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Rechtsurteile

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AG Berlin-Tiergarten verurteilt eine Frau wegen propalästinensischer Parole

1. „From the River to the Sea – Palestine will be free“ stellt hier ein Billigen des Überfalls vom 07.10.2023 dar, § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 2. Eine Äußerung, die in einer Menschenmenge mit Versammlungscharakter und in engem zeitlichen Zusammenhang zu einer Katalogtat geäußert wird, ist nicht von der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG gedeckt, wenn sie nur als gutheißende Bezugnahme auf diese Tat verstanden werden kann. 3. Das Rufen der Parole auf der belebten Straße war geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, und wurde von der Angeklagten bewusst in Kauf genommen.


 

Tenor:

 

Die Angeklagte wird wegen Billigens von Straftaten zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt.

 

Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Gründe:

 

I.

1

Die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 22 Jahre alte, in A. geborene Angeklagte ist Deutsch-Iranerin, ledig und kinderlos. Sie studiert Soziale Arbeit und hat zu ihren finanziellen Verhältnissen keine Angaben gemacht. Die Angeklagte hat eine vorgefertigte Erklärung verlesen, in der sie zu ihrer Herkunft folgende Angaben getätigt hat: Ihre Familie stamme aus dem Iran.

2

Diese fühle sich zum größten Teil dem politischen Spektrum der Kommunisten zugehörig. Ihre Familie habe sich vor ihrer Flucht nach Deutschland für Freiheit im Iran eingesetzt. Sie selbst sei – nach dem Vorbild ihrer Eltern – schon frühzeitig politisch aktiv geworden. So engagiere sie sich etwa in der Gruppe ZORA, die sich für die Rechte von Frauen, auch im Iran, einsetze.

 

II.

3

Am 11.10.2023 um 11:45 Uhr rief die Angeklagte lautstark im Bereich der belebten S. ...  B. ... einer Gruppe von zunächst etwa 60 dann 20 verbliebenen Personen, welche sich entgegen eines Verbotes im tatgegenständlichen Bereich versammelten, die Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free“ zu. Die Gruppe antwortete ihr mit derselben Parole.

4

Wie die Angeklagte wusste, fand wenige Tage zuvor, am 7. Oktober 2023, der Überfall der Terrorgruppe Hamas auf die israelische Bevölkerung und den Staat Israel statt. Bei diesem Terroranschlag der palästinensischen Terrorgruppe starben mehr als 1200 Menschen und mehr als 200 Personen wurden als Geiseln durch die Hamas entführt, verschleppt und teilweise getötet.

5

Der von ihr getätigte Ausruf war – insbesondere aufgrund der zeitlichen Nähe zum Terroranschlag auf die israelische Zivilgesellschaft – von dem Willen getragen, die Tötungen sowie die Entführungen der Zivilisten durch die Terrorgruppe Hamas als Teil eines mutmaßlichen politischen Befreiungskampfes der Menschen in dem palästinensischen Autonomiegebiet zu legitimieren und damit die entsprechenden Taten zu befürworten. Dabei war der Angeklagten auch bewusst, dass das Gutheißen dieser Terrortat geeignet ist, für Unruhe, Unfrieden und Sicherheitsverlust für Teile der in Deutschland lebenden Bevölkerung zu sorgen.

6

Die von der Angeklagten angemeldete Demonstration sollte ursprünglich vor dem E. A. Gymnasium stattfinden und war unter dem Motto „Gegen Gewalt an Berliner Schulen“ angemeldet worden. Die Demonstration ist aber verboten worden. Die 50 Personen, die trotz des Versammlungsverbots vor Ort waren, haben Palästinensertücher getragen und Palästina Fahnen mit sich geführt.

 

III.

7

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben der Angeklagten, die Feststellungen zur Sache auf den Angaben der Angeklagten, die sich dahingehend eingelassen hat, dass sie die Parole „From the River to the SeaPalestine will be free“ gerufen hat, und den Aussagen der Zeugen H.R. und PHK P..

8

1. Die Angeklagte bestreitet nicht, die Parole „From the River to the SeaPalestine will be free“ gerufen zu haben.

9

Ihr sei es vordergründig an dem Tag, darum gegangen, die Rechte von Schülern und Schülerinnen an dem E.A.  Gymnasium zu verteidigen, aber es ging ihr auch um das Anliegen des palästinensischen Volkes.

10

Mit dem Ruf „From the River to the Sea – Palestine will be free“ wolle sie für Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für das palästinensische Volk eintreten. In der Losung spiegele sich nach ihrer Auffassung die Sehnsucht der Palästinenser und Palästinenserinnen nach Frieden wider.

11

Sie spricht in ihrer Einlassung von dem Krieg, der seit dem 11. Oktober in Gaza tobt und den Gräueltaten, welche Palästinensern und Palästinenserinnen seit 76 Jahren widerfahren.

12

Das Massaker an Jüdinnen und Juden am 7. Oktober bleibt unerwähnt.

13

2. Damit ist unstrittig, dass die Angeklagte die oben genannte Parole gerufen hat.

14

Dieser Sachverhalt steht zudem aufgrund der Aussagen der Zeugen P1. und H. fest.

15

Der Zeuge P1. hat den Sachverhalt wie oben unter II. festgestellt, bestätigt und ergänzt, dass er mit einer Hundertschaft Polizei vor Ort gewesen sei, seiner Schätzung nach mit über zehn Polizeibeamten. Die unter dem Motto „Gegen Gewalt an B. Schulen“ angemeldete Demonstration sei verboten worden und er sei mit seinen Kollegen vor Ort gewesen, um das Verbot durchzusetzen. Nach seiner Einschätzung habe es sich, nach den ca. 50 Menschen, die vor Ort waren, zu urteilen, eher um eine Pro-Palästina Demonstration gehandelt, weil die Menschen Palästinafahnen und Palästinensertücher getragen haben. Einen Schulbezug habe er nicht erkennen können. Menschen vom daneben liegende B. Shop hätten vor diesem gesessen, die Straße sei belebt gewesen. Es wurden Platzverweise, teils über Lautsprecherdurchsagen erteilt. Die Gruppe habe sich daraufhin zum Teil zerstreut, ein Kern von ca. 20 Personen sei bis zum daneben gelegenen voll besetzten Imbiss gegangen. Die Gruppe sei laut und aggressiv gewesen. Dort habe die Angeklagte die Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free“ gerufen und die Gruppe habe ihr geantwortet und die Parole wiederholt.

16

Der Zeuge war glaubwürdig und seine Aussage glaubhaft, denn er hat sachlich und von guter Erinnerung getragen die Geschehnisse referiert und ohne Belastungstendenz ausgesagt.

17

3. Seine Aussage wird zudem durch die Bekundungen des Zeugen H. ergänzt.

18

Der Zeuge H. hat ebenfalls geäußert, dass es sich bei der S. ... in N. um eine quirlige, belebte Straße handelt, immer wieder Passanten an dem Geschehen vorbeigegangen sind und der neben der Schule gelegene Imbiss zur Tatzeit von Kunden gut frequentiert wurde.

19

Er bestätigte das Tragen von Palästinensertüchern und Palästinafahnen. Nach seiner Erinnerung wären vereinzelt Plakate mit Schulbezug vorhanden gewesen, aber die Ansammlung hätte ganz überwiegend einen Palästina Bezug. Er bekräftigte auch, dass die Gruppe vor der Durchsetzung des Platzverweises sehr laut gewesen sei und er bestätigte, dass die Angeklagte die oben genannte Parole mehr als einmal gerufen und die anderen Gruppenmitglieder darauf geantwortet hätten. Es sei sowohl die oben genannte Parole als auch „Free, free Palestine“ gerufen worden. Nach seinem Dafürhalten habe die Angeklagte, durch ihre Art, wie sie sich zu der Gruppe wandte, diese dazu aufgefordert, ihr zu antworten. Dieses Geschehen sei für die Passanten wahrnehmbar gewesen.

20

Seien Aussage war glaubhaft, sie deckt sich mit den Angaben seines Kollegen.

 

IV.

21

Danach hat sich die Angeklagte wegen des Billigen von Straftaten nach § 140 Abs. 1 Nr.2 StGB schuldig gemacht.

22

Die Staatsanwaltschaft hat den Tatvorwurf, soweit auch der Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach § 86a StGB in Betracht kommt, nach § 154a Abs. 1 StPO beschränkt.

23

Nach Auffassung des Gerichts dürfte auch ein Vorsatz in Bezug auf § 86 a StGB bei der Angeklagten vor dem Verbot der Formel als Kennzeichen der Terrororganisation Hamas durch das Bundesinnenministerium am 2. 11. 2023 schwer nachzuweisen sein.

 

Strafbarkeit nach § 140 Nr.2 StGB

24

Aufgrund der engen zeitlichen Nähe zum Massaker kann das Rufen der Parole in einer Gruppe mit palästinensischen Flaggen und symbolischen Kleidungsstücken, dem sog. Palituch, für einen objektiven Beobachter nur als schlüssiges Befürworten der Straftaten vom 7. Oktober 2023 verstanden werden. Diese Äußerung ist in diesem Zusammenhang nicht von der Meinungsfreiheit nach Art.5 GG gedeckt. Dieser Ruf in der Menge von 20 Personen in der Nähe einer N. Schule in B. war für eine breite Öffentlichkeit auf der belebten S. ...  wahrnehmbar und ist geeignet den Frieden zu stören. Das war der Angeklagten bewusst, sie wusste um die Außenwirkung ihrer Handlung und sie nahm diese Folgen billigend in Kauf.

25

Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr.2 StGB im einzelnen:

 

1). Katalogtat des § 138 Abs. 1 Nr.2 bis 5 StGB:

26

Dass am 7. Oktober 2023 bewaffnete palästinensische von der Hamas angeführte Gruppen zahlreiche koordinierte Anschläge auf zivile Wohngebiete zwei Musikfestivals und eine Strandparty im Staatsgebiet Israel verübt haben und dabei 1400 Jüdinnen und Juden, überwiegend Zivilisten, töteten und ca. 220 Geiseln nahmen, ist eine offenkundige Tatsache des Zeitgeschehens, über die kein Beweis erhoben werden musste. Seit der Shoah sind nicht so viele Jüdinnen und Juden innerhalb eines Tages umgekommen wie bei diesem Überfall.

27

Bei diesem Massaker handelt es sich um eine sog. Katalogtat nach §§ 140 i.V.m. 138 Abs. 1 Nr.5 und § 126 Abs. 1 Nr.2 StGB, denn es handelt sich dabei um Mord und Totschlag. Es liegt auch nahe, dass es sich dabei um Völkermord nach § 6 VStGB und um Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB handelt. Dies wird derzeit vom Internationalen Strafgerichtshof geprüft.

28

Bei der Hamas handelt es sich um eine Terrorgruppe, die seit 2021 auf der sog. Terrorliste der EU steht.

29

Nicht erforderlich ist, dass es sich bei der Bezugstat um Inlandstaten handelt oder Deutsche Opfer der Bezugstat sind, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass bei dem Massaker am 7. 10. 2023 auch eine Deutsche, die Deutsch-Israelin Shani Louk, getötet worden ist.

 

2). Billigen von Straftaten nach § 140 Nr.2 StGB.

30

Das Rufen der Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free“ also „Vom Jordan bis zum Meer – Palästina wird frei sein“ stellt in dem hier vorliegenden Kontext, nämlich vier Tage nach dem Massaker am 7. Oktober 2023, ein Billigen dieses Überfalls dar.

31

Ein Billigen von Straftaten liegt vor, wenn der oder die Täterin öffentlich oder in einer Versammlung durch eine auf die konkrete Tat erkennbar bezogene Erklärung diese gutheißt, wobei schlüssige Erklärungen ausreichen (Fischer StGB 71. Aufl. § 140 Rn 7).

32

a) Die Angeklagte hat die Parole in einer Menschenmenge mit Versammlungscharakter gerufen. Außerdem stand sie zu diesem Zeitpunkt auf der belebten S. ...  in N., so dass eine Vielzahl von Passanten die Äußerung wahrnehmen konnten, nämlich Fußgänger, Besucher des B. Shop und Besucher des Imbisses, die von den Zeugen erwähnt wurden.

33

b) Mit dem Rufen der Parole hat sie sich schlüssig auf das Massaker am 7. Oktober 2023 bezogen und es gut geheißen.

34

Das sich Beziehen ergibt sich aus dem sehr engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Massaker am 7. Oktober 2023 an Zivilisten in Israel und dem Rufen der Parole im Rahmen einer pro-palästinensischen Ansammlung von Palästinafahnen schwenkenden Menschen am 11. Oktober 2023. Von dem Standpunkt eines vernünftigen äußeren Betrachters kann die Parole „From the River to the Sea – Palestine will be free“ nur als Antwort und Bezugnahme auf eben dieses Massakers gesehen werden.

35

Dies ergibt sich nicht nur aus dem engen zeitlichen Zusammenhang allein, sondern auch aufgrund der Monstrosität des Angriffs. Denn je größer und schrecklicher ein Ereignis war, desto länger bleibt es im Gedächtnis der Allgemeinheit haften. So liegt es hier. Bei dem terroristischen Überfall am 7. Oktober 2023 handelt es sich um das größte Massaker an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust. Dieses Ereignis war daher vier Tage danach noch im Gedächtnis der Allgemeinheit sehr präsent.

36

Die Parole, auf Deutsch „Vom Jordan zum Meer – Palästina soll frei sein“ kann in diesem engen Zusammenhang bei objektiver Auslegung aus Sicht eines unbefangenen Beobachters oder einer unbefangenen Zuhörerin nur als Gutheißen dieses Angriffs gewertet werden.

 

c) Inhalt der Äußerung

37

Die Parole, auf Deutsch „Vom Jordan zum Meer – Palästina soll frei sein“, bezieht sich geografisch auf das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan, der Israel im Nordosten begrenzt, und dem Mittelmeer im Westen. Geografisch befindet sich dort sowohl der Staat Israel als auch das Westjordanland und der Gazastreifen.

38

Wenn also „From the River to the Sea – Palestine will be free“ gefordert wird, kann damit geografisch nur ein freies noch zu gründendes Land Palästina gemeint sein, dass das gesamte Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer und damit auch das Gebiet umfasst, auf dem sich seit der Staatsgründung Israels am 14.5.1948 der Staat Israel befindet. Dieser Staat müsste also dem noch zu gründenden Staat P2. Platz machen.

39

Soweit in dem von der Verteidigung angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster (Beschluss vom 17.11.2023 -1 L1011/23- Rn 19) und ähnlich in dem Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 18. 9. 2023 (25 Cs 550 Js 30027/23) ausführt wird, dass die Formel auch als Forderung nach der Freiheit für Palästinenser von der israelischen Besatzung gemäß dem Völkerrecht oder für einen vereinten Staat für Juden und das palästinensische Volk in der gesamten Region Palästina verstanden werden kann, widerspricht der Wortlaut mit dem geografischen Absolutheitsanspruch vom Jordan bis zum Meer der ersten Deutung und die Geschichte der Judenverfolgung in Europa, welche in der Shoa mündete und zur Gründung des jüdischen Staates als ein Schutz- und Rückzugsraum geführt hat, der zweiten Deutung. Schließlich ging es bei der Gründung Israels im Wesentlichen auch darum, eine Heimstatt für die Überlebenden aus Europa vertriebenen Juden zu finden. Eine sichere Heimstatt gegen Antisemitismus, Verfolgung und Vernichtung. Eine gewaltfreie Aufgabe dieses Staates hält das Gericht aufgrund dieser Geschichte für ausgeschlossen.

40

Auch historisch kann diese Parole nicht als eine Parole für eine friedliche Zwei-StaatenLösung umgedeutet werden. Zwar führt die Verteidigung aus, dass die Hälfte der Formel, nämlich „From the River to the Sea“ auch von Israelis, insbesondere zionistischen Bewegungen, verwendet wurde, aber daraus kann nicht der Rückschluss gezogen werden, diese Parole lasse mehrere Deutungen zu. Mit dem Bezug auf den Fluss Jordan und auf das Mittelmeer wollen beide Seiten, die die ersten sechs Worte des Ausrufs verwenden, unterstreichen, dass sie einen Nationalstaat anstreben, der den jeweils anderen ausschließt. Mit der Formel soll der jeweils anderen Seite das Recht der Staatsgründung auf diesem Gebiet bzw. das Existenzrecht eines solchen Staates abgesprochen werden. Es ist eine nationalistische Parole mit Exklusivitätsanspruch.

41

Soweit die Angeklagte ausführt, dass sie unter der Parole „From the River to the Sea“ ein Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sieht, findet das Gericht diese Interpretation nicht vom Wortlaut gedeckt. Diese Behauptung wird als bloße Schutzbehauptung bewertet. Da die Angeklagte selbst betont, dass sie in diesem Bereich politisch sehr aktiv ist, müsste ihr die Formel „From the River to the Sea – we demand equality“ und die Formel: „Free free Palestine“, die sie auch verwendet, von anderen Pro-Palästina Demonstrationen geläufig sein.

42

Beiden Formeln ist gemeinsam, dass sie keine expansionistische Gebietsansprüche wie der Ausspruch „From the River to the Sea“ erheben. Denn das ist nun einmal mit den Bezug auf den Fluss Jordan und das Mittelmeer gemeint: Es wird ein Gebietsanspruch erhoben.

43

Aber selbst die Formel „Free free Palestine“ könnte nach Auffassung des Gerichts in diesem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen 7. Oktober und 11. Oktober 2023 so verstanden werden, dass mit dem Massaker an Jüdinnen und Juden in Israel der Befreiungskampf der Palästinenser begonnen hat und die Tötung, Vergewaltigung und Geiselnahme von Terroristen im Rahmen dieses Befreiungskampfes als gerechtfertigt und damit legitim angesehen wird.

44

Die Angeklagte widerspricht sich hier auch selbst. Wenn sie in ihrer Einlassung die Massaker an den Israelis unerwähnt lässt und nur von dem Unrecht, welches die rechte israelische Regierung verübt habe, der „Zerstörung“, dem „Morden“, dem „Hass“ und der „Vergeltung“ an den Palästinensern vor dem 11. Oktober und dem Krieg, der seitdem in Gaza tobt, spricht, wird das Leid der anderen Seite komplett ausgeblendet. Wenn sie dann behauptet, dass die Formel „From the River to the Sea – Palestine will be free“ der „Sehnsucht“ der Palästinenser nach Frieden und einem „säkularen und demokratischen Staat“ Ausdruck verleihen soll, fragt man sich, wo da die israelische Bevölkerung mit ihrer ganz eigenen Leidensgeschichte, die von der Angeklagten keinerlei Erwähnung oder Anerkennung findet, ihren Platz in diesem säkularen Staat haben soll. Es scheint ihr doch nur um die Gerechtigkeit für das palästinensische Volk und keinesfalls um die Gerechtigkeit für das israelische Volk zu gehen. Unter dieser Prämisse ist ihr vorgeblicher Traum einer friedlichen, säkularen und demokratischen Einstaatengründung Augenwischerei. Im Wortlaut der expansionistischen, Gebiete absteckenden Vom – Jordan- biszum – Meer – Formel findet sie keinen Ausdruck.

45

Darüber hinaus ist eine Aussage immer nach dem vernünftigen Empfängerhorizont auszulegen. Kein Außenstehender kann von dem Wortlaut „From the River to the Sea – Palestine will be free“ auf den Vorschlag, friedlich an einer Zwei-Staaten Lösung zu arbeiten, schließen, zumal die Parole seit 2017 von der Hamas verwendet wird. Es ist Allgemeinwissen, dass die Hamas eine Terrororganisation ist, die einen jüdischen Staat in dieser Region vom Jordan bis zum Mittelmeer ablehnt und mit Gewalt und Terror bekämpft. Das ist auch der Angeklagten als politische Aktivistin, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt, bekannt.

46

d) Auf der anderen Seite gebietet die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Prüfung der Strafbarkeit von Aussagedelikten eine Auseinandersetzung mit der durch Art.5 GG geschützten Meinungsäußerungsfreiheit.

47

Die Formel „From the River to the Sea – Palestine will be free“ lässt – ganz und allein für sich genommen, wenn man sich das Massaker am 7.10.2023 einmal wegdenkt, nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten zu.

48

Denn die Äußerung an sich, dass man für einen Staat Palästina kämpft und sich gegen ein Existenzrecht Israels wendet, ist von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt, auch wenn sowohl die vorherige Bundeskanzlerin als auch der gegenwärtige Bundeskanzler betonen, dass das Existenzrecht Israel Staatsräson von Deutschland sei.

49

Zum Zeitpunkt der Versammlung unterlag die Formel „From the River to the Sea“ auch noch keinem Verbot.

50

Die Parole muss aber in ihrem Kontext gesehen werden, in dem sie geäußert wurde. In dem hier vorliegenden Kontext stellt sie ein Billigen von Straftaten dar und kann von einem vernünftigen Betrachter nicht anders verstanden werden.

51

In dem hier vorliegenden Kontext kann diese Kampfparole eben nicht, wie die Angeklagte es gelesen haben will, als friedlicher Aufruf an die Israelis und die Palästinenser, die Waffen schweigen zu lassen und gemeinsam an einem Staat Palästina zu arbeiten, in dem Jüdinnen und Juden und Palästinenser friedlich und gleichberechtigt miteinander leben, verstanden werden.

52

Bezugspunkt ist im vorliegenden Fall, wie das Gericht schon oben ausgeführt hat, das zum Zeitpunkt der aufgelösten Versammlung erst vier Tage zurückliegenden Massakers an jüdischen Zivilisten vom 7.10.2023 in Israel.

53

Da dieses nur wenige Tage vor der hier der Angeklagten zur Last gelegten Tat stattgefunden hat, ist der enge zeitliche Zusammenhang evident, im Gedanken eines vernünftigen Betrachters präsent und – aufgrund der Größe und Ungeheuerlichkeit – nicht wegzudenken gewesen.

54

Soweit die Angeklagte sich dahingehend eingelassen hat, dass der Kontext ein Übergriff eines Lehrers an der A.  Schule auf einen Schüler gewesen sein soll, kann das Gericht dieser Argumentation nicht folgen. Um Gewalt an Schulen anzuprangern, bedarf es keines Schwenkens von Palästinafahnen, Tragen von Palästinensertüchern und Parolen Palästina zu befreien. Beide Zeugen haben ausgesagt, dass sie die Versammlung als Pro Palästina Demonstration eingestuft haben. Die schulinterne Auseinandersetzung ist nach Auffassung des Gerichts nur ein Vorwand gewesen. Der Bezug zu dem Massaker vier Tage davor ist offenkundig. Die Angeklagte räumt in ihrer Einlassung ein, dass es „vordergründig“ so die Angeklagte wörtlich, um eine schulische Auseinandersetzung gegangen sei.

55

In diesem Kontext kann für einen vernünftigen Beobachter das Rufen der Formel nur so gedeutet werden, dass damit das Massaker in den Kontext des legitimen Befreiungskampfes der Palästinenser gegen Israel gut geheißen werden soll. Eine andere Interpretation ist für den Tatzeitpunkt, den 11. Oktober 2023, nicht denkbar.

56

Anders läge der Fall heute zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, neun Monate nach dem Massaker, nachdem Israel Krieg gegen Gaza führt und nach Schätzungen der Vereinten Nationen fast 40.000 Palästinenser, überwiegend Zivilisten, getötet wurden. Dann handelt es sich zwar immer noch um eine Parole, die das Existenzrecht Israels leugnet und einen palästinensischen Staat auf dem Gebiet auch von Israel fordert. Aber der Bezugspunkt wird mit zunehmenden Zeitablauf immer weniger eindeutig. Aufgrund des Zeitablaufs könnte inzwischen mit der Parole sowohl eine Verurteilung der Angriffe Israels auf den Gazastreifen als auch ein Gutheißen des Angriffs der Hamas und anderer Terrorgruppen auf Israel vom 7. Oktober 2023 gemeint sein.

 

3) Störung des öffentlichen Friedens

57

Das Verwenden der Formel „From the River to the Sea – Palestine will be free“ nur vier Tage nach dem Massaker an Jüdinnen und Juden am 7. Oktober 2023 ist geeignet, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören.

58

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Friedensschutzklausel restriktiv anzuwenden ist. Es handelt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. BVerfG vom 4.11.2009- 1 BvR 2150/08) um eine Wertungsklausel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle.

59

Bei dem Delikt handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, so dass das Gericht nicht Beweis darüber erheben muss, ob der Frieden tatsächlich gestört wurde.

60

Bei der Eignung zur Friedensstörung ist auf alle in Deutschland lebenden Menschen, also auch auf die in Deutschland lebenden Juden, abzustellen.

61

Es ist gerichtsbekannt, dass antisemitische Vorfälle nach dem Massaker in Deutschland angestiegen sind und es z.B. vermehrt zu Hakenkreuzschmierereien und Davidsternen an Türen unserer jüdischen Nachbarn gekommen ist, der Schutz vor jüdischen Schulen erhöht wurde und sich vereinzelt Eltern zu Wort gemeldet haben, die sich gefürchtet haben, ihre Kinder auf jüdische Schulen zu bringen. Die Stimmung ist angespannt. Es fanden seit dem Massaker vom 7. Oktober 2023 viele Pro-Palästina Demonstrationen statt. In diese aufgeheizte Stimmung hinein hat die Angeklagte, in Kenntnis der deutschen Geschichte, in Kenntnis des latenten, nie ganz verschwundenen Antisemitismus in Deutschland, in einer größeren Ansammlung von Menschen eine Parole ausgerufen, die von einem vernünftigen Beobachter – jedenfalls vier Tage nach dem Massaker – so verstanden werden muss, dass mit dem Massaker der legitime Befreiungskampf der Palästinenser gegen den Unterdrücker begonnen habe und man sich der Forderung nach der Vernichtung Israels anschließen soll. Hier werden zwei Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgewiegelt: Auf der einen Seite diejenigen, die sich aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer politischen Gesinnung mit dem Schicksal der Menschen in Gaza solidarisieren, und auf der anderen Seite unsere jüdischen Nachbarn, die um ihre Sicherheit in Deutschland fürchten müssen. Aufgrund dieses schwelenden Konfliktes innerhalb bestimmter Bevölkerungsteile in Deutschland ist die Formel in hohem Maße geeignet, noch mehr Angst, noch mehr Aggression und noch mehr Unsicherheit zu schüren und in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen.

62

Die Angeklagte ist eine vernünftige Beobachterin des Zeitgeschehens, an dem sie engagiert und gut informiert teilnimmt. Deshalb ist das Gericht davon überzeugt, dass ihr nicht nur bewusst war, dass die Parole als Billigung des Massakers vom 7. Oktober 2023 verstanden werden wird, sondern ihr beim Verwenden der Formel auch bewusst war, dass sie damit den Hass und die Aggression zwischen unseren jüdischen Nachbarn auf der einen Seite und arabischstämmigen, linkssowie rechtsradikalen Gruppen auf der anderen Seite weiter anfacht, was sie für ihr politisches Anliegen, der – nach ihrer Auffassung – Befreiung Palästinas von der Unterdrückung durch den israelischen Staat billigend in Kauf genommen hat. Ihre Einlassung, die einseitig vom Leid der Palästinenser spricht, ohne den Terror der Hamas und dem Massaker an Israelis zu erwähnen ist auch Ausdruck ihrer gegenüber dem Leid der israelischen Bevölkerung empathielosen Gesinnung. Aus dieser Einlassung schließt das Gericht ebenfalls, dass sie die Tötung von Zivilistinnen und Zivilisten und die Verschleppung von Geiseln am 7. Oktober in Israel als notwendigen Schritt im Rahmen der Befreiungsbewegung der Menschen im Gazastreifen und Westjordanland gegen Israel sieht. Wenn sie für Frieden im Nahen Osten ist, müsste sie eigentlich den Terror der Hamas verurteilen, weil Terrorakte das Gegenteil von einem friedlichen Streben nach einem Staat Palästina sind.

 

4) Vorsatz

63

Die Angeklagte handelte vorsätzlich.

64

Für § 140 StGB ist bedingter Vorsatz ausreichend. Es genügt, dass der oder die Täterin billigend in Kauf nimmt, dass ein unbefangener Adressat oder eine unbefangene Adressatin die Äußerung als ein Gutheißen versteht (vgl Fischer, StGB 68. Aufl. § 140 Rn. 9).

65

Wie oben bereits ausgeführt, ist ihr als politisch gut informierte Aktivistin bekannt, dass am 7. Oktober 2023 ein Massaker an Zivilisten und Zivilistinnen in Israel stattgefunden hat, das große Wellen in Deutschland geschlagen hat. Daraus folgt, dass ihr auch bewusst ist, dass der Aufruf, für ein freies Palästina (auch auf dem Gebiet des Staates Israel) zu kämpfen, wenn dieser Aufruf in diesem engen zeitlichen Kontext zu der Tötung von über 1200 Menschen in eben diesem Gebiet, auf dem sich der in der Parole enthaltenen Expansionsanspruch bezieht, nur als Gutheißen eben dieses Massakers verstanden werden kann. Denn in diesem Kontext kann der Aufruf nur als Legitimierung und Umdeutung des Massakers in dem Sinne verstanden werden, dass dieses ein notwendiger Bestandteil des Befreiungskampfes gegen Israel ist und die Tötung der Zivilbevölkerung ein legitimes Mittel zu diesem Zweck.

66

Wie aus ihrer verlesenen Stellungnahme und den Umständen des Ausrufs, mit dem sie eine Menschenmenge von ca. 20 Personen zu einer Wiederholung der Formel angeheizt hat, zu lesen ist, hat sie das Aufrütteln und den mit der Parole in die Bevölkerung getragene Unruhe, Unsicherheit und möglicherweise Aufruhr gewollt, um den Kampf für ein freies Palästina zu fördern.

 

V.

67

Bei der Strafzumessung ist von dem Strafrahmen des § 140 StGB auszugehen, der eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht.

68

Für die Angeklagte spricht, dass sie nicht vorbestraft ist und den objektiven Tatbestand eingeräumt hat.

69

Zu ihren Lasten hat das Gericht das Ausmaß der gut geheißenen Tat gewürdigt. Dieses ist mit 1200 getöteten Zivilisten und der Verschleppung von 220 Geiseln erschreckend. Ebenso schwer wiegt das Ausmaß der Wirkung der von der Angeklagten intendierten Botschaft auf eine bereits gespaltene Bevölkerung in Deutschland und der aufgrund des Nah-Ost Konflikts aufgeheizten Stimmung in Teilen der in Deutschland lebenden Bevölkerung.

70

Das Gericht hält in Abwägung der für sie sprechenden Umstände auf der einen Seite und der Schwere der gut geheißenen Tat auf der anderen Seite eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.

71

Die Tagessatzhöhe von 15,00 Euro ergibt sich aus den wirtschaftlichen Verhältnissen, die bei einer durchschnittlichen Studentin angemessen ist. Die Angeklagte hatte dazu keine konkreten Angaben gemacht. Der aktuelle BaföG-Höchstsatz beträgt zwischen heute 812 Euro und im Wintersemester 2024/25.855 Euro.

 

VI.

72

Die Kostenentscheidung ist auf § 465 Abs. 1 StP0 gestützt.

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