Brautgabeanspruch in Deutschland nach marokkanischem Recht
Bei der Beurteilung, ob eine ausländische Regelung bezüglich der Brautgabe dem ordre public gem. Art. 6 EGBGB widerspricht, kommt es nicht darauf an, ob das ausländische und das deutsche Recht auf widerstreitenden Prinzipien beruhen, sondern allein darauf, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist. (Leitsatz der Redaktion)
Beschluss: Dem Antragsgegner wird aufgegeben, an die Antragstellerin 30.000 marokkanische Dirham nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszins seit 25.07.2014 zu zahlen. [...]
Gründe: I. |
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Die Beteiligten heirateten einander als marokkanische Staatsangehörige am 30.08.1994 in …/Marokko. [...] | 3 |
In der in diesem Verfahren übergebenen Übersetzung der Heiratsurkunde ist ausgeführt: | 4 |
"Die für die Ehefrau bestimmte Mitgift wurde auf dem Betrag von 70.000 Dirham (70.000 DH) festgelegt. Der Vater der Ehefrau bestätigt den vorgenannten Ehemann, von ihm den Betrag von 40.000 Dirham (40.000 DH) erhalten zu haben. Den Restbetrag von 30.000 Dirham (30.000 DH) bleibt der Ehemann seiner Ehefrau schuldig.“ | 5 |
In der im Scheidungsverfahren eingereichten Übersetzung des Heiratsvertrages heißt es dazu: | 6 |
"Die Mitgift beträgt 70.000 Dirhams, von denen der Vater der Braut 40.000 Dirhams erhalten hat. Die Restsumme geht zu Lasten des Ehemannes, der sich verpflichtet, sie auf Verlangen der Ehefrau später zu bezahlen." | 7 |
Die Ehefrau hat durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde am 02.07.1998 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. | 8 |
Durch Beschluss vom 09.07.2014 [...] wurde die Ehe auf den Antrag des Ehemannes mit Zustimmung der Ehefrau geschieden. Die Entscheidung ist seit 19.08.2014 rechtskräftig. | 9 |
Mit Schriftsatz vom 10.07.2014 forderte die Antragstellerin den Antragsgegner unter Fristsetzung zum 24.07.2014 vergeblich zur Zahlung der restlichen 30.000 marokkanischen Dirham auf. | 10 |
Sie beantragt den Antragsgegner zu verpflichten, an sie 30.000,00 marokkanische Dirham nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszins seit 25.07.2014, hilfsweise 2.808,00 € zu zahlen. | 11 12 |
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er vertritt die Ansicht, aufgrund der Einvernehmlichkeit der Scheidung sei er nicht mehr zur Zahlung der Brautgabe verpflichtet. Zudem sei unklar, ob eine wirksame Eheschließung vorliege. Äußerstenfalls widerspreche diese dem ordre public. Zudem sei lediglich deklaratorisch niedergelegt, dass er die restlichen 30.000,00 Dirham nicht gezahlt habe, aber auch nicht mehr zahlen solle. [...] II. | 13 14 15 |
1. Der (Haupt-)Antrag ist zulässig. [...] 2. Der Antrag ist auch begründet. Für das anzuwendende Recht ist auf Art. 14 EGBGB abzustellen. Bei dem Rechtsinstitut der Morgengabe/Brautgabe handelt es sich [...] um eine ehevertragliche Zusage des Ehemannes, die diesen verpflichtet, der Ehefrau den in der Zusage genannten Geldbetrag zu zahlen. [...] | 18 19 20 |
Danach unterliegen die allgemeinen Wirkungen der Ehe dem Recht des Staates, dem beide Ehegatten angehören oder während der Ehe zuletzt angehörten, wenn einer von beiden diesem Staat noch angehört. Im Hinblick darauf, dass beide Beteiligten zum Zeitpunkt der Eheschließung und der vertraglichen Vereinbarung ausschließlich marokkanische Staatsangehörige waren und der Antragsgegner diese Staatsangehörigkeit heute noch besitzt, gilt marokkanisches Recht. [...] | 21 |
Der Anspruch der Antragstellerin gegen den Antragsgegner auf Zahlung der restlichen Brautgabe (sadaq) von 30.000 marokkanischen Dirham folgt aus Art. 84, 26ff. des marokkanischen Familiengesetzbuches (FGB) i. V. m. der Vereinbarung der Beteiligten gemäß dem genannten Heiratsvertrag. [...] | 22 |
Hinsichtlich des Rechtsbindungswillens des Antragsgegners bestehen keine Bedenken, nachdem er die Vereinbarung durch Zahlung von 40.000 Dirham an den Vater der Braut vor der Eheschließung bereits teilweise erfüllt hat. Es ist nicht erkennbar, warum der restliche Anspruch erloschen oder nicht mehr durchsetzbar sein soll. Die – nicht näher begründete - Ansicht des Antragsgegners dazu erscheint abwegig. | 24 |
Die Vereinbarung der Brautgabe ist auch im Hinblick auf den ordre public (Art. 6 EGBGB) unproblematisch [...]. Denn es kommt nicht darauf an, ob das marokkanische und das deutsche Recht auf widerstreitenden Prinzipien beruhen, sondern allein darauf, ob das konkrete Ergebnis der Anwendung des marokkanischen Rechts aus der Sicht des deutschen Rechts zu missbilligen ist [...]. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Die Zahlung einer vertraglich vereinbarten Summe im Wert von ca. 2.808 € durch den Ehemann an die von ihm geschiedene Ehefrau führt nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Der Antragsgegner zeigt dazu konkret auch keine Aspekte auf. | 25 |
Insbesondere ist der Vertrag nicht nach § 138 BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig. [...] Das Gericht vermag – [...] in Anbetracht des relativ geringen Gewichts der Zahlungsverpflichtung – [...] keine Sittenwidrigkeit in Form einer krassen Überforderung des Schuldners festzustellen. [...] | 26 |
Diese Beurteilung wird bestätigt durch Art. 26 FGB. Danach ist die Brautgabe dasjenige, was der Ehemann seiner Frau zuwendet, um seinen Willen zu bekunden, die Ehe zu schließen, eine stabile Familie zu gründen und die Bande der Zuneigung und des gemeinsamen Zusammenlebens der Ehegatten zu festigen. Die gesetzliche Begründung der Brautgabe beruht nicht auf deren materiellen Wert, sondern auf ihrem immateriellen symbolischen Wert. Hierdurch kommen die veränderten Beurteilungsmaßstäbe deutlich zum Ausdruck, ohne dass an dieser Stelle der maßgebende Beurteilungszeitpunkt für die Sittenwidrigkeit vertieft werden soll. | 27 |
Zugunsten des Antragsgegners kann auch nicht darauf abgestellt werden, die Antragstellerin verlöre den Anspruch aufgrund der Einvernehmlichkeit der Ehescheidung [...]. Abgesehen davon, dass die Ehe auf die Initiative des Antragsgegners als seinerzeitigen Antragstellers geschieden worden ist, was der klassische Fall für die Auszahlung der noch nicht geleisteten Brautgabe darstellt [...], ergeben sich aus Art. 84, 113ff. FGB keine Anhaltspunkte dafür, dass Ansprüche der Ehefrau im Fall ihrer Zustimmung zur Scheidung oder deren Beantragung grundsätzlich beeinträchtigt sein könnten [...]. | 28 |
Schließlich kann sich der Antragsgegner auch nicht mit Erfolg auf etwaige Mängel der Eheschließung berufen. [...] | 29 |
Soweit der Antragsgegner meint, die Eheschließung der Antragstellerin durch ihren Vater als Stellvertreter widerspreche dem ordre public, teilt das Gericht diesen Standpunkt nicht. Die Wirksamkeit der Ehe richtet sich gemäß Art. 11, 13 I EGBGB wiederum nach marokkanischem Recht. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer im Ausland in Abwesenheit eines Partners durch eine bevollmächtigte dritte Person geschlossenen Ehe ist zwischen einer Stellvertretung in der Erklärung und einer Stellvertretung im Willen zu unterscheiden ist. Bei der Stellvertretung in der Erklärung hat die Mittelsperson nur die vom Vertretenen vorgegebene Konsenserklärung vor dem Trauungsorgan abzugeben, ohne eigene Entscheidungsfreiheit über die Partnerwahl. Diese Art der Eheschließung wird als Formfrage qualifiziert. [...] | 30 |
In Marokko entsprach die sog. Handschuhehe durch einen Bevollmächtigten islamischen und gewohnheitsrechtlichen Traditionen, sah die herrschende malekitische Rechtsschule zum Zeitpunkt der Eheschließung der Beteiligten das Erfordernis eines Ehevormundes selbst dann vor, wenn die Ehefrau volljährig war, [...] und ist sie grundsätzlich auch nach der Reform des marokkanischen Familienrechts durch das FGB im Jahr 2004 in Art. 17 FGB noch möglich. Diese Form der Eheschließung widerspricht nicht dem ordre public [...]. | 31 |
Die Wirksamkeit einer solchen Handschuhehe wird in Deutschland auch dann anerkannt, wenn bei der Eheschließung keine notariell beglaubigte und den Heiratspartner genau bezeichnende Vollmacht vorlag, solange nur eine Willensvertretung, die jedenfalls dem deutschen ordre public, also den grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen der deutschen Rechtsordnung (s. o.), zuwiderliefe, den Umständen nach ausgeschlossen werden kann. Eine solche Vertretung im Willen läge vor, wenn der Vertreter eine eigene Willenserklärung abgeben würde, er insbesondere über das Ob der Abgabe der Willenserklärung zu entscheiden hätte oder ihm die Auswahl des Ehegatten überlassen wäre [...]. Anhaltspunkte für eine solche Willensvertretung fehlen hier, werden insbesondere vom Antragsgegner nicht vorgetragen. Ausreichend zum Ausschluss einer Willensvertretung ist, dass der Vertretene die Identität der Verlobten kennt und seine Vollmacht sich auf diese bestimmte, unverwechselbare Person beschränkt, so dass auszuschließen ist, dass der für einen Verlobten handelnde Vertreter jedweder anderen, zum Termin der Eheschließung erscheinenden Person das Ja–Wort des Vertretenen übermitteln würde [...]. Dieses war hier gewährleistet, denn der Antragsgegner war als Verlobter identifiziert, was schon daraus folgt, dass er von der Mitgift in Höhe von insgesamt 70.000 Dirham bereits zuvor 40.000 Dirham gezahlt hatte. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin ihrem Vater eine nicht nur auf diese eindeutig bezeichnete Person beschränkte Vollmacht erteilt hat, fehlen, werden auch von dem Antragsgegner nicht dargelegt. [...] | 32 |
Zudem verhält sich der Antragsgegner rechtsmißbräuchlich, wenn er heute die Ungültigkeit der Ehe geltend macht, von deren Wirksamkeit er selbst jahrelang ausgegangen ist, was er abschließend besonders deutlich durch seinen Scheidungsantrag zum Ausdruck gebracht hat. [...] | 33 |