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Rechtsurteile

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Befreiung vom Schwimmunterricht in der Grundschule

Für die Annahme eines unausweichlichen Glaubenskonfliktes muss dieser konkret, substantiiert und objektiv nachvollziehbar dargelegt sein. Eine bloße Behauptung reicht nicht aus. Bei einer Grundschülerin muss deshalb unter anderem auch dargelegt werden, dass sie als noch nicht pubertäres Mädchen von einer Glaubensvorschrift betroffen ist, um einen Glaubenskonflikt annehmen zu können. (Leitsatz der Redaktion)


Beschluss:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. […]

 

Gründe:

I.

 

Die Antragstellerin begehrt die Verpflichtung der von ihr besuchten Grundschule, sie vorläufig vom Schwimmunterricht zu befreien.

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1. Die Antragstellerin besucht die 3. Jahrgangsstufe der Grundschule. Mit Schreiben vom 17. September 2008 bat ihr Vater, die Antragstellerin aus religiösen Gründen vom Schwimmunterricht zu befreien. Die Schulleitung bat um eine fundierte Begründung. Hierauf ließ die Antragstellerin vortragen, die von der Schule angebotene Befreiung von aktiver Teilnahme am Schwimmunterricht sei nicht ausreichend. Bereits der Anblick der freien Oberkörper ihrer Mitschüler sei mit ihren Glaubensüberzeugungen nicht vereinbar. Es stelle für die Antragstellerin einen unerträglichen Zustand dar, dass der Schwimmunterricht nicht nach Geschlechtern getrennt stattfinde. Zur Begründung wurden Ansprüche aus Büchern zitiert, in denen die Sunna festgehalten ist. Die Schule teilte den damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin mit, da diese bestimmt die Pubertät noch nicht erreicht habe, sei sie nicht als Frau im Sinne der zitierten Stellen anzusehen. Auch im allgemeinen Lebensumfeld sei sie nicht vor der Wahrnehmung von Menschen geschützt, die keine den islamischen Sitten entsprechende Kleidung tragen würden. Die Antragstellerin müsse nicht aktiv am Schwimmunterricht teilnehmen, führe aber Protokoll über dessen Ablauf.

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2. Die Antragstellerin lässt den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragen mit dem Ziel, die Schule zu verpflichten, sie vorläufig

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von der aktiven Teilnahme am Schwimmunterricht freitags von 11.00 bis 13.00 Uhr zu befreien und

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sie von ihrer Anwesenheitspflicht bei diesem Unterricht zu befreien,

hilfsweise, ihr in der genannten Zeit die Teilnahme an einem anderen Unterricht zu ermöglichen.

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Die Antragstellerin kleide sich stets bedeckt und trage seit dem Besuch des Kindergartens ein Kopftuch. Es sei mit ihrem Glauben unvereinbar, sich in Badekleidung zu zeigen, zumal der Schwimmunterricht nicht nach Geschlechtern getrennt erfolge. Durch die Anwesenheitspflicht beim Schwimmunterricht, ohne an ihm teilzunehmen, fühle sich die Antragstellerin ausgegrenzt. Die Teilnahmepflicht am Schwimmunterricht verletze die Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit der Antragstellerin und ihrer Eltern.

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3. Das Staatliche Schulamt in der Stadt … beantragt für den Antragsgegner,

den Antrag abzulehnen.

Die achtjährige Antragstellerin unterliege der Schulpflicht. Der Schwimmunterricht sei Bestandteil der Schulpflicht. Die Befreiung von der aktiven Teilnahme der Antragstellerin in diesem Unterrichtsfach stehe überhaupt nicht im Raum. Da die Antragstellerin die Pubertät noch nicht erreicht habe, seien die zitierten religiösen Aussprüche für sie nicht einschlägig. Schulsport habe die Aufgabe, Kinder und Jugendliche anzuregen und zu bewegen, bis ins Alter hinein ihre Leistungsfähigkeit und Gesundheit durch regelmäßiges Sporttreiben zu erhalten. Auch habe die Frau gleichermaßen wie der Mann das Recht, zu lernen. Die Teilnahme am Schwimmunterricht sei der Antragstellerin bei Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar.


II.

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Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann dem Antrag nur stattgegeben werden, wenn die Antragstellerin sowohl glaubhaft machen kann, Anspruch auf Befreiung vom Schwimmunterricht zu haben (Anordnungsanspruch), als auch, dass mit der Durchsetzung dieses Anspruchs nicht bis zum Abschluss eines Widerspruchsund gegebenenfalls Klageverfahrens zugewartet werden kann (Anordnungsgrund).

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Die für die Annahme eines Anordnungsgrundes erforderliche Eilbedürftigkeit ist vorliegend gegeben. Hat die Antragstellerin aus religiösen Gründen Anspruch auf Befreiung vom Schwimmunterricht, so ist es ihr, auch um effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) zu gewährleisten, nicht zuzumuten, bis auf Weiteres an diesem Unterricht teilzunehmen.

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Die Antragstellerin hat jedoch den Anspruch auf Befreiung vom Schwimmunterricht nicht glaubhaft gemacht.

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2. Nach § 36 Abs. 3 Satz 1 der Schulordnung für die Grund- und Hauptschulen (Volksschulen) in Bayern (Volksschulordnung - VSO) […] können Schülerinnen und Schüler auf schriftlichen Antrag in begründeten Fällen vom Unterricht in einzelnen Fächern befreit oder vom Schulbesuch beurlaubt werden. Diese Vorschrift ist mit Wirkung vom 1. September 2008 an die Stelle des bisherigen § 24 Abs. 1 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (VSO a.F.) getreten. Die tatbestandliche Voraussetzung des "begründeten Falles" ist dieselbe geblieben.

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3. Die derzeitige Behandlung des Falles durch die Schule ist von § 36 Abs. 3 VSO nicht gedeckt. Die Regelung geht von einer Befreiung in einzelnen Fächern aus. Die bisherige Einschränkung, dass die Befreiung in der Regel zeitlich begrenzt erteilt werden soll, ist weggefallen. Der Schwimmunterricht ist ein einheitlicher Vorgang. Es gibt keinen "passiven Schwimmunterricht". Der Fall der Antragstellerin ist nicht zu vergleichen mit Mädchen während der Menstruation […]. Bei diesen ist es ohne Weiteres sachgerecht, dass sie in den ersten Tagen der Menstruation nicht aktiv am Schwimmunterricht teilnehmen, gleichwohl im Schwimmbad anwesend sind und den Stundenverlauf, die Übungsanweisungen und Erklärungen verfolgen, da sie nach Abklingen der Menstruation wieder aktiv am Schwimmunterricht teilnehmen können. Es ist aber keine sachgerechte Lösung, dass die Antragstellerin, die nicht zur aktiven Teilnahme am Schwimmunterricht angehalten werden soll, gleichwohl im Schwimmbad anwesend sein muss und dort Protokoll führt. Anders als bei Mädchen in der Menstruation, deren Situation ohne Weiteres erklärbar und verstehbar ist, wird die Antragstellerin so in eine Außenseiterrolle gedrängt, die noch durch ihre bedeckte Kleidung und das von ihr getragene Kopftuch verstärkt wird. Auch ist nicht nachvollziehbar, welchen Lerneffekt die Antragstellerin aus dem "passiven Schwimmunterricht" ziehen soll.

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Es stellt sich daher nur die Alternative der Befreiung vom Schwimmunterricht im Ganzen verbunden mit der Verpflichtung, an anderem Unterricht (sinnvoll) teilzunehmen oder der aktiven Teilnahme am Schwimmunterricht in Badebekleidung.

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4. Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Der Staat bestimmt unter anderem über die Art der Unterrichtsfächer und die Inhalte dieser Fächer. Schüler sind nach Art. 56 Abs. 4 Satz 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) verpflichtet, am Unterricht regelmäßig teilzunehmen.

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Das elterliche Erziehungsrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG enthält keinen ausschließlichen Erziehungsauftrag der Eltern. Der staatliche Erziehungsauftrag, den Art. 7 Abs. 1 GG beinhaltet, ist im Bereich der Schule dem Elternrecht nicht nach-, sondern gleichgeordnet. Das Elternrecht wird durch die allgemeine Schulpflicht in verfassungskonformer Weise eingeschränkt […]. Angesichts der positiven Auswirkungen des Schwimmunterrichts auf die körperliche, insbesondere motorische, Entwicklung von Schülern ist der Staat berechtigt, verpflichtenden Schwimmunterricht vorzusehen, auch wenn dies Eltern unter Berufung auf ihr Erziehungsrecht nicht wünschen. Es liegt aber angesichts des Umstandes, dass Schwimmunterricht in anliegender Badekleidung abgehalten wird, auf der Hand, dass die Teilnahme am Schwimmunterricht gegen die religiösen Überzeugungen von Eltern und Schülern verstoßen und damit mit deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit und ungestörte Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG in Konflikt geraten kann. Eine derartige Konfliktsituation kann insbesondere bei Eltern und Schülerinnen islamischen Glaubens auftreten.

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5. Denjenigen, der unter Berufung auf sein Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht, hier der Besuch des Schwimmunterrichts als Bestandteil des Pflichtfachs Sport, begehrt, trifft die Darlegungslast dafür, dass er durch verbindliche Gebote oder Verbote daran gehindert ist, dieser Pflicht nachzukommen. Er muss darlegen, dass er in einen Gewissenskonflikt geraten würde, wenn er entgegen seiner Glaubensüberzeugung dieser Pflicht nachkommen würde. Hierfür reicht nicht die bloße Berufung auf behauptete Glaubensinhalte. Es muss sich um eine konkrete, substantiierte und objektiv nachvollziehbare Darlegung eines Gewissenskonflikts handeln. Nur so ist der Vortrag geeignet, einen Anspruch auf Befreiung von einer grundsätzlich für alle geltenden Pflicht zu begründen […].

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Dabei ist es dem Staat allerdings verwehrt, Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder sie gar als "richtig" oder "falsch" zu bezeichnen. Auch ist es nicht Aufgabe des Staates, religiöse Schriften dahingehend auszulegen, ob die Betroffenen hieraus die zutreffenden Schlüsse gezogen haben. Berufen sich die Betroffenen indes auf bestimmte Aussagen religiösen Schrifttums, müssen diese von ihrem eindeutigen objektiven Inhalt her geeignet sein, den Anspruch auf Befreiung von einem bestimmten Unterrichtsfach zu tragen […].

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6. Ist der Gewissenskonflikt hinreichend dargelegt, so ist er vorrangig durch einen schonenden Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu lösen […]. Dies kann etwa durch geschlechtergetrennten Schwimmunterricht geschehen. Die koedukative Erziehung hat indes einen hohen pädagogischen Wert. Mädchen und Jungen gelangen so zu einem unbefangenen Umgang miteinander. Koedukative Erziehung verhindert die Festlegung von Schülerinnen und Schülern auf traditionelle Rollenmuster und trägt so zur Umsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau auch im Schulwesen bei (vgl. VG Hamburg vom 14.4.2005 - 11 E 1044/05). Der Verzicht auf koedukativen Unterricht kann deshalb nur begehrt werden, wenn dies geboten ist um einerseits der Schulpflicht zu genügen und andererseits den Gewissenskonflikt nicht entstehen zu lassen. Ist in einer solchen Situation jedoch ein geschlechtergetrennter Unterricht nicht möglich, kommt nur die Befreiung vom Unterricht in Betracht. Die Verwendung eines Ganzkörperschwimmanzuges (vgl. hierzu VG Düsseldorf vom 7.5.2008 - 18 K 301/08) erscheint beim koedukativen Schwimmunterricht allerdings als keine geeignete Konfliktlösung […].

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7. Das Vorbringen der Antragstellerin genügt den dargestellten Anforderungen an die Darlegung eines Gewissenskonfliktes nicht.

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Hierzu ist zunächst klarzustellen, dass die vom Staat in Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Aufgaben verfügten Verpflichtungen für alle gelten, die sich auf Dauer in seinem Gebiet aufhalten. Die Eltern der Antragstellerin haben Anspruch darauf, dass der Staat ihr Recht auf Glaubensfreiheit respektiert. Sie haben aber keinen Anspruch darauf, dass sich der Staat und dessen Bewohner an ihren Wertvorstellungen orientieren und ihr Verhalten danach ausrichten. Auch die Antragstellerin und ihre Eltern sind Teil einer pluralistischen und freiheitlichen Gesellschaft und haben es hinzunehmen, mit Verhaltensweisen und Verpflichtungen konfrontiert zu werden, die ihren Wertvorstellungen zuwider laufen.

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Die von der Antragstellerin angeführten Zitate aus religiösem Schrifttum vermögen einen unausweichlichen Gewissenskonflikt bei Teilnahme ihrer Tochter am koedukativen Schwimmunterricht nicht zu begründen. Diese Schriftstellen betreffen Frauen und keine Kinder. Mädchen vor der Pubertät sind nicht als Frauen anzusehen, sondern als Kinder. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich […] mit der Reichweite islamischer Bekleidungsvorschriften auseinandergesetzt und hierzu die Sure 24, Vers 31 des Korans zitiert. Danach sollen gläubige Frauen ihre Blicke niederschlagen, ihre Scham hüten und ihre Reize nicht zur Schau tragen, es sei denn, was außen ist, und sie sollen ihren Schleier über ihren Busen schlagen und ihre Reize nur ihren Ehegatten, Vätern, Brüdern, Söhnen und anderen männlichen Verwandten sowie Frauen und Kindern, welche die Blöße der Frauen nicht beachten, zeigen.

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Es ist demnach kein Glaubensgebot erkennbar, das Mädchen schon vor Beginn der Pubertät, also als Kinder, daran hindern würde, am koedukativen Sportunterricht teilzunehmen […]. Dies gilt auch für den koedukativen Schwimmunterricht (vgl. VG Hamburg vom 14.4.2005 - 11 E 1044/05).

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8. Nach allem ist der Antrag […] abzulehnen. […]

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