheid vom 21. Oktober 2009 lehnte das Landratsamt daraufhin den Einbürgerungsantrag der Klägerin mit der Begründung ab, ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehle.

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Am 21. November 2009 ließ die Klägerin hiergegen Klage erheben.

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Das Verwaltungsgericht gab der Klage mit Urteil vom 24. November 2010 mit der Begründung statt, das Bekenntnis zur Grundordnung sei ebenso wie die sog. Loyalitätserklärung lediglich eine formale Einbürgerungsvoraussetzung.

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Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung. Er beantragt,

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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts München […] die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handele es sich bei dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG um eine materielle Einbürgerungsvoraussetzung. Diese sei nur erfüllt, wenn der Einbürgerungsbewerber wisse, was er erkläre, was wiederum Kenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung voraussetze. Darüber hinaus müsse das Bekenntnis auch der inneren Einstellung des Bewerbers entsprechen.

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Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall. Das Ergebnis der Befragung habe gezeigt, dass sie über keinerlei Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland verfüge. Nicht einmal mit dem Begriff „Demokratie“ habe die Klägerin etwas Konkretes anfangen können. Auch die zutage getretene Auffassung der Klägerin, zwischen deutschen Gesetzen und der Scharia bestünden keine Widersprüche, zeige, dass sie keinerlei Vorstellung von Grundrechten und deren Bedeutung habe. Sie habe daher nicht gewusst, was sie mit der Unterschrift unter das „Bekenntnis“ erklärt habe.

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Die weiteren Äußerungen der Klägerin im Rahmen der Befragung zeigten darüber hinaus, dass ihre innere Einstellung mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar sei. So lehne sie eine Trennung von Staat und Religion ab. Sie räume der Scharia einen hohen Stellenwert ein und zeige insbesondere bezüglich der Verheiratungspraxis ein äußerst konservatives islamisch geprägtes Weltbild. In dieser Haltung zeige sich auch, dass die Klägerin die Werteordnung und Ziele der En-Nahda zutiefst verinnerlicht habe.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie lässt vortragen, das von ihr abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei - unabhängig von der Frage, ob es eine formelle oder materielle Einbürgerungsvoraussetzung sei - inhaltlich richtig gewesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten schlössen sich für Muslime Glaube und Achtung des demokratischen Rechtsstaates nicht aus. Sie verstehe unter der Scharia die fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, tägliches Gebet, Armensteuer, Fasten im Ramadan, Pilgerfahrt nach Mekka), weshalb sie darin keinen Widerspruch zum Grundgesetz sehen könne. Die Tochter der Klägerin sei von dieser auch nicht zu der arrangierten Hochzeit gedrängt worden. Inzwischen habe die Tochter sogar mit Erfolg die Ehescheidung beantragt. Die Klägerin sei seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr für die En-Nahda tätig gewesen. […]

 

Gründe:

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Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht antragsgemäß den Beklagten verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag der Klägerin auf Einbürgerung zu entscheiden.

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1. Allerdings ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung (25.8.2005) das nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erforderliche Bekenntnis der Klägerin zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vorgelegen habe.

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Denn entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handelt es sich bei diesem Bekenntnis nicht lediglich um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung; vielmehr wird dem Einbürgerungsbewerber ein aktives persönliches Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abverlangt, woraus zwingend folgt, dass der Betreffende den Inhalt des von ihm abgegebenen Bekenntnisses verstanden haben und zumindest dessen Kerninhalte kennen muss. Nur derjenige kann sich glaubwürdig zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, der wenigstens über einen Grundbestand an staatsbürgerlichem Wissen verfügt […].

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Dies hat auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wiederholt entschieden. In seinem Urteil […] führt er dazu aus:

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„Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen […]. Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Denn wenn es sich hierbei nicht nur um formale Einbürgerungsvoraussetzungen in Form eines bloßen Lippenbekenntnisses handelt, müssen das Bekenntnis und die Erklärung von einem entsprechenden Bewusstsein des Einbürgerungsbewerbers getragen sein.“

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Dem schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an […]. Die Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland hätte keinen Sinn, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht wenigstens einfache Grundkenntnisse dieser Grundordnung besäße und daher den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärung auch nicht wenigstens rudimentär verstehen könnte. Ein „Bekenntnis“ erfordert nach Auffassung des Senats bereits vom Wortlaut her ein solches Verständnis über den Gegenstand der Erklärung.

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Eine solche Auslegung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG macht auch nicht die tatsächlich problematische und wenig praktikable Prüfung der inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers erforderlich. Vielmehr können die Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an objektiven Maßstäben und tatsächlichen Anhaltspunkten gemessen und überprüft werden, ohne dass damit eine Bewertung der inneren Einstellung des Betroffenen verbunden wäre.

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2. In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich im Fall der Klägerin Folgendes:

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2.1 Im Zeitpunkt der Abgabe des „Bekenntnisses“ im August 2005 fehlte es bei der Klägerin an den erforderlichen einfachen Grundkenntnissen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, so dass es derzeit noch an einem materiell wirksamen Bekenntnis und damit an einer Einbürgerungsvoraussetzung fehlt. Dies ergibt sich aus dem Kontext der Erklärung der Klägerin vom 25. August 2005 mit ihrer Befragung durch das Landratsamt am 14. April 2009.

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Auch wenn die Anforderungen an einen Einbürgerungsbewerber nicht überspannt werden dürfen und auch Bildungsstand und Herkunft des Betreffenden Berücksichtigung finden müssen, sind diese Anforderungen zumindest dann nicht erfüllt, wenn er – wie die Klägerin im Jahr 2005 – nicht einmal im Ansatz weiß, wozu er sich mit seiner Unterschrift „bekennt“. Die Klägerin verfügte im Zeitpunkt ihrer Unterschriftsleistung praktisch über keinerlei (Grund-) Kenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie verneinte noch 2009 selbst ausdrücklich, das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung zu kennen. Mit dem zentralen Begriff „Demokratie“ konnte die Klägerin nichts Substantielles anfangen. Fehlende Kenntnisse über die Grundordnung offenbarte auch die mangelnde Fähigkeit der Klägerin, wenigstens ansatzweise die Inhalte von zentralen Grundrechten oder Kernbestimmungen des Grundgesetzes wie zum Beispiel die Anerkennung der Souveränität des Volkes, der Gewaltenteilung und das Mehrparteiensystem zu benennen.

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2.2 Allerdings richtet sich die Beurteilung eines Einbürgerungsanspruchs nach der Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, da es sich hier um eine Verpflichtungsklage handelt. Den rechtlichen Maßstab bildet insoweit noch die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG a.F., die gemäß § 40 c StAG auf bis zum 30. März 2007 gestellte Anträge noch anzuwenden ist, soweit sie günstigere Bestimmungen enthält. Dies ist insbesondere auch mit Blick auf die für den Einbürgerungsbewerber erforderliche Kenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Fall, weil nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 5 StAG ausdrücklich Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland erforderlich sind, die in der Regel durch einen Einbürgerungstest nachzuweisen sind. Dies umfasst deutlich weitergehende Anforderungen, als es nach der bisherigen Rechtslage der Fall war.

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Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Klägerin zwar im August 2005 mangels der erforderlichen Kenntnisse von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kein wirksames Bekenntnis im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgeben konnte; da es aber auf die Situation zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt, stellt sich die Frage, ob die Grundkenntnisse der Klägerin heute zumindest insoweit ausreichend erscheinen, dass davon ausgegangen werden kann, dass sie den Inhalt eines von ihr (noch) abzugebenden Bekenntnisses zumindest rudimentär versteht und das Bekenntnis damit von einem entsprechenden Bewusstsein der Klägerin getragen ist.

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Diese Frage ist nach Auffassung des Senats aufgrund der Äußerungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2012 und ihrer Lebensumstände zu bejahen. Auf entsprechende Fragen des Gerichts benannte sie in eigenen Worten einige Grundrechte wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG), den Schutz der Familie (Art. 6 GG), das Recht auf Eigentum (Art. 14 GG), die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau (Art. 3 GG) und kannte auch den Inhalt von Art. 20 GG (Gewaltenteilung). Zuletzt wies sie darauf hin, dass in Deutschland die Glaubensfreiheit geschützt werde (Art. 4 GG).

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Die Aussagen der Klägerin wirkten nicht einstudiert und etwa nur auswendig dahergesagt. Auch die vom Bevollmächtigten der Klägerin skizzierte bisherige Lebensweise der Klägerin, die nach ihrer Ausbildung zur Schneiderin selbst als Ausbilderin tätig war und ihre Töchter studieren lässt, zeigt, dass ihr die genannten Grundrechte tatsächlich wichtig sind und ihre Zugehörigkeit zum islamischen Glauben einer gelebten Annahme der Werte unserer freiheitlichen Verfassung im Alltag nicht entgegensteht. Vielmehr vermittelt sie den Eindruck einer vergleichsweise emanzipierten muslimischen Frau, der die Grundlagen unseres demokratischen Rechtsstaates mittlerweile bekannt sind und die diese Grundlagen – gerade vor dem Hintergrund der Verhältnisse in ihrem Herkunftsland – zu schätzen weiß.

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Entgegen der Auffassung des Beklagten belegen auch die von ihm benannten weiteren Umstände nicht, dass ein Bekenntnis der Klägerin zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum jetzigen Zeitpunkt trotz der nun vorhandenen Grundkenntnisse nur ein bloßes Lippenbekenntnis wäre. Zwar könnte die Form der Verheiratung einer ihrer Töchter für sich gesehen hierfür sprechen, da eine „arrangierte Ehe“ im Widerspruch zu grundlegenden Werten unserer Grundordnung steht. Allerdings hat die Klägerin dazu unwiderlegt vorgetragen, ihre Tochter sei nicht von ihr und ihrem Ehemann zu der Heirat gedrängt worden; vielmehr hätten sie sich lediglich dazu bereit erklärt, dass sich der bis dahin unbekannte Bewerber ihrer Tochter vorstellte. Ein „Nein“ ihrer Tochter hätten sie jedoch akzeptiert.

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Die geschilderten Umstände und die Tatsache, dass die Tochter sich hat scheiden lassen, sprechen gegen die Annahme des Beklagten, die Klägerin habe eine mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbare innere Einstellung, weshalb auch ein von Grundkenntnissen gestütztes Bekenntnis als bloßes Lippenbekenntnis nicht ausreichend sei.

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Die Beziehungen der Klägerin zur En-Nahda bestanden lediglich in der Zeit vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet (Juni 1998) und liegen daher bereits fast 14 Jahre zurück. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin auch in der näheren Vergangenheit Beziehungen zur En-Nahda gepflegt hat, wurden vom Beklagten nicht vorgetragen.

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Auch die Äußerungen der Klägerin bei der Befragung am 14. Februar 2009 zur Vereinbarkeit von Grundgesetz und Scharia sprechen nicht für die vom Beklagten befürchtete, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbare innere Einstellung der Klägerin, die das Bekenntnis zu einem bloßen Lippenbekenntnis werden ließe. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin gewonnenen Eindrucks ist der Senat davon überzeugt, dass sie unter „Scharia“ nicht etwa die Strafgesetze nach islamischem Recht, sondern tatsächlich die fünf Säulen des Islam – Glaubensbekenntnis, tägliches Gebet, Armensteuer, Fasten im Monat Ramadan und die Pilgerfahrt nach Mekka – versteht, wie es in der Befragung am 14. Februar 2009 auch zum Ausdruck kam. Hierin kann ein Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht gesehen werden.

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3. Nach alldem hat der Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Einbürgerung gemäß §§ 10, 11 StAG a.F. unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts und nach erneuter Abgabe eines Bekenntnisses durch die Klägerin erneut zu entscheiden. […]

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