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Rechtsurteile

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Aufnahme von polizeilichen Lichtbildern im unverschleierten Zustand als Eingriff in die Religionsfreiheit

Das mit Bescheid einer Polizeiinspektion ausgedrückte Vorhaben der Polizei im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung gem. § 81b 2. Alt. StPO Lichtbilder einer Muslimin auch ohne Verschleierung anzufertigen ist ein Eingriff in die Religionsfreiheit. Aufgrund der zweifelhaften Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs ist die verfassungsrechtliche Rechtfertigung fraglich. Insbesondere ist deshalb im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO, auch wenn die restlichen angedrohten Maßnahmen rechtmäßig sind, die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich dieser Maßnahme wiederherzustellen, da das Aussetzungsinteresse der Antragsstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. (Leitsatz der Redaktion)


Beschluss:

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid der Polizeiinspektion Bad Brückenau vom 15. September 2016 wird wiederhergestellt, soweit die Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin im unverschleierten Zustand, d. h. ohne Schleier, der Haare, Ohren und Hals bedeckt, angeordnet wird. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
[…]

 

Gründe:

 

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die sofortige Vollziehung im Bescheid der Polizeiinspektion Bad Brückenau vom 15. September 2016. Mit diesem Bescheid wird die erkennungsdienstliche Behandlung der Antragstellerin nach § 81b 2. Alt. StPO, die sich auf die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrücken, Fertigung von Lichtbildern - auch unverschleiert - und Messungen und Personenbeschreibungen erstreckt, angeordnet (Nr. 1 des Bescheids) und sie hierzu für Mittwoch, 19. Oktober 2016, 10.30 Uhr, oder Montag, 24. Oktober 2016, 13.30 Uhr, vorgeladen (Nr. 2).  […] Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 2, und 5 des Bescheides wird gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet (Nr. 7).

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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig. […]

2. Der Antrag ist nur teilweise begründet.

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Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO prüft das Gericht, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine eigene Abwägungsentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. des Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen. […] 

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2.1. Es bestehen keine Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs. Insbesondere hat der Antragsgegner die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichender Weise gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet. 

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2.2. Eine summarische Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ergibt vorliegend, dass die Klage gegen die Anordnungen in Nrn. 1 (mit Ausnahme der Anordnung der Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin im unverschleierten Zustand, d. h. ohne Schleier, der Haare, Ohren und Hals bedeckt), 2 und 5 des Bescheids des Polizeipräsidiums Unterfranken vom 31. Mai 2016 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Soweit in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids die Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin auch im gänzlich unverschleierten Zustand angeordnet wird, sind die Erfolgsaussichten der Klage hingegen offen. Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage insoweit wiederherzustellen war. […]

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2.3. Der streitgegenständliche Bescheid erweist sich nach summarischer Prüfung in den Nrn. 1 (mit Ausnahme der Anordnung der Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand), 2 und 5 als rechtmäßig. 

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Das Polizeipräsidium Unterfranken hat die Antragstellerin zu Recht als Beschuldigte i. S.v. § 81b 2. Alt. StPO angesehen, denn gegen sie wird wegen einer Straftat ermittelt. […]

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Das Anlassverfahren erweist sich als geeignete Grundlage für die Anordnung. Für die präventiven Zwecken dienende Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung sowie der ihrer Durchführung dienende Hilfsmaßnahme der Vorladung ist keine vollumfängliche und zu absoluter Sicherheit führende Sachverhaltsaufklärung erforderlich. Vielmehr genügt hier der sich aus dem Ermittlungsverfahren ergebende dringende Tatverdacht […]. Ein derartiger Tatverdacht ist hier gegeben. Das Bestreiten der Tat durch die Antragstellerin, soweit es sich hierbei nicht ohnehin um Schutzbehauptungen handelt, ändert daran nichts.

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Die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung ist grundsätzlich auch notwendig i.S.d. § 81b 2. Alt. StPO. Für die Annahme der Notwendigkeit bedarf es einer auf der sog. Anlasstat beruhenden Wiederholungsgefahr. Eine Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn aufgrund eines konkreten Sachverhalts die Prognose angestellt werden kann, der Betroffene werde auch in Zukunft in den Kreis Verdächtiger von noch aufzuklärenden anderen Straftaten einbezogen werden können. […]

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Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hat die Polizeiinspektion Bad Brückenau die Notwendigkeit i. S. d. § 81b 2. Alt. StPO zu Recht bejaht. […] Die Antragstellerin ist bereits in der Vergangenheit strafrechtlich in Erscheinung getreten. Gegen sie wurden Ermittlungen wegen eines besonders schweren Falls des Ladendiebstahls am 7. Oktober 2015 sowie zweimal wegen Ladendiebstahls am 26. Juni und 16. März 2015, jeweils in Bonn, geführt. Es kommt nicht darauf an, ob die früheren Verfahren zum Teil eingestellt worden sind. Der Restverdacht ist hierdurch nämlich nicht automatisch ausgeräumt. […]

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Angesichts der wiederholten polizeilichen Auffälligkeit der Antragstellerin kann bei der Anlasstat auch nicht von einem Bagatelldelikt ausgegangen werden, wie der Antragstellerbevollmächtigte meint. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr ist keine gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Straffälligkeit erforderlich […].

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Insofern erscheint die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung im Allgemeinen gut geeignet, präventive Wirkung zu entfalten, insbesondere durch die Warnfunktion gegenüber der Antragstellerin und die offensichtliche Erleichterung weiterer Ermittlungsarbeiten in zukünftigen Fällen.

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Hiervon ausgehend hat der Antragsgegner ohne Ermessensfehler die grundsätzliche Notwendigkeit einer Anordnung nach § 81b 2. Alt. StPO bejaht. Abgesehen von der Anordnung der Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand hat die Kammer auch keine Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der getroffenen Anordnung. […]

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Die Androhung und Festsetzung des Zwangsgelds in Nrn. 3 und 4 des angegriffenen Bescheids erweisen sich - auch der Höhe nach - als rechtmäßig. Ebenfalls keinen Bedenken begegnet die Androhung der zwangsweisen Vorführung in Nr. 6 des angegriffenen Bescheids. […]

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2.4. Hingegen sind die Erfolgsaussichten der Klage insoweit als offen anzusehen, als im streitgegenständlichen Bescheid auch die Fertigung von Lichtbildern der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand, d. h. ohne den von ihr üblicherweise getragenen Schleier, der Haare, Ohren und Hals bedeckt, angeordnet wird.

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Nach Auffassung des Gerichts bestehen insoweit Bedenken, ob die Anordnung der Maßnahme in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erfolgte bzw. mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.

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Die Antragstellerin beruft sich auf einen unzulässigen Eingriff in ihre Religionsfreiheit. Aufgrund ihres Auftritts in der mündlichen Verhandlung im Asylverfahren der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Würzburg am 11. Juli 2016 ist bekannt, dass die Antragstellerin in der Öffentlichkeit eine Verschleierung trägt, die ihre Haare, ihre Ohren und ihren Hals bedeckt, ihr Gesicht ansonsten hingegen freilässt. Mit Urteil […] wurde die Bundesrepublik Deutschland dazu verpflichtet, der Antragstellerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Im vorliegenden Fall ist daher der Schutzbereich der Religionsfreiheit betroffen und der inhaltliche Geltungsbereich dieses Grundrechts durch die streitgegenständliche Anordnung beeinträchtigt. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein umfassend zu verstehendes Grundrecht, das die Freiheit des Glaubens und das Recht auf freie Religionsausübung garantiert. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, d. h. einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen, und einem anderen Glauben zuzuwenden („forum internum“), sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben („forum externum“). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und ihrer inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben, wozu auch die religiös motivierte Gestaltung des äußeren Erscheinungsbilds durch Kleidung gehört […].

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Bei Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben […]. Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine religiös anzusehende Motivation hat […].

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Nach diesem Verständnis des Grundrechts der Religionsfreiheit ist dessen Schutzbereich eröffnet, weil das Tragen eines muslimischen Kopftuches („Hidschab“), durch das Haare und Hals nachvollziehbar aus religiösen Gründen bedeckt werden, als Teil der Religionsausübung nach außen in den Bereich des sog. „forum externum“ fällt […]. Die Antragstellerin macht auch - ohne dass dies zweifelhaft erscheint - eine religiöse Motivation für das von ihr als aus Glaubensgründen verpflichtend dargestellte Tragen des Kopftuchs geltend. Die religiöse Fundierung der Pflicht, als Frau ein islamisches Kopftuch zu tragen, ist plausibel und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt […].

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Die Aufnahme von Lichtbildern der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand ist auch als Eingriff in die Religionsfreiheit zu sehen - unabhängig davon ob bei Durchführung der Aufnahmen ausschließlich eine weibliche Beamtin anwesend ist, denn die Aufnahmen sind aufgrund ihrer Speicherung weiteren, auch männlichen Polizisten zugänglich und werden ggf. auch im Rahmen von Zeugenbefragungen verwendet.

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Es ist fraglich, ob dieser angeordnete Eingriff in die Religionsfreiheit der Antragstellerin verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

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Dem Bescheid lässt sich nicht entnehmen, dass die Behörde den Aspekt der Religionsfreiheit der Antragstellerin bei der Prüfung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme berücksichtigt hat. Insofern steht aufgrund der insoweit fehlenden Begründung des Verwaltungsakts bereits ein Ermessensausfall im Raum.

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Weiterhin stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Aufnahme von Lichtbildern der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand für die Erfüllung der polizeilichen Aufgabe erforderlich ist. […] Nachdem sich die Antragstellerin […] mit Kopftuch bekleidet in der Öffentlichkeit bewegt und bislang ausschließlich mit Ladendiebstählen auffällig geworden ist, erschließt sich nicht ohne weiteres, warum die Aufnahme des gänzlich unverschleierten Kopfs der Antragstellerin erforderlich ist. Eine Klärung […] muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

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Außerdem bleibt auch bei Annahme der Erforderlichkeit von Lichtbildaufnahmen der Antragstellerin im gänzlich unverschleierten Zustand fraglich, ob die getroffene Anordnung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem auch erkennungsdienstliche Maßnahmen unterliegen […], vereinbar ist, insbesondere ob es sich hierbei um einen unzulässigen Eingriff in die freie Religionsausübung handelt.

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Die Glaubensfreiheit ist zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Einschränkungen müssen sich jedoch aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. […] Ob im Rahmen der Abwägung vorliegend von der Behörde der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit der Vorrang vor der Religionsfreiheit gegeben werden konnte oder ob, unter weitestmöglicher Schonung und damit Verwirklichung beider Verfassungsgüter im vorliegenden Konfliktfall eine Lösung gefunden werden musste, die die Glaubensfreiheit der Antragstellerin weitergehend berücksichtigt, kann im Rahmen der im Sofortverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht abschließend beantwortet werden.

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Nach alledem sind die Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin hinsichtlich der Anordnung der Fertigung von Lichtbildern im gänzlich unverschleierten Zustand als offen anzusehen.

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Im Rahmen der sonach vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt insoweit das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin das öffentliche Vollzugsinteresse, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen war. Im Falle einer einstweiligen Fertigung von Lichtbildern im gänzlich unverschleierten Zustand, d. h. ohne Schleier, der Haare, Ohren und Hals bedeckt, steht die Verletzung der Glaubensfreiheit der Antragstellerin im Raum. Hingegen wird die öffentliche Sicherheit, wenn zunächst nur Lichtbilder der Antragstellerin im beschriebenen teilweise verschleierten Zustand aufgenommen werden können, angesichts der im Raum stehenden Tatvorwürfe gegen die Antragstellerin nicht in gravierender Weise beeinträchtigt, da diese Lichtbilder bei einer möglichen Tataufklärung in der Zukunft verwendet werden können. […]

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