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Rechtsurteile

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Grundschullehrerin und ihre Meinung zum Islam

Der Vorwurf eine Grundschullehrerin habe im Unterricht die islamische Religion geschmäht, indem sie unter anderem „Scheißkoran“ gesagt habe, muss hinreichend überprüft worden sein, um eine vorläufige Dienstenthebung bis zum eigentlichen Hauptverfahren zu rechtfertigen. (Leitsatz der Redaktion)


Leitsatz:

1. Es bleibt offen, ob § 146 Abs. 4 VwGO im Beschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung nach § 58 NDiszG (vorläufige Dienstenthebung) auch ohne ausdrückliche Verweisung in § 62 NDiszG (wie sie etwa § 67 Abs. 3 BDG enthält) schon nach § 4 NDiszG entsprechend anwendbar ist.

2. Zu den Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung, wenn einem Lehrer die von ihm bestrittene Benutzung eines Schmähwortes im Unterricht zu dem die vorläufige Dienstenthebung allein tragenden Vorwurf gemacht wird.

 

Gründe:

 

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Antragsgegnerin vom 28. Juni 2012 in ihrer Gestalt vom 20. Juli 2012, die Antragstellerin vorläufig des Dienstes zu entheben und 30 % ihrer Dienstbezüge einzubehalten, ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG begegnet.

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1. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Entscheidung des Senats nicht entgegen, insbesondere nicht der Umstand, dass das Verwaltungsgericht keine förmliche Nichtabhilfeentscheidung getroffen hat, sondern nur durch Vorsitzendenverfügung die Akten dem Oberverwaltungsgericht zugeleitet hat. […]

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2. In der Sache bleibt die Beschwerde erfolglos.

Gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Zugleich kann sie nach § 38 Abs. 2 NDiszG in diesem Fall gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 v. H. der Bezüge des Beamten einbehalten werden. Diese Anordnungen sind nach § 58 Abs. 2 NDiszG auf Antrag des Beamten auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.

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Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Anordnungen liegen im Sinne des § 58 Abs. 2 NDiszG dann vor, wenn die Wahrscheinlichkeit des Nichtvorliegens der Voraussetzungen dieser Anordnungen größer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen erfüllt sind. Dies erfordert eine Prognose, ob im Disziplinarverfahren voraussichtlich die disziplinare Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Das Wort "voraussichtlich" in § 38 Abs. 1 Nr. 1 NDiszG bedeutet, dass nur eine summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhalts geboten ist. Das Gericht muss nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Beamte das Dienstvergehen, das die disziplinare Höchstmaßnahme rechtfertigt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit begangen hat. Es reicht ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit aus. Dieser besteht allerdings nicht schon dann, wenn die Verhängung der schärfsten Disziplinarmaßnahme möglich oder ebenso wahrscheinlich ist wie die einer milderen Disziplinarmaßnahme. Vielmehr ist erforderlich, dass im Disziplinarverfahren gegen einen aktiven Beamten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Die Dienstentfernung des Beamten muss nach der gebotenen, ihrer Natur nach nur überschlägig möglichen Prüfung des Sachverhalts wahrscheinlicher sein als eine unterhalb der Höchstmaßnahme liegende Disziplinierung […].

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Die vorläufige Dienstenthebung ist in der angegriffenen Verfügung allein auf den Vorwurf gestützt, die Antragstellerin habe im Unterricht die islamische Religion in ordinärer Weise geschmäht und damit acht- und neunjährige Kinder schwer gekränkt sowie deren Eltern in beleidigender Weise verletzt, indem sie im Rahmen einer anderwärts wiedergegebenen Auseinandersetzung das Wort "Scheißkoran" benutzt habe. Das habe sie bei einem Dienstgespräch nicht in Abrede gestellt, sondern mit ihrem Recht auf Meinungsfreiheit zu rechtfertigen gesucht. Bereits früher hätte sie an der Grundschule D. wegen abwertender Äußerungen gegenüber Schülern islamischen Glaubens Anstoß erregt und sich an der E. schule den Zorn von Eltern zugezogen, als sie sich in schnoddriger Weise auf einem Elternabend über ihren Glauben ausgelassen habe. Die sich jeweils anschließenden ernsten Ermahnungen hätten offensichtlich nichts gefruchtet.

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Soweit die angegriffene Verfügung eingangs nach § 21 NDiszG mitteilt, dass gegen die Antragstellerin disziplinarische Ermittlungen eingeleitet seien (§ 18 NDiszG), zu deren Erläuterung auf einen anliegenden Vermerk verwiesen werde, ist dies im vorliegenden Zusammenhang nicht zu berücksichtigen. Die Begründung der Dienstenthebung nimmt hierauf ihrerseits nicht Bezug. Zwar ist nachvollziehbar, dass das Verwaltungsgericht geprüft hat, ob der in der Begründung allein zugrunde gelegte, seiner Ansicht nach nicht ausreichende Vorwurf mit Elementen aus dem Vermerk angereichert werden könne. Damit würde jedoch das von der Antragsgegnerin ausgeübte Ermessen in unzulässiger Weise durch das Ermessen des Gerichts ersetzt. Hinzu kommt, dass der Vermerk davon ausgeht, die in ihm aufgeführten Vorwürfe seien erst noch zu prüfen. Nur für den in der Begründung angeführten "Schmähungsvorwurf" nimmt er in der angegriffenen Verfügung in Anspruch, die Vorwürfe seien bereits hinreichend erhärtet.

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Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Die Antragstellerin weist zu Recht darauf hin, die Benutzung des Wortes "Scheißkoran" sei ihr erst lange nach dem Vorfall vorgeworfen worden. Das gibt Anlass zu besonders vorsichtiger Überprüfung dieses Vorwurfs. Entgegen den Äußerungen der Antragsgegnerin hat dies nichts mit Mutmaßungen zu den sprachlichen Fähigkeiten von Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund zu tun, sondern mit allgemeingültigen zeugenpsychologischen Erkenntnissen.

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Ausweislich der Akten hat der fragliche Vorwurf folgende Entwicklung genommen:

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In einem Bericht des Schulleiters vom 29. März 2012, der überwiegend andere Elternbeschwerden betrifft, heißt es zu dem hier in Rede stehenden Vorfall vom 20. März 2012:

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"Am 21.03.2012 erreicht mich der Anruf einer Mutter, die sich darüber beschwert, dass Frau … sich im Unterricht über die islamische Religion der Kinder lustig macht. Sie möchte in einem gemeinsamen Gespräch mit Frau … und mir die Situation besprechen. Aus Termingründen wird dieses Gespräch erst nach den Osterferien stattfinden.

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Am selben Tag bitte ich Frau … um ein Gespräch über diese Vorfälle. … Angesprochen auf die Vorfälle im Religionsunterricht <richtig: Mathematikunterricht> antwortet sie mir, dass es doch erlaubt sein müsse eine private Meinung zu äußern und ob ich überhaupt wisse, was sich unter diesem Deckmantel alles ereigne."

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Der zweite zitierte Absatz geht offenbar zurück auf eine handschriftliche Gesprächsnotiz des Schulleiters vom 21. März 2012, die - soweit hier von Interesse - lautet:

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"2. Die Bemerkungen über eine fremde Religion wäre ja nur ihre private Meinung gewesen und ich müsse doch wissen, welche Gefahren von fremden Religionen ausgingen."

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Der weitere Gang des Verfahrens ergibt sich aus der Disziplinarakte nicht ganz eindeutig. Offenbar wurden am 12. Und 13. April 2012 Telefonate zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin und der Antragsgegnerin geführt. Am 13. April 2012 stellte der Prozessbevollmächtigte per Fax Antrag auf Akteneinsicht. Unter dem gleichen Datum verbot die Antragsgegnerin der Antragstellerin unter Bezugnahme auf den Bericht vom 29. März 2012, der am Vortag übermittelt worden sei, ebenfalls per Fax die Führung ihrer Dienstgeschäfte.

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Die Antragstellerin nahm unter dem 14. April 2012 vorläufig zu dem Bericht vom 29. März 2012 umfänglich Stellung, ohne dabei den hier interessierenden Vorfall anzusprechen; sie kündigte an, zu sämtlichen anderen Vorwürfen später schriftlich Stellung zu nehmen.

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Nachdem der Schulleiter am 13. April 2012 mit den Eltern gesprochen hatte, erläuterte er mit Bericht vom 14. April 2012 unter Beifügung eines Gesprächsvermerks den Gesprächsverlauf wie folgt:

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"Die Kinder der Schwestern … besuchen ebenfalls die Klasse 3 b, in der Frau … als Fachlehrerin Mathematik tätig ist. Während der Mathematikstunde am 20.03.2012 hat nach Aussagen der Kinder der protokollierte Gesprächsverlauf stattgefunden. Beide Eltern sind zutiefst empört und haben für diese Äußerung kein Verständnis mehr und möchten das auch unbedingt noch in einem gemeinsamen Gespräch mit Frau … zum Ausdruck bringen.

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Mir gegenüber hat Frau … geäußert, dass es sich bei diesen Worten um ihre Privatmeinung handele und darauf habe sie ein Anrecht."

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Das Gesprächsprotokoll vom 13. April 2012 enthält erstmals eine Schilderung des Vorfalls:

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"Folgendes hat sich zugetragen:

<Schülerin> sitzt mit Kopftuch in der Klasse.

Frau …: "Wird es dir nicht zu warm mit dem Kopftuch?"

<Schülerin>: "Ich werde mich daran gewöhnen."

<Schüler>: Das ist unsere Religion. Steht so in dem Koran."

Frau …: "Was interessiert mich euer Scheißkoran und eure Religion. Wir sind in Deutschland. Hier geht es nach uns. Die Kinder müssen sich anpassen."

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U.a. hierzu nahm die Antragstellerin mit Anwaltsschreiben vom 18. Mai 2012 Stellung. Den Anlass ihrer Frage, ob es der Schülerin mit ihrem Kopftuch zu warm sei, schilderte sie damit, es sei an diesem Tag warm gewesen, alle Fenster auf einer Seite seien schon gekippt gewesen. Die Schülerin habe gefragt, ob die Antragstellerin auch auf der anderen Seite die Fenster öffnen könne. Auf die Erklärung der Schülerin, dass ihre Religion das Tragen des Kopftuchs gebiete, habe sie sinngemäß erwidert, dass es darauf nicht ankomme und dass man sich in Deutschland anpassen müsse. Die behaupteten weiteren abfälligen Behauptungen über den Islam und den Koran habe es nicht gegeben. Sie habe gemeint, sie könne sich auf Aussagen der niedersächsischen Sozialministerin Özkan stützen, die sich explizit gegen das Tragen von Kruzifixen und Kopftüchern in Schulen ausgesprochen habe.

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Mit Schreiben vom 15. Juni 2012 erbat die Antragsgegnerin den Schulleiter um eine dienstliche Erklärung zu der Frage, ob er - verkürzend zusammengefasst - von der Äußerung "Was interessiert mich euer Scheißkoran und eure Religion" schon in dem Telefongespräch am 21. März 2012 erfahren und sie der Antragstellerin in dem Gespräch am gleichen Tage vorgehalten habe. Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 gab dieser folgende Äußerung ab:

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"… hiermit erkläre ich dienstlich, das Frau … in dem Gespräch am 21. März 2012 bereits von mir mit der Bemerkung "euer Scheißkoran" konfrontiert worden ist. Diese Worte waren mir am Telefon von der Erziehungsberechtigten genannt worden. Frau … hat diese Äußerung mir gegenüber nicht bestritten, sondern als ihre private Meinung dargestellt und das damit begründet."

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In ihrem Vermerk vom 28. Juni 2012 zur Einleitung disziplinarischer Ermittlungen legte die Antragsgegnerin die fragliche Äußerung als einen von vier aufzuklärenden Vorwürfen zugrunde. Mit weiterem Schreiben vom 18. Juli 2012, das auf ein Telefonat vom Vortag Bezug nimmt, ergänzte der Schulleiter ihr gegenüber sein Gesprächsprotokoll vom 13. April 2012 wie folgt:

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"Beim Gespräch (Telefon und persönlich) machten die Eltern zwar einen emotional aufgeregten Eindruck, hatten sich aber jederzeit unter Kontrolle und ihre Äußerungen waren jederzeit ernsthaft vorgetragen.

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Nach Beendigung unseres Gesprächs habe ich den Müttern das Gesprächsprotokoll vorgelesen und sie auch darauf hingewiesen, dass diese Äußerungen ggf. auch vor Gericht verwandt werden. Beide haben meine Äußerungen verstanden und dann das Protokoll unterschrieben."

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Es liegt auf der Hand, dass die Richtigkeit des für die vorläufige Diensterhebung allein entscheidenden Vorwurfs der Äußerung "Scheißkoran" zu hinterfragen ist, wenn er - wie hier - in Protokollen und Berichten zunächst nicht angeführt wird, sondern erst mehr als drei Wochen nach dem Vorfall "auftaucht". Diese Problematik war der Antragsgegnerin selbst bewusst, wie ihre sorgfältig begründete Bitte um dienstliche Erklärung vom 15. Juni 2012 zeigt; offenbar hat sie später auch telefonisch die Ergänzung des Gesprächsprotokolls durch den Schulleiter angestoßen. Sie hatte (erst) danach eindeutige Erklärungen des Schulleiters und zweier Eltern in der Hand, wonach die Antragstellerin den Begriff "Scheißkoran" verwendet hatte.

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Es mag sein, dass sich dieser Vorwurf im Hauptsacheverfahren erhärten lässt und im Zusammenhang mit anderen Vorwürfen gegenüber der Antragstellerin ein Gewicht erlangt, das für eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausreicht. Im vorliegenden Eilverfahren verbleiben für den Senat jedoch ernstliche Zweifel im Sinne des § 58 Abs. 2
NDiszG:

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Der Bericht des Schulleiters vom 29. März 2012 - der Ausgangspunkt dieses Verfahrens - war ersichtlich von der Absicht geprägt, eine weitere Tätigkeit der Antragstellerin an dieser Schule in Frage zu stellen. Auch im Zusammenhang mit dem Vorfall im Mathematikunterricht heißt es darin:

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"Gleichzeitig teile ich ihr mit, dass ich über diese Vorfälle einen Bericht an die Landesschulbehörde schreiben werde und sie möglicherweise mit einem Amtsführungsverbot rechnen muss."

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Der Bericht schließt mit dem Satz:

"Eine Weiterarbeit an der Grundschule ist nicht möglich."

Zielt ein solcher Bericht auf ein derartiges Ergebnis ab - was für sich genommen nicht zu beanstanden ist – kann erwartet werden, dass die Kernvorwürfe in nachvollziehbarer Weise dokumentiert werden. Das ist hier zwar in Bezug auf andere Vorwürfe geschehen, nicht aber in Bezug auf den letztlich ausschlaggebenden Vorfall im Mathematikunterricht. Anders als im Zusammenhang mit den anderen Vorwürfen sind hier keine der Antragstellerin zugerechneten Zitate aufgeführt, sondern es wird nur eine telefonische Äußerung der Mutter eines Schulkindes dahingehend festgehalten, dass sich die Antragstellerin im Unterricht über die islamische Religion der Kinder lustig mache, wobei sich das Verlangen der Mutter selbst nur auf ein Gespräch mit der Antragstellerin richtete.

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Unter diesen Umständen ist es in hohem Maße unwahrscheinlich, dass von dem Wort "Scheißkoran" in diesem Zusammenhang schon die Rede war. Damit hätte sich die Antragstellerin nicht "lustig gemacht", sondern es hätte sich um eine eindeutige Schmähung gehandelt. Die wiedergegebene Reaktion der Antragstellerin (es müsse doch erlaubt sein, eine private Meinung zu äußern) spricht ebenfalls dagegen, dass ihr der Vorhalt gemacht worden ist, sie habe das Wort "Scheißkoran" benutzt. Auch der juristische Laie kann zwischen einer Meinungsäußerung und einer Schmähung in der Regel gut unterscheiden. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass die Antragstellerin die Schmähung "Scheißkoran" mit Hinweis auf die Meinungsäußerungsfreiheit verteidigt haben soll. Auch ihre vorläufige Stellungnahme vom 14. April 2012 spricht dafür, dass sie unter dem Eindruck stand, in Bezug auf den Vorfall im Mathematikunterricht seien ihr nur minder gewichtige Vorwürfe gemacht worden, denn darauf ist sie an dieser Stelle gar nicht gesondert eingegangen.

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Wollte man gleichwohl annehmen, dass die Äußerung "Scheißkoran" bereits am 21. März 2012 vorgehalten worden ist, würde dies bedeuten, dass der Bericht des Schulleiters in diesem Zusammenhang das Wesentliche an dem Vorfall komplett verfehlt bzw. dass der Schulleiter den schmähenden Charakter der fraglichen Äußerung selbst nicht erkannt hat. Eine solche Annahme entspricht kaum der Lebenserfahrung und verträgt sich auch nicht mit dem Umstand, dass der Schulleiter die übrigen Vorwürfe - trotz minderen Gewichts - erheblich sorgfältiger dokumentiert hat. Unter diesen Umständen ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass dem Schulleiter das Wort "Scheißkoran" erstmals bei der Rekonstruktion des Vorfalls im Gespräch vom 13. April 2012 genannt worden ist.

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Hinzu kommt, dass nicht alle zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Sachverhaltsermittlung genutzt worden sind. Das Protokoll zu der Besprechung mit den Eltern vom 13. April 2012 enthält eine sich exakt gerierende Wiedergabe des Vorfalls; die Gesprächsbeiträge sind in wörtlicher Rede dargestellt. Nach dem hierzu gegebenen Bericht des Schulleiters beruht dies auf Aussagen "der Kinder". Wann und wie die Kinder befragt wurden und ob sich deren Erinnerung in allen Einzelheiten deckte, wurde aber offenbar nicht weiter ermittelt. Die Eltern selbst waren in diesem Zusammenhang - umgangssprachlich - nur Zeugen vom "Hörensagen".

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Eine vorläufige Dienstenthebung nur auf mittelbare Zeugenaussagen zu stützen, kommt in der Regel jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn auch unmittelbare Zeugen befragt werden könnten, wie hier die Schulkinder, die bei dem Vorfall zugegen waren. Das gilt auch schon vor förmlicher Beweisaufnahme nach § 25 NDiszG, bei welcher für die Vernehmung minderjähriger Zeugen nach § 26 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 NDiszG sogar die Möglichkeit einer richterlichen Vernehmung besteht. Der Betroffene kann sich gegen ihn betreffende Vorwürfe nicht effizient verteidigen, wenn ihm nicht die Möglichkeit eröffnet wird, sich mit der ursprünglichen Aussage auseinanderzusetzen, auf welcher der Vorwurf beruht, und die möglicherweise durch zweimalige Weitergabe - von den Kindern zu den Eltern, von diesen zum Schulleiter - unter Umständen schon nicht mehr authentisch wiedergegeben ist. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die an dem Vorfall unmittelbar beteiligten Kinder selbst keine neutralen Beobachter waren, sondern Konfliktbeteiligte. Unter solchen Umständen muss dem Betroffenen frühzeitig die Möglichkeit eröffnet werden, auch die Glaubhaftigkeit solcher Aussagen zu bewerten. Das ist nur möglich, wenn sie ihm unmittelbar bekannt gegeben werden.

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Dafür, dass die anderen Klassenkinder, die den Vorfall wahrgenommen haben, als unmittelbare Zeugen zeitnah angesprochen wurden, ist ebenfalls nichts ersichtlich. Zwar verlangt eine solche Nachfrage ein behutsames Vorgehen; ausgeschlossen ist eine Befragung auch jüngerer Schulkinder zur Aufklärung disziplinarischer Vorwürfe aber nicht. Die Schulleitung und die Antragsgegnerin stützen sich in den Berichten und im Einleitungsvermerk für andere Vorwürfe selbst umfänglich auf Äußerungen solcher Schulkinder, die ihnen durch die Eltern vermittelt worden sind, aber sogar auch auf schriftliche Äußerungen von Schulkindern […]. Die Annahme, dass entlastende Äußerungen von Schulkindern hier undenkbar wären, würde eine unzulässige Vorwegnahme eines späteren Beweisergebnisses bedeuten.

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Sollte sich der Vorwurf, die Antragstellerin habe das Wort "Scheißkoran" benutzt, nicht halten lassen, reicht der Rest des Vorfalls - so, wie er im Protokoll vom 13. April 2012 festgehalten worden ist - für eine vorläufige Dienstenthebung nicht aus.

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Grundsätzlich wird das religiöse Empfinden nicht bereits dadurch verletzt, dass sichtbare religiöse Symbole oder Verhaltensweisen bei Mitschülern und Lehrern Diskussionen auslösen, auch solche kontroverser Art. Das ist Teil des normalen gesellschaftlichen Prozesses, trägt zur Formung der Persönlichkeit des Kindes bei und muss "ausgehalten" werden, wenn es sich im Rahmen vernünftiger schulischer Kommunikationsformen hält.

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Ist ein religiös motiviertes Verhalten nicht mit den dem Grundgesetz verpflichteten staatlichen Erziehungszielen vereinbar oder gefährdet es gar den Schulfrieden, ist es darüber hinaus auf der Grundlage einer Einzelfallabwägung möglicherweise sogar Pflicht der Schule, auf den betreffenden Schüler und seine Eltern einzuwirken oder etwaige religiös abgeleitete Ansprüche an die Gestaltung des schulischen Lebens zurückzuweisen […].

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In aller Regel gefährdet es allerdings nicht den Schulfrieden, wenn ein Schulkind aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt; dies ist nicht zu vergleichen mit der Problematik, die sich ergibt, wenn Lehrer "demonstrativ" ein Kopftuch tragen. Eine Störung des Schulfriedens durch kopftuchtragende Schulkinder kann allenfalls angenommen werden, wenn das Kopftuch als religiöses Symbol aggressiv und in Andersdenkenden gegenüber unduldsamen Weise zur Schau gestellt wird. So war etwa die Ausgangssituation für das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. November 2011 (- 6 C 20.10 […]):

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"Nach diesen Feststellungen ist an dem D.-Gymnasium unter den Schülern eine Vielzahl von Religionen und Glaubensrichtungen vertreten. Aufgrund dieser heterogenen Zusammensetzung der Schülerschaft sind unter den Schülern teilweise sehr heftige Konflikte ausgetragen worden, die von Vorwürfen gegen Mitschüler ausgingen, diese seien nicht den Verhaltensregeln gefolgt, die sich aus einer bestimmten Auslegung des Korans ergäben, wie beispielsweise dem Gebot, ein Kopftuch zu tragen, Fastenvorschriften einzuhalten, Gebete abzuhalten, kein Schweinefleisch zu verzehren, "unsittliches Verhalten" und "unsittliche Kleidung" sowie persönliche Kontakte zu "unreinen" Mitschülern zu vermeiden. Aus derartigen Anlässen sei es etwa zu Mobbing, Beleidigung, insbesondere mit antisemitischer Zielrichtung, Bedrohung und sexistischen Diskriminierungen gekommen. Hierauf aufbauend hat das Oberverwaltungsgericht den Schluss gezogen, die ohnehin bestehende Konfliktlage würde sich verschärfen, wenn die Ausübung religiöser Riten auf dem Schulgelände gestattet wäre und deutlich an Präsenz gewönne."

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Dafür, dass hier vergleichbare Verhältnisse herrschen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

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Ob sich die Antragstellerin bei dem fraglichen Vorfall - die Benutzung des Wortes "Scheißkoran" hinweggedacht – noch in dem danach zulässigen Rahmen gehalten hat, ist nicht ganz sicher. Sie selbst hat später das Empfinden gehabt, sich für ihre Äußerungen entschuldigen zu sollen. Offenbar hielt sich ihr eigener Gesprächsbeitrag nicht auf einer rein sachbezogenen Ebene, sondern hatte eher bekenntnishaften und eifernden Charakter, der in einem Gespräch mit minderjährigen Schülern über religiöse Fragen grundsätzlich fehl am Platze ist. Ob darin bereits ein - für sich genommen minder schweres - Dienstvergehen lag oder nur ein Anzeichen für einen Eignungsmangel, wäre im weiteren Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit der Klärung der weiteren Vorwürfe zu ermitteln.

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